Event und völkische Selbstvergewisserung
Die Bedeutung des 1. Mai für die Straßenpolitik der extremen Rechten
Der Aufzug, der sich am 1. Mai 1993 durch die menschenleeren Straßen von Berlin- Lichtenberg bewegte, wirkte reichlich bizarr. Knapp 100 Neonazis hatten sich hinter einem Transparent der „Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei“ (FAP) versammelt, auf dem die Parole „Deutsche Arbeitsplätze für deutsche Arbeitnehmer“ prangte. Dirigiert wurde der Tross durch den FAP-Vorsitzenden Friedhelm Busse, ausstaffiert mit einem knarzenden Handmegaphon. Ein Jahr zuvor war die FAP mit ihrem Versuch, im Prenzlauer Berg einen Aufmarsch durchzuführen, sogar komplett gescheitert. Bevor die Veranstaltung überhaupt begonnen hatte, blieb den rund 50 AktivistInnen angesichts wütender Gegenproteste nur der wenig ruhmreiche Rückzug.
„Fanal der Volksgemeinschaft“?
Obgleich es der dann 1995 verbotenen FAP nicht gelang, sich am 1. Mai als straßenpolitisch durchsetzungsstarke Partei in der Tradition der NSDAP und ihrer Schlägertruppe der SA zu inszenieren, verwiesen deren Bemühungen, das Datum mit eigenen Aktivitäten und völkisch-nationalistischer Propaganda zu vereinnahmen, doch auf eine zunehmende Bewegungsorientierung und wachsende Militanz, die für große Teile der extremen Rechten seit 1990 kennzeichnend war. Als maßgebliche ProtagonistInnen dieser Entwicklung firmierten die entstehenden „Freien Kameradschaften“ (FK) sowie die sich radikalisierende NPD, die offen den „Kampf um die Straße“ propagierte. Der 1. Mai avancierte fortan zu einem festen Termin im Demonstrationskalender der extremen Rechten. Neben der Agitation gegen die „Wehrmachtsausstellungen“ des Hamburger Instituts für Sozialforschung (1995-2004) und den Rudolf-Heß-Gedenkmärschen (bis 2004) bildete das Datum seit 1997 den für die Szene zweifellos erfolgreichsten Mobilisierungsanlass.
In den Jahrzehnten zuvor hatte indessen die extreme Rechte das Datum im wahrsten Sinne des Wortes „links“ liegen lassen. Nunmehr reklamierten NPD und FK den 1. Mai jedoch als „Tag der nationalen Arbeit“ und knüpften damit unverhohlen an den historischen NS an. Nur wenige Wochen nach der Machtübernahme am 30. Januar 1933 hatte das NS-Regime den 1. Mai zum „Feiertag“ erhoben und mit Massenaufmärschen propagandistisch überhöht, um auf diese Weise, so die Historikerin Harriet Scharnberg, ein „Fanal der Volksgemeinschaft“ zu inszenieren, bevor am folgenden Tag die freien Gewerkschaften zerschlagen wurden. Die offene Bezugnahme auf diese Traditionslinien durch die extreme Rechte in den 1990er Jahren, die in dem Slogan „Erster Mai - seit 33 arbeitsfrei“ ebenso zum Ausdruck kam wie in der Verwendung marginal abgewandelter Symbole der Deutschen Arbeitsfront (DAF) und der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation (NSBO), dokumentierte das wachsende Selbstbewusstsein der Szene.
Damit einher ging eine verstärkte weltanschauliche Reideologisierung. NPD und FK setzten auf völkisch-antikapitalistische Positionen, die im Wesentlichen dem rhetorischen Arsenal extrem rechter und faschistischer Strömungen der Zwischenkriegszeit entstammten. „Volksgemeinschaft statt Klassenkampf“ oder „Arbeit, Freiheit und Brot durch Nationalen Sozialismus“ lauteten die Parolen, mit denen NPD und FK nicht nur zum 1. Mai, sondern auch zu weiteren Anlässen, wie beispielsweise gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm im Juni 2007 mobilisierten. Ein theoretisch anspruchsvollerer „Antikapitalismus von rechts“ entstand dabei freilich nicht. In der Regel verbergen sich hinter den „antikapitalistischen“ Phrasen und der Verherrlichung des „Nationalen Sozialismus“ allenfalls schlecht getarnte, rassistische, nicht zuletzt antisemitische Grundpositionen.
Besonders die Aufmärsche zum 1. Mai boten (und bieten) den AktivistInnen die Gelegenheit, diese ideologischen Referenzen in provozierender Weise zu inszenieren. Ein markantes Beispiel hierfür stellte die Aufschrift des Fronttransparents des Nationalen Widerstands Dortmund am 1. Mai 2007 dar: „Ob Dortmund, Erfurt oder Buxtehude – Der Feind ist & bleibt der Kapitalismus“. AktivistInnen der (mittlerweile aufgelösten) AG Ruhr Mitte präsentierten – nicht nur zum 1. Mai – ein Transparent, auf dem eine Weltkugel in den Fängen einer Krake abgebildet war, versehen mit dem Slogan „Kampf dem ewigen Kapitalismus“. Das Motiv war in nur leicht abgewandelter Form der NS-Hetzschrift Der Stürmer entnommen worden.
Selbstinszenierungen und Gewalt
Mit diesen Inszenierungspraktiken erzielten weder NPD und FK, noch in jüngster Zeit die militanten Kleinstparteien Die Rechte und Der Dritte Weg Anschlussfähigkeit über die eigenen neonazistischen Kernmilieus hinaus. Im Gegensatz zur historischen NS-Bewegung ging und geht es deren WiedergängerInnen anlässlich des 1. Mai und anderer „antikapitalistischer“ Kampagnen kaum um die gleichwohl ständig beschworene „Seele des deutschen Arbeiters“. Politische Konzepte, um ähnlich wie die NSBO während der Zwischenkriegszeit in soziale Auseinandersetzungen und Arbeitskämpfe zu intervenieren, hat die extreme Rechte bislang nicht hervorgebracht.
Der „Tag der nationalen Arbeit“ dient in erster Linie der Selbstinszenierung einer Bewegung, die sich nicht über programmatische Entwürfe, sondern durch eine rassistische, aktionsorientierte und gewaltaffine Praxis definiert. Dieser zentrale Wesenszug des extrem rechten Politikverständnisses zeigt sich im Kontext der Mobilisierungen zum 1. Mai besonders deutlich. Verbale Aggressivität und handfeste Übergriffe auf zu „Feinden“ deklarierte politische GegnerInnen, MigrantInnen, JournalistInnen und bisweilen auch die Polizei kennzeichnen den „Tag der nationalen Arbeit“ bis heute. Im Jahr 1997 attackierten marodierende Neonazis beispielsweise eine Kundgebung des DGB in Hannoversch Münden. 1998 versuchten rund 300 AktivistInnen aus dem Spektrum der FK nach der Kundgebung der NPD am Leipziger Völkerschlachtdenkmal eine Demonstration durchzusetzen und griffen dabei JournalistInnen mit Steinwürfen an. Zu massiven Übergriffen vor allem auf JournalistInnen kam es in Hamburg am 1. Mai 2008. Im Jahr darauf griffen rund 400 Neonazis in Dortmund die Demonstration des DGB an. Pöbeleien und Gewalt begleiteten auch in den folgenden Jahren die Aufmärsche der extremen Rechten zum 1. Mai.
Diese Veranstaltungen bildeten immer auch Experimentierfelder für neue Aktionsformen und Selbstinszenierungspraktiken, die vom streng legalistischen Verhalten, das extrem rechte Versammlungen bis zur Mitte der 1990er Jahre prägte, abwichen. Die Mitte der 2000er Jahre entstehende Strömung der „Autonomen Nationalisten“ (AN) trat zunächst im Kontext der Aufmärsche zum 1. Mai spektakulär in Erscheinung. Im Vorfeld der von NPD und FK organisierten Demonstration zum „Tag der nationalen Arbeit“ in Berlin im Jahr 2004 wurde in einem Aufruf erstmals die Bildung eines „nationalrevolutionären schwarzen Blocks“ propagiert. Seither dienten Aktionen am 1. Mai besonders den AN als Bühne, um die von ihnen adaptierten Symbole und subkulturellen Stile zur Schau zu stellen und sich als postmodern recycelte „Soldaten der Bewegung“ zu präsentieren.
Anspruch und Realität
Diese Formen der Selbstdarstellung stießen jedoch nicht im gesamten Spektrum der bewegungsorientierten extremen Rechten auf Zustimmung. Die Geschichte der Mobilisierungen zum „Tag der nationalen Arbeit“ bildet daher auch die Zersplitterung der neonazistischen Szenen ab. Konflikte entzündeten sich wiederholt an den jeweils praktizierten Aktionsformen. Während etwa AktivistInnen der FK und der AN ihre Gewaltbereitschaft zelebrierten und dabei nicht nur die Konfrontation mit politischen GegnerInnen und der Polizei, sondern bisweilen auch mit OrdnerInnen der NPD suchten, grenzten sich die „Nationaldemokraten“ wiederholt von deren Militanz ab und postulierten – wenn auch häufig wenig glaubwürdig – ein legalistisches Auftreten.
Hinzu kommen persönliche Animositäten zwischen führenden ProtagonistInnen des „Freien“-Spektrums, der NPD sowie der Parteien Die Rechte und Der Dritte Weg, die nicht gerade zur strategischen Geschlossenheit beitragen. Anlässlich des 1. Mai ist es der extremen Rechten nur selten gelungen, sich politisch geeint zu präsentieren und zentrale, gemeinsame Veranstaltungen durchzuführen. Bundesweite Mobilisierungen wie etwa zum 1. Mai 1998, als sich rund 5.000 NPD-AnhängerInnen und AktivistInnen der FK in Leipzig versammelten oder der von NPD und Aktionsbüro Norddeutschland getragene Aufruf zum „Marsch der nationalen Einheit“ am 1. Mai 2004 in Berlin, dem etwa 2.500 Neonazis folgten, können somit eher als Ausnahmen bezeichnet werden. Vielmehr prägen dezentrale Aktionen den „Tag der nationalen Arbeit“. Hier zeigen sich deutlich die Ambivalenzen extrem rechter Straßenpolitik, zwischen großspurigen Ansprüchen und einer für deren ProtagonistInnen nicht selten ernüchternden Realität.
Einerseits sollen die dezentralen Veranstaltungen die Mobilisierungsfähigkeit der jeweiligen regionalen Strukturen demonstrieren und gleichzeitig den Eindruck flächendeckender Aktivitäten erzeugen. Andererseits verdeutlichen nicht zuletzt die regionalen Mobilisierungen zum 1. Mai die Schwächen der bewegungsorientierten Rechten, werden doch häufig gerade zu diesen Anlässen die bereits erwähnten Konfliktlinien innerhalb der Szene offenkundig. So ruft etwa Der Dritte Weg in diesem Jahr zu einer Demonstration in Saalfeld auf, ungeachtet der Tatsache, dass gleichzeitig die NPD im nur knapp 60 Kilometer entfernten Erfurt zu einem Aufmarsch mobilisiert. Die Konzentration der extremen Rechten auf kleinere regionale Mobilisierungen resultiert aber auch aus deren Unvermögen, auf die breiten zivilgesellschaftlichen und antifaschistischen Gegenproteste zu reagieren, die seit den frühen 1990er Jahren den „Tag der nationalen Arbeit“ begleiten und vielfach zum Scheitern, zumindest aber zur erheblichen Beeinträchtigung zumal der bundesweit beworbenen Aufmärsche beitrugen.
Kontinuität und Ritualisierung
Gleichwohl spielt der 1. Mai für die bewegungsorientierte Rechte als regelmäßiger Event weiterhin eine zentrale Rolle. Dessen Bedeutung ergibt sich vor allem aus seiner szeneinternen gemeinschaftsstiftenden Funktion, die gleichsam als völkische Selbstvergewisserung beschrieben werden kann. Wie kaum ein anderes Datum wird der 1. Mai von den AktivistInnen der extremen Rechten dazu genutzt, ihrem aktionsorientierten, gewaltaffinen Politikverständnis Ausdruck zu verleihen. Aus dieser Selbstbezüglichkeit ergeben sich freilich auch die Grenzen extrem rechter Straßenpolitik. Zudem scheint sich der nationalrevolutionäre Gestus, der die Mobilisierungen zum 1. Mai bis zur Mitte der 2000er Jahre kennzeichnete, allmählich erschöpft zu haben und einer zunehmenden straßenpolitischen Ritualisierung zu weichen. Nicht zuletzt verweisen auch die tendenziell sinkenden TeilnehmerInnenzahlen der Aktionen auch in diesem Themenfeld auf eine grundsätzliche Krise extrem rechter Straßenpolitik. Beteiligten sich im Jahr 2007 bundesweit noch rund 5.000 AktivistInnen an den Veranstaltungen zum 1. Mai, waren es 2014 gerade einmal knapp 2.100. Ein Ende der völkisch-rassistischen Mobilisierungen zum 1. Mai ist indessen nicht absehbar. Im Gegensatz zu anderen straßenpolitischen Events, die sich phasenweise als äußerst mobilisierungsfähig erwiesen, aus verschiedenen Gründen jedoch an Resonanz verloren haben (Rudolf-Heß-Gedenkmärsche, Bad Nenndorf, Halbe und Dresden) hat sich das Datum seit nunmehr 20 Jahren im extrem rechten Demonstrationskalender etabliert.