Der Fall Johann H.
Kölner Neonazi-Aktivist war V-Mann des Verfassungsschutzes
Die „Welt am Sonntag“ hatte bereits im Juni aus einer „geheimen Verschlusssache“ zitiert, in der Koller im Februar 2012 mitteilte: „Johann Detlef H (...) ist seit 1989 als geheimer Mitarbeiter für den Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen tätig.“ Dieses Schreiben war bislang nicht bekannt. Bekannt war lediglich eine „Dienstliche Erklärung“ Kollers, in der sie den Generalbundesanwalt am 9. Februar 2012 auf die Ähnlichkeit Johann H.’s mit dem Phantombild des Bombenlegers in der Kölner Probsteigasse hinwies — ohne allerdings mitzuteilen, dass der Betreffende auf der Gehaltsliste ihrer Behörde steht.
Im Untersuchungsausschuss wurde nun bekannt, dass dem NRW-Verfassungsschutz diese Ähnlichkeit nicht selbst aufgefallen war, sondern der Vorgang durch eine Mitteilung des Bundesamtes für Verfassungschutz ausgelöst wurde. Dann ging alles ganz schnell: Am nächsten Tag wurde eine „Dienstliche Erklärung“ mit dem Name und weiteren Informationen zu Johann H. an den Generalbundesanwalt geschickt — inklusive der Feststellung: „Anhaltspunkte für eine Tatbeteiligung bestehen nicht.“ Während das NRW-Innenministerium keinen Kommentar abgibt, hat sich Johann H. mithilfe eines Anwalts zu Wort gemeldet und seine Tätigkeit für den VS bestätigt. Er behauptet zugleich, „niemals Neonazi“ gewesen zu sein, „Abenteuerlust“ habe ihn zum Informanten werden lassen. Seine Arbeit habe „viel Unheil verhindert“.
Beginn einer Spitzel-Karriere
Doch Zweifel an der (Selbst-) Darstellung von Johann H. als „Undercover-Antifaschist“ sind berechtigt. Mitte der 1980er Jahre war der 1967 geborene Johann H. Mitglied einer Clique, die unter dem Namen „Anarchistische Terrorfront“ (ATF) agierte. Von der Polizei wurde sie als politisch „verworren“ bezeichnet. 1984 offerierte die ATF per Aushang in einem Supermarkt in Köln-Zollstock den Ankauf von Waffen sowie die Ausführung von „Anschlägen aller Art“. Sie führte Nachtmärsche mit Bewaffnung und in paramilitärischer Uniformierung durch. Mitglieder beschmierten eine Polizeistation mit Hakenkreuzen und linken Parolen. Im Jahr 1984 fiel die Gruppe durch Brand- und Sprengstoffanschläge auf. Auf einem leer stehenden Fabrikgebäude an der Kölner Vorgebirgsstraße setzte sie Gasflaschen in Brand, die anschließende Detonation verletzte eine Passantin. Daraufhin wurden mehrere ATF-Mitglieder verhaftet. Die beiden Hauptangeklagten erhielten Bewährungsstrafen, drei Mitangeklagte lediglich Verwarnungen. Johann H. wurde im Jahr 1985 zu einer Jugendstrafe wegen Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz verurteilt.
Johann H. ging dann zur Bundeswehr, wo er an einem Lehrgang für Scharfschützen teilnahm. 1987 wurde er in einer Anzeige in der Zeitschrift Internationaler Waffenspiegel als Kontaktperson des „Heimatschutzverbandes“, einer paramilitärischen Wehrsportgruppe aufgeführt. In der Satzung des „Heimatschutzverbandes“ hieß es: „Im Konfliktfall sieht der Verband seine Hauptaufgabe in der Unterstützung der Streitkräfte, in der Heimatverteidigung. Im Falle der Besetzung Europas durch feindliche Kräfte setzen die Mitglieder des Verbandes den Kampf als Widerstandsbewegung fort.“ Der „Heimatschutzverband“ veranstaltete in der Eifel beim Polizeipräsidium Aachen angemeldete Wehrsportübungen mit Schusswaffen. Der WDR berichtete damals, unter den Mitgliedern kursiere die Schrift „Der totale Widerstand. Kleinkriegsanleitung für jedermann“ des Schweizer Majors Hans von Dach. Der antikommunistische Verband orientierte sich also in Richtung eines „Werwolf“-Konzeptes, wie es in den 1990er Jahren auch in der militanten Neonazi-Szene diskutiert wurde.
Nachweislich bewegte sich Johann H. also spätestens 1987 in rechten Kreisen, zwei Jahre bevor er als Spitzel angeworben wurde. Einem Interview mit der Postille „Der Gegenangriff“ zufolge wurde er dann Mitglied in der Nationalistischen Front (NF), einer 1992 verbotenen, nationalrevolutionären Kaderorganisation der militanten Rechten. Auch der verstorbene V-Mann Thomas Richter alias „Corelli“ war zu dieser Zeit NF-Mitglied. Seine nächste Station war bis 1994 die neonazistische "Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei" (FAP), die 1995 verboten wurde.
Der Stellvertreter
1998 wurde die „Kameradschaft Köln“ gegründet, Johann H. war Gründungsmitglied. Die auch als „Kameradschaft Walter Spangenberg“ (benannt nach einem Kölner SA-Führer) auftretende Gruppe nahm durch die Organisation von Aufmärschen und Vernetzungsarbeit eine führende Rolle in der NRW-Szene ein. Johann H. war der Stellvertreter des Kameradschaftsführers Axel Reitz, wie er in einer Postkarte an die lokale Antifa mitteilte. Als Reitz eine Haftstrafe absitzen musste, übernahm der V-Mann dessen Rolle. Eine „Mitteilung der Kameradschaft Köln“ vom 28. Dezember 2007 wurde mit „Helle (Kameradschaftsführer Köln/Walter Spangenberg)“ unterzeichnet. Dahinter verbarg sich Johann H., doch seinen richtigen Namen versuchte er tunlichst verdeckt zu halten, wie er auch sonst bei öffentlichen Aktionen eher zurückhaltend auftrat. Bei internen Veranstaltungen dagegen war er präsent. So beispielsweise im November 2009 bei einer Saalveranstaltung in Erftstadt, bei der er neben dem SS-Standartenjunker Lothar Eiding als Redner auftrat, im Oktober 2011 bei einer Veranstaltung in Köln unter dem Titel „Das Rheinland im Angriff“ oder im Februar 2012 bei einer Gedenkzeremonie für Walter Spangenberg, die von „Kamerad Helle mit einer kurzen Einweisung und Worten der Begrüßung“ eröffnet wurde. Drei Monate später, im Mai 2012, wurde die „Kameradschaft Köln“ durch den NRW-Innenminister verboten.
1999 war Johann H. dem kurz zuvor gegründeten „Kampfbund Deutscher Sozialisten“ (KDS) beigetreten, auch hier agierte er als Stellvertreter des „Gausekretärs“ Reitz. Der KDS war bis zu seiner Auflösung im Jahr 2008 eine offen neonazistische Organisation, die sich in der Tradition der SA und der Kühnen-Bewegung sah. Trotz einer vereinsähnlichen Struktur und der verfassungswidrigen Ausrichtung erfolgte seitens der Behörden kein Verbot des bundesweit agierenden KDS.
Untersuchungsausschuss muss weiter aufklären
Johann H. weist jede Beteiligung am Probsteigassen-Anschlag von sich. Es gibt keine Beweise, dass er etwas mit der Tat zu tun hat. Allerdings bestehen Zweifel an der ordnungsgemäßen Ermittlungsarbeit. Dies wurde im Untersuchungsausschuss bei der Vernehmung einer BKA-Beamtin deutlich, die die „Spur H.“ abklärte. Sie legte den AugenzeugInnen ein vom NRW-Verfassungschutz übersandtes Ganzkörperbild in schlechter Qualität vor. Einer weiteren Wahllichtbildvorlage wurden zahlreiche Portraitfotos von der NSU-Unterstützung Verdächtigten untergemischt, denen mittels Bildbearbeitung lange Haare ähnlich dem Phantombild verpasst wurden.
Der Fall Johann H. wirft aber auch Fragen nach der Steuerung der Neonazi-Szene durch V-Personen auf. Burkhard Sch., Gruppenleiter beim NRW-Verfassungschutz, sagte im Untersuchungsausschuss dazu, manchmal müssten auch Führungspersonen als V-Leute angeworben werden, um Informationen aus den inneren Zirkeln zu bekommen. „Damals“ habe aber eine andere Philosophie beim Verfassungsschutz vorgeherrscht, in Einzelfällen habe man die „Steuerung von oben“ als Strategie der Befriedung angesehen, so der hochrangige Geheimdienstler. Doch ist diese Praxis wirklich Vergangenheit? Während die ehemalige VS-Chefin Koller ausgesagt hat, Johann H. im Jahr 2012 abgeschaltet zu haben, behaupet dessen Anwalt, dass er noch bis Anfang 2015 für den Verfassungschutz tätig war.
Diese aktualisierte Version des Beitrags erschien erstmals im Antifaschistischen Infoblatt, Ausgabe 108.