Freundschaftliche Beziehungen und rechte Ansichten

Bedeutung von Kampfsport in rechten Fußballfanszenen

Die deutsche Fußballfanszene befindet sich derzeit in einer Umbruchphase. Dabei verschwimmen bei jüngeren Generationen die Grenzen zwischen gewaltaffinen Ultras und rechtsgerichteten Hooligans. Antirassistische Fangruppen stellt dies vor neue Herausforderungen.

Die deutsche Fußballfanszene befindet sich derzeit in einer Umbruchphase. Dabei verschwimmen bei jüngeren Generationen die Grenzen zwischen gewaltaffinen Ultras und rechtsgerichteten Hooligans. Antirassistische Fangruppen stellt dies vor neue Herausforderungen.

Mitte September 2017 veröffentlichte die russische Youtube-Plattform okolofutbola.tv, auf der auch das russische Kampfsportlabel White Rex wirbt, ein Video über die Nordische Wut (NW), eine Hooligan-Gruppe bei Hansa Rostock. Der sportliche (Wett-)Kampf und die körperliche Leistungsfähigkeit stehen bei der NW an erster Stelle. Man definiert sich als „eine reine Gruppe aus Sportlern“, Drogen- und Alkoholkonsum werden nicht toleriert. Der Film zeigt, wie gut vernetzt die Szene mittlerweile ist: Um einen kurzfristig ausgefallenen Kampf zu kompensieren, stößt die NW zu einem bereits vereinbarten Match zwischen Kieler und Kaiserslauterer Hooligans. Beim gemeinsamen Gruppenfoto ertönt der Ruf „Heil Hansa“, einige zeigen dazu den Hitlergruß. Was das Video nicht verrät: Die Nordische Wut gründete sich auch aus Ablehnung gegenüber nicht-weißen Kämpfern, die in der Rostocker Hool-Szene mitwirkten. Nach Recherchen des NDR sind einige Mitglieder der Gruppe, unter denen sich auch Bundeswehrsoldaten und Mitarbeiter einer deutschlandweit tätigen Security-Firma befinden, bereits im Kontext rechter Straftaten auffällig geworden.

Gewaltaffine Fußballfans

Die NW steht stellvertretend für eine neue und extreme Entwicklung in den Fanszenen, zu deren Hochburgen NRW gehört. In Dortmund waren phasenweise zwei besonders gewaltaffine Gruppen aktiv. Die 1999 gegründeten Desperados (DES) galten lange als die führende Ultra-Gruppierung auf der Südtribüne, sie entwickelten und intensivierten über die Jahre Kontakte zum Nationalen Widerstand Dortmund (NWDO). Im Sommer 2015 gründeten sich zudem die 0231 Riots, die sich in Teilen aus ehemaligen Mitgliedern der DES rekrutierten. Auch zwischen den 0231 Riots und der Dortmunder Neonaziszene bestehen enge Kontakte. Nachdem im Sommer 2017 gegen die Gruppe ein Vereinsverbotsverfahren angestrebt wurde — der Bundesgerichtshof erklärte Anfang 2015 anhand der Gruppe Hooligans Elbflorenz, dass Hooligan-Gruppen als kriminelle Vereinigungen eingestuft werden können –, verkündeten die 0231 Riots ihre Auflösung. Ein Großteil ihrer Mitglieder erhielt dazu ein bundesweit wirksames Stadionverbot, nachdem im Februar 2017 auf der Fahrt zum Spiel des BVB in Darmstadt Pyrotechnik, Vermummungsmaterialien und Kampfsporthandschuhe gefunden wurden. Die Desperados treten seit dem Herbst 2017 ebenfalls — zumindest im Stadion — nicht mehr aktiv auf. Beide Dortmunder Gruppen pflegen Kontakte in die Kölner Szene, insbesondere zu den Boyz und den mit diesen eng verbandelten Hooligan-Strukturen, die unter dem Label Hooligans Köln auftreten. Gemeinsam gehen Dortmunder und Kölner gegen andere Hool-Gruppen wie die NW „auf den Acker“. Im Jahr 2013 nahmen die Hooligans Köln an einem neonazistischen Hooligan-Fußballturnier in Moskau teil und posierten auf Fotos mit Hitlergruß. Im August 2017 hing im Kölner Block die Zaunfahne der Revolte 0221. Der Name dürfte angelehnt sein an die Dortmunder „Riots“. Revolte 0221 wird ebenfalls eine extrem hohe Gewaltbereitschaft nachgesagt. Nach Einschätzung von Experten gibt es in jeder relevanten Fanszene in NRW mindestens eine gewaltbereite ultranahe Gruppe.

Mischszenen

Gewalt ist oftmals fester Bestandteil der eigenen Definition von Fankultur — auch bei „links“ eingestellten Gruppierungen. Nahezu alle organisieren ein eigenes Kampfsporttraining. Allgemein hat sich der Fokus weg von den 90 Minuten im Stadion bewegt. Ein Grund hierfür ist sicherlich auch in der immer weiter zunehmenden Kommerzialisierung des Produkts Fußball zu suchen. Das sinn- und identifikationsstiftende Element Verein ist zu einer GmbH oder AG geworden, Spieler und Trainer sind austauschbar. Das Zusammengehörigkeitsgefühl wird deshalb stärker als zuvor in der Gruppe und der Verbundenheit zur eigenen Stadt gesucht. In einem Interview mit der ukrainischen Website troublemakers.com beschreibt der Gründer von White Rex, Denis Nikitin, die deutsche Szene wie folgt: „Die deutschen Gruppen haben sich längst von den Mannschaften abgenabelt und machen ihr eigenes Ding. Sogar in Köln ist das Verständnis so, dass wir nicht für den Verein, sondern für unsere und die Dortmunder Jungs kämpfen. Wir kämpfen für unsere Stadt, unsere Region.“

Um das Jahr 2010 begann die Zerfaserung der Ultra-Szenen, als sich in vielen Kurven die Gruppen aus verschiedensten Gründen spalteten. Teilweise, weil sie im Stadion unterschiedliche Interessen verfolgten oder ihnen Mitglieder der eigenen Gruppierung nicht mehr „radikal“ genug erschienen. In einigen Städten lagen diesen Spaltungen aber auch politische Motive zugrunde. Es kam zu gewalttätigen Konflikten, unter anderem in Aachen, Duisburg, Braunschweig oder Düsseldorf. In Aachen und Braunschweig waren dabei die antirassistischen Gruppen den rechten und rechtsoffenen Ultra- und Hooligan-Gruppen unterlegen.

Die Grenzen zwischen den Fankulturen der Ultras und der Hooligans verschwimmen zusehends. Es hat sich eine Misch-Szene gebildet, die sich unterschiedlicher Elemente beider Seiten bedient: des hohen Organisationsgrades und des Gruppenlebens der Ultras mit ihrem enormen Gewaltpotenzial und des konspirativen „Ackermatches“ der Hooligans. Für die verabredeten Schlägereien werden in Studios Kampfsporttechniken perfektioniert. Nikitin erläutert, dass sie „trainieren und leben (…) wie echte Sportler, gesunde Ernährung, 6-mal die Woche Training, pumpen, boxen etc.“ Dies hat eine zunehmende Abnabelung vom Fußballsport zur Folge, denn die eigene Gruppe genießt einen höheren Stellenwert als der Bezugsverein.

Nationalistische Ideen

Nikitin ist der ideologische Kopf hinter White Rex, der Marke, die er erst als Kampfsportturnier und später als Modelabel vermarktete, damit „die Sportler, die eher im Hintergrund agieren, in unsere Welt eintauchen können. In die Welt unserer Ideen.“ Mit den Turnieren und der Modemarke vermittelt er einen neuen rechten Lebensstil. Diesen überträgt er in die Welt der Hooligans, obwohl er nach eigener Aussage keine Affinitäten zum Fußballsport hat. Auch der Support der Ultras im Stadion interessiert ihn nicht, sein Interesse gilt dem Kampfsport. Diesen lebt er in der Hooligan-Szene von ZSKA Moskau aus. Als 2013 die Hooligans Köln um die Boyz in Moskau zu Gast waren, gab es im Anschluss einen Kampf mit dem Nachwuchs der Moskauer Hooligans. Auf Kölner Seite kämpfte damals schon Nikitin.

Zu seinen Kontakten zählt der Dortmunder „Mixed-Martial-Arts“-Kämpfer Timo Kersting, der sich im Umfeld des NWDO bewegte. Kersting organisierte unter anderem das Kampfsporttraining für die DES und ist eine der Schlüsselfiguren, unter anderem zwischen den „Riots“ und der Dortmunder Hooligan-Gruppierung Northside. Dabei übernimmt er eine wichtige Netzwerkfunktion, auch für andere Städte. „Mit den Jungs aus Dortmund ist eine echte Männerfreundschaft entstanden. Uns verbinden die nationalistischen Ideen. (…) Wir haben eine Art Bündnis aus freundschaftlichen Beziehungen und rechten Ansichten“, fasst Nikitin das Verhältnis zusammen.

Vom Acker in den Ring

Bei vielen MMA- und Freefight-Turnieren stehen mittlerweile Personen aus der Fanszene im Ring, werden von ihrer Gruppe zu den Kämpfen begleitet und mit fußballtypischem Support unterstützt. Teilweise werden die Events von ihnen (mit)organisiert. Bei einem der bekanntesten Turniere, dem „Fair Fighting Championship“, sollten sich 2015 Christian „BIFI“ Willing und Marcus Kottke gegenüberstehen. Wegen „verwaltungstechnischen Einwirkens“ gegenüber Willing, wie es auf der Homepage der Organisatoren heißt, fiel der Kampf kurzfristig aus. Willing gehört zur Hooligan-Szene bei Rot-Weiß Essen (RWE). Als Boxstall wird der Name seiner Hool-Gruppe Alte Garde Essen/Boxclub Hafenstrasse angegeben. Er soll im Jahr 2013 beteiligt gewesen sein, als die Vorführung des Films „Blut muss fließen“ im Essener Fanprojekt von etwa 20 rechten Hooligans der Alten Garde verhindert wurde. Die Essener Gruppe pflegt Beziehungen zu den beiden rechten Bremer Gruppen Standarte Bremen und Nordsturm Brema. Nachdem die Dortmunder „Riots“ sich im Juli 2017 auflösten, hing beim Spiel von RWE bei der zweiten Mannschaft von Borussia Ende Juli ein Banner mit der Aufschrift „Für immer Riot 0231“ vor der Essener Kurve.

Willings Gegner, der Leipziger Marcus Kottke, kämpft für das Imperium Fighting Team (IFT) um Benjamin Brinsa. Kottke war an dem Übergriff auf den Leipziger Stadtteil Connewitz am 11. Januar 2016 beteiligt und stammt wie Brinsa aus der rechten Fanszene von Lok Leipzig.

Für gewaltorientierte Ultras und Hooligans bedeutet die Teilnahme an den Turnieren eine öffentliche sportliche Anerkennung, die sie bei ihren konspirativen Matches so nicht erfahren. Beim Training in den Kampfsportstudios treffen sie auf Gleichgesinnte aus anderen Milieus, kampfsportorientierte Rechte oder Personen aus dem Rockermilieu. Alle eint eine ähnliche Vorstellung von Normen und Werten, die Faszination für Gewalt, der hierarchische Aufbau innerhalb ihrer jeweiligen Gruppen und ein ähnliches Bild von Männlichkeit. Ein Bild des kriegerischen, archaischen und soldatischen Mannes. Disziplin, Siegeswille, Überlegenheit gegenüber dem sportlichen und politischen Gegner. Das sind Schnittmengen, die die Hooliganszene für Rechte so attraktiv macht. Auch beim neonazistischen Kampfsport-Event Kampf der Nibelungen (KdN) haben in den letzten Jahren regelmäßig Kämpfer, die einen Bezug zu organisierten Ultra- und Hooligan-Strukturen aufweisen, als Kämpfer teilgenommen oder waren als ZuschauerInnen anwesend. So nahm 2016 unter dem Kampfnamen „Adolf“ auch ein Mitglied der Bielefelder Hooligan- und Ultragruppe Venomous Generation (VG) am KdN teil.

Verzerrte Hegemonie in Fanszenen

In den Stadien stellen Gruppen wie die „Riots“ und ihre potenziellen Nachfolger eine Bedrohung für antirassistische Ultras und Fans dar. Sie dulden keine andere politische Gesinnung. Nach dem Motto „Fußball ist Fußball und Politik bleibt Politik…“ wird jegliche nicht in ihre Denkmuster fallende Äußerung als „linke Einmischung“ gesehen. Die Trennlinie bestimmen dabei die rechten und rechtsoffenen Gruppen. Durch die Professionalisierung im Kampfsport verschiebt sich das Gewaltmonopol zu ihren Gunsten. Dies hat auch Auswirkungen auf das Innenleben antirassistischer Gruppen, die Teile der eigenen Ideale dadurch unter Umständen aufgeben müssen. Sie sehen sich gezwungen, ihrerseits aufzurüsten. Und dies nicht nur aus Gründen des Selbstschutzes und für den Fall körperlicher Auseinandersetzungen. Die Hegemonie in Fankurven wird auch immer über die Frage des Gewaltmonopols definiert. Verliert eine Gruppe diesen Status, ist sie innerhalb der eigenen Szene umso angreifbarer. Und trotz der temporären Stadionverbote in den letzten Monaten ist es wahrscheinlich, dass Gruppen wie 0231 Riot und ihre Nachahmer in Köln und anderswo wieder auftauchen werden.