Prozess gegen „Legion 47“
Drei Angeklagte, ein Belastungszeuge und 33 Unbekannte
Seit Mai 2015 läuft vor dem Duisburger Landgericht das Verfahren gegen drei führende Mitglieder der neonazistischen Kameradschaft „Legion 47“. Das Urteil wird für Anfang November erwartet. Duisburg-Huckingen, Samstag, 26. Oktober 2013, gegen 2:45 Uhr morgens. Die Bewohner_innen der Flüchtlingsunterkunft an der Kaiserswerther Straße wurden durch laute Schreie aus dem Schlaf gerissen. „Bombe! Bombe!“, „Kommt raus, aus dem Haus raus, sie werden uns alle umbringen!“. Rauch und der Gestank nach Lösungsmittel drang aus dem Treppenhaus in die Zimmer. Die Bewohner_innen verließen panikartig das Gebäude. „Wären wir dort geblieben, wären wir erstickt“, erinnerte sich einer von ihnen später vor Gericht.
Die etwa 140 Menschen standen frierend, zum Teil nur mit einem Pyjama bekleidet, vor dem Gebäude, als die Feuerwehr eintraf. Viele klagten über Übelkeit und Kopfschmerzen, einige mussten sich übergeben. Doch von Seiten der Feuerwehr sprach niemand „mit denen“. Es gab keine ärztliche Versorgung. Der Rauch hatte sich inzwischen weitgehend verzogen.
Einer der Bewohner war noch wach gewesen und hatte aus dem Fenster gesehen und drei oder vier schwarz Vermummte bei der Brandstiftung beobachtet. Auf der anderen Straßenseite sah er eine kleine Gruppe von Schaulustigen, die interessiert zusahen, nicht eingriffen und sich nach der Tat entfernten. Durch Zeichensprache machten er und andere die Feuerwehrleute auf die Relikte des Anschlags aufmerksam.
Im Treppenhaus des Nebeneingangs war eine illegale Rauchbombe polnischer Bauart abgebrannt worden. Ein 5-Liter-Kanister mit hochentzündlichem Lösungsmittel stand daneben, wahrscheinlich war sein Inhalt im Treppenhaus verschüttet worden, aber durch einen glücklichen Zufall entzündete er sich nicht. Eine heftige Verpuffung und ein Brand wären die Folge gewesen. Ein weiterer „Polenböller“ war nicht detoniert. Trotzdem wurde der Einsatz als mutwillig von den Bewohner_innen herbeigeführter Fehlalarm gewertet und die Einsatzkräfte wieder abgezogen. Laut einer Pressemitteilung der Duisburger Polizei sollen bei diesem Einsatz auch Polizist_innen beteiligt gewesen sein. Die Spuren des Anschlags wurden durch das Versäumnis von Polizei und Feuerwehr nicht gesichert.
Der Staatsschutz ermittelt
Erst als am darauffolgenden Montag der Hausmeister seinen Dienst antrat, alarmierte er auf Drängen der Bewohner_innen die Polizei, die daraufhin den Duisburger Staatsschutz einschaltete. Vier Tage nach dem Anschlag traf ein Brandsachverständiger am Tatort ein. In der Zwischenzeit hatten einige der Bewohner_innen den Hausflur geputzt.
Dem damaligen „Kommissionsleiter Rechts“ des Duisburger Staatsschutzes scheinen die Neonazi-Aktivitäten in den Stadtteilen Huckingen und Hüttenheim, auf die antifaschistische Gruppen immer wieder aufmerksam gemacht hatten, entgangen zu sein. Statt gegen Rechts zu ermitteln, suchte man den Täter unter den Bewohner_innen des Hauses. Zum Hauptverdächtigen erklärte man ausgerechnet den einzigen Augenzeugen. Ihm wurde unterstellt, er habe die Tat aus Wichtigtuerei begangen. Zwei Wochen lang wurde er intensiv als Beschuldigter verhört, doch man konnte ihm trotz aller Anstrengungen nichts nachweisen. „Es war dann die Frage, in welche Richtung könnten wir sonst noch ermitteln?“ Eine mögliche Täterschaft von Rechts war dann der „zweite Ansatz“.
Vermutlich bei der dienstlichen Beobachtung der linken Szene stieß man auf einen Eintrag vom 8. November 2013 auf einem Duisburger Antifa-Blog. Hier wurde zum ersten Mal öffentlich gemacht, was in der Pressemitteilung der Polizei verschwiegen wurde: dass es sich bei dem betroffenen Gebäude um eine Flüchtlingsunterkunft handelte. Auf mehreren Fotos wurden Aufkleber (NPD und Nationaler Widerstand Duisburg) und ein Nazi-Graffito in der Nähe des Tatorts dokumentiert. Der Duisburger Staatsschutz inspizierte daraufhin zum ersten Mal das Umfeld des Tatorts. Die Aufkleber waren inzwischen entfernt worden oder abgefallen, das Graffito wurde in der falschen Straße gesucht, es ist aber heute noch sichtbar. Die messerscharfe Schlussfolgerung war, es handle sich bei den Fotos um Fotomontagen, das ganze könne nur eine Fälschung der Antifa sein.
Die eigenen Ermittlungen beschränkten sich auf erfolglose Befragungen der Anwohner_innen. Außerdem wurden die Daten der Funkzellenabfrage zum Tatzeitpunkt mit der Datenbank über „rechtsmotivierte Straftäter“ verglichen, die für Duisburg über 100 Einträge verzeichnet. Das Ergebnis war negativ. Im Januar 2014 teilte das Innenministerium NRW mit, das Verfahren sei mangels Tatverdächtiger eingestellt worden: „Die Tatmotivation ist damit ungeklärt.“
Sehr viel später, „als klar war, es gibt da so ne kleinere Gruppe, die Legion 47“, so einer der Ermittler immer noch verharmlosend vor Gericht, machte die Polizei einen weiteren Datenabgleich, und es stellte sich heraus, dass alle drei Angeklagten in einer zweiten Datei mit „Prüffällen“ verzeichnet waren und dass zumindest zwei der Angeklagten zum Tatzeitpunkt in der Funkzelle aktiv waren. In den Akten hieß es, drei auffällige Personen seien in der Nähe wohnhaft. Sie gelten als Mitglieder der Legion 47, seien bekannt und verhielten sich unkooperativ. Die Zugehörigkeit zum NPD-Landesverband gelte als sicher. Dabei hätten Ermittler_innen des Staatsschutzes einfach der Spur der Aufkleber und Graffiti folgen müssen, die von den Tatorten bis direkt vor die Haustür der Angeklagten reichte.
Ein Belastungszeuge
Die Legion 47 soll Ende 2012 von vier Personen gegründet worden sein, den drei Angeklagten Patrick K. (35), Daniel N. (29), Manuel M. (27) und von René S. (32), der später durch seine Aussagen die Angeklagten zum Teil belastete. Der Aussage von S. zufolge steht die 47 im Namen für Duisburgs Postleitzahl. Als Symbol wählte man die „Schwarze Sonne“, deren Bedeutung vor Gericht nicht thematisiert wurde. Mehrere Mitglieder ließen sich die Ziffern „47“ in den Nacken tätowieren.
„Wir waren eine Kameradschaft“, so René S. vor Gericht. Dominanter Anführer soll K. gewesen sein. „Der Paddy brauchte nur mit dem Finger zu schnippen, dann sind die gesprungen.“ K. habe die Gruppe politisiert, die sich schließlich intensiv im Kommunalwahlkampf für die NPD betätigte. Alle drei Angeklagten kandidierten bei der Kommunalwahl 2014 in Duisburg für die NPD.
Die Gruppenmitglieder erhielten T-Shirts und Kapuzenpullis mit aufgedruckter „Schwarzer Sonne“ und dem Schriftzug „Legion 47“. Das T-Shirt der Legion habe er fast jeden Tag getragen, so S.. Sie seien auch gemeinsam damit durch die Straßen gezogen, um sich Respekt zu verschaffen: „Man muss Präsenz zeigen.“ Nach seiner Einschätzung waren 15 bis 17 Personen Mitglied, nach Einschätzung eines Ermittlers gehörten der internen WhatsApp-Gruppe, über die die Legionsmitglieder kommunizierten, 37 Personen an. Dort verabredete man sich zu Propagandaaktionen und verbreitete Einladungen zu NPD-Veranstaltungen.
Die Legion habe laut S. eine Affinität zu Sprengstoff und illegalem Feuerwerk gehabt. Auf einem Spielplatz hätten Experimente stattgefunden. Spezialist sei der Angeklagte N. gewesen, der deshalb auch den Spitznamen „Dr. Nock“ trug.
Diebesgut, Waffen und Munition
Laut Anklage beging die Gruppe mindestens vier Brandanschläge. Neben dem Anschlag auf die Flüchtlingsunterkunft sollen sie am 1. Dezember 2013 einen Einbruch und Brandanschlag auf die Ganztags-Waldorfschule Heinrich-Bierwes-Straße, am 4. Dezember 2013 einen Brandanschlag auf einen türkischen Imbiss an der Mündelheimer Straße sowie am 27. August 2014 einen Brandanschlag auf einen REWE-Getränke-Markt an der Mündelheimer Straße verübt haben. Die Täter wurden aber erst ermittelt, als angesichts der gehäuften Einbruchsdelikte in Hüttenheim, fast alle im unmittelbaren Wohnumfeld der Angeklagten begangen, eine Sonderkommission eingerichtet wurde. Am 27. August 2014 flog die Gruppe auf, seitdem sitzen die drei Angeklagten in U-Haft. Bei den dann durchgeführten Hausdurchsuchungen wurde bei den Verdächtigen neben einer großen Menge Diebesgut (vor allem hochwertiges Werkzeug) und einem halben Kilo Amphetaminen weiteres brisantes Material gefunden.
In K.s Wohnung befanden sich 380 Schuss Munition verschiedener Kaliber, ein selbstgefertigter Schussapparat, ein Schießstift, ein funktionsfähiges Gewehr, zwei Schlagringe mit herausragenden Spitzen, sogenannte Polenböller, sowie diverse NS-Devotionalien und Teile eines menschlichen Kieferknochens. Bereits 2013 stellte die Polizei bei K. eine Pistole der Marke Walther und einen Eigenbau-Schussapparat sicher. Bei N. befand sich ein Koffer mit über 300 Patronen scharfer Munition, ein Selbstbau-Schussapparat, ein Schlagring mit Spitzen, ein Schlagstock, illegale Pyrotechnik und Chemikalien. Bei M. fand man u.a. einen selbstgebauten pyrotechnischen Gegenstand in Eiform mit dem Schriftzug „Neger-Ei“.
Das erhebliche Gewaltpotential der Angeklagten wurde darüber hinaus bei einem Überfall deutlich, der in einem getrennten Verfahren verhandelt wurde. Am 31. Dezember 2011 hatte K. den Gastgeber einer privaten Silvesterfeier durch einen Messerwurf in den Bauch schwer verletzt. Am 24. Februar 2013 drangen die vier Gründungsmitglieder der Legion 47 vermummt und mit Gaspistolen und Eisenstangen bewaffnet in die Wohnung des Opfers des Messerwurfes ein. Der Geschädigte konnte fliehen, doch ein in der Wohnung anwesender Freund erlitt eine Kopfverletzung und einen Beinbruch. Bei dem Überfall soll ein USB-Stick mit K. belastenden Dokumenten geraubt worden sein.
Prozess mit Tunnelblick
Fakten zur Legion 47 kamen im Laufe des Verfahrens eher zufällig und am Rande ans Licht. Der Ehrgeiz der Staatsanwaltschaft beschränkte sich darauf, den Angeklagten angesichts von über 20 begangenen Einbrüchen die Bildung einer Diebesbande nachzuweisen. Ein einziges Mal stellte der Staatsanwalt einer Zeugin die Frage, was sie über die Legion 47 wisse, er wolle das Dunkelfeld aufklären. Plötzlich unterbrach der Vorsitzende die Verhandlung, Richter und Staatsanwalt einigten sich, diese Frage bei einer späteren, zweiten Vernehmung zu stellen, die aber nicht stattfand.
Bei der Legion 47 handelte es sich nicht um eine Kadertruppe. Das Vorgehen der Angeklagten war unprofessionell, aber – wohl auch beflügelt durch den exzessiven Drogenkonsum – vollkommen skrupellos und unberechenbar. Die Identität und die Aktivitäten der 33 anderen Mitglieder der Legion 47 blieben im Prozess weitgehend im Dunkeln. Zwei geladene Zeugen sind offenbar untergetaucht.
Existiert die Gruppe möglicherweise unter neuem Namen weiter? Gehen vielleicht weitere unaufgeklärte Delikte auf ihr Konto? So wurde am 13. November 2013 in Duisburg-Walsum eine leerstehende Flüchtlingsunterkunft am helllichten Tag durch Brandstiftung zerstört und für den 27. Januar 2014 vermerkte das BKA einen Anschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft mit Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz.
Der Prozess trug bislang nur wenig zur Aufklärung über die rechte Gefahr bei. Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht fehlt offenbar das notwendige Problembewusstsein. Die Aufdeckung des NSU-Skandals hat in den zuständigen Institutionen offenbar nicht zu dem notwendigen Umdenken geführt.
Update:
Am 29. Oktober, nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe, wurden vor dem Landgericht Duisburg die Urteile gegen die angeklagten Neonazis gesprochen. Der Angeklagte Patrick K. wurde zu drei gesonderten Gesamtfreiheitstrafen von 3 Jahren und 3 Monaten, 1 Jahr und 9 Monaten sowie 3 Jahren verurteilt, was insgesamt 8 Jahre ergibt. Der Angeklagte Daniel N. muss für 6 Jahre und 6 Monate und der Angeklagte Manuel M. für 6 Jahre in Haft. Für alle Angeklagten wurde eine zweijährige Suchttherapie (Alkohol und Amphetamin) angeordnet. Die U-Haft seit August 2014 wird ihnen angerechnet. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Siehe auch unseren Bericht zum Urteilsspruch.