Das Ende PEGIDAs ist fern
Eine Analyse nach über einem Jahr PEGIDA-Protesten
Lange vor Neujahr begann das Jahr Zwei der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“: Was im Oktober 2014 begann, ist entgegen mancher Erwartung zum Dauerprotest geronnen.
Bis Ende 2015 fanden allein in Dresden 53 PEGIDA-Versammlungen statt. Zehn davon erlangten Zulauf im fünfstelligen Bereich, anlässlich des einjährigen Bestehens der Montagsmärsche waren es mehr als 15.000. Die Zahlen sind Teil des Politikums und umkämpft, aber auch vorsichtige Schätzungen zeugen von anhaltender Mobilisierungskraft. Insgesamt strömten 2015 mehr als 300.000 Menschen in der sächsischen Landeshauptstadt zusammen.
Phasen einer sozialen Bewegung von rechts
Was sich mit wenigen Unterbrechungen wöchentlich im Osten des Ostens abspielt, ist nicht nur Vorbild für eine Vielzahl ähnlich gelagerter Protestformate in anderen Städten geworden, sondern auch für sich genommen ein Novum. Denn bemessen an Kontinuität, Volumen und medialer Reichweite des Protesthandelns, das im Wesentlichen von AkteurInnen der politischen Rechten getragen wird, findet sich in der Geschichte der Bundesrepublik keine auch nur annähernde Entsprechung. Vieles spricht dafür, die PEGIDA-Versammlungen wenngleich nicht als einzige Ausdrucksform, so doch als zentrale Plattform einer sozialen Bewegung von rechts zu begreifen.
Sie folgt für Bewegungen charakteristischen Konjunkturen – wellenartigen Verläufen, die sich im örtlichen Zentrum besonders deutlich abzeichnen. Eine erste Phase, die bis Ende Januar 2015 andauerte, umfasste die Entstehung und Etablierung des Protestformats auf einem außerordentlich hohen Niveau. Dies war die Phase der höchsten Mobilisierungsleistung, der größten Medienaufmerksamkeit, der Herausbildung zahlreicher „Ableger“ und auch der stärksten Annäherung der AfD. Der Aufschwung endete zunächst mit der Spaltung des Dresdner „Orgateams“.
In einer zweiten, etwa von Februar bis Juli 2015 andauernden Phase, verringerte sich der Zulauf, um sich sich auf niedrigerem Niveau zu stabilisieren. Nebenher konnten sich einige PEGIDA-Ableger etablieren. Am stärksten ist LEGIDA in Leipzig, wo aber nur ein Bruchteil der Dresdner Mobilisierungsstärke erreicht wurde. Bemerkenswert ist in dieser Zeit das Übergreifen des Protestformats auf Mittelstädte wie Freital und – teils unter Vermengung des organisierenden und teilnehmenden Personenpotentials – die Wechselwirkung mit „Nein zum Heim“-Formaten selbst in Klein- und Kleinststädten, die zumeist in einem augenfälligen 30-Kilometer-Radius rings um Dresden konzentriert liegen.
Seit Mitte 2015 ist eine dritte, bis zuletzt anhaltende Phase erkennbar, die einen erneuten Aufschwung in Dresden und eine Verstetigung ähnlicher Protestereignisse in anderen Orten, darüber hinaus aber auch gewaltförmige Eskalationen – pars pro toto: Heidenau – beinhaltet. Dies erklärt sich zum einen vor dem Hintergrund der sogenannten Asylkrise, ohne Zweifel aber auch durch die vorangehende Setzung und Zuspitzung rassistischer Feindbilder. In PEGIDA-Reden etwa spielte die namensgebende „Islamisierung“ nur am Anfang eine zentrale Rolle. Der Begriff ist rasch durch das Schlagwort „Überfremdung“ verdrängt worden.
Dieses agenda setting – die Verselbständigung eines Themas, das lange Zeit eine Domäne insbesondere des neonazistischen Spektrums war – darf als ein im Wortsinne populistischer Diskurseffekt betrachtet werden: PEGIDA hat das Thema nicht nur ideell anschlussfähig gemacht, sondern auch ein weit über das klassische Spektrum der politischen Rechten hinausweisendes Realbündnis von ProtestakteurInnen befördert. Hiervon zeugt die Schöpfung der bereits in den amtlichen Sprachgebrauch übergegangenen Kategorie „Asylkritik“, die den auf die Straße getragenen Rassismus als Form legitimen Protests adelt. Dieser wird von Teilen des herrschenden Establishments und ihrer Funktionseliten als Ausdruck berechtigter Ängste und Sorgen gedeutet, der unter dem „Verfassungsbogen“ einen Platz findet.
Kein zweites Dresden
Dennoch ist PEGIDA ein Phänomen mit begrenzter Reichweite geblieben. Das Zentrum war und ist Dresden als eine an extrem rechte Aufzüge durchaus gewohnte Stadt. Die hier stattfindenden „Trauermärsche“ zum 13. Februar waren zeitweise die größten Naziaufmärsche Europas, deren wirksame Eindämmung weder einem demokratisch engagierten BürgerInnentum, noch einer vitalen Zivilgesellschaft zu verdanken ist. Zwar ist das kaum eine hinreichende Erklärung; doch der rasche Aufstieg PEGIDAs gerade in dieser Stadt dürfte auch damit zu tun haben, dass es abermals nicht gelungen ist, rechtzeitig einen entsprechenden Gegenprotest zu entfalten – der in der notwendigen Kontinuität allerdings nirgends einfach zu haben ist.
Offen bleibt die hypothetische Frage, ob unter gegebenen Bedingungen die PEGIDA-Märsche ursprünglich an einem anderen Ort hätten etabliert werden können – oder welche lokalspezifischen Faktoren gerade die Ver-Ortung in der sächsischen Landeshauptstadt erklären mögen. Hier nämlich errang die PEGIDA-Kandidatin zur Oberbürgermeisterwahl, Tatjana Festerling, aus dem Stand knapp zehn Prozent der Stimmen. Die Erfahrungen in anderen Städten zeigen jedenfalls, dass überall dort, wo sich von Anbeginn deutlicher Widerstand regte, die jeweiligen PEGIDA-Ableger eine rasche Entmutigung erfuhren und teils gar nicht erst auf die Straße traten. Mitte Januar 2015, auf dem (vorläufigen) Höhepunkt der Bewegung, listete das Dresdner „Orgateam“ genau 33 „autorisierte“ Ausgründungen bundesweit. Doch mehr als die Hälfte davon existiert heute nicht einmal mehr im virtuellen Raum.
Einige verbliebene „lookalikes“ wie beispielsweise „ PEGIDA NRW“ legen zwar große Ausdauer an den Tag, erzielen aber eine so geringe Resonanz, dass sie gegenüber dem Original als fast bedeutungslos erscheinen. Die „Gründerzeit“ dieser Ableger liegt (mit wenigen Ausnahmen) im ersten halben Jahr PEGIDAs; insgesamt kam es damals in 40 Orten zu gut 250 PEGIDA-artigen Versammlungen. Bemerkenswert ist, dass sie sich genau hälftig auf die Neuen und die Alten Bundesländer verteilten und somit die Angebotsstruktur bundesweit stark ausgeprägt war. Nicht so die Nachfrage: In den Alten Bundesländer war im Schnitt nicht mehr als ein Zehntel des Dresdner Zulaufs zu erzielen. Durch das Abflauen großer Ableger, beispielsweise in München, und die immer seltener versuchte und sowieso schlechter gelingende Neuetablierung von Demonstrationsstandorten ist diese geografische Schere inzwischen noch größer geworden. Ein zweites Dresden ist, immerhin, nirgends entstanden.
Zunehmende Erstarrung?
Zwar bleibt PEGIDA Vor- und Sinnbild: Demonstrierende gehen allerorten „spazieren“, lassen sich leiten von „Orgateams“, greifen zur Wirmer-Flagge, schmähen „Volksverräter“ oder schlagen „Lügenpresse“ und lauschen einem sattsam bekannten Kartell mehr oder minder eloquenter RednerInnen mit mehr oder minder demagogischen Botschaften. Aber nach alledem hat sich die Innovationskraft der Bewegung zumindest gegenwärtig erschöpft und erstarrt immer mehr zum profanen Ritual, inklusive Vertrieb von Merchandise-Artikeln, von der PEGIDA-Kaffeetasse bis zum erzgebirgischen Räuchermännchen mit „Wir sind das Pack“-Miniaturschild.
Weit zurück steht dagegen der Versuch, inhaltliche Linien zu prägen: Noch in der Frühphase war versucht worden, Forderungen des Protests in Form von „Thesenpapieren“ zu kanonisieren. Mehr als zwei Dutzend verschiedene Varianten mit rund 200 Einzelforderungen kamen im ersten halben Jahr in Umlauf, vor allem geprägt von klassisch-konservativen Forderungen wie der nach mehr Polizei, einer Null-Toleranz-Politik und einem Zurückdrängen von „Parallelgesellschaften“. Doch eine realpolitische Agenda jenseits der Grenzen des Versammlungswesens und der verbreiteten Forderung „Merkel muss weg“ ist daraus nicht entwickelt worden.
Was von PEGIDA vorgetragen wird, hat vor allem einen deklamatorischen Charakter, gedacht, um die ebenso gedachte Grenze zum politischen Establishment zu befestigen, dem gegenüber sich die Protestgemeinschaft als demos („Wir sind das Volk!“) ins Recht setzen will. Wohl gibt es symbolische Aktionen wie die „menschliche Grenze“, die Zielsetzungen des Protestes illustrieren sollen. Doch etwaige Strategien, politische Nahziele auch umzusetzen, sind bis heute unterentwickelt. Ein Grund dafür ist, dass die ProtagonistInnen die Entwicklung des eigenen Projekts nur sehr bedingt haben planen können. Ein anderer Grund liegt darin, dass sie sich selbst in offene Konkurrenz zur AfD setzten. Zwar traf sich Frauke Petry zu Beginn des Jahres 2015 mit PEGIDA-OrganisatorInnen in Dresden, doch eine durchaus mögliche Zusammenarbeit verlor sich zuerst in den Wirren der PEGIDA-Spaltung und später in der Entscheidung des „Orgateams“, selbst zur Dresdner Oberbürgermeisterwahl anzutreten, ausdrücklich gegen einen schlussendlich abgeschlagenen AfD-Kandidaten.
Inzwischen ist die Partei von der PEGIDA-Bühne herab mehrfach kritisiert worden, trotz der einigen Studien zufolge erheblichen Zuneigung vieler Teilnehmender zur AfD. Diese entwickelte längst eine eigene, durchaus PEGIDA-inspirierte und teils erfolgreiche Straßenpolitik; deren Auswüchse, vor allem die Reden Björn Höckes, werden allerdings der Partei zur Last gelegt. PEGIDA wiederum bespielt laufend ein Thema, das der AfD in Meinungsumfragen direkt zupass kommt, ohne sich umgekehrt der Partei und ihrer beträchtlichen Ressourcen im Sinne eines parlamentarischen Flügels direkt bedienen zu können. Damit endet aktuell der Einfluss PEGIDAs, der unter anderen Umständen viel weiter über das aufgebotene (Droh-) Potential auf der Straße hinausgehen könnte.
Ein unerfreulicher Ausblick
Plausibel ist eine künftige Entwicklung, in der PEGIDA sich immer weniger „bewegt“. Schon die bisherige Entwicklung war zunehmend zäh und konnte an die eigene Hochphase nur noch punktuell anschließen. Der Versuch einer bundesweiten Ausbreitung war wenig erfolgreich – immer gemessen am ungleich erfolgreicheren Dresdner Original, doch auch hier sind die Handlungsoptionen beschränkt. In dem Moment, in dem nachlassende massenmediale Aufmerksamkeit die „Asylkrise“ für beendet erklären wird, ist mit einem (erneut) erlahmenden Interesse des Protestpotentials zu rechnen. Nach aller Erfahrung mit Protestbewegungen wird PEGIDA sodann in einen neuen Protestzyklus treten. Es folgt dann entweder eine Phase der Latenz, eine Phase der (weiteren) Radikalisierung oder, aufgrund noch nicht bekannter Umstände, ein neuerlicher Aufschwung.
Unwahrscheinlich ist lediglich ein Szenario, in dem PEGIDA einfach aufhört zu existieren. Dafür hat sich der Protest von rechts bereits zu tief verankert, hat er zu viele TrägerInnen gefunden und zu weitgehende Wirkungen erzielt. Dafür ist PEGIDA, inklusive der ähnlichen Protestformate, von zu hoher Strahlkraft und bereits zu sehr ein Einflussobjekt professionalisierter BewegungsunternehmerInnen und „Strategen“ geworden, die all das erkannt haben; die eine breite Protestplattform, die sich ohne Verausgabung in sektiererischer Demonstrationspolitik bespielen lässt, gut gebrauchen können; und die im Gegensatz zu den PEGIDA-Köpfen taktisch operieren, langfristige Strategien verfolgen und schließlich davon profitieren mögen, dass die Grenzen extrem rechter Diskurse und solcher der „Mitte“ endlich erodieren. All das war nie auf Dresden beschränkt. Mithin ist eine Situation eingetreten, die für den deutschen Neofaschismus seit Jahrzehnten nicht besser lag.