„Bulgarien über alles!“
Die extreme Rechte in Bulgarien
Krassimir Karakatschanow hat’s nicht leicht. Gerade erst ist der bulgarische Verteidigungsminister von dem anstrengenden Treffen mit seinen EU-Amtskollegen am 18. Mai in Brüssel heimgekehrt, auf dem die nächsten Schritte zur Aufrüstung der Union besprochen wurden. Karakatschanow ist erst seit zwei Wochen im Amt, er muss sich noch einarbeiten, hat also eine ganze Menge zu tun. Was aber flattert da am 19. Mai auf seinen Schreibtisch? Eine blöde Kampagne der sozialistischen Opposition. Die hat irgendwo ein Foto aufgetrieben, das Iwo Antonow, einen Abteilungsleiter aus dem Verteidigungsministerium, vor einem hübschen deutschen Panzer aus dem Zweiten Weltkrieg zeigt; anlassbezogen hebt Antonow auf dem Bild den rechten Arm zum Hitlergruß. Natürlich, prompt meckert die Opposition, und zu allem Überfluss macht auch noch Ministerpräsident Boiko Borissow Stress, fordert die Entlassung des Mannes. Einen seiner besten Mitarbeiter feuern? Nein, das kommt für Karakatschanow überhaupt nicht in Frage. Die Situation sei „komplex“, teilt er mit; er werde jetzt erstmal das Gespräch mit Antonow suchen, dann sehe man weiter. Nur nichts überstürzen. Punkt.
An der Regierung beteiligt
Überraschend ist er nicht wirklich gekommen, der Skandal um Antonow, der Bulgariens neue Regierung kurz nach ihrem Amtsantritt am 4. Mai 2017 traf. Schließlich hatte sich nach der Parlamentswahl vom 26. März Wahlsieger Borissow entschieden, seine konservative Partei GERB (Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens, 32,7 Prozent) nicht in Koalitionsverhandlungen mit der Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP, 27,2 Prozent) oder der Bewegung für Rechte und Freiheiten (DPS, 9,0 Prozent), einer Partei der türkischsprachigen Minderheit, zu führen, sondern lieber Gespräche mit den Vereinigten Patrioten (9,1 Prozent) aufzunehmen, einem Bündnis dreier Parteien der extremen Rechten. Ihm gehören die Parteien Ataka (Angriff), WMRO-BNB (Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation — Bulgarische Nationale Bewegung) und Nationale Front für die Rettung Bulgariens (NFSB) an. Die Gespräche, die Borissows GERB mit den Vereinigten Patrioten unter dem offiziellen Motto „Bulgarien über alles!“ startete, führten schließlich zum Erfolg. Die neue Regierung verfügt allerdings mit 122 von 240 Abgeordneten nur über eine knappe Mehrheit im Parlament.
Ataka ist lange die erfolgreichste unter den Parteien der extremen Rechten in Bulgarien gewesen. Im April 2005 gegründet, erzielte sie bereits am 25. Juni 2005 mit einem Parteienbündnis unter ihrem Vorsitzenden Wolen Siderow ihren ersten großen Erfolg: 8,1 Prozent der Stimmen reichten bei der damaligen Wahl auf Anhieb für stolze 21 Sitze im Parlament. Siderow, Jahrgang 1956, hat die Partei entscheidend geprägt. Aus dem konservativ-antikommunistischen Mainstream der frühen 1990er Jahre kommend, arbeitete er eine Zeitlang für die nationalistisch-rassistische Tageszeitung Monitor, bevor er in den frühen 2000er Jahren eine Talkshow beim ebenfalls nationalistisch-rassistischen Fernsehsender Skat TV mit Sitz in Burgas an der Schwarzmeerküste übernahm. Regelmäßig hetzt Siderow gegen Roma und gegen die türkischsprachige Minderheit im Land; vor allem aber hat er sich als Antisemit einen Namen gemacht. Im Jahr 2004 etwa veröffentlichte er ein Pamphlet, in dem er eine angebliche jüdische Weltverschwörung gegen die christliche Orthodoxie aufgedeckt zu haben meinte. Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass seine Partei den Namen Ataka trägt: Genauso hieß in Bulgarien im Zweiten Weltkrieg eine antisemitische Zeitschrift.
Das Massaker von Batak
Den Wahlerfolg im Juni 2005 verdankte Ataka nicht zuletzt der Tatsache, dass an Nationalismus in Bulgarien bereits damals kein Mangel herrschte. Deutlich wurde das wenig später, im Jahr 2007, bei einer Affäre, die sich um einen bulgarischen Geschichtsmythos drehte: um das Massaker von Batak. In Batak, einem kleinen Städtchen im Rhodopengebirge im Südwesten des heutigen Bulgariens, waren im Mai 1876 Tausende nach einem gescheiterten Aufstand gegen die osmanische Herrschaft von Soldaten der Regierung in Konstantinopel niedergemetzelt worden — ein Kriegsverbrechen schlimmster Art, das damals weltweit für Empörung sorgte. In Bulgarien fungiert es bis heute als zentrales Symbol für die Erhebung, die 1878 zur Abspaltung des Landes vom Osmanischen Reich und damit zur Staatsgründung führte. Im Frühjahr 2007 planten eine Historikerin und ein Historiker von der FU Berlin eine Ausstellung, die eine kritische Annäherung an die zum Mythos erstarrten Elemente der Erinnerung an Batak ermöglichen sollte — etwa mit der Frage, ob es sich bei den Mördern wirklich um türkische Freiwillige gehandelt hatte oder nicht vielleicht doch um bulgarische Muslime, wofür vieles sprach. Die Frage ist alles andere als unerheblich, weil der bulgarische Nationalismus wegen seiner Ursprünge im Aufstand gegen das Osmanische Reich bis heute eine stark antitürkische Komponente aufweist, die nicht zuletzt die türkischsprachige Minderheit im Land — fast 600.000 Menschen, neun Prozent der Bevölkerung — regelmäßig zu spüren bekommt. Der Versuch, mit der Ausstellung eine kritische Debatte auszulösen, scheiterte an einem Proteststurm, der schließlich sogar den sozialistischen Präsidenten Georgi Parwanow erfasste; Parwanow nannte das Ausstellungsprojekt eine „Provokation“ und drang darauf, es abzusagen. So geschah es dann auch.
Seitdem ist der Nationalismus in Bulgarien nur noch stärker geworden — im ärmsten Land der EU, in dem ein Drittel der Bevölkerung unter erheblicher materieller Deprivation leidet, in dem etwa zwei Fünftel der Kinder und Jugendlichen unter 16 Jahren nicht genügend Proteine zu sich nehmen, weil ihre Eltern Fleisch oder Fisch nicht bezahlen können, und in dem sich die Hälfte aller Unter-16-Jährigen lediglich ein einziges Paar Schuhe leisten kann. Die soziale Verelendung ist erschütternd, und sie treibt die Menschen in Scharen aus dem Land: Die Bevölkerung ist von fast neun Millionen Menschen im Jahr 1988 auf nur noch knapp über sieben Millionen im Jahr 2016 geschrumpft. Wer kann, macht sich davon. Im desillusionierten Bulgarien selbst mündet die desolate Armut relativ selten in offenen Protest gegen die unerträgliche Ausbeutung; zunehmend kommt es hingegen zu Gewalt gegen Minderheiten. Während Oligarchen und Mafiabosse das Land flächendeckend plündern, kam es etwa im Herbst 2011 nach Konflikten mit einem angeblich mafiösen Romaboss zu teils pogromartigen Massenunruhen gegen die vermutlich bis zu 800.000 Menschen zählenden bulgarischen Roma. Zuvor hatten im Mai 2011 Siderow und Anhänger seiner Partei Ataka in Sofia vor der Banya Bashi-Moschee, der zentralen muslimischen Gebetsstätte der Hauptstadt, Muslime angegriffen; zu ähnlichen Aggressionen gegen die muslimische Minderheit kommt es auch anderswo im Land immer wieder. Regelmäßig werden zudem Lesben und Schwule verbal oder gar physisch attackiert; wie auch anderswo in Ost- und Südosteuropa stützt die orthodoxe Kirche maßgeblich die breite Verankerung von Homophobie.
„Menschenähnliche Wesen“
All dies trägt zu einem gesellschaftlichen Klima bei, in dem extrem rechte Organisationen blühen und gedeihen — Ataka beispielsweise, aber auch andere mehr. Weil sie der neuen Regierung angehört, wäre die Nationale Front für die Rettung Bulgariens (NFSB) zu nennen. Ihre Gründung verdankt sie einem Streit zwischen Waleri Simeonow, dem Besitzer von Skat TV in Burgas, und Ataka-Führer Siderow, der 2009 zu Simeonows Trennung von Ataka führte; diese sah sich daraufhin veranlasst, einen eigenen Fernsehsender aufzubauen — Alfa TV. Simeonow wiederum gründete im Mai 2011 in Burgas die NFSB, die dort prompt in der Kommunalwahl am 23. Oktober 2011 mit 11,6 Prozent der Stimmen sieben Sitze gewann und zur zweitstärksten Fraktion im Stadtrat wurde. Ideologisch steht die NFSB Ataka durchaus nahe. Parteichef Simeonow hat einst geäußert, Roma seien „zu Bestien gewordene menschenähnliche Wesen“, Romafrauen hätten „Instinkte streunender Hündinnen“ und Romakinder spielten „auf der Straße mit Schweinen“. Seiner Karriere haben derlei Ausfälle eher genutzt als geschadet: Seit dem 4. Mai amtiert er als einer von vier stellvertretenden Ministerpräsidenten Bulgariens; in der Arbeitsteilung innerhalb der Regierung ist er für die Themen Wirtschaft und Demografie zuständig. Zudem ist er Ende Mai zum Integrationsbeauftragten des Landes ernannt worden.
Neben Ataka und der NFSB gehört der aktuellen Regierung auch die WMRO-BNB an. Der Name Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation — Bulgarische Nationale Bewegung bezieht sich auf die historische WMRO, die zunächst ab 1893 und dann wieder ab 1919 für den Anschluss Mazedoniens an Bulgarien kämpfte; eines ihrer Mitglieder erschoss am 9. Oktober 1934 in Marseille den jugoslawischen König Alexander I. und den französischen Außenminister Louis Barthou. „Mazedonien“ bezieht sich dabei im extremen bulgarischen Nationalismus nicht nur auf den gleichnamigen heutigen Staat, dessen Sprache in Bulgarien häufig als nordbulgarischer Dialekt eingestuft und dessen Bürger — jedenfalls, sofern sie nicht Albanisch sprechen — zuweilen als ethnische Bulgaren bezeichnet werden. Im Kern geht es um all diejenigen Gebiete, die Bulgarien im Ersten Balkankrieg (1912/13) erobern konnte und die neben weiten Teilen des heutigen Mazedonien auch große Territorien in Nordgriechenland umfassen. Weil sie im Vertrag von Neuilly vom 27. November 1919 endgültig an Jugoslawien und Griechenland abgetreten werden mussten, besitzt das Schlagwort „Neuilly“ für die extreme Rechte Bulgariens einen ähnlichen Klang wie „Trianon“ für die ungarische Rechte. Zuletzt hat die WMRO-BNB am 5. Juni 2017 in der Hauptstadt Sofia feierlich einen „Mazedonien-Tag“ begangen. Schirmherr der Veranstaltung war der Vorsitzende der Partei, Verteidigungsminister Karakatschanow. Er rief dazu auf, nie „die Wahrheit und die Ideale der Helden zu vergessen, die für Mazedonien fielen“.
Arierparagraph? „Warum nicht!“
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es geht noch krasser. Der 2001 gegründete Bulgarische Nationalbund (BNS) und sein Führer Bojan Rasate halten Ataka, die NFSB und die WMRO-BNB für widerliche Fake-Patrioten. Sie spitzen den krassen Nationalismus dieser drei Organisationen noch weiter zu, beziehen sich hemmungslos auf bulgarische NS-Kollaborateure und haben darüber hinaus ein gewisses Interesse an vorchristlichen Religionen. Der BNS-Führer etwa, der einen Teil seiner Kindheit in Stuttgart verbrachte, hieß ursprünglich Bojan Bojanow, bevor er den Nachnamen eines gewissen Wladimir Rasate übernahm. Wladimir herrschte von 889 bis 893 über Bulgarien und tat sich dadurch hervor, dass er die Christianisierung des Landes rückgängig zu machen suchte. Die bulgarische Naziband Paganblut — „pagan“ heißt „heidnisch“ — ist denn auch gern gesehener Gast auf Veranstaltungen des BNS.
Um sich einen Eindruck vom sonstigen politischen Charakter des BNS zu verschaffen, hat der Journalist Bernhard Odehnal vor einigen Jahren die Zentrale der Organisation in Sofia aufgesucht. Dort entdeckte er unter anderem eine bulgarische Übersetzung der „Protokolle der Weisen von Zion“; darüber hinaus hat er sich eingehend mit BNS-Führer Rasate unterhalten. Der gab dabei nicht nur seine Sympathien für die Einführung eines bulgarischen Arierparagraphen kund („warum nicht!“), sondern legte auch großen Wert darauf, seine politischen Gedanken zum Umgang mit den bulgarischen Roma mitzuteilen. In einem ersten Schritt müssten „die Bedingungen dafür abgeschafft werden, dass sie sich so stark vermehren“, erklärte Rasate; schließlich seien „90 Prozent“ von ihnen — „oder 80 oder 85“ Prozent — einfach Verbrecher. Über die Methoden, die er im Sinn hatte, schwieg Rasate sich aus. Immerhin aber räumte er ein: „Wir können heute nicht daran denken, die Zigeuner einfach umzubringen. Die Zeiten sind andere.“
International bekannt ist der BNS, weil er seit 2003 alljährlich einen Gedenkmarsch zur Erinnerung an Hristo Lukow durchführt. General Lukow, von 1935 bis 1938 Kriegsminister seines Landes, war ein begeisterter NS-Kollaborateur und führte den faschistischen Bund der Bulgarischen Nationalen Legionen, bevor er am 13. Februar 1943 in Sofia von kommunistischen Partisanen erschossen wurde. Am Lukow-Marsch nehmen regelmäßig Tausende Neonazis aus ganz Europa teil.
Auf Flüchtlingsjagd
Folgenreich ist schließlich eine Entwicklung gewesen, die der BNS im Herbst 2013 angestoßen hat. Schon damals versuchten viele Flüchtlinge vor allem aus Syrien, auf dem Landweg über die Türkei in die EU zu gelangen. Tausende saßen im Jahr 2013 auf dem Weg nach Nordwesten in Bulgarien unter miserabelsten Bedingungen fest, als der BNS in Sofia nächtliche Patrouillen startete: Seine Aktivisten begaben sich auf die Suche nach Flüchtlingen, hielten sie auf, ließen sich Reisepässe vorzeigen, schüchterten ihre Opfer ein. Die Behörden ließen die selbsternannten Bürgerwehren gewähren. Schon im folgenden Jahr machte das Beispiel Schule — im Südosten des Landes, an der Grenze zur Türkei. Dort gründeten rechte Aktivisten milizenartige Organisationen, die seitdem, teilweise schwer bewaffnet, durch die Wälder im Grenzgebiet patrouillieren, eigenmächtig Flüchtlinge aufhalten und sie entweder in die Türkei zurückjagen oder sie der bulgarischen Polizei übergeben. Eine von ihnen, die Organisation für den Schutz der bulgarischen Bürger (OPBC), hat im April 2016 für ihre Aktivitäten eine Auszeichnung von der bulgarischen Grenzpolizei erhalten. Allgemeines Lob haben die Bürgerwehren von Ministerpräsident Borissow bekommen, der sich ganz ausdrücklich bei ihnen bedankte. Zwei von ihnen, der aus einstigen Soldaten und Polizisten gebildete Militärbund Wasil Lewski — Wasil Lewski war Gründer der alten WMRO — und die Bulgarische Nationalbewegung Schipka, rühmen sich guter Kontakte ins europäische Ausland, etwa zu der extrem rechten Organisation Knights Templar International des britischen Faschisten Jim Dowson. Zudem prahlen sie damit, mit Ex-PEGIDA-Frontfrau Tatjana Festerling durch den bulgarisch-türkischen Grenzwald gerobbt zu sein.
Im Aufwind
Die extreme Rechte hat Aufwind in Bulgarien; die Regierungsbeteiligung der Vereinigten Patrioten kommt nicht von ungefähr. Auch wenn gewisse Skandale nicht ausbleiben: So musste am 17. Mai der stellvertretende Minister für regionale Entwicklung, Pawel Tenew, zurücktreten, als ein Foto die Runde machte, das ihn im Pariser Musée Grévin hitlergrüßend vor der Wachsfigur eines Nazi-Offiziers zeigte. Und der andere Ministerialbeamte mit dem erhobenen rechten Arm? Nun, Verteidigungsminister Karakatschanow hat Iwo Antonow nicht fallen gelassen. Er hat sich mit seinem Mitarbeiter darauf geeinigt, dass der die übliche Erklärung abgibt, in der er — wie sagt man? — Jugendsünden bereut, seine entschlossene Ablehnung jeder Form von Totalitarismus betont, und so weiter und so fort. Antonow hat das brav getan. Danach hat Karakatschanow erklärt, jetzt sei’s aber auch genug; die Opposition habe ihre Kampagne gehabt, nun kehre man zum Arbeitsalltag zurück. Feuern könne man den Abteilungsleiter sowieso schon aus arbeitsrechtlichen Gründen nicht. Antonow hat umgehend ein schickes neues Arbeitszimmer direkt neben dem Ministerbüro bekommen; seitdem ist wieder Ruhe. Und die Regierung kann sich in aller Ruhe auf die EU-Ratspräsidentschaft vorbereiten, die Bulgarien zum 1. Januar 2018 übernimmt. Ihre Minister — auch diejenigen von den Vereinigten Patrioten
werden dann EU-Ministerräte leiten; und wenn Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen die Militarisierung der EU weiter vorantreibt, wird sie es im ersten Halbjahr 2018 unter dem Vorsitz von Krassimir Karakatschanow tun.