Unschuldig?
Neonazi-Musiker gründen Deutschrock-Band
„Schuldig“ ist nicht etwa eine weitere „unpolitische“ Band auf dem boomenden Deutschrock-Markt, sondern ein von Mitgliedern der Rechtsrock-Bands „Extressiv“ und „Strafmass“ gegründetes Projekt. Ein „Schuldig“-Auftritt bei der „1. Lüner Deutschrock Nacht“ wurde deshalb kürzlich wieder abgesagt.
„Sänger mit Neonazi-Vergangenheit“, titelten die „Ruhrnachrichten“, nachdem das linke Journalismus-Projekt „Sechel“ erstmals über [die politischen Hintergründe der „Schuldig“-Musiker berichtet](http://www.sechel.it/nazi-saenger-auf-staedtischer-buehne/ "Sechel: "Lünen: Nazi-Sänger auf städtischer Bühne?"") hatte. Neben dieser Band sollten am 22. Februar im städtischen Kulturzentrum „Lükaz“ in Lünen (Kreis Unna/NRW) noch eine „Böhse Onkelz“-Coverband und ein „Special Guest“ auftreten. Da „Schuldig“ nach eigenen Angaben auch Veranstalter des Konzertes war, wurde die gesamte Veranstaltung abgesagt. Seitdem präsentiert sich die Band als den „Lügen“ von Antifa und Lokalpresse ausgesetztes Opfer.
Besondere Mühe, ihre Gesinnung zu verbergen, hat sich die erst Mitte 2015 gegründete Band nicht gegeben. So posierte Schlagzeuger Falk Harry Pirnke auf einem Bandfoto ganz offen in einem T-Shirt der Neonazi-Marke „Ansgar Aryan“ mit dem Aufdruck „Volksgemeinschaft statt New World Order“. Umso mehr verwundern die zwischen Trotz und Weinerlichkeit chargierenden Statements der Band nach der Konzertabsage. „Wir hätten uns den falschen Sänger ausgesucht [...] Falsch! Wir haben uns den richtigen Sänger ausgesucht“, betonte sie nach der Absage auf ihrer Facebook-Seite. Ihr Sänger habe „mehr Mut und Rückgrat bewiesen als diese kleinen Politikermitläufer oder 'Journalisten' (...) indem er sich offen zu seiner VERGANGENHEIT (...) geäußert“ habe. „Schuldig“-Sänger Denis Zadow (27) aus Herne erklärte seinerseits, ausgestiegen zu sein: „Jedem, der ein wenig Griebs [sic!] im Kopf hat, sollte aufgefallen sein, dass ich nicht mehr in der rechten Szene aktiv bin.“
„Strafmass“ – Eine „Combat 18“-Band
Zur „Vergangenheit“ Zadows zählt seine Tätigkeit als Frontmann der 2008 in Bremen gegründeten Rechtsrock-Band „Strafmass“. Und sie liegt alles andere als lange zurück. „Dies ist eine Warnung, ihr solltet sie vernehmen. Dies ist eine Nachricht von Combat 18. Nehmt euch in Acht, wir haben euch im Visier. Eure Namen und Adressen stehen auf unserem Papier“, singt Zadow im Song „Combat 18 Deutschland“ auf der letzten, 2014 veröffentlichten CD „Der Tag, er kommt“. Und weiter: „Unser Name ist gefürchtet, unsere Taten noch viel mehr. Wir stellen uns dem Gegner und setzen uns zur Wehr. Für euch gibt es keine Gnade, wir kämpfen Hand in Hand. Merkt euch unseren Namen. Combat 18 Deutschland“. Welche „Taten“ gemeint sind, verdeutlichen Pistolenschüsse am Ende des Songs.
Doch diese Einspielung wäre eigentlich gar nicht nötig gewesen. Das Label „Combat 18“ (C18) ist in der Neonazi-Szene untrennbar mit dem bewaffneten Kampf kleiner, „führungsloser“ Terrorzellen verbunden, die mit Waffengewalt gegen die „Feinde der weißen Rasse“ vorgehen. „Combat 18“ versteht sich als bewaffneter Arm von „Blood & Honour“. „Strafmass“ gehört zu den wenigen deutschen Bands, die sich explizit auf „Combat 18“ beziehen. Bereits auf ihrer Demo-CD findet sich ein Song namens „Combat 18“, auf dem Cover ist ein Vermummter mit Sturmgewehr abgebildet. Die anderen wesentlichen deutschen „Combat 18“-Bands sind die aus NRW stammenden „Weissen Wölfe“ und „Oidoxie“ sowie das Projekt „Straftat“ des „Oidoxie“-Sängers Marko Gottschalk. Der 43-jährige Dortmunder propagiert seit mehr als 15 Jahren die Ideen von „Combat 18“. Er verfügt über Kontakte zu den englischen Gründern von „Combat 18“ und zu internationalen Kadern der „Blood & Honour“-Bewegung, die als Befürworter des bewaffneten Kampfes bekannt sind. In der Szene galt Gottschalk zumindest zeitweise als offizieller Repräsentant von „Combat 18“ in Deutschland.
„Strafmass“ hat sich im Windschatten von „Oidoxie“ gebildet, zur Szene um die Dortmunder Band bestehen enge Kontakte. So trommelte zeitweise der aus Hamm stammende Dustin Guske, damals Mitglied der „Oidoxie Streetfighting Crew“, bei „Strafmass“. Auf dem ersten Album von „Strafmass“ wirkte Gottschalk - ausweislich des Booklets - als Musiker mit. Die Grußliste der Band endet mit Grüßen an „alle C18 Sektionen und Divisionen weltweit und die 28iger“. Mit „28iger“ dürfte das in Deutschland verbotene „Blood & Honour“-Netzwerk (B&H, als Zahlencode: 28) gemeint sein.
Von den internationalen Kontakten Gottschalks konnte auch „Strafmass“ profitieren. Die Analyse der ausländischen Konzerte der Band zeigt ihre Einbindung in das internationale Netzwerk von „Blood & Honour/C18“. Noch im März 2015 waren Auftritte der Band bei „The Night of Terror“ der polnischen „C18/Blood & Honour“-Division und dem „Marcel Schilf Memorial“ der „Blood & Honour Division Scandinavia“ in Schweden angekündigt. Die Bühne teilten sie sich mit ebenso radikal auftretenden Bands, beim Konzert in Schweden beispielsweise mit „Sniper“, „N.A.Z.I.“, „Kraftschlag“ und „Kommando S3“.
„Strafmass“ spielte auch Konzerte in Deutschland, beispielsweise bei dem von Thorsten Heise und der NPD organisierten „Eichsfeldtag“ am 4. Mai 2013 in Thüringen. Bei diesem Auftritt standen auch zwei Musiker von „Schuldig“ mit Zadow auf der Bühne: Pirnke spielte Schlagzeug, ein Skinhead namens „Hannes“, der auch Gitarrist von „Schuldig“ ist, die Gitarre. Dass sich „Strafmass“ offiziell aufgelöst hätte, ist nicht bekannt. 2015 erschien die Compilation „No more brother wars“, deren Cover zwei SS-Totenköpfe „schmückt“ und auf der neben „Strafmass“ polnische und ungarische Neonazi-Bands vertreten sind.
„Extressiv“
„Schuldig“ rekrutiert sich außerdem aus Mitgliedern der Rechtsrock-Band „Extressiv“. Der 36-jährige Schlagzeuger Falk Harry Pirnke und der 27-jährige Gitarrist Maximillian Großheim spielten in dieser 2005 gegründeten Band, deren Mitglieder aus den Kreisen Unna und Coesfeld stammen. Seit einigen Jahren sind keine Auftritte oder CD-Veröffentlichungen von „Extressiv“ mehr bekannt geworden, bis 2009/2010 war die Band allerdings sehr aktiv. Nach ihrer 2006 veröffentlichten Debüt-CD „Rocksau“ folgte das später indizierte Album „Weisse Brüder für Europa“. Dort singt die Band im Song „Treue, Ehre, Stolz“: „Es werden Köpfe rollen, bis der Kampf gewonnen ist. Man hört es schon von Weitem grollen, Widerstand ist unsere Pflicht. Der Tag der Rache naht, Ihr werdet es schon sehen.“ 2009 veröffentlichten „Extressiv“ dann ihr bislang letztes Album „Wir für euch, ihr für uns“. Auch spielten „Extressiv“ zahlreiche Konzerte im Ausland, die von B&H-Strukturen organisiert wurden.
„Extressiv“ und „Oidoxie“ waren eng miteinander verbunden – nicht nur aufgrund der Nähe der Wohnorte der „Extressiv“-Mitglieder zu Dortmund. Ihre Freundschaft besingen die Bands in dem auf der CD „Rocksau“ veröffentlichten Song „Oidoxie und Extressiv“: „Kameradschaft in unserem Land. Wir kämpfen Hand in Hand. (…) Oidoxie und Extressiv. Das richtige Urteil - extrem aggressiv.“ Teilweise halfen sich die Bandmitglieder untereinander bei Auftritten aus. Die Musiker von „Extressiv“ waren ebenso Teil der „Oidoxie Streetfighting Crew“, einer rund 35- bis 40-köpfigen Gruppe, deren Mitglieder aus dem Ruhrgebiet, dem Münster- und Osnabrücker Land sowie aus Kassel und der Region Aachen stammten. Diese hatte den Charakter eines Fanclubs und einer Kameradschaft, die bei Konzerten Saalschutzaufgaben übernahm. Aus ihren Reihen soll sich vor über zehn Jahren eine Dortmunder Zelle von „Combat 18“ rekrutiert haben, wie Sebastian Seemann im November 2011 der Polizei Dortmund berichtete. Der 2007 als V-Mann des VS enttarnte Seemann war Mitglied der „Oidoxie Streetfighting Crew“ und organisierte „Blood & Honour/C18“-Konzerte in Belgien. Auch „Strafmass“ verfügte zeitweise über eine „Crew“, die sich ebenso deutlich wie die Band auf „Combat 18“ bezog: „C18 Strafmass Crew … mehr als nur Musik“ war auf den T-Shirts der Crew-Angehörigen aufgedruckt.
Neonazis im Deutschrock-Geschäft
Alle Mitglieder von „Schuldig“ spielten in neonazistischen Bands. Der erdrückenden Faktenlage zum Trotz versucht sich die Band aber weiterhin als „unpolitisches“ Projekt darzustellen: „Schuldig war/ist und wird eine unpolitische Band sein“, ließ die Band nach der Konzertabsage verlauten. Mit kritischen Nachfragen geht man genauso um, wie die bekannteste Deutschrock-Band „Frei.Wild“: Das sei alles lange her. Außerdem hätte man sich ja zu dem Thema mutig geäußert und damit seine Schuldigkeit getan. Doch genau das ist eben nicht passiert.
„Schuldig“ ist nie offen mit dem Werdegang ihrer Mitglieder umgegangen, noch weniger war oder ist eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der eigenen Ideologie und dem eigenen Handeln ersichtlich. Stattdessen versucht man über die Reminiszenz an die „harten Zeiten“, die man hinter sich hat, Authentizität zu gewinnen und sich als stolze Underdogs zu stilisieren. Von einem „Ausstieg“ aus der extremen Rechten kann nicht die Rede sein. Noch 2015 spielte „Strafmass“ auf „Blood & Honour“-Konzerten. Im Oktober 2015 berichtete zudem die taz über Planungen für eine „Bürgerwehr“ im niedersächsischen Schwanewede, dem ehemaligen Wohnort Zadows, an denen sich der Neonazi-Sänger im Internet beteiligte.
Wenn „Schuldig“ in ihren Songs auf die Propagierung der neonazistischen Ideologie verzichtet, dann vermutlich deshalb, weil sie hofft, im aktuell boomenden Deutschrock-Geschäft Kasse machen zu können. Aktuell sucht die Band, die bereits eine Mini-CD mit dem Titel „Wir sind schuldig“ veröffentlicht hat, eine „Supportband“, die sie bei einer in diesem Jahr geplanten Tour unterstützt.