Strafbar oder nicht?
Der Prozess gegen den hessischen Black-Metal-Händler Michael Jan Riepe
Die MusikerInnen des Black-Metal kokettieren gerne mit Gewalt- und Vernichtungsphantasien. Daher ist in diesem Genre die Anschlussfähigkeit zu extrem rechten Weltbildern hoch. Wie in vielen anderen Bereichen wird auch in der Black-Metal-Szene immer wieder darüber gestritten, wie und nach welchen Kriterien den Nationalsozialismus verherrlichende, rassistische und antisemitische Bands und deren Texte vom tendenziell menschenfeindlichen Rest der Szene abgegrenzt werden können und was sich noch im Rahmen der künstlerischen Freiheit bewegt.
Außenstehende stehen vor ganz pragmatischen Problemen: Wer sich nicht selbst in der Szene bewegt, hat große Schwierigkeiten, sich der Musik zu nähern, die Codes zu entziffern, Bandnamen zu lesen und vor allem die Texte zu verstehen. Für Justiz und Ermittlungsbehörden stellt sich die Frage, wie und ob etwas, das sie nicht verstehen, bestraft werden kann. Mit dieser Frage musste sich kürzlich auch das Amtsgericht in Gießen auseinandersetzen. Dort fand der Prozess gegen den Betreiber des NSBM-Labels und Musikvertriebs Surpremacy through intolerance, Michael Jan Riepe, statt
Vorrätighalten von Ton- trägern mit NS-Insignien
Riepe ist studierter Archäologe und Mitglied der Kasseler Burschenschaft Germania, einer Studentenverbindung, die in letzter Zeit immer wieder durch die neonazistischen Aktivitäten ihrer Mitglieder in die Öffentlichkeit gerückt war. Zum Zeitpunkt der Ermittlungen gegen ihn war er bereits nach Gießen verzogen. Vorgeworfen wurde ihm die Verbreitung von volksverhetzenden Schriften und Musik sowie Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Einige der von ihm gehandelten NSBM-CDs und Kassetten waren mit Hakenkreuzen, Runen und anderen NS-Insignien versehen.
Für Riepe war es bereits das zweite Mal, dass er wegen seines Vertriebs vor Gericht stand. Bereits in 2010 wurden bei einer Razzia jede Menge Tonträger sichergestellt, die mit verbotenen Symbolen versehen waren. Damals konnte sein Anwalt und Verbandsbruder Olaf Beseler, „Alter Herr“ der Burschenschaft Normannia-Leipzig zu Marburg, das Gericht in Kassel glauben machen, dass sein Mandant die verbotenen Symbole auf den CDs und Kassetten vor dem Versand abkleben würde. Da mit der Razzia nur das Vorrätighalten dieser Tonträger dokumentiert werden konnte und nicht der Versand mit den Symbolen verbotener Organisationen, wurde Riepe freigesprochen.
Erneutes Strafverfahren
Ein Hinweis des Verfassungsschutzes habe das LKA Hessen in 2012 zu neuen Ermittlungen motiviert, sagte eine Beamtin vor Gericht aus. Und dieses Mal legten sich die hessischen BeamtInnen richtig ins Zeug. Um Riepe den Handel nachweisen zu können, wurde über mehrere Monate eine DSL-Überwachung durchgeführt. Dabei konnten nicht nur die KundInnen ausfindig gemacht werden, sondern auch Riepes Bestellungen von Mastertapes in Frankreich wurden überwacht. Es ist in der Szene nicht unüblich, die Musik nicht von CDs sondern von Kassetten zu hören. Um diese zu vertreiben, können sogenannte Mastertapes erworben oder getauscht werden, die dann auf dem Doppelkassettendeck des Händlers vervielfältigt werden. Außerdem geriet sein zweites Standbein, der Verkauf von Tonträgern über die Internet-Plattform Dicsogs, in den Blick. Erneut wurde Riepes Versand durchsucht. Zusätzlich wurden diesmal KundInnen besucht und eigene Bestellungen seitens des LKA vorgenommen, um festzustellen, ob die verbotenen Symbole auf den versendeten CDs und Kassetten wirklich mit Aufklebern überklebt waren. Nur bei einem Teil der Bestellungen war dies erfolgt.
Die BeamtInnen sortierten die Funde aus Riepes Versand aufgrund von Bandnamen und den Symbolen auf den Tonträgern nach möglicher strafrechtlicher Relevanz. Ins Auge fielen dabei Bands wie Goatmoon, Holocaust Storm, Arischer Krieg oder Tank Genocide. Sie befragten die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BpjM) nach der Indizierung der Tonträger. Dabei wurde klar, dass die BpjM zumeist nicht von sich aus untersucht und gegebenenfalls indiziert, sondern oft erst dann tätig wird, wenn Behörden ihnen beispielsweise Tonträger mit der Bitte um Prüfung zusenden. Beim Urteil der Prüfung handelt es auch um eine Einschätzung, die nicht zwingend rechtlich bindend ist. Die BeamtInnen des LKA recherchierten daher die Texte der relevanten Songs im Internet und hörten alle Tonträger durch. Anschließend wurde Riepe vom Amtsgericht in Gießen in 18 Punkten angeklagt, es kam zur Verhandlung.
Leider lohnte sich der Ermittlungsaufwand nur zum Teil. Verteidiger Beseler merkte an, dass die Texte im Internet nicht mit den tatsächlichen Texten auf den Tonträgern übereinstimmen müssen. Da das Gehörte nur unzureichend protokolliert war, wurden alle relevanten Stücke noch einmal im Gericht angehört. An zwei Gerichtstagen schallte nun stundenlang NSBM durch den Gerichtssaal, was eine absurde Atmosphäre schuf. Der Aufwand blieb fraglich, da der gehörte Text wiederum nicht im Einzelnen mit den vorliegenden Texten verglichen wurde, obwohl dies eine Beurteilung des „Gesungenen“ ermöglicht hätte. Anwalt Beseler blieb bei seiner Einschätzung, die Texte seien insgesamt so unverständlich, dass sie nicht strafrechtlich verfolgt werden könnten. Dem schloss sich dann auch die Richterin in ihrem Urteil an. Nur ein einziger Liedtext sei so verständlich, dass es in diesem Anklagepunkt für ein Verurteilung reiche. Beim Großteil der der Klage zu Grunde liegenden Lieder wurde auch seitens der Staatsanwältin ein Freispruch gefordert, weil die Texte zu unverständlich seien.
Freibrief trotz Verurteilung
Riepe, der während des gesamten Prozesses keine Angabe machte, wurde zu einer Geldstrafe von 160 Tagessätze à 30 Euro Euro verurteilt. Sollte das Urteil rechtskräftig werden, gälte er also als „vorbestraft“. Das Urteil wirft insgesamt die Frage auf, welcher Maßstab für eine Bestrafung angemessen ist. Hätte einE AnhängerIn der Black Metal-Szene mit einem geschulten Ohr die Texte sehr wohl verstehen können? Wenn die Texte volksverhetzender und NS-verherrlichender Lieder einschlägiger Bands im Internet nachzulesen sind, werden diese dann nicht eventuell beim Hören auch genau so rezipiert?
Auch wenn es Riepes Rechtsanwalt anders als bei der ersten Anklage nicht gelang, einen Freispruch zu erwirken, so machten sich Richterin und Staatsanwältin seinen Standpunkt bezüglich der Texte doch zu eigen. Der zu Grunde gelegte Maßstab der Verständlichkeit für „normale“ Ohren gibt Riepe und anderen ProduzentInnen eine Art Freibrief, weiterhin neonazistische Liedtexte, so sie denn im üblichen Kreisch- oder Grunzgesang des Black Metal vorgetragen werden, zu produzieren. Dass die Staatsanwältin angesichts ihrer gezeigten Haltung in Berufung gehen wird, erscheint unwahrscheinlich. Es bleibt zu hoffen, dass einer solchen juristischen Bewertung an anderer Stelle widersprochen wird.