Widersprüchliche Wahrnehmungen
Die RechtsRock-Szene zwischen Stagnation und Professionalisierung
RechtsRock gilt als eines der wichtigsten Ausdrucks- und Kommunikationsmittel der extremen Rechten in „jungen Jahren“. Welche Bedeutung hat die Musik aktuell noch für die neonazistische Szene? In diesem Artikel werden einige Schlaglichter auf den derzeitigen Zustand der RechtsRock-Szene geworfen und insbesondere das Geschehen in NRW, Hessen und Rheinland-Pfalz unter die Lupe genommen.
Während der Nazi-Rock ab Mitte der 1990er Jahre wegen seiner aggressiven Vernichtungsphantasien und den spektakulären Bildern dutzender den Hitlergruß zeigender Neonazis auf Konzerten als Jugendproblem verharmlost im Fokus der Medien stand, hat das öffentliche Interesse für neonazistische Musik in letzter Zeit nachgelassen. Aktuell stehen die Erfolge der AfD und die Herausbildung einer „neuen sozialen Bewegung von rechts“ stärker im Mittelpunkt gesellschaftlicher Auseinandersetzungen mit der extremen Rechten.
Nicht Einstieg, sondern Dabeibleiben
In den 1990er Jahren war rechte Musik beziehungsweise rechter Skinheadrock DER Einstieg für Jugendliche in die neonazistische Szene. Dies hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Immer weniger neue Bands gründen sich, nicht wenige hiervon bestehen aus MusikerInnen, die zuvor schon seit Jahren in anderen Bands der Szene gespielt haben. Die Bilder der TeilnehmerInnen einschlägiger Konzerte zeigen zumeist ein Publikum zwischen 25 und 45 Jahren. Als jugendkulturell lässt sich dieses kaum noch bezeichnen. Das heißt nicht, dass RechtsRock keine Rolle mehr in der neonazistischen Szene spielt. Denn insbesondere als Stabilisator der Szene und der sozialen Zusammenhänge bildet die Musik und deren Erlebniswelten einen wichtigen Faktor und trägt zur ideologischen Festigung von Neonazis bei. Aber für den tatsächlichen „Erstkontakt“ und Einstieg haben soziale Medien heutzutage mit Sicherheit eine größere Bedeutung für Jugendliche als Musik.
Bandgeflechte aus „alten Bekannten“
In den 1990er Jahren entstanden RechtsRock-Bands oft innerhalb von lokalen Szenen und Freundeskreisen, heute werden sie entweder „gecastet“ oder entstehen aus den Resten anderer Bands. RechtsRock-Bands haben mittlerweile oftmals einen Projektcharakter und sind geprägt von ihren langjährig aktiven Bandleadern, die sich bei Bedarf wechselnde personelle Unterstützung organisieren. Auch in NRW hat sich in den letzten zehn Jahren ein Kreis an Musikern und Bands herauskristallisiert, die sich auch international einen Stellenwert innerhalb der neonazistischen Szene „erspielt“ haben und ein gewisses Ansehen genießen. Es sind Personen wie der 44-jährige Sänger der Dortmunder Band Oidoxie, Marko Gottschalk, der 43-jährige aus Verl (Kreis Gütersloh) stammende Frontmann der Band Sleipnir, Marco Bartsch (ehemals Laszcz), oder der 45-jährige Jens Brucherseifer (Gelsenkirchen), Sänger der Bandprojekte Sturmwehr und Sturm 18. Andreas Koroschetz (33) aus Mönchengladbach gründete vor über 15 Jahren die Band Division Germania und beteiligt sich an diversen Musikprojekten wie der neonazistischen Kultband Stahlgewitter um Sänger Daniel „Gigi“ Giese (47 Jahre, Meppen/Niedersachsen) und Frank Krämer (39 Jahre, Rhein-Sieg-Kreis). Krämer ist darüber hinaus zentrale Figur der Black-Metal- beziehungsweise Neofolk-Band Halgadom.
Innerhalb dieser Bandgeflechte ist es Normalität, wenn zum Beispiel der 28-jährige Gitarrist der Band Sleipnir, Martin Böhne (Hamm), auch bei den Bands Words of Anger und Oidoxie spielt. Auch sein Bandkollege Marco Eckert (38 Jahre) von Words of Anger ist zumindest zeitweise Teil von Oidoxie, aber unter anderem auch bei der Band Sturmwehr involviert. Oftmals fällt eine klare regionale Zuordnung diverser Bands schwer, kommen deren Mitglieder doch aus verschiedenen Städten und Regionen. Auch die als „Bremer Band“ gelabelte Gruppe Kategorie C ist ein solches Beispiel. Von der Gründungsbesetzung aus dem Jahr 1997 ist nur noch der Sänger Hannes Ostendorf dabei. Den Rest der Band stellen neben Gitarrist Stefan „Ernie“ Behrens inzwischen die drei Mitglieder der Band Hausverbot aus dem hessischen Odenwald.
In NRW existieren kaum junge beziehungsweise neu gegründete Bands. Bands wie Inmitten von Ruinen, die 2016 ihr Debütalbum veröffentlichten, stellen auf ihrer Facebook-Seite klar, dass es sich bei der Band um ein Solo-Projekt handelt und man deshalb nicht live auftreten werde. Gegründet wurde Inmitten von Ruinen von einem ehemaligen Musiker der inzwischen aufgelösten Bands Bloodrevenge und Projekt Vril.
Vertriebe und Labels
Eine wichtige Funktion innerhalb der RechtsRock-Szene nehmen Labels und Vertriebe ein, die zur Verbreitung der neonazistischen Musik und der Merchandising-Angebote beitragen. Von diesen existierten in den 1990er und 2000er Jahren noch eine Vielzahl, auch in NRW. Darunter überregional bedeutende Labels wie Rock-O-Rama aus Köln, diverse Projekte des Düsseldorfers Torsten Lemmer (Funny Sounds, Creative Zeiten, VGR Multimedia), der Dieter Koch Musikverlag (Wuppertal bzw. Sprockhövel) oder Ohrwurm-Records von Marcel Ingignoli aus dem Ennepe-Ruhr-Kreis. Darüber hinaus tauchten immer wieder Produktionen auf eigenen kleinen Labels auf, die von den Bands selbst betrieben werden.
Bundesweit hat sich der RechtsRock-Markt in den letzten Jahren auf einige wichtige Labels konzentriert. Überregional relevante Bands aus NRW wie Sleipnir, Sturmwehr oder Division Germania sind allesamt bei Marktführern wie PC Records (Chemnitz), Oldschool Records (Wolfertschwenden, Landkreis Unterallgäu) oder Das Zeughaus (Meppen, Landkreis Emsland) „unter Vertrag“. Diese professionell agierenden Labels werden von langjährigen aktiven Neonazis betrieben, die größtenteils eine Nähe zu den neonazistischen Netzwerken Blood & Honour oder Hammerskin Nation pflegen. In NRW selbst sind so gut wie keine überregional agierenden Labels mehr aktiv. Das über mehrere Jahre in Bielefeld ansässige Label Wewelsburg Records von „Hammerskin“ Hendrik Stiewe ist mittlerweile an Nils Budig im niedersächsischen Leer übergegangen. Geblieben sind die kleinen Labels Wolfszeit und Reconquista Records, die für Eigenveröffentlichungen der Band Sleipnir bzw. des Nazi-Rappers Makks Damage dienen. Mit Sonnenkreuz (Rhein-Sieg-Kreis) und Christhunt Production (Leopoldshöhe, Kreis Lippe) werden zudem Sparten wie Neofolk bzw. NS-Black Metal bedient. Rock-O-Rama-Records ist heute kaum noch von Bedeutung. Zwar existiert der Versand und auch das Label noch, beide haben in der Szene jedoch einen denkbar schlechten Ruf, da sie als „szenefern“ gelten.
Im rheinland-pfälzischen Ludwigshafen war über mehrere Jahre mit der Gjallarhorn Klangschmiede eines der bundesweit wichtigsten RechtsRock-Labels und Vertriebe ansässig. Betrieben wurde das Label von dem führenden deutschen „Hammerskin“ Malte Redeker. Klangschmiede wurde 2016 zu Frontmusik und wechselte mit der Vertriebs- und Versandadresse nach Sachsen. Da aber Fragen zum Label und zu Bands weiterhin an die alte Mailadresse der Gjallarhorn Klangschmiede zu richten sind, könnte es sein, dass Redeker diesen Bereich weiterhin betreut. Erst Anfang 2017 wechselte die aus dem Rheinland stammende Band Flak zu Frontmusik/GKS33. In Rheinland-Pfalz ist weiterhin der Moloko-Plus-Versand in Görgeshausen (Westerwaldkreis) ansässig. Verantwortlich dafür zeichnet Patrick „Patter“ Prokasky, der seit den frühen 1990er Jahren in der neonazistischen Skinhead-Szene aktiv ist. Anlässlich des 15-jährigen Bestehens des Versandes veröffentlichte er im Jahr 2017 einen hauseigenen Sampler, auf dem internationale RechtsRock-Bands vertreten sind.
Konzerte
Die Durchführung von Konzerten stellt einen wichtigen und zentralen Bereich der Erlebniswelt der RechtsRock-Szene dar. Insbesondere hier werden emotionale Gemeinschaftserlebnisse und Kommunikationsorte geschaffen. Nicht zu vernachlässigen ist der finanzielle Aspekt der Konzerte.
Insgesamt hat sich der Bereich der Konzerte stark verändert. Waren es früher vor allem konspirativ organisierte Konzerte, bei denen die Schnitzeljagd mit der Polizei zum Erlebnis gehörte, so finden Konzerte heute oftmals in bekannten Immobilien — zumeist in Thüringen und Sachsen — statt. Konzerte werden angemeldet und genehmigt. Ein weiterer Anstieg ist auch bei jenen Konzerten zu beobachten, die von Parteien veranstaltet werden und somit dem Schutz des Versammlungsrecht unterliegen. Hier ist es gerade Die Rechte, die in jüngster Zeit Konzerte und Liederabende veranstaltet hat.
Schon in den 1990er Jahren boomten von Parteien — damals fast ausschließlich von der NPD — angemeldete Festivals wie das „Fest der Völker“ oder das „Rock für Deutschland“. In den letzten Jahren ist es still um diese ehemaligen Großevents geworden. Inzwischen gelang es FSN-TV „Moderator“ Patrick Schröder und Tommy Frenck, im thüringischen Hildburghausen mit dem „Rock für Identität“ beziehungsweise „Live H8“ wieder ein jährliches Festival zu etablieren, das in 2015 von etwa 1.500, in 2016 schon von etwa 3.500 TeilnehmerInnen besucht wurde. Sehr professionell wurde dieses Event mit einer langfristigen Werbestrategie verankert und konnte daher eine derartige Größe erreichen. Für 2017 sind mit dem „Rock für Deutschland“, dem „Rock gegen Überfremdung II“, dem „Rock für Identität“ und dem „Eichsfeldtag“ gleich eine ganze Reihe solcher „politischen Kundgebungen“ angekündigt.
Die TeilnehmerInnenzahl der meisten Konzerte sinkt, das liegt teilweise auch daran, dass die inzwischen etablierten Veranstaltungsorte nur eine Kapazität von 180 bis 220 Personen haben. Da die Karten für diese im Internet beworbenen Konzerte im Vorverkauf erworben werden können, heißt es hier oft schon früh: „leider ausverkauft“. Mit dem „Rocktoberfest“ am 15. Oktober 2016, das für „Süddeutschland“ beworben wurde und in der Schweiz mit — laut Behördenangaben — 5.000 TeilnehmerInnen stattfand, bewies die Szene ihre Mobilisierungskraft. Neben den deutschen Bands Stahlgewitter, Confident of Victory, Frontalkraft und Exzess traten der Rapper Makss Damage und Amok aus der Schweiz auf. Mit Ausnahme von Makss Damage alles Bands, die auch schon vor 10, 15 oder gar 20 Jahren auf der Bühne standen.
Vielleicht steigt auch die Bedeutung einzelner Konzerte und gerade die der Großevents, weil die älter gewordenen TeilnehmerInnen inzwischen in der Familie und nicht in der Szene leben und die Konzerte für die Vergemeinschaftung einen viel größeren Stellenwert haben. Hier können sich die TeilnehmerInnen noch als Teil der Szene und der Bewegung fühlen. Was die Veranstaltungsorte dieser lange angekündigten und als politische Veranstaltungen angekündigten Festivals betrifft, so konzentrieren sich diese vor allem auf Thüringen. Dieses Bundesland „im Herzen Deutschlands“ ist relativ zentral gelegen und für viele Interessierte gut zu erreichen. Zudem ist in kleinen Orten wie Hildburghausen oder Kirchheim kein großer zivilgesellschaftlicher Widerstand zu erwarten.
Erlebniswelten
Betrachtet man die Entwicklung der letzten Jahre, lässt sich auch in NRW ein (Wieder-)Anstieg der durchgeführten Events festmachen (siehe Tabelle 11). Im Jahr 2016 führte die Szene 21 Veranstaltungen durch. Dies ist die höchste Zahl seit 2006, in dem ebenfalls 21 Events stattfanden. Unter diese fallen auch 12 Liederabende, deren Anzahl bundesweit stark zunahm. Hier ist zu beobachten, dass die Partei Die Rechte zunehmend als Veranstalter von Liederabenden in Erscheinung tritt, wie zuletzt am 11. Februar 2017 mit dem Liedermacher Barny in Dortmund. Die Vorteile der Liederabende liegen in der einfacheren Organisierung und einer größeren Sicherheit, dass sie auch tatsächlich stattfinden werden. Dies zeigt sich auch in Hessen. Während in den Jahren 2015 und 2016 mindestens drei Versuche, größere Konzerte durchzuführen, an Kündigungen der Hallen scheiterten, konnte die neonazistische Szene zumindest vier Liederabende in den beiden Jahren in Hessen durchführen.
Dass die Szene in NRW aber auch in der Lage ist, klassisch konspirativ organisierte Bandkonzerte durchzuführen, zeigte sich im November 2016. Mehrere hundert Personen kamen zum „Lichtbringer Festival“ nach Heinsberg in der Nähe von Aachen, wo die Bands Flak, Brainwash und Frontalkraft auftraten.
Was die Statistiken betrifft, so muss jedoch genau hingeschaut werden. Nicht selten weichen Veranstalter aus NRW für ihre Konzert ins benachbarte Ausland aus. Mitte der 2000er Jahre führten die Dortmunder Blood & Honour/Combat 18-Strukturen ihre Konzerte beispielsweise regelmäßig in Belgien durch. Auch zahlreiche Konzerte der rechten Hooligan-Band Kategorie C, die in den letzten Jahren für NRW angekündigt waren, wurden in die benachbarten Benelux-Staaten verlegt. Beispielsweise am 20. Februar 2016 im belgischen Malmedy, obwohl für den „Raum Aachen“ angekündigt. Auch die rheinland-pfälzischen „Hammerskin“-Strukturen führten über viele Jahre nahe der Grenze im benachbarten Frankreich Veranstaltungen durch, ohne dass diese Konzerte in bundesdeutschen Statistiken auftauchen.
Marschieren und Musizieren
Immer populärer wird es, Bands oder LiedermacherInnen im Rahmen von Kundgebungen und Demonstrationen auftreten zu lassen. Insbesondere wegen des Mobilisierungseffekts und wenn sich abzeichnet, dass es bei einer unattraktiven Standkundgebung bleiben wird. Des Weiteren bieten derartige Auftritte den Bands teilweise auch die Möglichkeit, sich an öffentlichkeitswirksamen Orten zu präsentieren. Es kann davon ausgegangen werden, dass bei der Kundgebung von Gemeinsam Stark e.V. am 9. Oktober 2016 in Dortmund ein Großteil der 500 Teilnehmenden wegen der angekündigten Auftritte von Oidoxie und Randgruppe Deutsch erschienen und nicht etwa aufgrund der Reden von
Tatjana Festerling und anderen. Ein Teil des Erfolges der HoGeSa-Demonstration im Herbst 2014 in Köln war darin begründet, dass Kategorie C in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofes auftrat — vor mehreren tausend ZuschauerInnen. Teilweise kommt es auch zu Auftritten im Rahmen von PEGIDA-Demonstrationen. So trat der Liedermacher/Rapper Patrick Killat aka Villian51 bei der PEGIDA-NRW-Kundgebung am 5. September 2016 in Duisburg auf.
Viel Professionalisierung, wenig Dynamik
Mit der Alterung der RechtsRock-Szene ist auch eine damit verbundene Professionalisierung zu beobachten. Auffällig ist, dass sich in den Bandbesetzungen und unter den wichtigen Protagonisten des Rechts-Rock-Business in NRW, RLP und Hessen kaum jemand findet, der jünger als 30 Jahre alt ist. Auch viele Angebote richten sich insbesondere an ein älteres und gesetzteres Publikum, die oft auch zahlungskräftiger sind. Der Trend bei Neuveröffentlichungen geht demzufolge zu limitierten Auflagen in Holz- und Blechdosen. Auch der „Vinyl Boom“ auf dem Musikmarkt der letzten Jahre ist nicht an der RechtsRock-Szene vorbeigegangen. Waren es zuvor lediglich Bands aus dem NSHC-Bereich, die ihre Tonträger auf Schallplatte veröffentlichten, kommen aktuelle Neuerscheinungen diverser Bands vermehrt wieder auf Vinyl auf den Markt. Auch „Klassiker“ der Szene werden wieder nachgepresst.
Während insgesamt im Bereich des RechtsRock in den letzten Jahren kaum wirklich neue Entwicklungen festzustellen sind, so ist das Phänomen des NS-Rap eine der wenigen Bereiche, in denen eine Dynamik zu verzeichnen ist. Mit der zunehmenden Akzeptanz von Künstlern wie Makss Damage zeigt die RechtsRock-Szene auch, dass sie in der Lage ist, auf vermeintlich nicht kompatible jugendkulturelle Erscheinungsformen zu reagieren und diese zu integrieren.