Die moralvernichtenden Folgen öffentlicher Toiletten
Die Monatszeitschrift "eigentümlich frei"
Als „libertär“, als „radikalliberal“ wird die Zeitschrift eingestuft, zugleich publiziert sie Beiträge von Autoren der extremen Rechten: „eigentümlich frei“, in einer Auflage von angeblich 8.000 Exemplaren gedruckt, wird von dem Verleger André F. Lichtschlag aus Grevenbroich einmal pro Monat in Düsseldorf herausgebracht.
Das ist Frank Schäffler nun doch zuviel. Da hat Akif Pirinçci gerade seine fürchterliche PEGIDA-Rede gehalten, in der er weibliche Flüchtlinge als „flüchtende Schlampen“ und Muslime in Deutschland als „Moslemmüllhalde“ beschimpft hat; da hat er weitere Hetztiraden von sich gegeben und schließlich erklärt: „Die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb.“ Ein Proteststurm erhebt sich nun wie nur selten. Und was tut André F. Lichtschlag, der Chefredakteur von eigentümlich frei? Er kündigt an, Pirinçcis Buch „Die große Verschwulung“ unbedingt weiter vertreiben zu wollen. Schäffler reicht es. Der ehemalige FDP-Bundestagsabgeordnete hält fest, Pirinçcis Rede sei „nicht nur vulgär und geschmacklos“, sondern „auch rassistisch und fremdenfeindlich“ gewesen. Es stimme, er habe für Lichtschlags Zeitschrift eigentümlich frei geschrieben – „bislang“. Und das heißt: von jetzt an nicht mehr.
Eigentum und Freiheit
Eine eigentümliche Mischung ist es gewesen, das Grüppchen, das sich Anfang 1998 im Rheinland zusammentat, um die neue Zeitschrift „eigentümlich frei“ (ef) aus der Taufe zu heben. Führender Kopf war von Anfang an der damals knapp 30-jährige André F. Lichtschlag aus Grevenbroich, der ein Jahr später sein Politikstudium an der Universität Bonn mit einer Magisterarbeit über den US-amerikanischen Libertarismus abschloss. Der Libertarismus, die radikalliberale Weltanschauung mit ihren lediglich zwei Prinzipien, „Eigentum“ und „Freiheit“, hatte es ihm angetan – „Eigentum“ im Sinne des grundlegenden Rechts auf individuellen anstelle kollektiven Besitzes, „Freiheit“ im Sinne der Abwesenheit staatlichen Zwangs. „Von der Wiege bis zur Bahre werden die Bürger gegängelt und bevormundet“, beschwerte sich Lichtschlag in der ersten Ausgabe seiner Zeitschrift, deren Name die erwähnten Grundprinzipien wiedergab. Schon als Kind werde man „zum Besuch von Schulen gezwungen“, die die Eltern „zwangsfinanzieren“ müssten; sei man ein Mann, dann müsse man mit Wehr- oder Zivildienst ein Jahr lang „alleine dem Staat dienen“; Frauen hätten sich vorschreiben zu lassen, wann sie „ein Kind auszutragen“ hätten; arbeite man, dann raube der Staat einem unter dem Vorwand, Steuern erheben zu dürfen, einen fetten Anteil an seinem hart erschufteten Eigentum.
Lichtschlag war entschlossen, sich zu wehren – und er meinte, man müsse dazu doch Milieus zusammenbringen können, die im wirklichen Leben nicht viel, gedanklich aber die Wertschätzung von Freiheit und Eigentum teilten. ef solle ein „Marktplatz für Liberalismus, Anarchismus und Kapitalismus“ sein, schrieb er im ersten Heft – wobei er explizit auch Milieus in den Blick nahm, die neoliberale Ansätze in der Wirtschaft mit reaktionären Gesellschaftsmodellen zu verbinden trachteten. Anzeigen für sein neues Blatt schaltete Lichtschlag entsprechend in der „Jungen Freiheit“ sowie in der taz, über die er staatskritische, freiheitsorientierte Linke zu gewinnen hoffte. Um Anarchisten einzubinden, hatte er für die Nummer eins Uwe Timm als Autor gewinnen können, den Herausgeber der Zeitschrift „espero“; ansonsten unterstützten ihn vor allem Mitglieder der rheinischen FDP, der Lichtschlag selbst noch bis 1999 angehörte, und Personen aus seinem unmittelbaren Umfeld. ef startete mit Beiträgen unter anderem von Erich Weede, Detmar Doering, Gerd Habermann und Roland Baader. Weede lehrte an der Universität Bonn Lichtschlags Nebenfach Soziologie; Doering leitete das Liberale Institut der FDP-nahen „Friedrich-Naumann-Stiftung“ in Königswinter; FDP-Mitglied Habermann, Chef des Unternehmerinstituts der „Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer“ (ASU), lehrte in Bonn Lichtschlags zweites Nebenfach VWL; Baader schließlich, ein Freund von Habermann, der noch bei Friedrich August von Hayek studiert hatte, dem Oberguru der Neoliberalen, publizierte in rechten Blättern wie „Criticón“.
„Nicht besonders konservativ“
Das Echo auf ef, das mit einer Auflage von gerade einmal 50 Heften startete, aber rasch wuchs, war ziemlich unterschiedlich. Im libertär-anarchistischen Spektrum ist das Blatt nicht wirklich angekommen. Schwierigkeiten hatte – und hat – es durchaus auch in der Rechten: Libertäre Ansätze funktionieren in den angelsächsischen Ländern mit ihrer alten liberalen Tradition, passen jedoch schlecht zum autoritären Preußentum der deutschen Reaktion. Die Missverständnisse und die Spannungen zwischen den Milieus kann man recht gut in der „Jungen Freiheit“ (JF) beobachten, die sich in den Jahren ab 2001 veranlasst sah, ab und an über Lichtschlags sich etablierende Zeitschrift zu berichten – nicht zuletzt, da mit Personen wie Roland Baader JF-Autoren auch für ef schrieben. „Besonders konservativ hören sich derartige Töne sicher nicht an“, hielt Werner Olles gequält fest, als er ef im April 2001 in einer JF-„Zeitschriftenkritik“ porträtierte und verständnislos feststellte, das Blatt fordere doch tatsächlich „weniger Staat“. Im Juli 2003 berichtete die JF verständnislos, Lichtschlag setze sich „für ein Bündnis radikallibertärer und nationalkonservativer Kräfte“ ein; er werbe für eine „Koalition von Anarcho-Dandys und Cyberpunks mit Männerbewegten und Familientreuen“. JF-Autorin Angelika Willig scheint das blanke Entsetzen gepackt zu haben; vier Wochen später jedenfalls beschimpfte sie wüst den neoliberalen Chefdenker Hayek („schwer lesbar“) und ef („halb erschreckende, halb kuriose Debatten“). Dessen Herausgeber antwortete im April 2005 der JF auf die Frage, was er denn verändern wolle: „Die Eigentumsverhältnisse. Weg von der Fiktion des Gemeineigentums mit den wohlstands- und moralvernichtenden Folgen von Freibier und öffentlichen Toiletten.“
Eine stabile Basis gefunden hat ef hingegen unter den Hayek-Fans klassisch neoliberaler Milieus. Nicht wenige von ihnen sind in der „Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft“ (vgl. LOTTA Nr. 61) organisiert, der auch Lichtschlag seit 2008 angehört. Vier der insgesamt sechs ef-Redaktionsbeiräte gehören der Gesellschaft oder der ihr angegliederten „Hayek-Stiftung“ an; drei arbeiten für die Gesellschaft oder die Stiftung sogar in Führungsgremien. Der Geschäftsführende Vorstand der Stiftung, Gerd Habermann, und einer ihrer stellvertretenden Vorsitzenden, der Düsseldorfer Anwalt Carlos A. Gebauer (FDP), sowie mehrere Mitglieder des Stiftungskuratoriums schreiben regelmäßig für ef. Und: Nicht wenige ef-Autoren und noch viel mehr ef-Leser haben einflussreiche Positionen inne, gehören zum gesellschaftlichen Establishment – als Universitätsprofessoren, als promovierte, habilitierte Ökonomen, als Unternehmer, als Vertreter von Mittelstandsverbänden, in Organisationen wie der „Friedrich-Naumann-Stiftung“ und bei Think Tanks wie „Open Europe Berlin“. ef bringt Beiträge von Roland Tichy, dem einstigen Chefredakteur der „WirtschaftsWoche“, und von dem prominenten Ökonomieprofessor Roland Vaubel, von Ex-BDI-Chef Hans-Olaf Henkel sowie von Michael Klonovsky, einem langjährigen „Focus“-Autor und -Redakteur.
Die AfD-Debatte
Henkel? Klonovsky? Der erste war einer der Exponenten der Lucke-AfD, der zweite betätigt sich seit Juni 2016 als publizistischer Berater von AfD-Ko-Chefin Frauke Petry. Selbstverständlich hat ef die AfD aufmerksam beobachtet; das Blatt wurde ja mit dem Ziel gegründet, unterschiedliche Milieus auf der Basis radikal- bzw. neoliberaler Ansätze zusammenzuführen. Nicht umsonst hat Lichtschlag sich schon in der ef-Doppelnummer von Juli/August 2003 für eine Partei stark gemacht, die „sowohl aus einer radikal freiheitlichen, libertären Richtung als auch aus einer konservativ-nationalen Richtung Zulauf erhalten“ könne. Zehn Jahre hat es dann zwar noch gedauert – doch ist mit der AfD Anfang 2013 eine Partei entstanden, die in der Tat Ähnlichkeiten mit Lichtschlags Konzept aufweist. Entsprechend hat ef die AfD von Anfang an mit – allerdings durchaus kritischem – Interesse begleitet. Wird die Partei „Erfolg haben?“, fragte ef im April 2013: „Ist es überhaupt eine echte oder nur eine Scheinalternative?“ Es wurde lebhaft diskutiert. „AfDler sind zum allergrößten Teil keine Libertären“, räumte ef-Redakteur Martin Moczarski im Juni 2016 nach dem jüngsten AfD-Bundesparteitag ein: Doch hätten sie „erkannt, dass die ‚etablierte Politik‘ keine Lösungen bietet. Darauf lässt sich zumindest aufbauen.“ Genau das tut ef.
Strategisch denkende Köpfe in der extremen Rechten haben ihrerseits die Chance entdeckt, die in dem Pakt mit den teils tief im deutschen Establishment verankerten Neoliberalen steckt. Götz Kubitschek hat Lichtschlag nach der Lektüre von dessen Plädoyer für ein libertär-nationalkonservatives Bündnis um einen Beitrag für seine Zeitschrift „Sezession „gebeten, der im Oktober 2003 erschien. Im November 2003 antwortete Kubitschek auf den Text mit einem Artikel für ef. „Orte der freien Rede sind selten geworden“, lobte er das Blatt, um nach einer Darstellung von Gemeinsamkeiten und Differenzen vieldeutig zu schließen: „Sezession vom Mainstream macht eigentümlich frei.“ Kubitschek selbst hat die Debatte nicht wirklich weitergeführt; das hat jedoch seine Ehefrau Ellen Kositza getan, und seit 2011 ist Martin Lichtmesz, einer der wichtigsten Autoren der „Sezession“, regelmäßig mit Beiträgen in ef vertreten. Im November 2014 berichtete Kositza anerkennend von der ersten ef-Konferenz auf Usedom; die Debatten der rund 100 Anwesenden unter Leitung von Gebauer hätten gezeigt, lobte sie, dass die „Fetzen geordnet fliegen können“. Mit der Konferenz zufrieden war übrigens auch JF-Redakteur Ronald Gläser. Überhaupt, die JF hat sich schließlich doch noch mit ef abfinden können: Im Dezember 2009 verlieh sie gemeinsam mit der „Förderstiftung Konservative Kultur und Bildung“ Lichtschlag den für rechte Autoren ausgelobten „Gerhard-Löwenthal-Preis“.
Bei Nazis nachgefragt
In solchen Kreisen hat Lichtschlags Ankündigung, Pirinçcis „Große Verschwulung“ auch weiterhin vertreiben zu wollen, sicherlich Pluspunkte gebracht. Der ef-Chefredakteur hat immer wieder einmal solche Duftmarken gesetzt. Im Mai 2001 etwa interviewte er einen gewissen Peter Töpfer. Der sei „ein Nazi!“, schrieb ef: „Er demonstriert zusammen mit der NPD und sein Freund ist der bekannteste Neonazi der BRD, Christian Worch. Aber Peter Töpfer versteht sich auch als Anarchist. Da fragen wir doch gerne mal nach!“ Im November 2004 folgte ein Interview mit dem damaligen NPD-Vorsitzenden Udo Voigt. Die NPD habe sich „stark gewandelt, verjüngt und intellektualisiert“, teilte ef mit: Da müsse man wohl ebenfalls einmal nachhaken. Auf NPD-Linie ist ef allerdings nun wirklich nicht. Aus gutem Grund: Wie Kaspar Rosenbaum mit sicherem Spürsinn herausfand, als er Voigt für ef interviewte, ist der Mann so ziemlich das Schlimmste, was man in den Augen eines Libertären sein kann: ein „Sozialist“.