„Europa verteidigen“ als völkische Aufgabe
Europapolitische Ideologie und Praxis der „Identitären“
Die „Identitäre Bewegung“ (IB) gibt sich popkulturuell, medienaffin und proeuropäisch. Die Zusammenarbeit zwischen Aktivist_innen verschiedener europäischer Länder wird dabei als „Multikulturalität“ dargestellt. Die „Identitären“ vertreten jedoch eine völkische und exklusive Auffassung von Europa, in der Gewalt gegen ethnische Minderheiten und alle, die nicht zum „Volk“ gehören, angelegt ist. Sie versuchen diesen Worten auch Taten folgen zu lassen.
Die IB gibt es seit dem Herbst 2012 in mehreren europäischen Ländern. Eine Relevanz im extrem rechten Spektrum konnten sie vor allem in ihrem Ursprungsland Frankreich, in Deutschland, Österreich, Tschechien und Italien entwickeln. Die Größe der jeweiligen Landesableger ist nicht leicht einzuschätzen, da für die IB der wichtigste politische Aktionsraum in den sozialen Medien liegt. Für Deutschland scheinen jedoch Zahlen von 300 bis 500 Personen nicht unrealistisch. Die Kader stammen nach wie vor aus dem universitären Milieu, auch wenn die „Identitären“ sich gerne als „Bewegung“ inszenieren, die Unterstützer_innen aus verschiedenen gesellschaftlichen Schichten umfasse. Viele haben eine Vergangenheit in anderen Teilen der rechten Szene, wie völkischen Burschenschaften, neonazistischen „Kameradschaften“ oder Parteijugendorganisationen, wie zum Beispiel Junge Nationaldemokraten, Ring Freiheitlicher Jugend und Junge Alternative. Organisiert sind sie unterhalb der Landesebene in regionalen und lokalen Gruppen. Ein europäischer Dachverband existiert trotz aller betonten transnationalen Zusammenarbeit nicht. Die Selbstbezeichnung als „Bewegung“ ist aufgrund der fehlenden Massenbasis als reine Propaganda zu betrachten. Dennoch stellt die IB mit ihren Aktionen, die werbewirksam aufbereitet und vor allem in den sozialen Medien verbreitet werden, einen relevanten Teil der „neurechten“ Szene dar.
„Europa“ als Ideologie und Praxis
Die IB betont stets ihre Zugehörigkeit zu einer homogenen, gemeinsamen europäischen kulturellen und ethnischen Identität. Die Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg hat daher nicht nur praktische, sondern auch ideologische Gründe. „Identitäre“ aus ganz Europa treffen sich jährlich auf sogenannten Sommeruniversitäten in Frankreich, wo sie Schulungen von Rhetorik bis Kampfsport erhalten. Daraus erwachsen auch gemeinsame Aktionen. Für den deutschsprachigen Bereich ist Martin Sellner, Chef der österreichischen IB, die treibende Kraft von grenzüberschreitenden Aktivitäten. Er ist nicht nur Ideengeber, sondern oft auch selbst vor Ort, wie etwa in Dresden, als „Identitäre“ dort im Februar 2017 ein Banner an dem Bus-Mahnmal für Flüchtlinge in Aleppo anbrachten. Deutsche Kader der IB wiederum marschierten in der ersten Reihe der von 2014 bis 2016 jährlich stattfindenden IB-Demo in Wien. Weitere Begegnungs- und Austauschmöglichkeiten bieten sich beispielsweise im Rahmen von Tagungen wie der sogenannten Winterakademie des von Götz Kubitschek, Kopf der „neurechten“ Szene, geprägten Instituts für Staatspolitik. Darüber hinaus treffen sich „Identitäre“ aus Nachbarländern immer wieder zu kleineren regionalen Veranstaltungen, wie etwa in Wien zum „Forum der europäischen Vielfalt“, wo neben den Österreicher_innen auch „Identitäre“ aus Tschechien und Slowenien anwesend waren. Der österreichische Kader Luca Kerbl unterstützt dabei die slowenischen Kamerad_innen durch Aufbauarbeit. Am intensivsten ist die Kooperation jedoch zwischen den Ländern mit den stärksten „identitären“ Gruppen. Diese koordinieren größere Veranstaltungen und Aktionen.
„Nation Europa“
Innerhalb der „Neuen Rechten“ lassen sich grob drei Europakonzepte unterscheiden. Zum einen das klassische „Europa der Vaterländer“, mit dem Wunsch nach souveränen Nationalstaaten, die eng zusammen arbeiten. Zum Zweiten das „Europa der Regionen“. Hierbei wird von einer „künstlichen“ Grenzziehung nach 1945 ausgegangen, die „natürlich“ entstandene Regionen von einander trennen würde, etwa Tirol oder Teile Ostdeutschlands. Die kleinste politische oder als „Lebensraum eines Volkes“ gedachte Einheit bilden also Regionen — was letztlich nichts anderes ist als Nationalismus im Kleinen. Die dritte Europavorstellung ist jene, die auch ein Großteil der IB propagiert: Das christliche Abendland beziehungswiese die „Nation Europa“, die auf die Vorstellung des britischen Faschistenführers Oswald Mosley zurückgeht. Europa wird hier als einheitlicher Block gedacht, der einen einzigen Kulturraum bildet. Dieser ist ständig von Außen bedroht — durch die kulturelle Hegemonie der USA, von den „Wirtschaftsflüchtlingen aus Afrika“ oder von „dem Islam“. Historisch gesehen wurde dieses Bild auch in der antisowjetischen Propaganda zu Gunsten der „europäischen SS“ bedient. Diese Europakonzeption erlaubt einen positiven Bezug auf „Europa“. Hinter dem Begriff „Europa“ steht hierbei jedoch nicht die EU und auch kein unpolitischer Bezug auf einen geographischen Raum. Vielmehr ist es ein völkisches Konzept, in dem klar definiert wird, wer dazu gehört und wer nicht. Als zugehörig gedacht werden alle christlich geprägten „Kulturen“, die in einen Nationalstaat gegossen wurden. Bei „Minderheitenkulturen“, etwa Roma und Sinti oder Juden und Jüdinnen, bleibt eine große Leerstelle. So ist unklar, ob diese in der Theorie überhaupt als „europäisch“ gelten oder nicht. Muslime werden ganz klar als Gegenstück zu „Europa“ konstruiert und als einheitlicher und bedrohlicher Gegenblock dargestellt. Im Sinne Samuel Huntingons stellt sich der „Kampf der Kulturen“ auch bei der IB als Konflikt zwischen Europa und „dem Islam“ dar. Unter dem Begriff „Islam“ wird von lang bestehenden Communities in Europa über Gastarbeiter_innen aus der Türkei und Flüchtlingen aus dem Jugoslawien-Krieg der 90er bis zu Erdogan-Anhänger_innen in der Türkei, Kurd_innen und aktuellen Flüchtlingen aus Syrien, Afghanistan oder dem Irak alles mögliche zusammen gefasst. All diesen Menschen wird ein im Geheimen verfolgtes Gesamtinteresse unterstellt, Europa zu vernichten. Strukturell ist das nicht weit von klassisch antisemitischen Verschwörungstheorien entfernt. In diesem imaginierten (Abwehr)Kampf ist jedes Mittel recht — auch, wenn es potentiell Menschen physisch schadet. So riefen die „Identitären“ auf einer Crowdfunding-Plattform zu Spenden auf, um Schiffe zu chartern. Diese sollten die Arbeit der NGOs wie SeaWatch sabotieren, die in Seenot geratene Geflüchtete im Mittelmeer vor dem Ertrinken retten. Die Sammlungen waren auch erfolgreich, wurden aber von den Plattformen eingestellt, bevor ein Cent an die IB überwiesen werden konnte.
Fazit
Es wäre zu einfach, die „Identitären“ in den „antieuropäischen“ Kanon der extremen Rechten zu fassen. Im Gegenteil, sie haben eine sehr konkrete Vorstellung von Europa, halten diese als Ideal hoch und werben pathetisch dafür, Europa bis zum Letzten zu verteidigen. Das Europa der IB ist völkisch konzipiert und hat keinen Platz für Personen, die nicht zum eigenen „Volk“ gezählt werden. Dies manifestiert sich insbesondere im Rassismus gegenüber Flüchtlingen und allen Muslimen.