Aggressive für Deutschland
Die AfD nach ihrem Bundesparteitag
Mit der Art des Sturzes ihres früheren Frontmanns Bernd Lucke bewies die Alternative für Deutschland (AfD) auf ihrem Parteitag in Essen einmal mehr „Mut zur Wahrheit“: Sie offenbarte ebenso leidenschaftlich wie unverblümt das (selbst-)destruktive Potenzial des deutschen Wutbürgertums. Ob dieses Milieu sich nun zwischen „PEGIDA-AfD“ und „Neustart 2015“ selbst zerfleischt oder doch noch politisch weiter verankert, hängt weniger vom vorhandenen Wähler_innenpotenzial ab, als vielmehr von der Fähigkeit der politischen Akteure zum politischen Pragmatismus.Die aktuelle Eskalation war die voraussehbare Folge einer Reihe vorangegangener Konflikte: Nach den AfD-Wahlerfolgen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg verschärfte sich der innerparteiliche Widerspruch gegen den Führungsanspruch von Parteigründer Bernd Lucke. Mit dem Beginn des PEGIDA-Spuks im Herbst des letzten Jahres steigerten sich die Konflikte in der AfD: So initiierten der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke und der AfD-Landesvorsitzende von Sachsen-Anhalt, André Poggenburg, mit der „Erfurter Resolution“ einen Appell, mit dem sie für innerparteiliche Unterstützung gegen den Kurs von Lucke und die PEGIDA-Distanzierung von Henkel warben.
In der Resolution wurde angeprangert, dass die AfD „Mitglieder verprellt und Mitglieder verstoßen“ habe, „deren Profil unverzichtbar ist“ und dass die Partei „sich von bürgerlichen Protestbewegungen ferngehalten [habe] und in vorauseilendem Gehorsam sogar distanziert, obwohl sich tausende AfD-Mitglieder als Mitdemonstranten oder Sympathisanten an diesen Aufbrüchen beteiligen“. Gefordert wird, dass die AfD sich „als Bewegung unseres Volkes gegen die Gesellschaftsexperimente der letzten Jahrzehnte (Gender Mainstreaming, Multikulturalismus, Erziehungsbeliebigkeit usf.)“ sowie „als Widerstandsbewegung gegen die weitere Aushöhlung der Souveränität und der Identität Deutschlands“ verstehen solle.
Daraufhin formulierten die Lucke-Unterstützer_innen in der Partei die sogenannte „Deutschland-Resolution“. Darin wird den Initiator_innen und Unterstützer_innen der „Erfurter Resolution“ vorgeworfen, „eine AfD der flachen Parolen und der schrillen Töne“ zu wollen. Zudem wird vor einem Rechtskurs der Partei gewarnt: „Wer einseitig den rechten Flügel stärken will, schadet der Einheit der Partei. Wir wollen keine Ideologie. Wir wollen die Partei des gesunden Menschenverstandes bleiben.“
Machtwechsel
Weitere Zuspitzungen erfuhr der Konflikt durch innerparteiliche Vorwürfe und Anfeindungen. Das steigende Ausmaß dieser Anfeindungen und die verstärkte Artikulation des (neu-)rechten Flügels führten zu einer steigenden Anzahl von Rücktritten der Funktionsträger_innen der AfD, die sich selbst als liberal gesinnt einordnen. Mit Rücktritten von Hans-Olaf Henkel und Patricia Casale aus dem AfD-Vorstand offenbarte sich diese Zersplitterung zunächst auch in der AfD-Führungsspitze.
Mit der Initiierung eines „Weckrufes“ als neuer Vereinigung versuchte das Lucke-Lager, die wirtschaftsliberalen Anhänger_innen der Partei zu sammeln und politische Leitlinien gegen den innerparteilichen Rechtsaußen-Flügel durch eine Unterschriftenliste durchzusetzen. Dieser Schritt wurde von vielen AfD-Mitgliedern als diktatorisch und parteispaltend aufgefasst. Auf dem Essener am 4. und 5. Juli 2015 kam es schließlich zum vollständigen Machtwechsel: Bernd Lucke unterlag Frauke Petry in dem innerparteilichen Kampf um die Führungsrolle deutlich mit 38 Prozent gegenüber 60 Prozent an Mitgliederzustimmung.
Damit einher ging eine deutliche Hinwendung zum rechten Populismus: So erklärte der NRW-Vorsitzende der Partei, Marcus Pretzell, in seiner Einführungsrede zum Parteitag, dass die AfD nicht nur das Euro-Thema behandle, sondern zudem eine „PEGIDA-Partei“ sei. Mit der Wahl von Alexander Heumann und Eberhard Brett in das Schiedsgericht der Partei wurde gar zwei Vertretern der Rechtsaußen-Formation „Patriotische Plattform“ ein neues Amt zugesprochen. Heumann trat Ende 2014 als Mitorganisator des PEGIDA-Ablegers DÜGIDA in Düsseldorf sowie als Redner bei einem Aufmarsch der Vereinigung „Hooligans gegen Salafisten“ in Hannover in Erscheinung.
Der unterlegene Lucke-Flügel vollzog daraufhin den offensichtlich schon vorher vorbereiteten Schritt zur Kampfansage an die Petry-AfD: Nach einer Umfrage unter den Weckruf-Unterstützer_innen wurde die Initiative „Neustart 2015“ zur Parteineugründung in die Wege geleitet. Mit scharfen Worten wird dort nicht gespart: „Der Massenaustritt der letzten Tage spricht eine deutliche Sprache: Die AfD ist verloren. Die große Austrittswelle hat aber den Vorteil, dass wir die rechten Phrasendrescher, die Verschwörungstheoretiker, die Querulanten, Intriganten und Karrieristen nun achtlos zurücklassen können.“
Selbstzerfleischung oder Etablierung?
Die via Presse verkündeten Warnungen des Lucke-Flügels vor einer neuen AfD als „neuem Front National“ oder einer Partei unter Führung von „Rechtsideologen“ sind scheinheilig. Denn es war Lucke, der noch vorher im Landtagswahlkampf in Brandenburg die Rücknahme der doppelten Staatsbürgerschaft mit der Begründung forderte, diese sei ein „trojanisches Pferd“, durch das „der politische Islamismus ein Einfallstor auch in Deutschland erhält.“ Auch Henkel, der Thilo Sarrazin als „deutschen Widerstandskämpfer im besten Sinne des Wortes“ bezeichnete, kann sich nun nicht sonderlich glaubwürdig gegen die AfD als „NPD im Schafspelz“ echauffieren.
Allerdings existiert hierzulande aktuell mehr Wähler_innenpotenzial für eine klar rechtspopulistische Partei als für eine neue „Neustart“-FDP 2.0.: Sollte es wirklich zu einer solchen Parteigründung kommen, wäre dies mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine politische Totgeburt. Trotzdem könnte der unterlegene Lucke-Flügel durch diese Schritte der neuen Petry-AfD Wähler_innenstimmen streitig machen. Hierbei ist es nicht nur der 1 Million Euro-Kredit von Henkel, der die chaotisch geführten Parteikassen weiter strapazieren wird. Zahlreiche Unternehmer_innen im Dunstkreis des AfD-Mittelstandsforums wenden sich nun von der AfD ab, da sie nicht mit PEGIDA und Höcke-Parolen öffentlich in Verbindung gebracht werden wollen.
Die neue Petry-AfD steht also vor mehreren großen Herausforderungen: Sie muss einen Einbruch in der Wählerzustimmung verschmerzen und zugleich gegen die Anfeindungen des Konkurrenz-Lagers sowie die zunehmende öffentliche Kritik an ihrem Rechtsaußen-Kurs bestehen können. Die politisch unerfahrenen Front-Frau Petry muss zudem beweisen, dass sie zur Parteiführung in der Lage ist und die mit ihrem Sieg beileibe nicht beendeten parteiinternen Konflikte im Zaum zu halten vermag. Abzusehen ist, dass die Zusammenschlüsse „Der Flügel“ und die „Patriotische Plattform“ bald Tribut für ihre Unterstützung zum Lucke-Sturz einfordern werden.
In der neurechten Zeitschrift „Sezession“ erklärte deren Frontmann Hans-Thomas Tillschneider seinen Rücktritt als Kandidat des neuen Vorstandes damit, dass nach Petrys Wahlsieg und der Wahl von André Poggenburg „die Gefahr einer Überhitzung“ bestehe. Diesen Spagat zwischen „Überhitzung“ und Verprellung ihres mächtigen Rechtsaußen-Anhangs muss die AfD bewältigen, wenn sie politisch überleben will. Blind folgen werden die unterschiedlichen Vereinigungen des rassistischen Wutbürgertums Petry nicht: Ob etwa PEGIDA-Frontmann Bachmann seine Ankündigung zum Antritt zu Landtagswahlen wahrmachen wird, hängt maßgeblich davon ab, wie weit die AfD-Tore für diesen Anhang geöffnet werden.
Sarrazin und PEGIDA haben die große rechtspopulistische Lücke offenbar werden lassen. Doch um dieses Potenzial wirksam abschöpfen zu können, bedarf es nicht nur agitatorischer Fähigkeiten und entsprechend geschickten Personals, sondern auch innerer Geschlossenheit und kühler Köpfe. Das scheint nicht zum Markenkern der AfD zu gehören.