„Gender-Wahn“
Geschlechter-, familien- und sexualpolitische Forderungen der AfD
„Gender-Wahn“, „Homo-Lobby“, „Frühsexualisierung“… Die AfD sieht sich massiv bedroht durch geschlechter-, familien- und sexualpolitische Fortschritte der letzten Jahrzehnte. Ihre Antworten: Förderungen abschaffen, Aufklärung ist Elternsache, Rückbesinnung auf die traditionelle Familie und die „natürlichen“ Geschlechterrollen.
„Die Gender-Ideologie und die damit verbundene Frühsexualisierung, staatliche Ausgaben für pseudowissenschaftliche ‘Gender-Studies’, Quotenregelungen und eine Verunstaltung der deutschen Sprache sind zu stoppen. Gleichberechtigung muss wieder Chancengleichheit bedeuten“, heißt es im Grundsatzprogramm der AfD. Diese „Chancengleichheit“ bedeutet nichts anderes als die Fortschreibung männlicher und heterosexueller Privilegien, da eben die Instrumente, die zu mehr echter Chancengleichheit gedacht sind, abgeschafft werden sollen.
Der Begriff „Familie“wird gerne und häufig von der AfD verwendet und stark ideologisch aufgeladen. In der Präambel des Grundsatzprogramms heißt es, man wolle „die Würde des Menschen, die Familie mit Kindern, unsere abendländische christliche Kultur, unsere Sprache und Tradition in einem friedlichen, demokratischen und souveränen Nationalstaat des deutschen Volkes dauerhaft erhalten“. Dass hier nur ganz bestimmte Familien gemeint sind, liegt auf der Hand: Es geht um Familien, die aus zusammenlebenden, verheirateten, heterosexuellen Paaren, also Mutter und Vater, und deren Kindern bestehen. Die Berufung auf Christentum und „Abendland“verweist auf weitere Einschränkungen.
Die Wahlprogramm-Thesen der AfD NRW
Die AfD NRW widmet in ihrem Wahlprogramm dem Themenkomplex Gender mehrere Punkte. Unter dem Titel „Bildung, Forschung & Kultur“trägt, heißt es: „Die AfD steht für eine altersgemäße Sexualerziehung ohne (Gender-)Ideologie.“Behauptet wird, „unter dem Vorwand der Antidiskriminierung und der Toleranz“werde mit „Gender-Mainstreaming“versucht, „dem Bürger sein Privatleben und seine Vorlieben vorzuschreiben“. Aufklärung sollte ausschließlich in der Familie stattfinden und zwar „gemäß den weltanschaulichen Überzeugungen“der Eltern. Unter „Familie, Demographie & Gleichberechtigung“ werden „Wahlfreiheit bei der Betreuung von Kleinkindern“und „Erziehungsgehalt“gefordert. Die Wahlfreiheit sei aktuell nicht gegeben, da „Fremdbetreuung einseitig gefördert“ werde, was mit einer Entwertung „klassischer Familienkonstellationen“einher gehe.
Nicht fehlen darf auch der „Schutz der Familie als Fundament unserer Gesellschaft“. „Dem bewährten Familienmodell“drohe „die Zerstörung durch die aktuelle ideologisierte Politik“. Im nächsten Punkt zeigt sich die AfD jedoch großzügig. „Wir respektieren eingetragene Lebenspartnerschaften“, verkündet sie, stellt aber klar, dass diese keinesfalls mit der Ehe gleichgestellt werden dürften. Obwohl ja eigentlich gegen die Förderung einzelner Gruppen argumentiert wird, macht die AfD beim Thema „Entwicklungschancen von Jungen und Männern“eine Ausnahme. Diese sollen gefördert werden, da sie durch „den ideologischen Genderismus“ besonders benachteiligt würden.
Auch in den Verlautbarungen einzelner AfD-Politiker_innen taucht das Thema Gender immer wieder auf. Björn Höcke möchte lieber von einem „Verblödungsplan“ als von einem Bildungsplan sprechen, wenn es um sexuelle Aufklärung und Akzeptanz geht. Gender Mainstreaming hält er für eine Geisteskrankheit. Steffen Königer machte sich im Brandenburger Landtag über Menschen lustig, die sich nicht in das starre Mann-Frau-Schema pressen lassen wollen, indem er zur Begrüßung alle auffindbaren nicht-binären Gender-Bezeichnungen aneinander reihte, um dann mit einem kurzen „nein“ den vorangegangenen Antrag abzulehnen.
Homosexuelle für Deutschland?
Immer wieder geht es aber auch offen gegen Homosexuelle. So findet Bundessprecherin Frauke Petry, im deutschen Fernsehen tauchten zu viele Schwule auf. Der Thüringer Landtagsabgeordnete Thomas Rudy kommentierte den Kölner Christopher Street Day wie folgt: „Was ist nur aus Deutschland geworden? Selbstachtung, Kultur und Stolz wurden gegen Dekadenz, Perversion und Selbsthass ausgetauscht.“ Hans-Thomas Tillschneider bezeichnete in einer Landtagsdebatte in Sachsen-Anhalt Homosexualität als „Fehler der Natur“.
Aber homophob sei die Partei nicht, was ihr immer wieder aus der Arbeitsgemeinschaft Homosexuelle in der AfD bestätigt wird. In ihren im Oktober 2016 verabschiedeten Leitlinien erklärt diese, „alle gegen Homosexuelle gerichteten Bedrohungen“ bekämpfen zu wollen, versichert aber vorsichtshalber: „Schwulen und Lesben liegt Deutschland genau so sehr am Herzen, wie jedem anderen liebenden Menschen mit einem Bezug zu Familie, Heimat und Nation.“ Man erteile „jedem Vereinnahmungsversuch der Homo-, Bi-, Inter- und Transsexuellen durch den linken Zeitgeist“ eine klare Absage. Protagonist_innen dieser Gruppierung verdammen ebenso wie die restliche AfD immer wieder Antidiskriminierungsmaßnahmen, LSBTIQ-Interessensvertretungen und Sexualpädagogik, für homosexuellenfeindliche Aussagen anderer AfDler_innen gibt es sogar Applaus. Lesben- und Schwulenfeindlichkeit wird hauptsächlich im Kontext von Migration zum Thema gemacht und damit rassistisch genutzt. Der Begriff Homophobie und „andere Entgleisungen sogenannter politischer Korrektheit“ werden abgelehnt, man experimentiert lieber mit neuen Wortschöpfungen wie „Personen mit abweichendem Sexualverhalten“.
„Gender-Wahn“?
Mit der Smartphone-App „Safe my place“brachte sich die AfD Ende 2016 in die Schlagzeilen. Die sexuellen Übergriffe an Silvester 2015/2016 wären mit dieser App nicht möglich gewesen, wird behauptet. Die AfD also doch als Kämpferin für Frauenrechte? Dies aber nur, wenn es um sexualisierte Gewalt durch Migranten geht. Das zeigen auch die Facebook-Posts der letzten Silvesternacht. Dass ein „Migrantenchor“in der Silvesternacht am Dom auftreten sollte, wurde auf der Facebook-Seite der AfD NRW beispielsweise als „pietätslos“bezeichnet. Die JA NRW postete ein Bild
einer Frau mit einer Waffe, darunter die Aussage „Deutschland freut sich auf Silvester“.
Bereits in der LOTTA-Ausgabe 57 legte Paula Stern dar, dass Antifeminismus zum dritten Markenzeichen der AfD geworden sei. Auch in den vergangenen Wahlkämpfen spielten antifeministische und geschlechter-, familien- und sexualpolitisch rückwärtsgewandte Forderungen und Äußerungen eine wichtige Rolle. Ähnlich wie mit kalkulierten Provokationen zum Thema Migration gelingt es hiermit, in die mediale Berichterstattung zu kommen. Insgeheim (oder auch offen) dürften viele Aussagen auch jenseits des Kreises überzeugter AfDler_innen auf Zustimmung stoßen . „Gender Mainstreaming“ und ähnlichen Konzepten wird seitens der AfD eine große Macht zugeschrieben, die bis zur völligen Zersetzung der Gesellschaft reichen soll. In Anbetracht dessen stellt sich die Frage, wer da eigentlich im „Gender-Wahn“ ist.