Ich sag jetzt mal besser nichts

Müssen Zeug*innen jetzt bei polizeilichen Vorladungen aussagen?

Am 24. August 2017 ist das „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ in Kraft getreten. Mit diesem Gesetz wurde auch der § 163 der Strafprozessordnung (StPO) geändert, der die „Aufgaben der Polizei im Ermittlungsverfahren“ regelt. Dort heißt es nun (Absatz 3 Satz 1): „Zeugen sind verpflichtet, auf Ladung vor Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und zur Sache auszusagen, wenn der Ladung ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt.“

Am 24. August 2017 ist das „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ in Kraft getreten. Mit diesem Gesetz wurde auch der § 163 der Strafprozessordnung (StPO) geändert, der die „Aufgaben der Polizei im Ermittlungsverfahren“ regelt. Dort heißt es nun (Absatz 3 Satz 1): „Zeugen sind verpflichtet, auf Ladung vor Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und zur Sache auszusagen, wenn der Ladung ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt.“

Diese Änderung hat es in sich: Bislang waren Zeug*innen in Strafverfahren nicht verpflichtet, bei der Polizei zu erscheinen. Es war vielmehr Staatsanwaltschaften und Gerichten vorbehalten, Zeug*innen verbindlich zu laden. Es gehörte daher zum juristischen Basiswissen politisch aktiver Menschen, Ladungen der Polizei grundsätzlich nicht nachzukommen. Diese Empfehlung ist in dieser Allgemeinheit mit der neuen Rechtslage offensichtlich nicht mehr zu vereinbaren. Wann aber sind Zeug*innen denn jetzt verpflichtet, einer polizeilichen Vorladung nachzukommen? Auch nach der neuen Rechtslage gibt es keine uneingeschränkte Pflicht, bei der Polizei zu erscheinen und auszusagen. Insofern kann man an der grundsätzlichen Empfehlung, nicht bei der Polizei zu erscheinen und auszusagen, durchaus festhalten. Es müssen aber eben die Ausnahmen in den Blick genommen werden: Die Pflicht, bei der Polizei zu erscheinen, setzt einen „Auftrag der Staatsanwaltschaft“ voraus. Das Gesetz regelt jedoch nicht, wie dieser Auftrag auszusehen hat. Kritiker*innen befürchten, dass Staatsanwaltschaften Polizeibehörden einen generellen Auftrag für sämtliche Ermittlungsverfahren erteilen, also praktisch eine Art Generalvollmacht, so dass die Pflicht, bei der Polizei auszusagen, von der Ausnahme zur Regel wird.

Vorsicht Falle

Klarzustellen ist, dass die Änderung nur Zeug*innen betrifft, also nur Personen, die möglicherweise etwas zu einer durch eine andere Person begangenen Straftat sagen können. Wer selbst beschuldigt wird, ist wie bisher weiterhin nicht verpflichtet, bei der Polizei zu erscheinen. Auch hier setzt Kritik an der Neuregelung an: Denn die Entscheidung, wer Beschuldigte*r oder Zeug*in ist, liegt bei der Staatsanwaltschaft. Dabei kommt es durchaus vor, dass sich während der Zeug*innenvernehmung Anhaltspunkte für eine Tatbeteiligung des vernommenen Person ergeben, sie also zur oder zum Beschuldigten wird. Kann man sich darauf verlassen, dass die Polizist*innen die Vernehmung dann ordnungsgemäß unterbrechen und die Staatsanwaltschaft fragen, wie weiter verfahren werden soll? Zu befürchten steht, dass Betroffene in der irrigen Annahme, als Zeug*innen zur Aussage verpflichtet zu sein, sich um Kopf und Kragen reden.

Weiter befürchten Kritiker*innen, dass Polizeibeamt*innen die neue Rechtslage nutzen wollen könnten, um Zeug*innen zu überrumpeln. So wäre etwa denkbar, dass Personen, die unmittelbar nach einer (vermeintlichen) Straftat am (vermeintlichen) Tatort angetroffen werden, unter Hinweis auf die neue Rechtslage zur Aussage aufgefordert werden — und sie damit um die ihnen zustehenden Rechte, namentlich einen Zeugenbeistand (§ 68b StPO), sowie um die Möglichkeit, sich vor der Vernehmung beraten zu lassen, gebracht werden.

Was passiert nun, wenn man sich trotz Verpflichtung weigert, bei der Polizei zu erscheinen oder auszusagen? Auch nach der neuen Rechtslage hat die Polizei selbst keine Möglichkeit, Sanktionen zu verhängen. Maßregeln bleiben auch weiterhin der Staatsanwaltschaft bzw. der*dem Ermittlungsrichter*in vorbehalten. Die §§ 51 und 70 StPO sehen unter anderem die Möglichkeit vor, unbotmäßige Zeug*innen mit einem Ordnungsgeld zu belegen oder mit Ordnungshaft, wenn das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann, oder sie zwangsweise vorzuführen.

Unberührt bleiben die Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechte. Wie bisher ist also beispielsweise niemand verpflichtet, sich selbst oder nahe Angehörige zu belasten. Das gilt selbstverständlich auch bei der Polizei. Entsprechendes gilt für „Berufsgeheimnisträger“, wie etwa Ärzt*innen oder Rechtsanwält*innen, deren Schweigepflicht auch bei der Polizei gilt.

Erste praktische Erfahrungen

Eine freilich nicht repräsentative Umfrage bei Strafverteidiger*innen in meinem Bekanntenkreis ergab, dass das neue Recht bis jetzt sehr wenig angewendet wird. Insgesamt konnte ich nur wenige einschlägige Fälle verifizieren. Diese betrafen Sexualdelikte. Im Zusammenhang mit Staatsschutzdelikten wie auch im Fußballumfeld sind mir gar keine Fälle bekannt geworden. Auch wurden die erforderlichen Aufträge der Staatsanwaltschaft jeweils für den konkreten Einzelfall erteilt, also nicht im Stile einer „Generalvollmacht“. Ob es bei dieser Zurückhaltung der Behörden bleiben wird, bleibt abzuwarten.

Was tun?

Wie soll man sich aber nun im Ernstfall verhalten? Wer von der Polizei zur Vernehmung als Zeug*in geladen oder sonstwie aufgefordert wird, als Zeug*in auszusagen, sollte zunächst darauf achten, ob Hinweise auf einen „Auftrag der Staatsanwaltschaft“ erkennbar sind. Wenn etwa in einer schriftlichen Ladung nicht von einem solchen Auftrag die Rede ist, kann man die Ladung, wie bisher auch, ignorieren. In einer Situation einer direkten Ansprache kann man entsprechend darauf hinweisen, dass man nichts sagen möchte, wenn man nicht muss. Im Zweifelsfalle muss halt nachgefragt werden. Wenn ein Auftrag vorliegt, wird man nicht umhin kommen, sich dazu zu verhalten. Dabei haben Zeug*innen zumindest das Recht auf einen „anwaltlichen Beistand“, was allerdings nicht zwingend bedeutet, dass dessen Vergütung vom Staat übernommen wird. Man kann also auch zumindest versuchen, einen Aufschub zu erwirken, indem man darauf hinweist, dass man sich anwaltlich beraten lassen oder auch nur in Begleitung des Beistandes zur Vernehmung erscheinen möchte. Wie die Behörden mit solchen Einwänden umgehen werden, lässt sich derzeit nicht sicher vorhersagen, weil es noch kaum praktische Erfahrungen mit dem Gesetz gibt und das Gesetz selbst diesbezüglich unergiebig ist.

Danksagung

Für seine Erfahrungsberichte bedanke ich mich insbesondere bei Herrn Kollege Rechtsanwalt Christian Remy aus Hamburg.

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