„...und die Jugendkultur fördern”

Neonazismus in Dortmund — ein aktueller Überblick

Dortmund ist nach wie vor bundesweit eines der attraktivsten Ziele für Neonazis, weiterhin ziehen zahlreiche Neonazis in die Ruhrgebietsstadt. Nach dem Verbot des „Nationalen Widerstands Dortmund“ (NWDO) hat sich die Szene nicht nur in der Partei „Die Rechte“ reorganisiert. Auch neue Gruppen sind entstanden.

Dortmund ist nach wie vor bundesweit eines der attraktivsten Ziele für Neonazis, weiterhin ziehen zahlreiche Neonazis in die Ruhrgebietsstadt. Nach dem Verbot des „Nationalen Widerstands Dortmund“ (NWDO) hat sich die Szene nicht nur in der Partei „Die Rechte“ reorganisiert. Auch neue Gruppen sind entstanden.

Rechte Gewalt hat in Dortmund seit 2000 fünf Todesopfer gefordert. Immer wieder kommt es zu Einschüchterungsversuchen, konkreten Bedrohungssituationen und Übergriffen auf politische Gegner_innen. Dass Dortmund den Ruf hat, eine Nazihochburg zu sein, liegt aber vor allem an den bundesweiten Mobilisierungen zu Großaufmärschen. Der wichtigste war jahrelang der sogenannte „Nationale Antikriegstag“, der 2008 seinen Höhepunkt mit zirka 1.200 Teilnehmenden erreichte. Mit der Ausrichtung des „Tags der Deutschen Zukunft“ 2016 und dem Start der Kampagne zum „Europa erwache“-Aufmarsch am 14. April 2018 versuchen die lokalen Strukturen an die Tradition der Großaufmärsche des im August 2012 verbotenen NWDO anzuknüpfen.

Die Dortmunder Neonazi-Szene verfügt über eine gefestigte Struktur und Kontinuitätslinien. Ihre Ursprünge reichen bis Anfang der 1980er Jahre zurück. Bereits in den 2000er Jahren nahmen Dortmunder Neonazis eine Vorreiterrolle bei der Entwicklung des Konzeptes der „Autonomen Nationalisten“ ein. „Aktivisten“ der ersten Stunde waren Dennis Giemsch aus Herdecke, Dietrich Surmann aus Hamm sowie der gebürtige Dortmunder Alexander Deptolla. Insbesondere Letzterer spielt nach wie vor eine zentrale Rolle. Der „Hammerskin“ Deptolla organisiert regelmäßig klandestine Konzerte und gehört zum Orga-Team des „Kampfs der Nibelungen“ (vgl. Schwerpunkt der Lotta #69). Die Übergänge zwischen „parteinahen Strukturen“ und rechten Erlebniswelten wie Fußball, RechtsRock und Kampfsport sind ohnehin fließend. Dass die Dortmunder Neonazis nicht nur bundesweit, sondern auch innerhalb Europas bestens vernetzt sind, ist ebenfalls nicht neu (vgl. Lotta #67).

Die Szene entwickelt sich dynamisch. Durch Zuzüge und Knastaufenthalte verändern sich Aufgabenverteilungen, und es deuten sich interne Machtkämpfe an. So zieht sich der viele Jahre führende Neonazi-Kader und Betreiber des Webhosting-Dienstes logr.org Dennis Giemsch immer mehr aus der Öffentlichkeit zurück — offenbar aus privaten Gründen. Michael Brück hat nicht nur den Sitz im Rat der Stadt Dortmund und den Versandhandel von Giemsch übernommen, sondern fungiert auch als Anmelder von Versammlungen.

„Nationale Freiräume erkämpfen“

Rund um den Wilhelmplatz in Unterdorstfeld ist den Neonazis teilweise eine Verankerung im sozialen Nahraum gelungen. Ihre angestrebte Hegemonialstellung können sie jedoch abseits der wenigen Straßen um ihre Wohngemeinschaften nicht aufrecht erhalten, sie propagieren aber einen „Raumkampf“ um die Vorherrschaft im Stadtteil. Fester Bestandteil der lokalen Szene-Infrastruktur sind die seit über zehn Jahren in unterschiedlicher Besetzung bestehenden Wohngemeinschaften in den Häusern Emscherstraße 2 und Thusneldastraße 3. Die Räumlichkeiten dienen nicht nur zahlreichen Neonazis als Meldeadresse, sondern auch als Anschrift der Zeitschriften N.S.Heute und Reconquista sowie als Sitz des Bundesverbands von Die Rechte. Sie werden auch als Veranstaltungsorte genutzt, selbst ein Bundesparteitag von Die Rechte fand hier bereits statt. Die Proklamation Dorstfelds als „Nazi-Kiez“ übt eine große Anziehungskraft auf Neonazis aus. Dieses Image wird, beispielsweise über einen großen Artikel in N.S. Heute, regelrecht vermarktet. Dorstfeld ist vielfach die erste Anlaufstelle für Neonazis, die eine Unterkunft nach ihrer Haftentlassung benötigen, so auch aktuell für Matthias Drewer.

Ausbau der Infrastruktur

Offenbar verfügen die Neonazis über genügend finanzielle Mittel, so dass der vor einigen Jahren aus Ahlen (Kreis Warendorf) zugezogene Matthias Deyda 2017 ein Haus mit mehreren Wohneinheiten und einem Anbau in Dorstfeld kaufen konnte. Mit dem Haus „In der Siepenmühle 15“ stehen Räumlichkeiten mit Übernachtungsmöglichkeiten für auswärtige Neonazis bei Großveranstaltungen oder Aufmärschen zur Verfügung. Unwahrscheinlich ist, dass das Haus von Deyda selbst finanziert wurde. Finanzielle Zuschüsse erhielten die Neonazis schon zu Zeiten des NWDO über Hans-Jochen Voß, dem Vorsitzenden der NPD Unna/Hamm. Auch Ex-Feuerwehrchef Klaus Schäfer, der schon mehrfach öffentlich als Redner für Die Rechte auftrat, verfügt mit der Pension eines ehemals leitenden städtischen Beamten über entsprechende finanzielle Mittel. Geld dürfte darüber hinaus über Events wie das „Schild & Schwert“-Festival in die Kassen der Dortmunder Neonazis fließen. Bei dem Festival ist das „Kampf der Nibelungen“-Team involviert, zudem ist ein Auftritt der Dortmunder Band Oidoxie um Marko Gottschalk angekündigt. Seit Frühjahr 2016 bildet Brück zusammen mit Axel Thieme von der NPD eine gemeinsame Ratsgruppe, wodurch den Neonazis jährlich weitere 40.000 Euro aus kommunalen Mitteln zur Verfügung stehen.

„Dortmunds Rechte“

Der Dortmunder Kreisverband von Die Rechte ist bundesweit der mit Abstand aktivste und einflussreichste Verband innerhalb der Partei, die seit 2012 als „schützendes Dach“ für die verbotenen Kameradschaften dient und damit eher Mittel zum Zweck für die Weiterbetätigung ist. An die Parteispitze wurde Anfang April 2018 das Führungsduo Michael Brück und Sascha Krolzig gewählt. Letzterer war Anführer der verbotenen Kameradschaft Hamm, zog dann nach Bielefeld und jüngst nach Dortmund. Er amtiert zudem als NRW-Landesvorsitzender der DR und als „Schriftleiter“ von N.S.Heute. Zuvor hatte der Dortmunder Christoph Drewer fast ein halbes Jahr lang kommissarisch als Bundesvorsitzender fungiert, nachdem der Parteigründer Christian Worch überraschend seinen Posten niedergelegt hatte. Drewer fungiert nun wieder als stellvertretender Bundesvorsitzender.

Obwohl Die Rechte nicht parlamentarisch orientiert ist, betrieb sie 2014 einen ernsthaften Kommunalwahlkampf, der ihr mit 1,0 Prozent der Stimmen einen Sitz im Stadtrat bescherte. Dieses Mandat hat aktuell Brück inne, der auch in der Bezirksvertretung (BV) Huckarde als DR-Vertreter sitzt. Weitere Sitze hat sie in den Bezirksvertretungen Scharnhorst (André Penczek), Innenstadt-Nord (Siegfried Borchardt) und Mengede (Thorsten Balzer). Mit Claus Cremer aus Bochum-Wattenscheid hat der Landesvorsitzende der nordrhein-westfälischen NPD eine bezahlte Anstellung als Geschäftsführer der Ratsgruppe gefunden. Das Verhältnis zwischen DR und NPD galt lange Zeit als belastet (vgl. Lotta #50, S. 35), das scheint nun nicht mehr der Fall zu sein. Christoph Drewer unterstützt die Öffentlichkeitsarbeit der Ratsgruppe als „Beauftragter für Außenwerbung”. Die politische Strategie der Neonazis im Rat ist simpel: Jede Möglichkeit der Wortergreifung wird von Brück ausgeschöpft. Mit „Anfragenoffensiven“ — mehrere hundert bislang von den Neonazis eingereichte schriftliche Anfragen — und Klagen wird die Stadtverwaltung beschäftigt. Michael Brück gefällt sich in der Rolle als „Dortmunds gefürchtetster Oppositionspolitiker“. Anfragen und Anträge setzen meist auf einen Provokationseffekt, so fragte die DR bereits nach der Anzahl der Menschen jüdischen Glaubens in den Stadtteilen oder forderte, die Stadt möge anlässlich des „Europa Erwache“-Aufmarsches schwarz-weiß-rote Flaggen am Rathaus hissen.

„Aktionsgruppe West“

Seit dem Verbot des NWDO hat sich die Szene auch in weiteren Gruppierungen reorganisiert. In einigen Dortmunder Vororten gibt es aktionsorientierte Neonazi-Gruppen mit enger Anbindung an Die Rechte. Die seit 2012 bestehende Aktionsgruppe West (AG West) um Alexander Pentrup ist neben der DR die aktivste Gruppe im Dortmunder Westen. Sie organisiert eigene kleinere Kundgebungen, „Heldengedenken“ und Flyer-Verteil-Aktionen und unterstützte Die Rechte mit Infoständen zur Mobilisierung für den 14. April 2018. Sie durfte sich beim Auftaktkongress der „Europa Erwache“-Kampagne im November 2017 in Schwerte vorstellen. Durch Aktionen und Graffiti versuchen sie, einen rechten Lifestyle in den westlichen Stadtteilen Kirchlinde, Nette, Westerfilde, Marten und Lütgendortmund zu etablieren. Dabei knüpfen sie an das Auftreten der „Autonomen Nationalisten“ an, um attraktive Aktionsformen anzubieten und dadurch neue Mitstreiter und Mitstreiterinnen zu rekrutieren. „Straßenkunst“ und Aktionen aus den Reihen der AG West werden regelmäßig auf dem Blog „Schwarz-Rot-Chrom“ oder dem Webportal „Dortmundecho“ dokumentiert. „Man muss immer interessant sein für jüngere Leute und die Jugendkultur fördern“, ließ sich Deptolla in der N.S. Heute zitieren. Inhaltlich verortet sich die AG West unmissverständlich: „Unsere Antwort ist eine nationale und sozialistische, die auf zwei wesentlichen Dingen fußt: Volksgemeinschaft und Nationalismus.“ Aus den Reihen der AG-West hat es in den vergangenen Wochen vermehrt Angriffe und Bedrohungen gegen Linke gegeben.

„Freundeskreis Rechts “

Ein weiteres Beispiel für eine relativ junge Gruppe ist der Freundeskreis Rechts, ein Zusammenschluss von Neonazis vor allem aus dem Stadtbezirk Eving. Die Gruppe besteht seit 2016. Ihre Mitglieder sind keine Unbekannten. Sie rekrutieren sich unter anderem aus der ehemaligen Nationalen Front Eving (NFE), es gibt zudem Überschneidungen zur „Neugründung“ der Borussenfront, die allerdings im Stadion keine nennenswerte Rolle mehr spielt (vgl. Lotta #61). Akteure wie Steven Feldmann und Frederic Mantwill, dessen Vater „Aki“ bereits in den 1980er Jahren in der Borussenfront aktiv war, pflegen enge Kontakte zur DR und sind mittlerweile fester Bestandteil der Szene in Dorstfeld geworden. Mantwill meldete beispielsweise in Eving einen Infostand für die Mobilisierung zum „Europa Erwache“-Aufmarsch an. Wie Deptolla wurden sie politisch sozialisiert durch die von Siegfried Borchardt gegründete Borussenfront. In Eving gibt es bereits seit den 1980ern Aktivitäten von Neonazis. Aktuell agitiert die DR dort gegen eine Geflüchtetenunterkunft. Die Facebook-Seite „Nein zum Asylheim in Eving“ hat über 2.600 „Likes“ und verlinkt Artikel der DR.

Gestärkte Szene

Abschließend lässt sich festhalten, dass die Szene seit dem Verbot vor sechs Jahren stärker geworden ist. Ihre Infrastruktur ist spätestens mit dem Hauskauf im letzten Jahr wieder hergestellt. Unklar ist noch, inwieweit zugezogene Kader wie Matthias Drewer oder Sascha Krolzig Führungsansprüche erheben und wie sich das auswirken könnte. Insbesondere durch das Konzept „Nazikiez“ übt die lokale Szene eine große Anziehungskraft aus. Sie schafft es immer wieder, neue Leute und Gruppen an sich zu binden und zu integrieren. „Dorstfeld ist nicht bloß eine politische Kampfgemeinschaft, sondern eine Lebensgemeinschaft“, behauptet Krolzig in seiner Zeitschrift. Mit der Etablierung von eigenen Events nehmen die Dortmunder weiterhin auch überregional eine Vorreiterrolle in der sich professionalisierenden neonazistischen Szene in Deutschland ein. Innerhalb der Partei Die Rechte geht bundesweit ohnehin nichts mehr ohne die Dortmunder, die Dortmunder „Doppelspitze“ untermauert dies.

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