„Mahnwachen“ und „schwarze Blöcke“
Extrem rechte Demonstrationspolitik in Rheinland-Pfalz und Hessen
Bestand zu Zeiten des „Aktionsbüro Rhein-Neckar“ noch eine enge Verbindung zwischen Teilen der rheinland-pfälzischen und hessischen Neonaziszene, die sich auch in gemeinsamen Aufmärschen niederschlug, so lassen sich seit dem Niedergang ab zirka 2008 nur noch vereinzelt länderübergreifende Kooperationen und Mobilisierungen feststellen. In Rheinland-Pfalz dominieren zur Zeit Kleinstversammlungen, während die Demonstrationspolitik in Hessen nahezu vollständig brach liegt. Bei der folgenden Darstellung der Entwicklung wurden bei der Auswertung des Datenmaterials – im Gegensatz zu NRW – auch demonstrative Aktionen mit weniger als 25 Personen berücksichtigt.
Rheinland-Pfalz: Quantität statt Qualität?
In Rheinland-Pfalz ist es vor allem die NPD, die regelmäßig Aktionen durchführt. Teils mehrfach im Monat veranstaltet die Partei Kundgebungen. An den Versammlungen nehmen nur selten mehr als 20 Personen teil. Die Schwerpunkte ihrer Aktivitäten legt die Partei in der Pfalz und in Trier. In der Pfalz versucht sie darüber hinaus seit einigen Jahren, Aufmärsche zum 1. Mai zu etablieren. Doch auch an diesen Veranstaltungen nehmen selten mehr als 100 Neonazis teil. Die Aktionen der Partei Der Dritte Weg fallen mit 50 TeilnehmerInnen in der Regel etwas größer als die zahlreichen NPD-Kundgebungen aus. Jedoch führt Der Dritte Weg deutlich weniger Aktionen, diese überwiegend im Raum Ludwigshafen, durch.
Dass verstärkt kleine Aktionen durchgeführt werden, dürfte mehrere Gründe haben. Zum einen strategische: Die Veranstalter erzielen einerseits ständige Medienpräsenz, andererseits halten sie durch andauernde Aktionen Gegenprotest und Ordnungsbehörden auf Trab. Zum anderen dürften die Mini-Aktionen die Ursache haben, dass die Szene in Rheinland-Pfalz zerstritten ist und es deshalb nur selten schafft, viele Neonazis zusammen auf die Straße zu bringen. Neben der NPD existieren mit Der Dritte Weg, dem – zumindest formal bestehenden – Landesverband von Die Rechte und der Wählervereinigung Aufbruch Deutschland weitere Organisationen, in denen sich Ex-NPD-Mitglieder sammeln. All diese Gruppen arbeiten getrennt, aber auch gegeneinander.
Trotzdem finden auch in Rheinland-Pfalz gelegentlich größere Aufmärsche statt, bei denen Neonazis verschiedener Organisationen trotz interner Auseinandersetzungen gemeinsam marschieren. Diese Aufmärsche werden jedoch fast alle mit Unterstützung aus NRW organisiert. Besonders deutlich wird dies beim „Trauermarsch“ in Remagen. Seit 2009 organisieren Neonazis aus dem Umfeld des Aktionsbüros Mittelrhein jährlich den Gedenkmarsch, der sich mit bis zu 300 Personen zum größten in Rheinland-Pfalz entwickelt hat. Unterstützung erhielten die Organisatoren von Anfang von Neonazis aus NRW, von wo auch der größte Teil der Teilnehmenden kommt.
Zentrale Themen: NS-Bezug und Asylpolitik
Anlass des „Trauermarsches“ sind die „Rheinwiesenlager“, ehemalige Kriegsgefangenenlager der Alliierten zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Neonazis nutzen den Aufmarsch, um die Verbrechen des Nationalsozialismus zu relativieren und „die Deutschen“ als Opfer darzustellen. (vgl. LOTTA #54, S. 34) Neben diesem Aufmarsch gibt es weitere kleinere Aufmärsche in Rheinland-Pfalz, die regelmäßig stattfinden. Auch diese weisen fast alle einen thematischen Bezug zum Nationalsozialismus auf. So organisiert die Kameradschaft Nationaler Widerstand Zweibrücken anlässlich des Jahrestages der Bombardierung der Stadt Jahr für Jahr einen „Trauermarsch“ in Zweibrücken. Auch in Trier und Kaiserslautern finden ähnliche „Gedenkaktionen“ sowie regelmäßige Kundgebungen zu den Jahrestagen der Reichspogromnacht und des Holocaustgedenktages statt.
Vor allem in jüngster Zeit mobilisiert die extreme Rechte in Rheinland-Pfalz verstärkt gegen Flüchtlinge und Asylsuchende. Alleine seit 2013 fanden in Rheinland-Pfalz 22 Aktionen statt, darunter auch Fackelmärsche vor Asylunterkünften. Bislang ist es jedoch ausschließlich die Neonaziszene, die versucht, dieses Thema zu besetzen, auch wenn mit PEGIDA Trier ein offizieller PEGIDA-Ableger besteht. Bislang ist die Gruppe aber nicht mit eigenen Aktionen in Erscheinung getreten, eine Etablierung eines rheinland-pfälzischen PEGIDA-Ablegers ist unwahrscheinlich.
Hessen: Versuche bundesweiter „Großaufmärsche“
In Hessen wurden zwischen 2003 und 2014 72 Aufmärsche und Kundgebungen gezählt, etwa 6.200 AktivistInnen ließen sich mobilisieren. Zur kleinsten Kundgebung erschienen fünf NPD-AnhängerInnen, die personenstärkste Veranstaltung stellt der Aufmarsch am 7. Juli 2007 in Frankfurt mit etwa 700 TeilnehmerInnen dar. Ausgenommen aus diesen Zählungen sind die Wahlkampftouren der NPD von 2012 und 2014 und die Wahlkampftour von pro Deutschland 2014.
Die meisten dieser Versammlungen (37) wurden aus Strukturen der „Freien Kameradschaften“ organisiert, etwas weniger (29) aus NPD-Kreisen. Die Teilnehmenden entstammten jedoch oftmals beiden Spektren. Aus den Reihen der Republikaner wurden fünf Versammlungen abgehalten, 2014 fand eine aus dem fußballaffinen Spektrum organisierte Demonstration statt. Weitaus beliebtester Aufmarschort war Frankfurt mit zehn Versammlungen, gefolgt von Wiesbaden, Gladenbach (Landkreis Marburg-Biedenkopf) und Marburg mit jeweils fünf. Allerdings lagen alle Veranstaltungen in Gladenbach zwischen Januar 2004 und Januar 2005.
Kämpfe um Vormachtstellung
Die Daten der Aufmarschstatistik kongruieren mit bestimmten Entwicklungen und Umbrüchen innerhalb der extremen Rechten in Hessen. Dass beispielsweise 2014 nur ein Aufmarsch stattfand, der noch dazu nicht von örtlichen Strukturen organisiert war, verrät einiges über den aktuellen Zustand der Szene. Zahlenmäßig stechen in den vergangenen Jahren lediglich zwei NPD-Veranstaltungen heraus: der 1. Mai 2013 mit etwa 150 Teilnehmenden in Hanau und der 16. Juli 2011 in Gießen mit um die 140 TeilnehmerInnen. Zu beiden Aufmärschen war bundesweit mobilisiert worden, in Anbetracht dessen erwies sich beides als Flop für die hessische NPD.
Dem Aufruf zu dem vom NDPler Marcel Wöll organisierten spektrenübergreifenden Aufmarsch unter dem Motto „Arbeit statt Dividende – Volksgemeinschaft statt Globalisierung“ im Juli 2007 folgten hingegen etwa 700 Neonazis ins „Jerusalem am Main“. Der Termin fiel in die Zeit der szeneinternen Diskussion um die „Autonomen Nationalisten“. Ein Großteil der Teilnehmenden trat dann auch als „schwarzer Block“ auf, „Antikapitalismus“ als Thema und aggressives Auftreten gehörten ebenso dazu wie ein Mobilisierungsvideo, das eine Aktivistin aus NRW vermummt und mit Molli in der Hand zeigte. Erwartete interne Auseinandersetzungen um dieses Auftreten blieben am Tag selbst aus, die Inszenierung in dieser Form und Größenordnung blieb in Hessen jedoch einmalig.
Während Demonstrationen in Hessen immer wieder dazu dienten, eine Vormachtstellung einzelnen Strukturen zu erringen oder zu behaupten, spielt auch Profilierungsdrang einzelner Akteure eine Rolle. Nie zeigte sich dies so deutlich wie 2004 bis Januar 2005: In dieser Zeit fanden in Gladenbach und Marburg sieben Versammlungen statt, die maßgeblich von einer Person mit Profilneurose organisiert waren.