Masse Macht Bewegung?
Die neue Qualität rassistischer Mobilisierungen
Anders als von vielen prognostiziert waren PEGIDA und ihre diversen Ableger keine „politischen Eintagsfliegen“, die nach einer ersten Hochphase im Winter 2014/2015 wieder von der politischen Bühne verschwunden sind. Seitdem im Spätsommer die ohnehin medial großen Raum einnehmende Debatte über die zunehmenden Flucht- und Migrationsbewegungen nach Europa noch einmal an Bedeutung gewann und die bürgerlichen Parteien innerhalb weniger Monate gleich zweimal massive Einschnitte in das Asylrecht beschlossen, haben die rassistischen Mobilisierungen erneut Zulauf bekommen.
Damit einher geht ein massiver Anstieg rechter Gewalt in einem Ausmaß, wie es seit Anfang der 1990er Jahre nicht mehr zu verzeichnen war. Im ganzen Land brennen jede Woche Unterkünfte für Asylsuchende. Auch die AfD hat sich nach der Spaltung im Frühjahr nicht aufgelöst, sondern legt in den Umfragewerten — trotz oder gerade wegen eines radikalisierten Auftretens — weiter zu.
Der Schwerpunkt dieser Ausgabe geht der Frage nach, ob mit der neuen Qualität rassistischer Mobilisierungen die Entstehung einer sozialen Bewegung von rechts einhergeht, die über eine gemeinsame politische Agenda mit den Kernforderungen „Zuwanderung stoppen“ und „Merkel muss weg“, über ein Selbstbild als „besorgte Bürger“ und „Mehrheit des Volkes“ sowie über virtuelle wie reale Orte des Protestes und Zusammenkommens verfügt. Als wir den Schwerpunkt planten, war nicht abzusehen, dass durch die in der Silvesternacht in Köln massenhaft verübten sexualisierten Gewalttaten diese Entwicklung wie durch einen Brandbeschleuniger weiter angefacht wird.
Statt einer Diskussion darüber, wie sich sexistische Männergewalt unterbinden lässt, vergiften große Teile von Politik und Medien das gesellschaftliche Klima mit pauschalisierenden Vorwürfen an Geflüchtete und Muslime. Es wird der Eindruck erweckt, sexualisierte Gewalt sei lediglich ein „importiertes Problem“ und nicht Ausdruck einer patriarchalen Gesellschaft. Im hegemonialen Politikbetrieb beschleunigt sich nun die Abkehr vom Merkel’schen Credo „Wir schaffen das“. Eine weitere Asylrechtsverschärfung unter dem Motto „Abschieben, abschieben“ folgt und wird Asylsuchende weiter diskriminieren.
Der Mobilisierung von rechts wird aber so kein Einhalt geboten. Im Gegenteil. Die zunehmende entgrenzte Dynamik rechter Selbstermächtigung in Formen von selbsternannten Bürgerwehren sowie zielgerichteter organisierter Gewalt ist geprägt von einem anlassbezogenen Zusammenwirken unterschiedlicher extrem rechter Gruppen: Organisierte Neonazis, Hooligans, Rocker-Szenen und „besorgte Bürger“ fühlen sich nun legitimiert zum weiteren „Handeln“. Die Gewalt wird weiter eskalieren.
Im Opener analysiert Johannes Schlesinger, wie sich im Zuge von Abstiegsängsten und Krisenwahrnehmung eine rassistische Mobilisierung entwickelt hat, die mit massiver Gewalt gegen Geflüchtete einhergeht.
Der Leipziger Politikwissenschaftler Felix Korsch beschreibt, wie aus den im Oktober 2014 begonnenen PEGIDA-Demonstrationen eine soziale Bewegung von rechts erwachsen ist.
Lina Hentschke wirft einen Blick auf die aktuellen Versuche der AfD in Westfalen eine eigene „Demonstrationspolitik“ nach dem Vorbild einiger ostdeutscher Landesverbände zu entwickeln.
Die Einflussnahme auf PEGIDA und AfD durch Vertreter der „Neuen Rechten“ zeichnen Wolfgang Laskowski und Patrick Schwarz nach.
Der Frage, welche Auswirkungen die aktuellen rassistischen Mobilisierungen und das Erstarken der AfD auf den Konservatismus haben, geht Günter Born in seinem Beitrag nach.