Besorgte auf Patrouille
Mit Warnweste, Taschenlampe und Jedermann-Festnahmerecht
Vermehrt schließen sich konservative Bürger_innen mit Anhänger_innen rechter Parteien, Hooligans, Türsteher_innen und Neonazis in „Bürgerwehren“ zusammen, um für ihre eigene Version von Recht und Ordnung zu sorgen. Zur Legitimation ihres Handelns berufen sich die selbsternannten Ordnungshüter_innen fast immer auf das „Jedermann-Festnahmerecht“. Eine Konstruktion, die juristisch oftmals wacklig ist.
Nach §127 Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO) hat „jedermann“ das Recht zur vorläufigen Festnahme einer Person, wenn diese auf frischer Tat betroffen oder verfolgt wird und der Flucht verdächtig ist oder ihre Identität nicht sofort festgestellt werden kann. Fluchtverdacht ist anzunehmen, wenn nach dem erkennbaren Verhalten des_r Täter_in vernünftigerweise davon auszugehen ist, diese_r werde sich dem Strafverfahren entziehen, wenn er/sie daran nicht durch alsbaldige Festnahme gehindert wird. Die Identität des_r Betroffenen kann nicht sofort festgestellt werden, wenn Angaben zur Person verweigert werden und/oder keine gültigen Ausweispapiere mit sich geführt werden. Aber: Wird eine Person beim Ladendiebstahl auf frischer Tat betroffen und weist sich durch einen gültigen Personalausweis aus, gibt es im Regelfall keinen Grund für eine Festnahme.
Eine Festnahmebefugnis besteht nur, wenn die erkennbaren äußeren Umstände einen dringenden Tatverdacht nahelegen. Es darf kein erkennbarer Zweifel an der Tatbegehung bestehen. Dieses jeder Privatperson zustehende Festnahmerecht dient dazu, die Strafverfolgung von Täter_innen zu sichern. Es ist dabei nicht erforderlich, dass die/der Festnehmende selbst die verletze Person ist oder mit ihr in einer Beziehung steht. Das Festnahmerecht gilt auch für unbeteiligte Dritte.
Sind die Voraussetzungen für eine Festnahme gegeben, sind zur Feststellung der Identität der Täter_innen das Festhalten, die Durchsuchung der Person und ihrer mitgeführten Sachen und die Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen gestattet, wenn die Identität sonst nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden kann. Das Recht, die Person festzuhalten, umfasst auch die Möglichkeit des unfreiwilligen Verbringens zur polizeilichen Dienststelle oder des vorübergehenden Einsperrens bis zum Eintreffen der Polizei (zum Beispiel am Tatort oder in einem Fahrzeug).
Verhältnismäßigkeitsprinzip
Das Festnahmerecht umfasst im Notfall - wenn mildere Mittel nicht erfolgversprechend sind - auch die Befugnis zu Handlungen, die als Freiheitsberaubung, Nötigung oder leichte (!) Körperverletzung strafbar wären, wenn den Festnehmenden nicht der Rechtfertigungsgrund des §127 zur Seite stünde. Natürlich muss aber durch privat Festnehmende das allgemeine Verhältnismäßigkeitsprinzip beachtet werden. Unzulässig ist es daher regelmäßig, die Flucht von Straftäter_innen durch Handlungen zu verhindern, die zu einer ernsthaften Beschädigung der Gesundheit oder zur unmittelbaren Gefährdung des Lebens führen. So ist zum Beispiel der Einsatz von Waffen - das gilt auch für Pfefferspray - nicht per se gerechtfertigt, sondern kann nur im Ausnahmefall gerechtfertigt sein, wenn es in einer Festnahmesituation zu einer Notwehrlage kommt, weil sich die festzunehmende Person wehrt.
Bis hierhin scheint die Regelung den selbsternannten Ordnungshüter_innen noch zur Seite zu stehen. Allerdings begründet die Vorschrift keine Eingriffsbefugnisse zu präventiv-polizeilichen Zwecken - mithin insbesondere keine Personenkontrollen. Auch rechtfertigen nur Handlungen, die strafrechtliche Folgen nach sich ziehen können, „jedermann“ zur Festnahme - nicht jedoch straflose Vorbereitungshandlungen oder Ordnungswidrigkeiten. Auch für privat Festnehmende gilt, dass keine Befugnis zur Festnahme besteht, wenn diese zu der Bedeutung der Sache und einer zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht. Letztgenannte Voraussetzungen dürften den Einsatzbereich der „Bürgerwehren“ erheblich einschränken.
Keine klare Linie
Bürgerwehren sind vor allem bei der Polizei nicht gern gesehen. Zum einen impliziert ihre bloße Existenz, dass die Polizei nicht in der Lage ist, ihre Aufgaben zu erfüllen. Zum anderen wird das Gewaltmonopol des Staates durch die selbstorganisierten Streifen in Frage gestellt. Oft wird auch angeführt, dass durch die Arbeit der Bürgerwehren mehr Konflikte entstehen als verhindert werden. Dennoch konnten sich Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte bislang auf keine eindeutige Linie einigen, wie Bürgerwehren rechtlich einzuordnen sind.
Ist die Streife einer Bürgerwehr als Versammlung anzusehen, was nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten nach sich zieht? Ein öffentlicher Aufruf liegt mit Einladungen bei Facebook meist vor - aber handelt es sich beim Streifengang um eine Meinungskundgabe? Würde dies bejaht, könnten die Behörden auf das bekannte Arsenal an Maßnahmen (Anmeldung, Auflagen, Versammlungsleitung, Verbot des Tragens auch ansonsten erlaubter Waffen etc.) zurückgreifen, um Bürgerwehren in ihrem Handlungsspielraum einzuschränken. Bislang beschränkten sich Versuche, unerwünschter Bürgerwehren von staatlicher Seite habhaft zu werden, auf die Anwendung des Uniformierungsverbots im Versammlungsgesetz (VersG). Doch sowohl bei den „Stadtschutz“-Patrouillen der Dortmunder Neonazis als auch bei den Streifen der „Scharia-Polizei“ in Wuppertal sahen die Gerichte keine Anhaltspunkte dafür, dass die Aufmachung der Gruppen (einheitliche gelbe T- Shirts bzw. Warnwesten) geeignet für die Anwendung des Uniformierungsverbots nach §3 VersG wären.
Oder handelt es sich bei einer Bürgerwehr, sofern sie denn Waffen mit sich führt, sogar um eine bewaffnete Gruppe, mit der Konsequenz, dass sie eine Straftat gemäß §127 Strafgesetzbuch (StGB) begeht? Diese Frage warf Thomas Fischer, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, auf. Einfacher wird es für Polizei und Staatsanwaltschaft, wenn Bürgerwehren ihre Kompetenzen offensichtlich überschreiten. Nimmt eine Bürgerwehr Personen- oder Taschenkontrollen vor oder tritt sie in einer Art und Weise auf, die ihr einen offiziellen Anstrich verleiht, können Verfahren wegen Amtsanmaßung und Nötigung mit guten Erfolgsaussichten eröffnet werden. Vorwürfe, mit denen sich u.a. die Einsatzgruppe LUPUS aus Würzburg auseinandersetzen musste.
Da Polizei und Justiz noch keinen sicheren Umgang mit der Problematik gefunden haben, eröffnen sich den Bürgerwehren Freiräume, um sich auf der Straße als vermeintlich legitime Ordnungsmacht zu profilieren. Neonazis haben diese Chance erkannt und unterstützen vielerorts mehr oder weniger offen die Bürgerwehren. Die Neonazi-Partei Die Rechte bot im Januar 2016 in Hamm eine „Rechtsschulung“ für Mitglieder von Bürgerwehren an. Auch hier wurde deutlich, wie schwierig sich die rechtliche Beurteilung solcher Aktivitäten gestaltet: Es referierte ausgerechnet der Neonazi Sascha Krolzig, dem aufgrund seiner diversen einschlägigen Vorstrafen die Zulassung zum juristischen Vorbereitungsdienst – und damit auch die Arbeit als Volljurist - mehrfach verweigert wurde.