„Für deutsche Interessen...“
„Wehrhaftigkeit“ und „Kampferfahrung“ innerhalb und außerhalb der Bundeswehr
Der Faschismus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war voll des Lobes für Gewalt und Krieg als Mittel der Herstellung gesellschaftlicher und internationaler Ordnung. Militär wurde als hierarchische Struktur und zur Herstellung soldatischer Männlichkeit geschätzt. In der Weimarer Republik bereits galt vielen die als Ergebnis des Ersten Weltkrieges auf 100.000 Soldaten beschränkte Reichswehr als „entmannt“ und zu „nationaler Wehr“ nicht fähig.
Die am 8. Mai 1945 besiegelte völlige militärische Niederlage führte erstmals in der Geschichte Deutschlands als Nationalstaat dazu, dass keine eigenständige Armee unterhalten wurde und eine solche auch im Grundgesetz nicht vorgesehen war, sondern erst mit dessen Ergänzung in Gestalt der Wehrverfassung (Art 87a GG) 1956 grundlegend verankert wurde. In erheblichen Teilen der deutschen Bevölkerung gab es zudem Skepsis und Ablehnung gegenüber dem Militärischen.
Remilitarisierungbemühungen
Im Zuge des Kalten Krieges, der aus den Alliierten des Zweiten Weltkrieges verfeindete Angehörige zweier Militärblöcke machte, wurde auch ein deutscher Beitrag zur „westlichen Verteidigungsallianz“ zunehmend diskutiert – und von hohen Regierungskreisen und ehemaligen Wehrmachtsangehörigen abseits der allgemeinen Öffentlichkeit bereits vorbereitet. Für die extreme Rechte der Nachkriegszeit war die Aufstellung einer neuen deutschen Armee zwar ein erstrebenswertes Ziel, allerdings war man sich bewusst, dass diese kaum unter nationalem Oberbefehl stehen und im Rahmen voller Souveränitätsrechte würde eingesetzt werden können. Selbst diejenigen Teile der extremen Rechten, die aus antikommunistischer Motivation die Kooperation mit den Westmächten für angezeigt hielten, formulierten zugleich Bedingungen für eine Unterstützung des „deutschen Wehrbeitrages“, darunter insbesondere die Freilassung der als Kriegsverbrecher verurteilten deutschen Offiziere. Mit der im Januar 1951 seitens des damaligen NATO-Oberbefehlshabers Dwight D. Eisenhower gegenüber Bundeskanzler Konrad Adenauer formulierten Ehrenerklärung für die Soldaten der Wehrmacht kam man diesen Wünschen entgegen. Knapp zwei Jahre später erweiterte Adenauer diese Ehrerklärung vor dem Bundestag auf die Angehörigen der Waffen-SS, um auch sie für die aktiven Bemühungen einer Remilitarisierung zu gewinnen.
Umwerbung ehemaliger Wehrmachts- und Waffen-SS-Angehöriger
Die ehemaligen Soldaten der Wehrmacht und der Waffen-SS fanden sich zum Teil in Traditionsverbänden und in Interessengruppen zusammen, die – zum Teil vor allem mit Versorgungsfragen, verschiedentlich auch mit unmittelbar politischen Positionierungen befasst – auch für die entstehenden extrem rechten Strukturen und Parteien als Agitationsfelder interessant waren. Blieb die Frage der Westorientierung versus Neutralität eine der zentralen Kontroversen innerhalb der extremen Rechten in der Bundesrepublik Deutschland bis in die 1980er Jahre, so wurde die 1956 ins Leben gerufene Bundeswehr neben dem damals noch stark paramilitärisch geprägten Bundesgrenzschutz rasch zu einem Ort der Sammlung ehemaliger Wehrmachts- und Waffen-SS-Angehöriger.
Die extreme Rechte versuchte, durch die Bildung und Wiederbelebung eigener Soldatenorganisationen – etwa den Stahlhelm – beziehungsweise die Einflussnahme in soldatischen Interessensgruppen und Traditionsverbänden auch ehemalige bzw. dann in der Bundeswehr dienende Soldaten zu gewinnen. In Wahlkämpfen – etwa der NPD in den späten 1960er Jahren – wurden Bundeswehrangehörige gezielt mit speziellem Werbematerial umworben; auch Berufssoldaten übernahmen Funktionärsposten in der NPD oder kandidierten für die Partei bei Wahlen. An einigen Bundeswehrstandorten erhielt die Partei überproportional viele Stimmen.
Bundeswehr-Skandale
In der Bundeswehr gab es seit ihrer Gründung wiederholt Skandale, die sich in extrem rechten Ereignissen manifestierten oder durch den traditionalistischen Flügel des Offizierskorps verursacht worden waren. Zu den wenigen hier exemplarisch angeführten Fällen gehörte das Traditionstreffen der ehemaligen Angehörigen des Sturzkampfgeschwaders 2 Immelmann (Wehrmacht) beim Aufklärungsgeschwader 51 Immelmann (Bundeswehr) im Oktober 1976 auf dem Fliegerhorst Bremgarten/Eschbach. An ihm nahm der ehemalige Luftwaffen-Oberst Hans-Ulrich Rudel – von Adolf Hitler mit dem höchsten Orden des NS-Regimes dekoriert – teil und traf nach zeitgenössischen Berichten auf großes Wohlwollen. Als Reaktion auf die mediale Kritik traten der Kommandierende General Luftflottenkommando, Generalleutnant Walter Krupinski, sowie sein Stellvertreter, Generalmajor Karl-Heinz Franke, vor die Presse und forderten, dass man auch Rudel – vergleichbar mit dem SPD-Politiker Herbert Wehner, der in seiner Jugend Kommunist gewesen war – eine Chance auf Läuterung einräumen müsse. Nicht zuletzt angesichts der fehlenden Distanzierung Rudels zum NS-Regime ging der Vergleich fehl und die beiden Generale wurden in den Ruhestand versetzt. Mitte Februar 1977 geriet die Hochschule der Bundeswehr in München in die Schlagzeilen, nachdem dort Offiziersanwärter das „Horst-Wessel-Lied“ gesungen, „Sieg-Heil“ skandiert und antisemitische Vernichtungsphantasien geäußert hatten. 1995 wurde der als Rechtsterrorist verurteilte Manfred Roeder zu einem Vortrag in die Führungsakademie der Bundeswehr eingeladen; auch war er für sein vermeintlich wohltätiges Deutsch-Russisches Gemeinschaftswerk von der Bundeswehr mit Material unterstützt worden. Im Jahr 2003 wurde der damalige Kommandeur des „Kommando Spezialkräfte“, Brigadegeneral Reinhard Günzel, von Bundesverteidigungsminister Peter Struck in den vorzeitigen Ruhestand geschickt, nachdem jener in einem auf Bundeswehr-Briefpapier erstellten Schreiben eine antisemitische Rede des Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann (CDU) gelobt hatte. Im Jahr 2011 wurde bekannt, dass Martin Böcker, der in der extrem rechten Zeitschrift Sezession publizierte, als Chefredakteur der Zeitschrift der studierenden Offiziere der Universität der Bundeswehr in München fungiert.
„Kein deutsches Blut für amerikanische Interessen“
Mit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten 1990 hatte die extreme Rechte die Erwartung verbunden, Deutschland werde nun als machtvoller Akteur auf die weltpolitische Bühne zurückkehren, was volle Souveränitätsrechte und den Einsatz militärischer Gewaltmittel einschließt. Die in den 1990er Jahren beginnende Beteiligung von Bundeswehreinheiten an Kriegseinsätzen wurde von der extremen Rechten unterschiedlich bewertet. Eine Minderheit, etwa das um die Zeitung Junge Freiheit gruppierte Spektrum, begrüßte diese Entwicklung. Zwar war man weiterhin skeptisch, da beispielsweise der Truppe noch Strukturen wie ein eigener Generalstab fehlten, doch sah man in der Entsendung von Bundeswehrtruppen ins Ausland und in der Beteiligung an NATO-Kriegen einen wichtigen Schritt zur Normalisierung des Militärischen in Deutschland. Der Großteil der extremen Rechten hingegen agierte gegen die Beteiligung der Bundesrepublik am Krieg gegen die Jugoslawien, da er im Rahmen der NATO stattfand und daher als Krieg der USA angesehen wurde, deren Ziel es sei, Unruhe in Europa zu verbreiten und darüber eine Rechtfertigung militärischer Präsenz und Intervention zu erhalten. Slogans wie „Kein deutsches Blut für amerikanische Interessen“ brachten diese Position zum Ausdruck; neonazistische Gruppen gaben sich als Kriegsgegner*innen aus, beteiligten sich an Friedensdemonstrationen und organisierten selbst Kundgebungen vor US-Militärstützpunkten in Deutschland, bei denen der Abzug der „raumfremden“ US-Truppen gefordert wurde. Mit dieser Kritik an aktuellen Kriegspraxen war das Ziel verbunden, den völkischen Nationalismus aufzuwerten; so formulierte der ehemalige Bundeswehroffizier Alfred Mechtersheimer: „Wir müssen das nationale Prinzip als ein Prinzip des Friedens ins Bewußtsein der Bevölkerung bringen.“ Ähnliche Aktivitäten gibt es – wenn auch auf niedrigem Niveau – bis heute, so etwa die Kampagne der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten „Bundeswehr raus aus Afghanistan“.
Wehrhaftigkeit und Kampferfahrung für „deutsche Interessen“
Im Laufe der nun über zwanzig Jahre währenden Praxis der Auslandseinsätze hat sich die Bundeswehr verändert; beispielsweise haben viele ihrer Soldat*innen inzwischen Kampferfahrung gesammelt, die Ausbildung ist „kriegsnah“ geworden und Karrieren in Spitzenpositionen der Bundeswehr sind ohne Kriegserfahrung nicht mehr denkbar. In dieser Hinsicht ist die Kritik der extremen Rechten an der real existierenden Bundeswehr nahezu verstummt; beklagt werden neben unzureichender Ausstattung die Einbindung der Bundeswehr in supranationale Strukturen und die Bildung bi-nationaler Streitkräftestrukturen, da diese zu einem Verlust an Souveränität führen und „fremden Interessen“ nützen würden, sowie die Abschaffung der Wehrpflicht, da damit die Bundeswehr keine „Armee des Volkes“ mehr sei. Kritisch wird auch gesehen, dass die Diversität des Bundeswehrpersonals zunimmt.
Anders als die Friedensbewegung geht es der extremen Rechten in ihrer kritischen Kommentierung von Bundeswehr und Krieg nicht um einen Abbau struktureller Gewalt und die Förderung gewaltarmer Strukturen und Verfahren zur Konfliktbearbeitung. Die extreme Rechte geht grundsätzlich davon aus, dass sich „die Völker“ in einem fortwährenden Kampf ums Überleben befinden, in dem um die Hierarchie zwischen ihnen gerungen wird. Kampf und Krieg werden daher als unvermeidbar angesehen; Militär als Machtinstrument nach außen und als „Schule der Nation“ gelten der extremen Rechten als wichtiges Mittel im „Ringen der Völker“. Entsprechend wird die Institution Militär auch nicht grundsätzlich in Frage gestellt, sondern danach befragt, ob sie ideologisch so ausgerichtet und materiell so ausgestattet ist, dass sie „deutsche Interessen“, die hier völkisch und imperial ausbuchstabiert werden, durchsetzen kann.
Dem politischen Ziel der Herstellung von „Wehrhaftigkeit“ entspricht, dass es für Anhänger der extremen Rechten selbstverständlich war, der Einberufung zur Wehrpflicht nachzukommen. Viele sahen in der hierarchischen Organisation Bundeswehr und in der Möglichkeit, den Umgang mit Waffen zu lernen, auch eine langfristigere Berufsperspektive und wurden Zeit- oder Berufssoldaten. Hierfür mag der frühere NPD-Vorsitzende Udo Voigt (MdEP) als Beispiel gelten. Wem die Ausbildung und der Umgang mit Waffen in der Bundeswehr bis in die frühen 1990er Jahre nicht kriegsnah genug war, der beteiligte sich als Söldner an den Kriegen zur Zerschlagung Jugoslawiens in den frühen 1990er Jahren.
Ein Fünftel national-konservativ
Dass die Bundeswehr – wie auch andere Teile des staatlichen Gewaltapparates – strukturell konservativer sind als der Durchschnitt der Gesellschaft, kann als erwiesen gelten. Mehrfach hat eine Forschergruppe an der Universität der Bundeswehr in Hamburg die politischen Einstellungen von studierenden Soldaten erhoben. Dabei wurde deutlich, dass der Anteil an national-konservativ Eingestellten erkennbar über dem an zivilen Hochschulen liegt und etwa ein Fünftel der Befragten ausmacht. Dass in einem solchen Umfeld völkisch-nationalistische Positionen als weniger anstößig empfunden werden, liegt nahe.
Jährlich legt der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages einen Bericht zur Lage der Truppe vor; in ihm finden sich regelmäßig Angaben zu extrem rechten oder rassistischen Verdachtsfällen, die ihm aus der Truppe gemeldet wurden oder ihm anderweitig bekannt geworden sind. Das Niveau dieser Meldungen liegt in den vergangenen Jahren auf einem relativ stabilen Niveau. Danach sind vor allem Mannschaftsdienstgrade beteiligt, zu nicht unerheblichen Teilen auch Unteroffiziersdienstgrade, die für die Ausbildung zuständig sind. Offiziere tauchen nur in Einzelfällen auf. Manche der Vergehen werden mit Disziplinarstrafen sanktioniert, selten kommt es zu Entlassungen aus der Bundeswehr.
Der Militärische Abschirmdienst (MAD) beobachtet ebenfalls extrem rechte Aktivitäten in den Streitkräften. Im Jahr 2015 wurden drei Soldaten und ein ziviler Bundeswehrmitarbeiter enttarnt, die meisten davon in der NPD bzw. in einer neonazistischen Kameradschaft aktiv. Frühzeitig beendet wurde der Dienst für 19 weitere Soldaten wegen volksverhetzender Äußerungen und Propagandadelikten. In einem Fall hatte ein Soldat in Mecklenburg-Vorpommern, der zu einer Gruppe gehörte, die zum Bau einer Flüchtlingsunterkunft eingesetzt worden war, in einer WhatsApp-Chatgruppe seinen Vernichtungsphantasien freien Lauf gelassen. Anfang 2016 bearbeitete der MAD insgesamt 230 extrem rechte Verdachtsfälle; 149 entsprechende Vorkommnisse waren bekannt geworden, häufig bezieht sich die Untersuchung der Verdachtsfälle noch auf Ereignisse aus den Vorjahren.
Ringen um einen Platz in der Bundeswehr
Die Bundeswehr bzw. Reservistenverbände sind ein gesellschaftlicher Ort der Auseinandersetzung um den Stellenwert, den extrem rechte oder nationalistische Positionen beanspruchen können. Wo etwa NPD-Aktivisten in diesen Strukturen öffentlich thematisiert wurden, führte dies häufig zur Entlassung aus der Truppe bzw. zur Beendigung der Mitgliedschaft. Die völkisch-nationalistische Rechte führt allerdings den Kampf um die Bewertung der deutschen Geschichte, um Aufgaben und Selbstverständnis der Bundeswehr sowie um das soldatische Selbstbild an vielen Fronten. Gegen die Entlassung oder Disziplinierung von Soldaten, die offen als NPD- bzw. REP-Mitglieder auftraten, haben die Parteien wiederholt geklagt. Erinnert sei auch an die langjährige Kampagne gegen Historiker des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, die auf die Verbrechen der Wehrmacht hingewiesen haben, sowie die von der Jungen Freiheit lancierte Kampagne für Götz Kubitschek, nachdem dieser als Oberleutnant der Reserve aus einer laufenden Wehrübung entlassen worden war. In der Wochenzeitung erschien daraufhin eine Solidaritätsanzeige, die auch von zahlreichen Soldaten unterzeichnet wurde. Im Jahr 2002 hob das Personalamt der Bundeswehr den Entlassungsbescheid auf.
In der Vergangenheit war es für extrem rechts eingestellte Offiziere, die in der Bundeswehr bis in höchste Dienstränge und Verwendungen aufsteigen wollten, nicht opportun, sich zu offen zu diesen Einstellungen zu bekennen. Immer wieder sind Generäle erst nach ihrer aktiven Dienstzeit in extrem rechten Kreisen sichtbar geworden – die Brüder Franz und Reinhard Uhle-Wettler und Christian E.O. Millotat (siehe S. 15 f.) sind hier lediglich Beispiele. Angesichts der jüngsten Erfolge der AfD und völkisch-nationalistischer Mobilisierungen ist damit zu rechnen, dass national-konservative Positionen, die auch eine Militarisierung der Bundeswehr einfordern und zivile Maßstäbe für das Berufsbild des Soldaten in Frage stellen, auch sichtbarer wieder von Bundeswehrangehörigen formuliert werden. Der von Bundeswehrsoldaten, darunter mehreren Truppenführern in Leutnantsrang, kürzlich herausgegebene Band „Armee im Aufbruch“ mag dafür mit einigen seiner Beiträge als Indiz gelten.