"Neue" Rechte?
Von "nationalrevolutionären" Debattenzirkeln zum "rechtsintellektuellen" Netzwerk
Über die „Neue Rechte“ wird viel berichtet zur Zeit, häufig im Zusammenhang mit den Erfolgen der AfD, PEGIDA-Demonstrationen oder den medienwirksamen Aktionen der „Identitären Bewegung“. Im Zentrum stehen dabei immer wieder die gleichen Protagonist_innen rund um das „Institut für Staatspolitik“ in Schnellroda in Sachsen-Anhalt, dennoch bleibt oft unscharf, wer oder was mit dem Begriff der „Neuen Rechten“ eigentlich bezeichnet werden soll.
Der Begriff einer „Neuen Rechten“ oder auch „Jungen Rechten“ tauchte erstmals Mitte der 1960er Jahre als Selbstbezeichnung einer Reihe junger rechter Aktivisten auf. Sie gehörten einer Generation an, die nicht mehr direkt durch den Nationalsozialismus geprägt worden war. Was diese „Junge Rechte“ auszeichnete, war allerdings keineswegs ein grundsätzlich weltanschaulicher Bruch mit der „alten“ Rechten, für die damals vor allem die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) stand. Vielmehr sah sie die Notwendigkeit, die Strategien und theoretischen Grundlagen der extremen Rechten zu erneuern. Die NPD war zum einen ideologisch und personell noch sehr im NS verhaftet und erschien zum anderen der jungen Generation in ihrem ganzen Auftreten viel zu behäbig und unflexibel, um auf die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen der 60er Jahre zu reagieren oder sie sich gar zu Nutze machen zu können. Vor dem Hintergrund des Aufbruchs der 68er sah sich die Rechte zunehmend im Hintertreffen. Diese Einschätzung wurde noch bekräftigt, als die NPD bei der Bundestagswahl 1969 knapp an der Fünfprozenthürde scheiterte.
Die „Neue Rechte“ suchte nach neuen Theoriefundamenten, um ihr Gedankengut „von Hitler zu befreien“ und die extreme Rechte wieder politikfähig zu machen. Diese Suchbewegungen fanden vor allem in Debattenzirkeln und Zeitschriftenprojekten statt, etwa im bereits 1964 erstmals von Lothar Penz in Hamburg herausgegebenen Jungen Forum oder in Zeitschriften wie fragmente (ab 1963) oder Neue Zeit (ab 1972). Die „Junge Rechte“ machte sich daran, verloren gegangene rechte Theoriestränge freizulegen, die weniger direkt durch den Nationalsozialismus diskreditiert waren. Für etwa anderthalb Jahrzehnte dienten ihr dabei vor allem nationalrevolutionäre Ideen als Referenzpunkte.
Auch über ihre Debattenzirkel hinaus begann sich die „Neue Rechte“ abseits der Strukturen der „alten“ Rechten zu organisieren. Unter dem Eindruck der linken Studentenbewegung gründeten sich Ende der 60er Jahre rund 20 lokal agierende „Basisgruppen“, unter anderem auch im Ruhrgebiet in Bochum. Viele dieser Gruppen beteiligten sich an den militanten Aktionen der von der NPD initiierten Aktion Widerstand, mit der die nach ihrer Wahlniederlage an Bindungskraft verlierende Partei versuchte, junge, stärker aktionsorientierte rechte Aktivist_innen zu integrieren. Letztlich gelang dies nicht, die NPD zog sich zurück und viele der beteiligten „neu“- sowie „altrechten“ Gruppen fanden sich 1972 in der Aktion Neue Rechte (ANR) zusammen. Die nationalrevolutionären „neurechten“ Akteure versuchten hier selbstredend, ihren Einfluss geltend zu machen. Sie gerieten jedoch letztlich mit den „altrechten“ Kräften um den Vorsitzenden Siegfried Pöhlmann, ehemals Landesvorsitzender der bayrischen NPD, aneinander und es kam schon bald zu Abspaltungen und einer Ausdifferenzierung auch innerhalb der nationalrevolutionären „Neuen Rechten“.
Neuer nationalrevolutionärer Nationalismus
In einer von Umbrüchen und politischen Veränderungen geprägten Gesellschaft stellte sich die „Junge Rechte“ die Frage, ob „die Grundlagen unseres Handelns noch den Erfordernissen der heutigen Zeit entsprechen“. Anders als die „Leute mit dem ‚schwarz-weiß-roten Brett vorm Kopf‘, die das Rad der Geschichte zurückdrehen wollen“, wollte man als „volksbewußte Europäer“ „der Zukunft dienen und nicht der Vergangenheit“, hieß es im Editorial des Jungen Forums 1965. „Rechts“ müsse in Zukunft heißen „nicht reaktionär, sondern fortschrittlich, nicht bürgerlich, sondern sozialrevolutionär“ und „nicht staatsnationalistisch, sondern im Sinne eines modernen europäischen Nationalismus“, schrieb Gert Waldmann 1969 in Nation Europa. Darüber hinaus gelte es „die linke Unruhe nach rechts umzufunktionieren“, denn in der gesellschaftlichen Umbruchsituation und der Aufbruchstimmung der Linken meinte die „Neue Rechte“ eine günstige Gelegenheit zu erkennen, um ihre nationalrevolutionären Ideen erfolgreich ins Spiel zu bringen.
Ein zentrales Anliegen bestand dabei darin, einen zukunftsfähigen Nationalismus zu entwerfen. Nicht reaktionär und der Reichsidee verhaftet wollte man sein, sondern einen „modernen Nationalismus europäischer Prägung“ schaffen. Dessen Herleitung ist eng verknüpft mit dem von Henning Eichberg formulierten Konzept des Ethnopluralismus. Der Fokus der Argumentation der „Neuen Rechten“ liegt demnach nicht mehr auf der pauschalen Abwertung des „Anderen“ und auf der Überhöhung der eigenen (Staats-)Nation, sondern auf einem sauber voneinander getrennten Nebeneinander von in sich homogenen, aber gleichwertigen „Völkern“ und „Kulturen“. Heterogene Gesellschaften hingegen seien immer defizitär. So kann für rassistische Weltordnungsvorstellungen und Gesellschaftsentwürfe plädiert werden, ohne sich dabei allzu offensichtlich auf NS-belastete, diskreditierte Begrifflichkeiten und Logiken stützen zu müssen.
Eine völkische Neuordnung Europas entlang dieser „Ethnokulturen“ finde Eichberg zufolge ihren Ausdruck in einem „antiimperialistischen Befreiungsnationalismus“. Die „Völker Europas“ sollten sich gegen die „raumfremden Supermächte“ USA und UdSSR zur Wehr setzen, die durch ihre universalistischen Ideologien gleichermaßen die kulturelle Identität der europäischen Völker zu zerstören drohten und so Europa um seine Vormachtstellung brächten. Im Gegenzug zur „alten“ Rechten verschob sich also die Feindbildbestimmung. Zum „Hauptfeind“ der „Neuen Rechten“ avanciert, ganz im Sinne der jungkonservativen Strömung der „Konservativen Revolution“, der Liberalismus, wobei der Marxismus als eine seiner Spielarten mitinbegriffen ist.
Konservativ-revolutionär?
Im Verlauf der 70er Jahre überschritt die nationalrevolutionäre „Neue Rechte“ ihren Zenit und trat zusehends in den Hintergrund. Seit Mitte der 80er Jahre steht bei der „Neuen Rechten“ weniger die Bezugnahme auf die nationalrevolutionäre, sondern vielmehr auf die jungkonservative, eher an einem starken Staat und am Christentum orientierte Strömung der „Konservativen Revolution“ im Fokus.
Als „spiritus rector“ einer konservativ-revolutionären „Neuen Rechten“ gilt Armin Mohler. Denn er hatte mit seiner Dissertation 1949 Begriff und Idee einer „Konservativen Revolution“ geprägt und antidemokratische, antiliberale und antiegalitäre Strömungen der Weimarer Zeit vom Nationalsozialismus entkoppelt und so als theoretische Bezugspunkte für die Nachkriegsrechte nutzbar gemacht.
Mohler zufolge sollte der „Demutskonservatismus“ der Nachkriegszeit überwunden und Attribute wie „rechts“ oder „national“ wieder selbstbewusst gebraucht werden können. Hierfür spielte unter anderem die ab 1970 von Caspar Schrenck-Notzing herausgegebene Zeitschrift Criticón eine wichtige Rolle. Dem Selbstverständnis nach eine konservative Zeitschrift bot sie auch Autoren der „Neuen Rechten“ eine Plattform. Nicht zuletzt dank des Einflusses Mohlers konnte auch der intellektuelle Kopf der französischen „Nouvelle Droite“, Alain de Benoist, seine Ideen vor einem deutschen Publikum kundtun.
„Nouvelle Droite“
Die Ideen der französischen „Nouvelle Droite“ flossen durchaus in die theoretischen und strategischen Konzeptionen der deutschen „Neuen Rechten“ ein. Vor allem geschah dies über einzelne zentrale Personen wie Eichberg oder Mohler, die die Entwicklungen in der französischen Rechten verfolgten. Von der deutschen „Neuen Rechten“ als einem Ableger der französischen „Nouvelle Droite“ zu sprechen, greift indes zu kurz. Denn eine wirklich breite Rezeption ihrer Ideen blieb bis in die 80er Jahre aus. Darüber hinaus handelt es sich im Gegensatz zur deutschen „Neuen Rechten“ bei der „Nouvelle Droite“ in der französischen Debatte um eine sehr spezifische Strömung der antiegalitären und antidemokratischen Rechten, die eng verknüpft ist mit dem 1969 gegründeten G.R.E.C.E. (Groupement de recherches et d’études pour la civilisation Européenne). Als direkter Ableger des G.R.E.C.E. versteht sich indes lediglich das 1980 in Kassel von Pierre Krebs gegründete Thule-Seminar (S.??). Als für Deutschland wirkmächtigste Schrift aus den Reihen der „Nouvelle Droite“ kann sicherlich „Kulturkampf von rechts“ gelten, welche 1985 im in Krefeld ansässigen Sinus Verlag erschien. In dieser plädierte de Benoist anschließend an seine selektive Adaption der Ideen des italienischen Marxisten Antonio Gramsci für ein Wirken im „vorpolitischen Raum“. Unter dem Stichwort der „Metapolitik“ nimmt diese strategische Ausrichtung bis heute einen zentralen Stellenwert für „neurechte“ bzw. rechtsintellektuelle Netzwerke in der Bundesrepublik ein. „Uns geht es um geistigen Einfluss“, formulierte Karlheinz Weißmann Anfang der 2000er Jahre die strategische Ausrichtung des Instituts für Staatspolitik (IfS), „um Einfluss auf die Köpfe, und wenn diese Köpfe auf den Schultern von Macht- und Mandatsträgern sitzen, umso besser“.
Rechtsintellektuelle Netzwerke
Wenn derzeit über die „Neuen Rechte“ berichtet wird, so stehen in aller Regel Protagonist_innen rund um das IfS im Mittelpunkt, allen voran Götz Kubitschek und die mit ihm verheiratete rechte Publizistin Ellen Kositza, die früher für die Junge Freiheit (JF) schrieb und heute Redakteurin der Sezession ist. Das IfS besteht seit dem Jahr 2000, gegründet haben es Kubitschek und Karlheinz Weißmann. Beide kannten sich von der JF und waren – ebenso wie deren Herausgeber Dieter Stein – in der Deutschen Gildenschaft. Das neurechte „Mutterschiff“ Junge Freiheit wird bereits seit 1986 herausgegeben und navigiert seither auf dem schmalen Grat zwischen klassisch neurechten Positionen und gerade noch als seriös wahrgenommenem Nationalkonservatismus. Die JF reklamiert für sich die Bezeichnung „konservativ“ und sucht durchaus Anschluss an breitere Wirkungskreise. Ergänzend zum IfS entstand damals der Verlag Edition Antaios sowie 2003 die hauseigene Zeitschrift Sezession, beide bis heute betrieben beziehungsweise herausgegeben von Kubitschek. Zusammen mit der JF und der seit 2004 von Felix Menzel als Schüler_innenzeitung herausgegebenen Blauen Narzisse entstand im Laufe der 2000er ein aufeinander abgestimmt agierendes rechtsintellektuelles Netzwerk, das vor allem publizistisch in Erscheinung trat – und sich, mit Ausnahme der JF, vor allem mit sich selbst beschäftigte. Seit dem Herbst 2014 hat sich dies verändert. Das mittlerweile unter dem Einfluss von Götz Kubischek stehende IfS wittert vor dem Eindruck von PEGIDA-Demonstrationen und dem Kurs, den die AfD seit Mitte 2015 eingeschlagen hat, Morgenluft. Man wähnt sich an zentraler Stelle im Angesicht gesellschaftlicher Umwälzungen.
Gleichzeitig haben sich, nicht zuletzt entlang der Entwicklung der AfD, seit Jahren vor sich hin gärende kontrovers geführte Strategiedebatten im „neurechten“ Lager zugespitzt. Die JF hatte stets eher realpolitische Optionen mit im Blick und verschrieb sich weniger dem existenzialistischen weltanschaulichen Kulturkampf, den Götz Kubitschek bei jeder Gelegenheit hochhält. So begrüßte die JF von Anfang an das Auftauchen der damals noch von Bernd Lucke angeführten AfD und unterstützte die Partei. In ihr meinte sie die realistische Möglichkeit einer längerfristigen Veränderung des Parteiensystems in der Bundesrepublik zu erkennen. Kubitschek kann mit solch realpolitischen Sichtweisen wenig anfangen. In einer zu großen Anpassungsbereitschaft der Partei zum Zwecke des politischen Erfolgs sah er die Gefahr einer „eingehegten“ Rechten. Zum Streit kam es über die Frage des Umgangs mit der AfD Mitte 2014 auch mit Karlheinz Weißmann, der die Position der JF teilte und sich schließlich aus dem IfS zurückzog, nachdem er jahrelang dessen führender Kopf gewesen war.
Mit der Entwicklung der AfD seit dem Ausscheiden des Lucke-Flügels hat sich nochmals einiges verschoben. Björn Höcke, der Kubitschek und dem IfS nahe steht, trägt mit seinen pathetischen Reden und über die parteiinterne Plattform „Der Flügel“ kulturkämpferische „neurechte“ Impulse in die Partei hinein. Weißmann sieht durch Höckes Kurs und „Einflüsterer wie Kubitschek“ die Chancen der AfD zu Grunde gehen und sie als „Lega Ost“ enden.
Der „Einflüsterer“ selbst hingegen sieht sich und das IfS derzeit strategisch gut platziert. Er flankiert mit seinem jüngsten Projekt „Ein Prozent“ im Schulterschluss mit Compact-Herausgeber Jürgen Elsässer die Wahlkämpfe der AfD und unterstützt rassistische Proteste gegen Flüchtlingsunterkünfte sowie Aktionen der Identitären Bewegung. Auch letztere findet derzeit häufig in einem Atemzug mit Kubitschek, Kositza und dem IfS Erwähnung. Als spannende Option galt die für jugendlich inspirierten Aufruhr sorgende IB der Sezession und auch der Blauen Narzisse von Anfang an. Noch vor wenigen Jahren hatte Götz Kubitschek selbst mit der Konservativ-subversiven Aktion für Wirbel zu sorgen versucht. Er verließ damit das übliche publizistische Wirkungsfeld des rechtsintellektuellen Netzwerks und versuchte sich an der Provokation als Politikform. „Hüten wir uns aber, die Wirkung des geschriebenen Worts […] zu überschätzen“, schrieb er 2007, denn : „Was wäre all dieses Wissen gegen die eine Tat, die das, was man bloß wußte, verdichtet und übersetzt und mit einer Überzeugungskraft auflädt, die die Lektüre einer halben Bibliothek überflüssig macht!“ Sehr erfolgreich war er nicht. Die Aktionen wurden über den eigenen Wirkungskreis hinaus kaum wahrgenommen und schon nach wenigen Aktionen war im November 2009 Schluss mit dem Aktionismus. Derzeit versucht sich die IB an dieser „Propaganda der Tat“.
Kamerateams auf dem Rittergut
Über die sogenannte „Neue Rechte“ wird viel berichtet dieser Tage. Kubitschek und Kositza dürfen sich am Esstisch auf dem Rittergut in Schnellroda, wo sie wohnen und auch IfS und Verlag beheimatet sind, bei Bier und Wurstbrot fotografieren lassen und ihre Gesichter in allerlei Fernsehkameras halten. Sie können vor breitem Publikum „den Kampf um die deutsche Identität“ und eine „Asyleinwanderungsobergrenze von minus 500.000“ fordern, ohne beantworten zu müssen, welche Konsequenzen die Umsetzung einer solchen Forderung eigentlich nach sich ziehen würde. Ellen Kositza findet es „faszinierend, wie die Zeit gerade kippt und wie die Dinge in Bewegung geraten“. Es komme ihr „ein bisschen so vor, als ob man lange gesät, lange umgegraben hätte und jetzt werden die Sachen fruchtbar.“ Dass hier jedoch eine von langer Hand vorbereitete Strategie aufgeht, ist unwahrscheinlich. Das IfS und seine Protagonist_innen sind lediglich zur richtigen Zeit am richtigen Ort, nutzen dabei aber jede Gelegenheit, um sich zur rechten Avantgarde zu stilisieren.
Mit Blick auf die aktuelle Konjunktur, die die „Neue Rechte“ gerade zu haben scheint, zeigt sich letztlich: Wirklich neu ist an der „Neuen Rechten“ wenig. Neu für die rechtsintellektuellen Netzwerke sind die Umstände, Spielräume und politischen Handlungsfelder, die sich derzeit in einer nach rechts rückenden Gesellschaft für sie ergeben.