Was ist eigentlich aus dem "Thule-Seminar" geworden?
Eine Bestandsaufnahme
Das „Thule-Seminar“ galt lange vor dem Aufschwung von Kubitschek, Elsässer und Co. als Kernorganisation der „Neuen Rechten“ in Deutschland. Seit geraumer Zeit ist es sehr ruhig geworden um den Verein aus Kassel und seinen Vorsitzenden Pierre Krebs. Zeit, mal wieder genauer hinzusehen.
Das Thule-Seminar wurde 1980 in Kassel von Pierre Krebs als deutscher Ableger des französischen Thinktanks der „Nouvelle Doite“, dem G.R.E.C.E. (Groupement de recherche et d'études pour la civilisation européenne), gegründet.
Krebs, langjähriger Wegbegleiter von Alain de Benoist, dem intellektuellen Kopf der französischen „Nouvelle Droite“, sowie des Rechtsterroristen Dominique Venner, studierte und promovierte zunächst in Frankreich, wo er auch seine politische Karriere begann. Anschließend studierte er in Göttingen und Kassel, wo er seither tätig ist.
Zu den Gründungsmitgliedern des Thule-Seminars gehörten u.a. das Verlegerehepaar Marieluise und Wigbert Grabert. Im Grabert-Verlag bzw. in seinem Tochterunternehmen, dem Hohenrain-Verlag, erschienen Anfang der 80er Jahre in kurzem Abstand die Schriften de Benoists in deutscher Übersetzung sowie der von Krebs herausgegebene Sammelband „Das unvergängliche Erbe. Alternativen zum Prinzip der Gleichheit“, der unter andern Armin Mohler, Alain de Benoist, Guillaume Faye und Jürgen Rieger unter dem Pseudonym Jörg Rieck als Autoren versammelt.
Progammatisch war das Thule-Seminar eher an seinem französischen Vorbild als an den Debatten der deutschen „Neuen Rechten“ orientiert. Im Zentrum standen die Verbindung eines antichristlichen, paganen Weltbildes mit extrem rassistischen Elementen mit neuen Impulsen wie der oberflächlich gehaltenen Rezeption der Theorie der kulturellen Hegemonie des italienischen Kommunisten Antonio Gramsci. Krebs bezeichnet die Programmatik als „Neue Kultur“, in der er versucht, eine vermeintlich gemeinsame europäische Denktradition zu bestimmen, die germanischen sowie griechischen und römischen Traditionen entstammen soll.
Dem Verein angegliedert sind der Verlag Ahnenrad der Moderne sowie der Ariadne-Bücherdienst, ansässig im nordhessischen Bad Wildungen.
Hoher Anspruch – tiefer Fall
1980 stellte sich das Thule-Seminar in der Zeitschrift Nation Europa mit großen Zielen vor: „Das Thule-Seminar will eine Art Katalysator zur Ausrichtung geistig verwandter Menschen auf ein gemeinsames Ziel sein: die Schaffung der geistig kulturellen Grundlagen eines neuen Vaterlands der Völker Europas.“ Zunächst diente die von Grabert herausgegebene Zeitschrift Deutschland in Geschichte und Gegenwart als Mitteilungsorgan des Thule-Semimars. Doch es schien, als käme der hochtrabend philosophische Ton beim deutschen Publikum nicht gut an, bereits 1983 stieg Grabert aufgrund des ausbleibenden Erfolges aus.
Ab 1986 brachte das Thule-Seminar seine eigene Zeitschrift Elemente heraus. Die Publikation, die eng am französischen Vorbild Eléments angelehnt war, bot deutschen und französischen AutorInnen ein Forum. Auch hier wurde erneut ein hoher Anspruch formuliert: „Elemente ist die Zeitschrift der europäischen Intelligenz – die wagt!“ - und auch hier stellten sich schnell Probleme ein. Erschienen die ersten beiden Ausgaben noch in kurzem Abstand, wurden die Zeiträume immer größer, sodass sich Burkhardt Weecke und Pierre Krebs als Herausgeber 1994 verpflichtet sahen, eine Stellungnahme in Nation Europa zu veröffentlichen, um Gerüchten in der Szene etwas entgegenzusetzen. Es sollte noch weitere vier Jahre dauern, bis die sechste Ausgabe der Elemente erschien. Der blick nach rechts kommentierte die siebenjährige Pause 1998 mit der Frage: „Zweite Luft oder letzter Atemzug?“ Es erschien noch eine siebte Ausgabe, danach wurde es wieder ruhig um den selbsternannten Elitezirkel aus Nordhessen.
Neuer Anlauf – Scheitern und Fokussierung nach innen
Anfang der 2000er Jahre legte Krebs noch einmal nach. Er startete ein neues Publikationsprojekt, die Zeitschrift Metapo, die jedoch nach einem Jahr und nur vier Ausgaben wieder eingestellt wurde. Nach dem erneuten Misserfolg änderte sich die Strategie des Thule-Seminars. Es wurde versucht, statt einer breiten Außenwirkung eine Festigung nach innen zu vollziehen. Die Publikationen beschränken sich seit 2001 auf einen Kalender mit dem Titel „Mars Ultor“, der neben wichtigen Daten und Personen aus der „Nouvelle Droite“ „germanische“ Feiertage vorgestellt. Er ist in jedem Jahr einem Oberthema gewidmet, den „Germanen“, „Spartanern“ oder „Völkischen Heldinnen, Rebellinnen, Rechtlerinnen“, wo Frauen aus der extremen Rechten wie die Elemente-Autorin Sigrid Hunke oder die NS-Aktivistin Pia Sophie Rogge-Börner vorgestellt wurden. Die aktuelle Ausgabe 2016 wurde von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert.
Seit 2001 finden auch die vorher nur sporadisch organisierten „Tafelrunden der freien Geister“, eine Art Klausurtagung des Thule-Seminars, jährlich auf Schloss Garvensburg in Züschen bei Fritzlar statt. Auf eine dem Titel entsprechende aufgeblasene Atmosphäre wird dabei wert gelegt. Die Versammlungen werden unter „geistiger Schirmherrschaft“ in Gedenken an eine dem Thule-Seminar verbundene Person ausgerichtet, die bei der Versammlung gewürdigt wird. Beispiele hierfür sind Sigrid Hunke, Arthur Moeller van der Bruck oder Jürgen Rieger.
Das Thule-Seminar arbeitet seit Anfang der 2000er Jahre von der Öffentlichkeit eher unbemerkt. Kurz stand der Verein im Rampenlicht, als 2008 aufgedeckt wurde, dass Yvonne Olivier von der CDU in Meißen früher führendes Mitglied des Thule-Seminars war. Doch der Skandal blieb aus, Olivier ist auch heute noch aktiv.
In jüngster Vergangenheit konzentriert Krebs sein Engagement auf Auftritte bei verschiedenen rechten Veranstaltungen sowie auf wirre Kommentare zum Zeitgeschehen auf der Homepage des Vereins. Flyer im gleichen Ton wurden kürzlich an der Uni Kassel verteilt. Neben Auftritten z.B. beim Eichsfeldtag von Thorsten Heise kündigte das Thule-Seminar 2013 an, eng mit der Europäischen Aktion zusammenarbeiten zu wollen. Hier ist Krebs in guter Gesellschaft: die engagierte Holocaustleugnerin Michèle Renouf ist Stützpunktleiterin der englischen Sektion, sie kaufte das ebenfalls in Nordhessen gelegene Haus des Rechtsterroristen Manfred Roeder nach dessen Tod.
Das Thule-Seminar war in den 1980er Jahren mit dem Ziel gestartet, die Idee der „Neuen Rechten“, die jeden Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus leugnete, zu verbreiten. Diese Distanzierung war ein taktischer Zug, die Mitgliedschaft von Krebs in der neonazistischen-neoheidnischen Artgemeinschaft – germanische Glaubensgemeinschaft belegte schon damals eine Verankerung im Neonazismus. Heute tritt Krebs mangels Erfolgs fast ausschließlich in der neonazistischen Szene auf, die aktuell seinen Resonanzraum darstellt.