Unter Generalverdacht.

Die hessische Extremismusklausel 2.0

Mit dem Zuwendungsbescheid für das Jahr 2018 sollte eine verpflichtende Sicherheitsüberprüfung für Mitarbeiter\_innen der hessischen Präventionsprojekte durch den Verfassungsschutz eingeführt werden. Nach großem medialen Protest und einer bundesweiten Solidaritätswelle mit den Projektträgern ruderte das Innenministerium zwar ein Stück zurück; ganz vom Tisch ist die Überprüfung aber nicht.

Mit dem Zuwendungsbescheid für das Jahr 2018 sollte eine verpflichtende Sicherheitsüberprüfung für Mitarbeiter_innen der hessischen Präventionsprojekte durch den Verfassungsschutz eingeführt werden. Nach großem medialen Protest und einer bundesweiten Solidaritätswelle mit den Projektträgern ruderte das Innenministerium zwar ein Stück zurück; ganz vom Tisch ist die Überprüfung aber nicht.

Die hessische CDU ist das Epizentrum der Extremismusklauseln. Die aus Hessen stammende Bundesfamilienministerin Kristina Schröder hatte es 2011 zur Bedingung für eine Förderung aus Bundesprogrammen gemacht, dass die Antragssteller eine „Demokratieer­klärung“ unterzeichnen, in der sie sich zur „Freiheitlich-Demokratischen Grund­ordnung“ (FDGO) bekennen und versichern, dafür Sorge zu tragen, dass auch ihre Kooperationspartner sich den Zielen des Grundgesetzes verpflichtet fühlen. Nach lauten Protesten schaffte Schröders Nachfolgerin Manuela Schwesig 2014 die Klausel wieder ab. Nun wagt das hessische Innenministerium einen erneuten Versuch, der weit über Schröders altes Vorhaben hinausgeht. Ganz in extremismustheoretischer Manier hat es die Auseinandersetzungen um die akzeptierende Jugendarbeit im Bereich Salafismus in Hessen zum Anlass genommen, alle Berater_innen unter „Extremismus“-Verdacht zu stellen. Die Finanzierung für demokratiefördernde Projekte aus Landes- und Bundesmitteln sollte an eine verpflichtende „Sicherheitsüberprüfung“ durch das hessische Landesamt für Verfassungsschutz (VS) geknüpft werden. Geplant war, die Mitarbeiter_innen auf Einträge im Nachrichtendienstlichen Informations­system (NADIS) zu prüfen und gegebenenfalls eine Weiterbeschäftigung zu untersagen. Weder das Einholen der Auskunft noch eine mögliche Kündigung sollten von der betroffenen Mitarbeiter_in nachvollzogen werden können — schließlich sind die VS-Erkenntnisse geheim.

Schon heute existieren neben der Eignungsfeststellung durch die Träger im Bewerbungsverfahren feste Prüfmechanismen: Das Bekenntnis der Mitarbeiter_innen zur FDGO ist seit je verpflichtende Praxis, die Vorlage des polizeilichen Führungszeugnisses in vielen pädagogischen Bereichen Standard; doch nicht einmal für ein Beamt_innenverhältnis ist eine geheimdienstliche Überprüfung notwendig. Diese betrifft lediglich Beschäftigte, die mit geheimen staatlichen Informationen oder an sicherheitsrelevanten Stellen wie Atomkraftwerken arbeiten. Der hessische Innenminister Peter Beuth meinte nun, auch Menschen sollten dazu zählen, die Workshops zu Rassismus an Schulen anbieten.

Bundesweiter Gegenwind

Zurecht empörte der Vorstoß die bundesdeutsche Beratungslandschaft, als das Vorhaben Ende November durch eine Stellungnahme des Mobilen Beratungsteams Hessen aus Kassel öffentlich gemacht wurde. Rasch schloss sich der Bundesverband der Mobilen Beratungen mit kritischen Äußerungen an; es folg­ten solidarische Stellungnahmen mehrerer politischer Bildungsvereinigungen und aus der sozialwissen-

schaftlichen Forschung. Alle monierten den Vertrauensbruch gegenüber den langjährigen Kooperationspartnern. Die öffentliche Gegenwehr zeigte Wirkung. Bereits Mitte Dezember ruderte Beuth zurück und kündigte an, von einer Überprüfung der bestehenden Projektträger abzusehen. Bestehen bleiben soll jedoch die Prüfung neuer Träger sowie die Prüfung „begründeter Einzelfälle“. Damit ist zwar die akute Bedrohung bestehender Strukturen vorerst vom Tisch; der VS wird aber dennoch in seiner Stellung gestärkt, und es bleibt ein diffuses Bedrohungsszenario für einzelne Mitarbeiter_innen.

Beratung und Geheimdienst

Der hessische VS besaß bereits vor der Neuerung einen weitreichenden Einfluss auf die Beratungsstruktur. Das beratungsNetzwerk Hessen fungiert in dem Bundesland als Kernorganisation, in der die gesamte hessische Beratungspraxis organisiert und verwaltet wird. Es ist organisatorisch und finanziell beim Innenministerium angesiedelt. Zusammen mit dem kürzlich gegründeten Demokratiezentrum an der Philipps-Universität Marburg stellt es die Schnittstelle zwischen den meisten frei arbeitenden Berater_innen beziehungsweise deren Trägerorganisationen und dem Innenministerium dar. Es ergibt sich dadurch zweierlei: eine zentralisierte Organisation der Beratungsstrukturen und eine direkte Anbindung an das hessische Innenministerium. Letzteres wird vom „Forschungsschwerpunkt Rechtsextre­mismus/Neonazismus“ der Hochschule Düsseldorf (FORENA) in einer solidarischen Stellungnahme kritisiert. Die FORENA fordert, die Beratung orga­nisatorisch anders anzugliedern, da sie beim Innenministerium nicht in den richtigen Händen sei. In anderen Bundesländern, etwa in NRW, liegt die Verantwortung beim Familienministerium. Durch die Anbindung an das Innenmi­nisterium ist eine Nähe zu den Sicherheitsbehörden unumgänglich; sie sind Teil des Beratungsnetzwerkes und seiner Lenkungsgruppe, des regelmäßigen Koordinationstreffens der Trägerorganisationen. Der VS sitzt dort als ungleicher Partner mit den zivilgesellschaftlichen Akteur_innen an einem Tisch und hat als einziger eine Kontroll- und Vetofunktion, ohne selbst auch nur annähernd Transparenz über seine Arbeitsweise zu bieten. Eine gesonderte Prüfung der Mitarbeiter_innen scheint auch deshalb absurd, weil der VS durch die Struktur in regelmäßigem Kontakt mit den Projektträgern steht und man im beratungsNetzwerk Hessen auf eine zehnjährige gemeinsame Praxis verweisen kann.

Es scheint paradox: Je weiter nach der NSU-Enttarnung die Glaubwürdigkeit des hessischen Inlandsgeheimdiensts und sein Ansehen in der Zivilgesellschaft sinken, je mehr er die Auf­klärung des NSU-Komplexes in Hessen verhindert (siehe hierzu S. 52 ff.), desto mehr Stellen und Kompetenzen schreibt ihm die schwarz-grüne Regierung Hessens zu. Obwohl eklatante Missstände in der hessischen Behörde offensichtlich wurden, wird an einem Ausbau der VS-Strukturen und -Kompetenzen festgehalten. 2013 wurde die Behörde einer internen Revision unterzogen, in deren Zuge das Hessische Informations- und Kompetenzzentrum Extremismus (HKE) gegründet wurde. Dieses Gremium aus Ministerien und Sicherheitsbehörden vergibt seither die Mittel zur Demokratie-förderung. Schon vor der Einführung einer Mitarbeiter_innenprüfung gehen die Gelder in Hessen also durch die Hände des Verfassungs­schutzes.

Nichts aufgeklärt, nichts gelernt

Und es geht noch weiter: Noch bevor der hessische NSU-Untersuchungsausschuss seinen Bericht verfasst hat, bringt die Regierung ein neues VS-Gesetz auf die Schiene, das eine neue Dimension an Kompetenzerweiterung für den VS mit sich bringt. Onlinedurchsuchungen und ein immens eingeschränktes Auskunfts­recht sind dabei nur Teilaspekte. Der Versuch, ausgerechnet den VS in das Verfahren zur Einstellung neuer Mitarbeiter_innen bei Demokratieprojekten einzubringen, sagt viel über das Demokratieverständnis aus — nicht über das der Projektmitarbeiter_innen, sondern über das der Regierung.

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