Kriminalisierung von Protest

Über die Repression nach NoG20

Es war mehr PR-Kampagne als Strafverfolgung, als die SoKo „Schwarzer Block“ der Polizei Hamburg Fotos von 104 Personen veröffentlichte, um sie als angebliche „G20-Straftäter\*innen“ anzuprangern. Seit den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg im Juli 2017 versuchen Polizei und Staatsanwaltschaft, durch medienwirksam gerahmtes Vorgehen gegen linke Strukturen die brutale Polizeigewalt und das Außerkraftsetzen des Versammlungsrechtes während des G20-Gipfels zu legitimieren.

Es war mehr PR-Kampagne als Strafverfolgung, als die SoKo „Schwarzer Block“ der Polizei Hamburg Fotos von 104 Personen veröffentlichte, um sie als angebliche „G20-Straftäter*innen“ anzuprangern. Seit den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg im Juli 2017 versuchen Polizei und Staatsanwaltschaft, durch medienwirksam gerahmtes Vorgehen gegen linke Strukturen die brutale Polizeigewalt und das Außerkraftsetzen des Versammlungsrechtes während des G20-Gipfels zu legitimieren.

Die erste größere Welle von Hausdurchsuchungen fand Ende September 2017 im Zusammenhang mit einem während des Gipfels geplünderten Apple Store statt. Durchsucht wurden 16 Wohnungen und Geschäfte in Hamburg. Nur vier Personen wurde dabei vorgeworfen, an der Plünderung beteiligt gewesen zu sein; alle anderen wurden beschuldigt, „Zeug*in“ oder mögliche Käufer*in von „Hehlerware“ zu sein. Auch Geräte, die nachweislich nicht aus dem geplünderten Laden kamen, wurden beschlagnahmt. Begründet wurden die Durchsuchungen mit der Auswertung von Videos und der Überwachung von Funkzellen zur „Tatzeit“ am Apple Store.

Die zweite Durchsuchungswelle mit bundesweit 24 Hausdurchsuchungen am 5. Dezember 2017 richtete sich gegen Personen, deren Personalien am 7. Juli 2017 von der Polizei am Rondenbarg in Hamburg-Altona festgestellt worden waren. Der Polizei war offensichtlich daran gelegen, die Deutungshoheit über die Ereignisse am Rondenbarg zurückzugewinnen. Elf Demonstrant*innen waren durch das brutale Vorgehen der Polizei schwer verletzt worden, weshalb der Einsatz öffentlich in die Kritik geriet.

Tonnenweise Terabytes

Seit Herbst 2017 kontrollierte und fotografierte das LKA in Hamburg mehrfach Personen, die es als „G20-Gewalttäter*innen“ beschuldigte, um Vergleichsbilder zu erstellen. Die bislang größte Aktion dieser Art fand am 25. Oktober 2017 während einer Prozesspause statt, als dreizehn Prozessbeobachter*innen in einem Café gegenüber dem Gericht in Altona von ungefähr 40 Polizeibeamt*innen über eineinhalb Stunden gehindert wurden, das Café zu verlassen. Seit März 2018 nutzt die SoKo „Schwarzer Block“ eine Gesichtserkennungs-Software, um ihre sieben Terabyte Bildmaterial zu durchsuchen. Dazu kommen noch zehn Terabyte externe Dateien etwa von der am Gipfelwochenende online gestellten Denunziationsplattform sowie 450.000 Stunden Videomaterial der Hamburger Hochbahn. Auch die RTL-Gruppe gab bereitwillig ihr gesamtes Videomaterial heraus. Öffentlich-rechtliche Sender wie der NDR leiteten nach eigenen Angaben kein unveröffentlichtes, jedoch veröffentlichtes Material in höherer Auflösung an die Ermittlungsbehörden weiter.

Internet-Pranger

Am 18. Dezember 2017 startete die Polizei mit der Publikation von Fotos von 104 Personen ihre bisher bundesweit größte Öffentlichkeitsfahndung und präsentierte die Betroffenen auf einem eigens eingerichteten Internetportal als vermeintliche Straftäter*innen. Eine zweite Öffentlichkeitsfahndung gegen weitere 101 Personen begann am 16. Mai 2018. Besonders erfolgreich war dieses Vorgehen nicht. 74 der 104 Personen aus dem ersten Aufruf blieben bis heute unidentifiziert. Den Einwand, dass dabei auch Fotos von offensichtlich Minderjährigen veröffentlicht worden waren, wischte ein Polizeisprecher lapidar vom Tisch: Wer könne schon sagen, erklärte er, ob die abgebildeten Personen 18, 17 oder erst 14 Jahre alt seien.

Mitte April startete die Fahndung nach zunächst 24 Personen in 15 anderen europäischen Staaten. Im Zuge der zweiten Öffentlichkeitsfahndung erhöhte die Polizei die Anzahl der Personen, nach denen international gefahndet wird, auf 91. Ende Mai 2018 folgten Hausdurchsuchungen in Frankreich, Italien, der Schweiz und Spanien.

Die G20-Prozesse

Direkt nach dem Gipfel saßen etwa 50 Gefangene in Untersuchungshaft. Die meisten Betroffenen mit deutschem Pass wurden relativ schnell wieder entlassen. Gegen die verbliebenen 30 Personen laufen seitdem Prozesse. Aufgrund der in der EU bestehenden Auslieferungsabkommen sind die betroffenen EU-Bürger*innen eigentlich rechtlich mit Deutschen gleichgestellt; sie hätten daher ebenfalls aus der U-Haft entlassen werden müssen, da Fluchtgefahr als Haftgrund nicht greift. Als juristische Rechtfertigung für die U-Haft wurde deshalb angeführt, das Rechtsempfinden der Hamburger Bürger*innen sei gestört worden; diese hätten daher ein Anrecht auf schnelle Urteile. Wenn aber Auslieferungsanträge gestellt werden müssten, zögen die Prozesse sich zu sehr in die Länge.

Staatsanwaltschaft und Gerichte setzten die U-Haft gezielt als Druckmittel für Geständnisse ein. In mehreren Verfahren vermittelte die Staatsanwaltschaft immer wieder, es gebe Bewährungsstrafen nur im Falle eines Geständnisses. Dass dies nicht stimmt, wurde im Prozess gegen Emiliano Anfang Oktober 2017 deutlich. Dieser gab vor Gericht eine politische Erklärung ab, sagte jedoch nichts zur Sache aus und kam dennoch am ersten Prozesstag auf Bewährung frei. Auch Alessandro wurde ohne Geständnis an seinem ersten Prozesstag Ende Oktober 2017 auf Bewährung aus der Haft entlassen. Im Berufungsverfahren Ende April 2018 versuchte die Staatsanwaltschaft durchzusetzen, dass es bei einem G20-Verfahren ohne reuiges Geständnis keine Bewährung geben dürfe, doch das gegenteilige Urteil vom Oktober wurde bestätigt.

Es würde zu weit führen, über alle Verfahren einzeln zu berichten. In einigen Fällen, unter anderem bei der Anklage wegen versuchten Mordes wegen des angeblichen Laserpointer-Angriffs auf einen Polizeihubschrauber, ist von den ursprünglichen Anklagepunkten nicht viel übrig geblieben. Auch Konstantin wurde von den meisten ursprünglichen Vorwürfen freigesprochen und bekam als bislang erster eine Haftentschädigung für seine vier Monate U-Haft. Sein Prozess endete am 8. Mai mit einer Verurteilung wegen vermeintlichen Widerstands; er soll mit den Füßen gezappelt haben, als vier Polizisten auf ihm saßen. Gegen das Urteil hat er Berufung eingelegt. Insgesamt fällt auf: Bei Verfahren, in denen strittig verhandelt wurde, ergab sich im schlechtesten Fall das gleiche Resultat wie bei Verfahren mit Geständnissen. Bestenfalls aber lösten sich die Vorwürfe ohne Geständnis als unhaltbar auf.

Wieviele Prozesse tatsächlich stattfinden werden, ist noch unklar. Die Ermittlungen der Polizei laufen weiterhin auf Hochtouren. Im Juni 2018 befanden sich noch sechs Personen, nachdem sie erstinstanzlich verurteilt wurden, in Haft.

DNA-Entnahmen

Obwohl eine DNA-Entnahme nur mit einem richterlichen Beschluss erzwungen werden darf, verschickte die Polizei wiederholt Vorladungen und forderte ohne einen solchen Beschluss per Post zur DNA-Abgabe auf. Auch Personen in U-Haft wurden unter Druck gesetzt; zuweilen wurde ihnen suggeriert, sie seien verpflichtet, DNA-Proben abzugeben. Einzelne Gefangene wurden sogar zur DNA-Abnahme ins rechtsmedizinischen Institut verbracht, ohne dass ein richterlicher Beschluss vorlag. Bei anderen wurden unmittelbar nach Verhandlungen im Gerichtsgebäude DNA-Abnahmen durchgeführt.

Urteile als Abschreckung

Schon im ersten G20-Prozess sollte das von Richter Johann Krieten gesprochene Urteil vor allem einschüchtern. Wegen des Vorwurfs des schweren Landfriedensbruchs, gefährlicher Körperverletzung, eines besonders schweren Angriffs auf Vollstreckungsbeamte sowie Widerstands verurteilte er einen 21-Jährigen aus den Niederlanden zu zweieinhalb Jahren Haft. Dieses Urteil dient de facto bis heute als Referenzrahmen. Insgesamt verhängte die Justiz bislang extrem harte Strafen und entsprach damit einer Forderung aus der Politik. Staatsanwaltschaft und teilweise auch Richter*innen behaupten immer wieder, aus generalpräventiven Gründen, also zur Abschreckung, seien harte Strafen nötig.

Schritte gegen die Stadt Hamburg

Im Januar 2018 wurden sechs Klagen beim Verwaltungsgericht gegen die Stadt eingereicht, um juristisch klären zu lassen, dass mehrere Versammlungsverbote und Polizeieinsätze gegen Demonstrant*innen rechtswidrig waren. Dabei geht es unter anderem um die Protestcamps in Entenwerder und Altona. In Entenwerder hatte die Polizei eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung ignoriert, womit laut der anwaltlichen Vertretung der Anmelder*innen ein „eklatanter Rechtsbruch“ und „ein Putsch der Exekutive gegen die Judikative“ zu konstatieren waren. Das Protestcamp im Altonaer Volkspark reichte Klage ein, da es wegen massiver Schikanen seitens der Polizei nicht wie geplant durchgeführt werden konnte.

Auch im Zusammenhang mit einer Blockadeaktion an der Außenalster wird gegen den Polizeieinsatz geklagt. Die Polizei hatte die Demo nicht ordnungsgemäß aufgelöst, sondern sie ohne Vorankündigung mit Schlagstöcken und Pfefferspray gewaltsam beendet. Mit drei weiteren Klagen will Attac die Rechtswidrigkeit der allgemeinen Demoverbotszone feststellen lassen.

Außerdem klagen mehrere Personen gegen ihre Ingewahrsamnahme am Rande der Abschlussdemo am 8. Juli 2017 am Millerntor. Eines der Verfahren wurde Anfang Juni gewonnen. Das Gericht hat das Gewahrsam insgesamt für rechtswidrig erklärt.

Delegitimierung von Protest

Die Repressionen gegen Linke im Zuge der G20-Prozesse zielen auf die Einschränkung und die Delegitimierung von Protesten. Die Hamburger Polizei nutzt die Fahndung nach „Straftätern“, um sich politisch in Szene zu setzen, ihr eigenes brutales Vorgehen gegen Demonstrant*innen zu rechtfertigen und mehr Befugnisse für sich selbst zu fordern. Unter anderem in diesem Zusammenhang werden aktuell Polizeigesetze in mehreren Bundesländern verschärft. Um tatsächliche Strafverfolgung geht es dabei nur am Rande. Zudem hat im Zusammenhang der G20-Ereignisse die Diskussion um „linksextremistische Gewalt“ bundesweit wieder verstärkt Einzug in öffentliche Debatte gehalten, was antifaschistischen Protest und emanzipatorische soziale Bewegungen kriminalisiert.

„United We Stand“

Seit dem G20-Gipfel gibt es monatliche Kundgebungen vor der JVA Billwerder; in zahlreichen Städten fanden Infoveranstaltungen und Solikneipen statt, und es wurden unzählige Briefe an die G20-Gefangenen geschrieben. Die Repression im Zusammenhang mit den Protesten gegen den G20-Gipfel trifft einzelne Personen, doch zielt sie auf die Kriminalisierung und Einschüchterung jeglicher emanzipatorischer Politik und aller emanzipatorischen Strukturen. Umso wichtiger ist es, sich von der Repression nicht spalten zu lassen sondern solidarisch die Betroffenen zu unterstützen.

Der Text basiert auf der im Juli 2018 erscheinenden Broschüre „Dissenz NoG20 — Antirepression, Reflektion, emanzipatorische Praxis“ und wurde für die Lotta gekürzt und überarbeitet. Weiterlesen könnt ihr auf unitedwestand. blackblogs.org

Aktuelle Entwicklungen nach Redaktionsschluss:

Am 27. Juni gab es erneut Hausdurchsuchungen in verschiedenen Städten. Von den vier festgenommenen Personen aus dem Raum Frankfurt am Main befinden sich zwei noch in U-Haft. Auch in Göttingen gab es eine Durchsuchung, die mit der Anwesenheit der Person bei den G20-Protesten in Hamburg begründet wurde. Peinlich für die Polizei: Es stellte sich heraus, dass die Person zu dem Zeitpunkt gar nicht in Deutschland war.

Außerdem wurden mehrere Beschwerden gegen die Gefangenensammelstelle gewonnen. Das Landgericht Hamburg erklärte in mehreren Fällen den Polizeigewahrsam und einzelne Haftbedingungen (Ganzkörperkontrolle, offene Tür bei Toilettengang) für rechtswidrig.

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