Solange der Kitt hält
Landtagsarbeit der AfD am Beispiel Rheinland-Pfalz
„Die AfD ist die einzige konservative Alternative“, verkündete Uwe Junge beim Wahlkampfauftakt zur Landtagswahl am 5. Januar 2016 in Mainz. Anschließend bezichtigte er die Bundesregierung, „Verrat am deutschen Volk“ begangen zu haben. Damit bediente der Landesvorsitzende sowohl die Rechtskonservativen wie auch die völkisch-nationalistischen Dogmatiker in der rheinland-pfälzischen AfD. Der Spagat zwischen den Flügeln spiegelt sich auch in der Landtagsarbeit wider.
Am 13. März 2016 erzielte die AfD bei den Landtagswahlen Rheinland-Pfalz (RLP) 12,6 Prozent und errang 14 Mandate. Die Fraktion versuchte sich seit der ersten Sitzung am 18. Mai, als die „wahre Opposition“ und den sympathischen Underdog zu präsentieren — von der CDU nicht gewollt und von der regierenden Ampelkoalition offen angegriffen. Im Verlauf der Legislaturperiode wurde sie jedoch deutlich selbstbewusster. Waren es zu Beginn fast ausschließlich kleine Anfragen (bis Dezember insgesamt 199), kamen ab Oktober deutlich mehr Anträge (insgesamt 47) und damit offensivere Forderungen hinzu.
Rundumschlag
Die Arbeitsweise der Fraktion an einem Beispiel: Es geht um die Ankündigung eines Auftritts von Feine Sahne Fischfilet (FSF) im WDR. Die Band, die inzwischen große Hallen füllt, wird von der AfD aufgrund ihrer Texte, die sich auch explizit gegen die AfD richten, immer wieder angegangen. Im November sieht auch die rheinland-pfälzische AfD eine Gelegenheit, sich in einem Antrag als Mahner gegen „Linksextremismus in den öffentlich-rechtlichen Medien“ zu inszenieren. Die Begründung ist schnell verfasst, gab es doch in Hamburg oder Frankfurt schon ähnliche Anträge. FSF schreibe Texte wie „Deutschland ist Dreck“, daher solle die Landesregierung Stellung dazu nehmen, wie sie die Ausstrahlung eines Konzerts dieser „offen antideutschen Gruppe“ bewerte. Gleichzeitig will die AfD wissen, „wie es dem GEZ-Zahler zu vermitteln“ sei, „dass ihm für seine Zwangsgebühren Hetze gegen das eigene Gemeinwesen“ angeboten werde. Flankierend dazu veröffentlicht der Landtagsabgeordnete Heribert Friedmann eine Pressemitteilung, in der er FSF und die SPD in die Nähe von Gewalt rückt. Damit ist der AfD-Rundumschlag gegen das kulturelle, mediale und politische Establishment, das sich vom „Normalbürger“ entfremdet habe, perfekt.
Die Konservativen
Friedmann sitzt zwar im Ausschuss für Medien, Digitale Infrastruktur und Netzpolitik, zu seinen politischen Schwerpunkten im Wahlkampf zählten jedoch Familienpolitik und Innere Sicherheit. Letzteres wurde zur Chefsache, drei Anfragen hat er dazu gestellt. Wenn er die Unterbesetzung der Polizei im Land beklagt, betont er regelmäßig, dass er selbst aus dem aktiven Polizeidienst komme. Friedmann wahrt den Anschein des bodenständigen Politikertypus in der AfD.
Während AfD-Politiker*innen in vielen parlamentarischen Auftritten Geflüchtete als tendenziell kriminell, kostenintensiv und mit der Gesellschaft nicht kompatibel darstellen, geht Dr. Sylvia Groß noch einen Schritt weiter. Sie betrachtet Geflohene als gesundheitliche Gefahr. In einer kleinen Anfrage im August 2016 heißt es: „Ist es verantwortbar, die Entscheidung zur Durchführung eines HIV-Tests den Migranten zu überlassen, selbst wenn sie aus Hochprävalenzländern einreisen und später möglicherweise ‘unentdeckt‘ in Gemeinschaftsunterkünften leben?“ Daher fordere sie durchgehende Grenzkontrollen.
Uwe Junge gibt den authentischen Konservativen und ist das Aushängeschild der Fraktion. Der eloquente Bundeswehroffizier lächelt, redet und leidet an vorderster Front ohne sichtbar viel inhaltliche Arbeit zu leisten. Unter ihm können die ideologisch Gefestigten in aller Ruhe agieren.
Die Dogmatiker
Das ökologische Verständnis der AfD scheint sich neben „eingewanderten naturraumfremden Arten“ auf das Thema Windkraft zu konzentrieren. Die Hälfte der kleinen Anfragen zur Ökologie in RLP richtet sich gegen Windkraftanlagen. Erneuerbare Energien gelten als Projekte der 68er, die zu den erklärten Feindbilder der AfD zählen.
In ihren Anträgen zur Bildungspolitik stellt sich die Partei gegen „Feminisierung von Kitas und Schulen“, gegen das „ideologisierte“ Bildungssystem und gegen Inklusion. De facto tritt sie so selbst für Elitenbildung ein. Vorne beim Thema Bildung dabei ist Michael Frisch, fachpolitischer Sprecher für Kirche und Religion, Kommunalpolitik und Familie. Bis 2005 war der Lehrer im Bundesvorstand der erklärten Abtreibungsgegner*innen von Aktion Lebensrecht für Alle e.V., wo er — ebenso wie im Trierer Bündnis für Lebensrecht und Menschenwürde — bis heute aktiv ist. Das Bündnis stellt Abtreibungen als Euthanasie mit der Vernichtungsindustrie des NS auf eine Stufe. Zusammen mit der Pius-Bruderschaft organisiert es den „Marsch für das Leben“ in Saarbrücken, an dem im Oktober 2016 auch der NPD-Landesvorsitzende Peter Marx teilnahm.
Obwohl er im Landeswahlprogramm nicht vorkommt, ist der „Linksextremismus“ ein wichtiges Anliegen der AfD. Die meisten Anfragen stammen von Joachim Paul, alter Herr der extrem rechten Burschenschaft der Raczeks zu Bonn. Schon früh bekannte sich der schmissige Neuwieder Gymnasiallehrer zum völkischen Flügel. 2014 führte er ein auf der Homepage des Landesverbandes veröffentlichtes Interview mit Björn Höcke, der früher die Schule besuchte, an der Paul später unterrichtete.
In der kleinen Anfrage „VHS-Neuwied ,Kurs: Rechtspopulismus und rechten Parolen die rote Karte zeigen‘“ fragte er nach der Rechtsgültigkeit der Ausschlussklausel (die der Bewerbung beigefügt wird, um Störer*innen den Zutritt zur Veranstaltung zu verwehren).
Den Abgeordneten geht es dabei vor allem um die Diffamierung dessen, was sie als „links“ und damit als Feindbild ausgemacht haben. So bezeichnete der ehemalige stellvertretende Bundesvorsitzender der Jungen Alternative, Damian Lohr, in einer Pressemitteilung die vom Landesjugendring geförderten Falken als „Deutschland-Hasser“ und begründete dies mit der Aussage der Bundesvorsitzenden der Falken „Wir sagen nein zu Deutschland. Unsere Alternative heißt Sozialismus.“ Die pauschalisierende Schlussfolgerung: „Ein Großteil der Mitgliedsverbände“ des Landesjugendrings gehöre „dem linksradikalen Spektrum“ an. Daher müsse die Förderwürdigkeit „grundsätzlich hinterfragt werden.“
Netzwerke
Neben Lohr sind Paul und Frisch die Aktiven der Fraktion. Sie sind auch außerhalb der AfD aktiv und in Netzwerken der extremen Rechten verankert. Hier findet sich ebenso Alexander Jungbluth als Vorsitzender der Jungen Alternative Mainz wieder. Das Raczeks-Mitglied war vor einem Jahr noch im Vorstand der Aachener AfD. Die Nähe zu einem Verbandsbruder im Landtag verspricht Jungbluth offenbar größere Karrierechancen als in NRW.
Die AfD Fraktion schaffte es in RLP ohne große Skandale durch das erste halbe Jahr im Landtag. Trotz des Beamtenstatus’ vieler Abgeordneter stellt sie sich weiterhin als Partei der Ausgegrenzten dar. Hinter den konservativen Aushängeschildern dient sie extrem rechten Netzwerker*innen als Instrument, ihre Inhalte an „den kleinen Mann“ zu bringen.