Keine Vorsitzende, keine „Geheimschutzstelle“

Der NSU-Untersuchungsausschuss in NRW

Mitte März sorgte der nordrhein-westfälische Parlamentarische Untersuchungsausschuss (PUA) kurz für Aufsehen – allerdings nicht wegen seiner Aufklärungsarbeit, sondern weil die Vorsitzende Nadja Lüders (SPD) überraschend mitteilte, 1999 den Neonazi und dreifachen Polizistenmörder Michael Berger anwaltlich vertreten zu haben. Damals ging es um eine Kündigungsklage. Die ein halbes Jahr später verübten Taten Bergers – unmittelbar danach beging er Selbstmord – sind Gegenstand des Untersuchungsauftrags.

„Diese anwaltliche Tätigkeit in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren hat nichts mit dem Untersuchungsgegenstand zu tun. Für mich war ganz klar, den Vorsitz kann ich übernehmen, ohne dass da irgendein Zusammenhang besteht“, war Lüders überzeugt. Erst auf Nachfrage räumte sie ein, dass Berger auch Gast auf einer Kanzleiparty war, angeblich uneingeladen. Vom politischen Hintergrund ihres Mandanten will sie nichts gewusst haben. Wenige Tage später trat Lüders dennoch als Vorsitzende zurück. Die Arbeit des PUA solle „nicht durch eine Diskussion um die Person der Vorsitzenden beeinträchtigt“ werden. Bis zur Entscheidung über ihre Nachfolge übernimmt der stellvertretende Vorsitzende, Peter Biesenbach (CDU), die Leitung des Ausschusses. Doch dem PUA fehlt nicht nur eine Vorsitzende, sondern auch ein adäquater Raum zur Lagerung als „vertraulich“ oder „geheim“ eingestufter Akten. „Wir haben vor, in der Sommerpause einen Raum abhörgeschützt herzurichten und wir hoffen und versuchen, dass in der Sommerpause auch die übrigen Maßnahmen vollzogen sind, sodass die Akten geliefert werden können, die der Untersuchungsausschuss benötigt“, so die lapidare Formulierung eines Landtagssprechers gegenüber dem WDR. Solange diese „Geheimschutzstelle“ nicht gebaut ist, liefern die Ministerien einen Teil ihrer Akten nicht an. Ohne deren Kenntnis können aber Zeug_innen-Befragungen weder vorbereitet noch durchgeführt werden. Dies bedeutet eine deutliche und nicht nachvollziehbare Verzögerung der Ausschussarbeit. Schließlich ist seit fast einem Jahr klar, dass es den Ausschuss geben soll, der Anfang November eingesetzt wurde und sich im Dezember konstituierte. Von Anfang an war absehbar, dass Akten, die eines solchen Raums bedürfen, zentrale Bedeutung zukommen wird.

Kritische Perspektiven

Bislang wurden in fünf Sitzungen Sachverständige gehört. Die drei ersten Hearings befassten sich mit „Aufbau und Zuständigkeit der Sicherheitsbehörden und der Justiz in NRW“. Den Anfang machten im Januar zwei Anhörungen zu Polizei und Verfassungsschutz, das Hearing zum Thema Justiz folgte Anfang März. Weiter ging es mit der „Entwicklung der extremen Rechten vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Bedingungen seit 1990/1991“ und den Neonazi-Szenen im Rheinland und Westfalen in den 1990er und 2000er Jahren. Das letzte Hearing am 16. April hat „Militante rechtsradikale Gruppierungen in NRW und organisierte Gewalt durch Neonazis“ zum Thema.

Die bisherigen Anhörungen gestalteten sich überraschend kritisch und interessant. So referierte die Soziologie-Professorin Juliane Karakayali von der Evangelischen Hochschule Berlin zu gesellschaftlichem Rassismus und spannte einen Bogen von den Erfahrungen von Migrant_innen zu Beginn der 1990er Jahre bis zu den Morden des NSU. So müsse man „leider feststellen, dass der NSU mit seiner mörderischen Politik absolut erfolgreich war; denn statt der Neonazis wurden die Opfer und die Angehörigen selbst verdächtigt. Die Gesamtgesellschaft fühlte sich ganz offensichtlich durch den Serienmord an Migranten so wenig angegriffen, dass auch kein nennenswerter Druck auf die Ermittlungsbehörden bestand.“

Auch die Sachverständigen zu Polizei, Verfassungsschutz und Justiz sparten nicht mit Kritik an bestehenden Strukturen und Praxen. Das Definitionssystem „Politisch motivierte Kriminalität rechts“ müsse dringend überarbeitet werden, bei zu vielen Straftaten werde der politische Hintergrund nicht erkannt oder „verschwinde“ im Laufe von Ermittlungen und Prozessen. Das V-Leute-System müsse abgeschafft oder zumindest deutlich begrenzt werden, ein großes Problem innerhalb der Polizei sei die mangelnde Fehlerkultur, hier brauche es Ombudspersonen oder unabhängige Beschwerdestellen.

Sehr deutlich wurden die Sachverständigen Prof. Dr. Thomas Feltes (Ruhr-Universität Bochum) und Prof. Dr. Hartmut Aden (Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin). „Strukturelle Hemmnisse“ führten zu nicht besonders engagierter Ermittlungsarbeit. Dass dazu auch die Rolle des Innenministers gehört, erläuterte Feltes am Beispiel Keupstraße: Das Amt des Innenministers bezeichnete er als „Schleudersitz“, weshalb für diesen „Ruhe die erste Bürgerpflicht“ sei. „Alles was für Aufmerksamkeit der Medien sorgt, muss vermieden werden“, so Feltes. Aden ergänzte, dass „institutioneller Rassismus“ innerhalb der Behörden ein weiteres Hemmnis für Ermittlungen sei.

Parteiquerelen?

Das Engagement der einzelnen Abgeordneten im Ausschuss ist sehr unterschiedlich. Während die Grüne Verena Schäffer, die Piratin Birgit Rydlewski und der FDPler Joachim Stamp sehr interessiert und motiviert wirken und immer wieder gute Fragen stellen, scheint der Aufklärungselan, den die CDU im Juni 2014 zu vermitteln suchte, erloschen. Die Abgeordneten wirken wenig vorbereitet und ideenlos, ein Reiseführer fesselt schon mal mehr Aufmerksamkeit als die Ausführungen der Sachverständigen. Beim Thema Justiz stellte Biesenbach gar den Sinn der Hearings in Frage. Man rede über Staatsschutzdelikte und wie deren Strafverfolgung aussehen könne, im Falle der NSU-Taten habe man damals aber keine Staatsschutzdelikte gehabt. Daher wisse er nicht, was er noch fragen solle. Ein Zwischenruf Schäffers offenbarte, dass die CDU keinen einzigen Sachverständigen geladen hatte.

Bei einem weiteren Vorfall drängt sich der Eindruck parteitaktischen Agierens auf: Beim Hearing zum Verfassungsschutz wurde seitens der CDU die Einschätzung vorgebracht, die Sachverständige Heike Kleffner, vormals Mitarbeiterin der Linksfraktion für den Bundestag-PUA, käme als Zeugin in Betracht und könne daher nicht weiter als Sachverständige gehört werden. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit entschied der Ausschuss tatsächlich, sie als Sachverständige zu entlassen. Als Begründung musste ihre Aussage herhalten, 2002 ein Interview mit dem mutmaßlichen NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben geführt zu haben. Dies wirkt mehr als konstruiert. Denn der ehemalige grüne Landtagsabgeordnete Roland Appel durfte weiterhin als Sachverständiger berichten, obwohl er bis 2000 Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Landtags war und damit über weitaus mehr „Geheimwissen“ verfügt, was die Arbeit des Verfassungsschutzes in NRW angeht.

Es bleibt notwendig, die Arbeit der Abgeordneten kritisch zu begleiten, wenn das Gremium tatsächlich die Aufklärung voranbringen soll. Wann die erste Zeug_innen-Befragungen tatsächlich beginnen kann, ist aufgrund der Verzögerungen noch nicht absehbar.

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