„Reinigungsprozess im deutschen Volk“

Die terroristische Dimension des Dreifachmordes von Overath

Am 7. Oktober 2003 ermordete der Neonazi Thomas Adolf unter Beihilfe seiner Freundin Jennifer D. in Overath (Rheinisch-Bergischer Kreis) drei Menschen. Einige Tage später konnten beide verhaftet werden. Adolf teilte der Polizei unumwunden mit, dass er die Morde aus politischer Motivation begangen habe. In bei ihm sichergestellten Schriftstücken bezeichnete er die Taten als „Exekution“ von „Hochverrätern“. Doch als Rechtsterrorismus galten die Morde nie. 15 Jahre später weigert sich das NRW-Innenministerium noch immer, sie überhaupt als rechtsmotivierte Gewalttaten einzustufen.

Am 7. Oktober 2003 ermordete der Neonazi Thomas Adolf unter Beihilfe seiner Freundin Jennifer D. in Overath (Rheinisch-Bergischer Kreis) drei Menschen. Einige Tage später konnten beide verhaftet werden. Adolf teilte der Polizei unumwunden mit, dass er die Morde aus politischer Motivation begangen habe. In bei ihm sichergestellten Schriftstücken bezeichnete er die Taten als „Exekution“ von „Hochverrätern“. Doch als Rechtsterrorismus galten die Morde nie. 15 Jahre später weigert sich das NRW-Innenministerium noch immer, sie überhaupt als rechtsmotivierte Gewalttaten einzustufen.

Es ist kurz nach 16 Uhr, als Thomas Adolf und Jennifer D. sich unter einem Vorwand Zutritt zur Anwaltskanzlei an der Hauptstraße in Overath verschaffen. Aus einer Sporttasche zieht Adolf eine Pumpgun der Marke Mossberg, mit der er die in der Kanzlei arbeitende Mechthild Bucksteeg bedroht und unmittelbar darauf erschießt. Er zwingt ihren Ehemann, den Rechtsanwalt Hartmut Nickel, und dessen 26-jährige Tochter Alja Nickel sich auf den Boden zu legen, wo D. sie mit Kabelbindern fesselt. Adolf nimmt in einem Nebenzimmer rund 70 bis 90 Euro an sich. Einige Minuten später richtet er dann sein zweites und drittes Opfer durch Schüsse in den Kopf regelrecht hin. Die beiden Täter*innen fliehen, aber eine Augenzeugin kann der Polizei eine Beschreibung von Adolf liefern. Auf dessen Spur bringt die Ermittler*innen allerdings ein anonymer Hinweis von zwei „Kameraden“. Einer von ihnen, Konstantin S., hatte Adolf Anfang 2002 die Tatwaffe nebst Munition verkauft. Am Tag nach den Morden taucht Adolf auf dessen Arbeitsstelle auf und erklärt ihm, dass der Krieg angefangen habe. Mit der Aufforderung „Jetzt nimm du die und mach das mit deinem Anwalt“ übergibt er das Gewehr. Adolfs Plan sieht vor, dass auch S. die Waffe nach seiner Mordtat an einen anderen Neonazi weiterreicht, der wiederum einen „Hochverräter“ erschießen soll. So soll eine Mordserie entstehen, deren Aufklärung die Polizei aufgrund der unterschiedlichen Täter*innen vor Schwierigkeiten stellt. Bei Adolf wird später ein mit „Anordnung“ überschriebenes Schriftstück gefunden, in dem er festlegt, dass „jeder SS-Angehörige“ eine Person seiner Wahl „sonder zu behandeln“, also zu töten, habe. Dabei solle die „rituelle Mossberg“ eingesetzt werden, so „entsteht das Blutsband innerhalb unserer Gemeinschaft“.

Planungen für den „bewaffneten Kampf“

Dass Thomas Adolf die Morde als Beginn des „bewaffneten Kampfes“ verstanden wissen wollte, dafür sprechen zahlreiche Belege und die Einlassung des Täters vor Gericht. Wenige Tage nach dem Mord verfasste er eine „Bekanntmachung“ an das deutsche Volk. Im Namen eines „Oberkommandos der mit der Befreiung beauftragten 39. SS-SD Division ,Götterdämmerung‘“ wird proklamiert, dass am 7. Oktober 2003 mit der „Befreiung dieses Teiles des Reichsgebiets und der strafrechtlichen Verfolgung der Hochverräter begonnen“ worden sei. Fortan gelte das „Kriegsrecht“. Dieses als Flugblatt gelayoutete Manifest stellte die Polizei zusammen mit weiterem, handschriftlichen Material und einer Liste mit Zielpersonen nach Adolfs Verhaftung am 14. Oktober sicher. In den Aufzeichnungen rechtfertigt er seine Morde: Er habe eine sich „andeutende revolutionäre Situation“ in einen „geordneten Befreiungskampf (…) kanalisieren“ wollen, um so einen „blutigen Bürgerkrieg“ zu verhindern. An anderer Stelle schreibt er, im „deutschen Volk einen Reinigungsprozess“ in Gang gesetzt zu haben, „der zu einer Revolution führen wird“. Zugleich hielt Adolf fest, „tiefe Befriedigung“ empfunden zu haben, als er „diese Elemente aus dem Volkskörper austrennen konnte, ähnlich einem Geschwür“.

Adolf überhöht sich selbst als Führer der „39. SS-SD-Division“, stellt seine grausamen Morde in den Dienst einer „höheren Sache“ und als Tat einer Organisation dar. Darin gleicht er anderen rechtsterroristischen Killern, nicht zuletzt Anders Behring Breivik, der 2011 als selbsternanntes Mitglied der Bruderschaft der „Knight Templars“ im Kampf gegen „Islamisierung“ und „Kulturmarxismus“ 69 Jugendliche und Heranwachsende, die er ebenfalls als „Hochverräter“ sah, erschoss. Der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit spricht in diesem Zusammenhang vom „Töten aus der Übergesetzlichkeit der eigenen Organisation“, Breivik wie Adolf begreifen sich und ihre (fiktive) Organisation als einen „Privat-Staat“ mit eigener Rechtsprechung, in dem sie es sind, die die Todesstrafe verhängen. Die „übergeordnete Organisation“ ermächtige den Täter und hebe ihn über den „Normalbürger“ empor, der sich vor der bürgerlichen Gerichtsbarkeit zu verantworten habe, so Theweleit.

Kein „Loner“

Thomas Adolf war dennoch kein „Loner“, kein isolierter Einzeltäter, was sich nicht nur an der Tatbeteiligung von D. zeigt. Zeug*innen belegten durch ihre Aussagen im Prozess, dass Adolf bereits 2002 seine politischen Aktivitäten radikalisierte und sich regelmäßig in Hasstiraden gegen „Hochverräter“ wie Journalist*innen, Rechtsanwält*innen, Richter*innen und Politiker*innen erging. Zudem scharte er junge Leute um sich und führte mit 15 bis 20 Personen paramilitärische Übungen im Siebengebirge durch. Später wurden die Übungen auf dem Anwesen von Kai Sch. bei Rösrath im kleineren Kreis fortgesetzt. Sie dienten dem Ziel, eine neonazistische „Kampfgruppe“, eben jenen „SS-Sicherheitsdienst“, aufzubauen, so der beteiligte Zeuge Konstantin S. Im September 2003 fasste Adolf den Entschluss, zur Finanzierung des „bewaffneten Kampfes“ Raubstraftaten bei ihm besonders verhassten Personengruppen zu begehen. Mit zwei weiteren Personen, eine von ihnen war Teilnehmer der paramilitärischen Übungen, stieg er in die Planung von Raubüberfällen ein, die aber nicht durchgeführt wurden, weil sich die Gruppe zerstritt.

Unmittelbar vor den Morden in Overath begaben sich Adolf und D. auf eine Reise nach Ostdeutschland, wo sie „Kameraden“ treffen wollten und den „Verräter“ Toni Stadler, einen als Verfassungsschutz-Spitzel enttarnten Neonazi, erschießen wollten. Doch Stadler weilte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Cottbus sondern in Dortmund. Eine Verbindung zwischen beiden lässt sich über die Rechtsrock-Band Landsturm ziehen, zu der Stadler nach eigener Aussage Kontakte pflegte. In der Band spielte Adolfs „Kamerad“ Kai Sch., der Adolf auch finanziell unterstützte. Die Identität der ostdeutschen Neonazis, mit denen Adolf und D. verabredet waren, ist nicht bekannt. Auf der Rückfahrt gingen ihnen Geld und Benzin aus, so dass sie nur bis Overath gelangten.

Wer war Thomas Adolf?

Der 1958 geborene Adolf wuchs zuerst bei seiner Großmutter, einer überzeugten Nationalsozialistin, und später bei einem Onkel auf. 1977 besuchte er ein Gymnasium in Dormagen, von dem er verwiesen wurde, weil er mit einem anderen Schüler als Zeichen der Solidarität mit der RAF einen Brandanschlag auf das Rathaus von Dormagen verüben wollte. Weil sie das Bekennerschreiben im Kopiergerät ihrer Schule liegen ließen, wurden sie vor der Tat verhaftet. Adolf saß einen Monat in U-Haft und wurde schließlich 1978 zu einer Jugendstrafe von 6 Monaten auf Bewährung verurteilt. 1979 wandte er sich mit Eintritt in die Wiking Jugend dem Neonazismus zu und wurde noch im selben Jahr von der Polizei bei Schießübungen in einem Kölner Park aufgegriffen.

Im August 1979 reiste er nach Namibia aus, wo er bei einem nationalsozialistisch eingestellten weißen Farmer arbeitete. Sechs Monate arbeitete er zudem für die Armee des rassistischen Apartheidsstaates Rhodesien, wo er nach eigenen Angaben Trecks flüchtender Weißer begleitete und auch in Kampfhandlungen verwickelt war. Über Südafrika reiste Adolf im Oktober 1980 nach Paraguay und weiter nach Argentinien. Im Dezember 1981 zog es ihn zurück nach Deutschland. 1989 mietete er einen Bauernhof nahe Overath an, wo er zeitweise über eine Druckmaschine für Propagandamaterial verfügte und Mitte der 199er Jahre auch neonazistische Treffen abhielt. An einem dieser Treffen soll Manfred Roeder, der Gründer der rechtsterroristischen Deutschen Aktionsgruppen, teilgenommen haben. Auch Kai Sch. und Markus K., die in den Aufbau der „Kampfgruppe“ involviert waren, lernte er hier kennen.

Bekannt ist weiter, dass Adolf 1994 der Deutschen Liga für Volk und Heimat beitrat, einer vor allem in Köln aktiven extrem rechten Partei, für die er sich auch als Kandidat aufstellen ließ und für die er Büroräume anmietete. Im August 2003 wurde Adolf wohnungslos, er übernachtete bei Bekannten und lernte zirka drei Wochen vor den Morden die 19-jährige, der Gabber-Szene zugehörige Jennifer D. kennen.

Entpolitisierung der Tat

Adolf und sein Opfer Hartmut Nickel kannten sich aus einem Rechtsstreit, in dem Nickel Mitte der 1990er Jahre den Vermieter des von Adolf bewohnten Anwesens in Overath vertrat und 1999 eine Räumungsklage durchsetzte. Diesen Umstand zog das NRW-Innenministerium zur Entpolitisierung der Tat heran. Der Leiter des Verfassungsschutzes, Dr. Hartwig Möller, teilte dem Landtag anlässlich der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2003 (in dem die Overath-Morde keine Erwähnung fanden) mit, es gebe für die „von Adolf behauptete Bildung einer terroristischen Vereinigung […] bisher keine Anhaltspunkte.“ Die Aussagen von Adolf, er gehöre einer politischen Organisation an, werte der Verfassungsschutz als Versuch, sich einem gewöhnlichen Mordprozess zu entziehen.

Trotz der persönlichen Komponente sind die Morde in der Gesamtschau all der vorhandenen Informationen weder als Raubmorde zu bewerten, noch liegt ihnen Rache als persönliches Motiv zu Grunde. Als das Landgericht Köln am 15. Dezember 2004 sein Urteil sprach, betonten die Richter*innen den Einfluss der Ideologie bei der Tatbegehung. Im Urteil heißt es: „Seine nationalsozialistischen Vorstellungen ermöglichten Adolf bei der Tötung von Hartmut und Alja Nickel ein Handeln mit Härte, Entschlossenheit und ungerührtem Vollstreckerwillen, indem er die Opfer als Hochverräter einstufte und sich selbst anmaßte, unter Berufung auf die Fortgeltung des Führerbefehls und der Reichsgesetze ein historisches Zeichen setzen zu müssen.“

Die Richter sahen auch eine besondere Schwere der Schuld vorliegen. Von dem Angeklagten seien weitere gleichartige gegen das menschliche Leben gerichtete Taten zu erwarten, hierauf wiesen schon die „beiden in bewusster und aktiver Identifikation mit der nationalsozialistischen Ideologie begangenen Straftaten hin, mit denen Adolf gezeigt hat, dass er bereit ist, aus ideologischer Verblendung heraus unschuldige Menschenleben zu opfern“. Die „ideologisch begründete Gewaltbereitschaft“ des Anklagten zeige sich zudem anhand der Rekrutierung von Mitgliedern für Kampfgruppen sowie seinen Plänen, den bewaffneten Kampf durch Raubüberfälle zu finanzieren. Das Landgericht Köln verurteilte Adolf deshalb zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherheitsverwahrung. D. erhielt eine Jugendstrafe von 7 Jahren und 6 Monaten.

Trotz der deutlichen Worte des Gerichts: Nach Sicht des NRW-Innenministeriums erfüllen die Morde weiterhin nicht die Kriterien für politische motivierte Gewalttaten. Dass sich der Verfassungsschutz ebenfalls ausschweigt, scheint aus Sicht der Behörde nachvollziehbar. Zum einen vertrat der Geheimdienst Mitte der 2000er Jahre vehement, es existiere kein organisierter Rechtsterrorismus. Zum anderen stand der Dienst, so berichtete es der Spiegel, Mitte der 1990er Jahre mehrfach mit Adolf in Kontakt und versuchte ihn — allerdings erfolglos — als V-Mann anzuwerben.