„Wir wollen das nicht schaffen!“
Die AfD entwickelt in NRW eine eigene „Demonstrationspolitik“
Vielerorts würden schon Bürger ihren „Unmut gegen das aktuelle Asylchaos“ auf die Straße tragen, manche Bürger, „gerade im Westen und gerade in NRW“, bräuchten hierbei aber noch „Unterstützung“. Mit diesen Worten rief der AfD-Kreisverband Warendorf zu einer Demonstration am 16. November 2015 in Oelde auf. Beflügelt von der großen Resonanz der AfD-Kundgebungen in Thüringen und Sachsen-Anhalt sehen die westfälischen Kreisverbände die Zeit gekommen, sich an einer aktionistischen „Demonstrationspolitik“ zu versuchen.
Seit September kann die AfD regelmäßig bis zu 8.000 Teilnehmende nach Erfurt mobilisieren. Die Stimmung gleicht den PEGIDA-Demonstrationen in Sachsen, auch die Klientel ist ähnlich. AfD-Rechtsaußen Björn Höcke heizt die Menge mit völkischen Parolen an. Dies machte Eindruck auf Christian Blex, Vorsitzender der AfD-Fraktion im Kreistag Warendorf und Kreisverbandssprecher. Er reiste mehrmals mit anderen westfälischen Parteimitgliedern nach Erfurt und Magdeburg und versucht nun, das dortige Konzept zu kopieren.
Von Erfurt nach Oelde…
Zirka 350 Teilnehmende konnte er im November auf den zentralen Marktplatz nach Oelde mobilisieren. Dies sind zwar nicht annähernd so viele Menschen wie in Erfurt, es ist aber durchaus eine beachtliche Anzahl für einen regnerischen Montagabend in der ansonsten beschaulichen westfälischen Provinz. Neben den obligatorischen Deutschland-Fahnen und einigen AfD-Schildern hielt jemand eine gelbe Fahne mit einem stilisierten Stop-Schild und der Aufschrift „Refugees not Welcome“ hoch. Auch ein großes Banner des rassistischen Blogs PI-News war vertreten.
Blex sprach in Oelde von „Zuwanderung aus kulturfernen Regionen“, deren Integration „nicht zu schaffen“ sei. „Wir wollen dies auch gar nicht schaffen!“, rief er dem Publikum zu. Wortgleich wird diese Phrasen wenige Wochen später der Sprecher des AfD-Kreisverbandes Paderborn, Günter Koch, bei der zweiten AfD-Demo wiederholen. Beide Funktionäre der eng miteinander vernetzten Kreisverbände griffen dabei Worte Alexander Gaulands auf, der mit dieser flapsigen Absage an Angela Merkels viel zitiertes „Wir schaffen das!“ bereits Anfang Oktober bei einer AfD-Demonstration in Erfurt sein Publikum begeistern konnte.
Als Redner traten in Oelde neben Blex auch überregional prominente AfD-Mitglieder wie der niedersächsische Landessprecher Armin-Paul Hampel, AfD-Gründungsmitglied und NRW-Landessprecher Martin E. Renner, sowie der eigens aus Sachsen-Anhalt angereiste dortige Landessprecher André Poggenburg auf, der mit Höcke zur „Der Flügel“ genannten Rechtsaußenfraktion innerhalb der AfD zählt. Renner bemühte in seiner Rede den Begriff des „Schuldkults“ und formulierte: „Wir von der AfD fragen Sie, Frau Merkel: Muss Deutschland abgeschafft werden?“, und weiter: „Müssen jährlich 250.000 Abtreibungen vorgenommen werden, weil dadurch die Zahl der deutschen Neugeborenen und Nachgeborenen dezimiert werden kann und wird?“
… mit Neonazi-Beteiligung
Neben Parteiprominenz reiste auch eine 25-köpfige Abordnung von Die Rechte aus Ostwestfalen-Lippe, Hamm und Dortmund an. „Gemeinsam auf die Straße — über Parteigrenzen hinweg!“, kommentierte Die Rechte Dortmund später auf ihrer Facebookseite. Ohne großes Aufsehen zu erregen, konnten sie sich in die Kundgebung einreihen.
Anwesend war auch Sascha Krolzig, Vorsitzender des Hammer Kreisverbandes von Die Rechte und zudem bei der im Aufbau befindlichen Die Rechte OWL aktiv. Während sich die Neonazis zugunsten der „gemeinsamen Sache“ zu Beginn verhältnismäßig ruhig verhielten, wurden während des Demozugs Parolen wie „Merkel muss weg“ oder „Wir sind das Volk“ schnell abgelöst durch ein ungleich selbstbewusster skandiertes „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen“ — eine Parole, die sich offenbar auch schon auf den AfD-Demos in Erfurt großer Begeisterung erfreute. Insgesamt bekam die Demonstration den Charakter eines extrem rechten Aufmarsches. Die Organisatoren schienen sich daran jedoch nicht weiter zu stören. Die Anwesenheit der Neonazis wurde weder während noch im Nachgang der Veranstaltung vom Kreisverband kommentiert, ihre Inhalte und Parolen hingegen ausdrücklich begrüßt.
Ganz ähnlich verlief es wenige Wochen später in Salzkotten, wo die AfD Paderborn am 4. Dezember 2015 unter dem Motto „Asylchaos beenden — jetzt!“ zur Demo rief. Sascha Krolzig wurde zwar auf Initiative des AfD-Funktionärs Günter Koch von der Polizei der Veranstaltung verwiesen und erstattete daraufhin Anzeige gegen das Land NRW. Doch abgesehen vom „spalterischen Verhalten Günter Kochs“, bilanziert Die Rechte OWL, „harmonierten alle Teilnehmer bestens miteinander“. Problemlos konnten die Bielefelder Neonazis um Meinhard Otto Elbing an der Demonstration teilnehmen. Neben ihren eigenen Mitgliedern hätten sich auch „Mitglieder […] der NPD und der Identitären Bewegung“ beteiligt, verkündete Die Rechte OWL. Zudem konnten „Reichsbürger“ ungestört ihre Flugblätter innerhalb der Kundgebung verteilen.
Westfälische AfD auf Rechtskurs
Insgesamt kamen in Salzkotten zirka 250 Teilnehmende zusammen, obwohl statt Parteiprominenz nur Blex, noch mal Renner und der „arbeits- und sozialpolitische Sprecher der AfD-NRW“ Uwe Witt dargeboten wurden. Erneut mobilisierte die AfD Warendorf mit, unterstützte die Ordnerstruktur, brachte ihre Deutschlandfahnen mit. Der Sprecher des nach außen hin eher zurückhaltenden AfD-Kreisverbandes Münster, Helmut Birke, war ebenso vor Ort wie Mitglieder des AfD-Bezirksverbands Ostwestfalen.
Die ostwestfälische AfD hatte sich schon vor der Spaltung auf dem Essener Parteitag offen für extrem rechte Positionen gezeigt. Markus Wagner, der stellvertretende Sprecher des Bezirksverbandes OWL, war früher in der rechtspopulistischen Schill-Partei aktiv, Beisitzer Hans-Ulrich Kalb sammelte bereits Erfahrungen als stellvertretender Vorsitzender und Schatzmeister des Bezirksverbandes OWL von pro NRW. Der Vorsitzende des Bezirksverbandes, Udo Hemmelgan aus Harsewinkel, organisierte 2015 den „1. Alternativen Wissenskongress“, bei dem bekannte Verschwörungsideolog_innen und extrem rechte Referent_innen auftraten. Ein zweiter „Alternativer Wissenskongress“ soll am 28. Februar in Iserlohn stattfinden.
Mit ihren Demonstrationen gelang der AfD, woran die früheren Versuche von PEGIDA-Formationen in Ostwestfalen kläglich scheiterten: Sie vollzog den Schulterschluss mit rassistischen Wutbürger_innen, Anhänger_innen der „Reichsideologie“ und militanten Neonazis — und konnte so mehrere hundert Menschen mobilisieren. Erfreulich ist, dass sie im kleinen Oelde mit über 2.000 Gegendemonstrant_innen deutlich mehr Gegenwind bekam als in so mancher Großstadt. Auch in Salzkotten kamen an einem Freitagabend 1.200 Menschen zum Protest zusammen. Als Misserfolg verbucht die AfD ihre Demos deswegen aber nicht, ganz im Gegenteil. Die „Demonstrationspolitik“ wird fortgesetzt. Am 15. Januar brachte sie laut Polizeiangaben 800 Teilnehmende in Paderborn auf die Straße.