Auch vor der Umbenennung der "Lega Nord" in "Lega" war die Partei rassistisch.
Stefano Petroni (Attribution-NonCommercial-NoDerivs 2.0 Generic (CC BY-NC-ND 2.0) ) t

Von „Invasionen“ und „Menschenfleisch“

Die italienische extreme Rechte an der Macht

Nach ihrem Erfolg bei der Parlamentswahl ist es der italienischen „Lega“, der einstigen „Lega Nord“, gelungen, eine Koalitionsregierung mit den „Cinque Stelle“ („Fünf Sterne“) zu bilden. Seither gestaltet ihr Rassismus die italienische Regierungspolitik.

Die Besatzung der C-Star kann feiern gehen. Vor rund einem Jahr waren die „identitären“ Aktivisten mit ihrem Schiff aus dem ostafrikanischen Dschibuti in Richtung Mittelmeer aufgebrochen, um durch eine aufsehenerregende Tat ihre Ziele in die Schlagzeilen zu bringen: Rettungsschiffe, die in Seenot geratene Flüchtlinge an Bord nehmen und in die EU bringen, wollten sie stoppen, um — so formulierten sie es — einen Beitrag zu leisten, der ihnen verhassten „Masseneinwanderung“ nach Europa ein Ende zu setzen. Zunächst wurde nicht viel daraus. Die C-Star irrlichterte ein paar Wochen im Mittelmeer herum, um dann im August wenige Tage lang in der Tat Rettungsschiffe zu beschatten und deren Besatzung per Megaphon mit dumpfen Sprüchen zu beschallen. Dann zogen die „identitären“ Helden, ihre sri lankischen Seemänner einsam und orientierungslos auf der C-Star zurücklassend, in die Heimat ab. Die Seenotrettung vor der libyschen Küste wirklich zu beenden — dazu reichte ihr politisches Gewicht natürlich nicht aus. Über das erforderliche Potenzial verfügt allerdings die italienische Lega, seit sie am 1. Juni 2018 in die Regierung Italiens eingetreten ist und mit ihrem Chef Matteo Salvini den Innenminister stellt. Salvini hat — so scheint es — in seinem ersten Monat im Amt erreicht, was die paar „Identitären“ von der C-Star nicht schaffen konnten: Er hat die Rettungsschiffe, die Flüchtlinge aus dem Mittelmeer fischten, zum Rückzug gezwungen.

Der Durchmarsch der „Lega“

Ihre Regierungsbeteiligung verdankt die Lega ihrem satten Erfolg in der Parlamentswahl vom 4. März: Sie konnte ihren Stimmenanteil, der zuvor von 8,3 Prozent im Jahr 2008 auf 4,1 Prozent im Jahr 2013 abgestürzt war, auf bemerkenswerte 17,4 Prozent vervierfachen. Damit lag sie zwar noch weit hinter der Nummer eins, den Cinque Stelle, die mit stolzen 32,7 Prozent ihr Rekordergebnis erzielten, aber nur noch knapp hinter dem sozialdemokratischen Partito Democratico, der zuletzt mehrere Jahre lang den Ministerpräsidenten gestellt hatte, jetzt aber mit müden 18,8 Prozent das schlechteste Ergebnis seiner Geschichte einfuhr. Die Lega konnte dabei zusätzlichen Profit daraus schlagen, dass sie zur deutlich stärksten Partei in dem Rechtsbündnis wurde, mit dem sie zur Wahl angetreten war: Sie lag klar vor Silvio Berlusconis Forza Italia (14,0 Prozent) und den extrem rechten Fratelli d’Italia (4,4 Prozent). Damit hatte sie sich eindeutig als tonangebende Kraft der italienischen Rechten profiliert.

Den Durchmarsch der Lega haben verschiedene Faktoren möglich gemacht, die nur zum Teil etwas mit ihr selbst zu tun haben. Einer davon ist ein Phänomen, das sich seit geraumer Zeit in einer ganzen Reihe von EU-Staaten zeigt: Einst einflussreiche Parteien der traditionellen Eliten, die der europäischen Integration eng verbunden sind, verlieren teils massiv an Akzeptanz bei der Bevölkerung. Besonders stark trifft es sozialdemokratische Parteien — nicht nur die SPD, die bei der Bundestagswahl 2017 ihr schlechtestes Ergebnis seit dem Zweiten Weltkrieg einfuhr, sondern etwa auch den französischen Parti Socialiste, der von fast 30 Prozent bei der Parlamentswahl 2012 auf 7,4 Prozent 2017 abstürzte, die griechische Pasok, die 2009 auf 44 Prozent kam, dann aber im September 2015 gerade einmal 6,3 Prozent schaffte, oder eben auch den Partito Democratico, der bei der Parlamentswahl 2008 noch satte 33,1 Prozent erzielt hatte. Konservative Parteien sind ebenfalls nicht gegen den Absturz gefeit, wie die 15,8 Prozent der Républicains bei den Parlamentswahlen 2017 in Frankreich oder der Einbruch der Forza Italia zeigen, deren Boss Silvio Berlusconi 2008 mit seinem damaligen Popolo della Libertà noch starke 37,4 Prozent erreicht hatte. Weithin stoßen Parteien aus der extremen Rechten (Front National, AfD), zuweilen auch aus der Linken (La France insoumise), die — wenn auch in völlig unterschiedlicher Form — scharfe Kritik an der EU üben, in die Lücke vor.

Über Jahrzehnte nach rechts

In Italien ist es neben den EU-kritischen, aber ansonsten politisch diffusen Cinque Stelle nun auch der Lega gelungen, vom Kontrollverlust der EU-orientierten traditionellen Eliten zu profitieren. Dass sie große Zuwächse verzeichnen konnte, liegt nicht zuletzt daran, dass sich das politische Klima in Italien schon seit Jahrzehnten systematisch nach rechts verschiebt. Bereits in den 1980er Jahren sprachen sich Spitzenpolitiker, darunter der damalige sozialistische Ministerpräsident (1983 bis 1987) Bettino Craxi, für ein Ende der Ächtung des faschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI) aus; 1987 plädierte einer der prominentesten Historiker des Landes, Renzo de Felice, für eine „Normalisierung“ im Umgang mit der Ära des Faschismus an der Macht unter Benito Mussolini (vgl. Lotta #46). Dies bereitete den Boden für das erste Rechtskabinett unter Ministerpräsident Silvio Berlusconi, der im Mai 1994 Politiker aus dem sich in Alleanza Nazionale (AN) umbenennenden faschistischen MSI in seine Regierung aufnahm. Auch die Lega, die damals freilich noch Lega Nord hieß, hat 1994 erstmals italienische Minister gestellt. Unter Berlusconi rückte Italien immer weiter nach rechts; im Jahr 2010 konstatierte der Historiker Aram Mattioli, „die Banalisierung, Aufwertung und teilweise Rehabilitierung der Mussolini-Diktatur“ werde längst nicht mehr nur von randständigen Figuren, sondern „von den Regierungsbänken aus, aber auch von anerkannten Meinungsmachern betrieben“. Das war natürlich Wasser auf die Mühlen italienischer Rassisten. Im Jahr 2008 ergaben Umfragen, dass 81 Prozent der italienischen Bevölkerung Angehörige der Roma-Minderheit nicht mochten und 68 Prozent sie aus dem Land jagen wollten. Andere Erhebungen zeigten, dass die Zahl derjenigen, die Migranten generell als „Gefahr für die öffentliche Ordnung“ denunzierten, von 26 Prozent der Bevölkerung im Jahr 2012 auf 46 Prozent im Jahr 2017 gestiegen war. Der Nährboden für den Durchbruch einer extrem rechten Partei war also da.

Dass unter Italiens Rechtsaußenorganisationen ausgerechnet die Lega vom Kontrollverlust der EU-orientierten Eliten und von der Rechtsverschiebung des politischen Klimas profitieren konnte, liegt daran, dass sie in den vergangenen Jahren eine tiefgreifende Neuausrichtung vorgenommen hat. Gegründet worden war sie 1989 unter dem Namen Lega Nord — als Organisation, die darauf abzielte, den reichen Norden Italiens möglichst umfassend der staatlichen Umverteilung von Geldern in den teils bitter armen Süden des Landes zu entziehen. Dazu strebte sie eine größere Autonomie im italienischen Staatsgefüge, vielleicht sogar eine komplette Abspaltung des Nordens unter dem Namen „Padanien“ an. Ihren Separatismus hat sie stets mit einem krassen Chauvinismus gegenüber der Bevölkerung Süditaliens grundiert; parallel hat sie einem massiven Rassismus — gern auch verkleidet als Kampf gegen den Islam — gefrönt. Legendär ist zum Beispiel der Lega Nord-Europaparlamentarier Mario Borghezio, der in verschiedenen Gerichtsverfahren wegen rassistischer Attacken verurteilt wurde — zuletzt im vergangenen Jahr, weil er Italiens Ex-Integrationsministerin Cécile Kyenge wegen ihrer schwarzen Hautfarbe rassistisch beleidigt hatte. Separatismus, Chauvinismus und Rassismus: Dieses Gemisch hat der Lega Nord schon in den 1990er Jahren in manchen Wahlkreisen Ergebnisse von bis zu 35 Prozent eingebracht. Seit den 2000er Jahren stellt sie zudem Bürgermeister in Großstädten wie Verona und Regionalpräsidenten in den mächtigen Regionen Veneto und Lombardei.

Ziel: „ethnische Säuberung“

Allerdings ist die Lega Nord mit ihrem Fokus auf Autonomie oder Abspaltung Norditaliens in der Mitte und im Süden des Landes faktisch nicht präsent gewesen. Mehr als die landesweit 10,8 Prozent der Stimmen, die sie 1996 bei den Parlamentswahlen gewinnen konnte, waren deshalb für sie letztlich nie drin. Das ist der Grund gewesen, der Matteo Salvini nach der Übernahme der Parteiführung im Dezember 2013 dazu trieb, der Lega Nord systematisch einen neuen Kurs zu verpassen und ihre landesweite Ausdehnung zu fördern. Dazu rückte Salvini Autonomiestreben und Separatismus in den Hintergrund, während er den Rassismus ins Zentrum der Parteiagitation schob — ergänzt um scharfe Kritik am Euro, der Italien spürbare Nachteile gebracht hat und deshalb im Land durchaus unbeliebt ist. Parallel begann der neue Parteichef, die Strukturen der Lega Nord in Richtung Süden auszubauen. Im Dezember 2014 gründete er Noi con Salvini (Wir mit Salvini), eine Parallelstruktur zur Lega, die in der Mitte und im Süden Italiens agitierte und dort auch zu Wahlen antrat. Bei der Parlamentswahl im März 2018 sind die beiden Strukturen faktisch zu einer einzigen Wahlliste zusammengeführt worden; seitdem nennt sich die Partei nur noch Lega ohne den einschränkenden Zusatz „Nord“.

Salvinis Rassismus hat dabei besonders krasse Züge angenommen. Nicht nur angebliche „Invasoren aus islamischen Ländern“ hat er immer wieder heraufbeschworen. „Wir werden unsere Städte von den Migranten säubern!“, wetterte er auf einer öffentlichen Parteiveranstaltung im August 2016: Es gelte, einer angeblichen „Invasion der Flüchtlinge“ nun endlich mit einer „kontrollierten ethnischen Säuberung“ entgegenzutreten. „Zecken“ und „Bettler“, die „in langen Schlangen vor unseren Krankenhäusern lungern“, müssten auf Lastwagen verfrachtet und in hunderten Kilometern Entfernung im Wald abgeladen werden. Um seine Pläne zu verwirklichen, teilte Salvini mit, setze er auf die „Gemeinschaft aller Gutwilligen, die Italien wieder den Italienern geben wollen“. Einen Monat, bevor er zur „Säuberung“ Italiens von Migranten aufgerufen hatte, hatte ein Anhänger der faschistischen Casa Pound namens Amedeo Mancini in Fermo in der Region Marche einen nigerianischen Flüchtling rassistisch attackiert und ermordet. Als am 3. Februar 2018 der Noi con Salvini-Aktivist Luca Traini in der Kleinstadt Macerata — wenige Kilometer von Fermo entfernt — wahllos auf Menschen mit schwarzer Haut schoss und mehrere von ihnen teils schwer verletzte, fiel dem Lega Nord-Chef dazu ein, es handle sich bei dem mehrfachen Mordversuch „offensichtlich“ um die Folge „außer Kontrolle geratener Einwanderung“: Eine „Invasion“ führe schließlich zu „sozialem Konflikt“.

Die 17,4 Prozent bei der Parlamentswahl vom 4. März scheinen Salvini mit seiner Strategie für die Lega Recht gegeben zu haben — und dabei hat die Partei noch längst nicht das Ende der Fahnenstange erreicht. Dass sie sich noch erheblich weiter steigern kann, zeigten Umfragen von Ende Mai. Die Lega und die Cinque Stelle hatten sich gerade auf eine Regierungsbildung geeinigt und beschlossen, den renommierten Ökonomen Paolo Savona zum Finanzminister zu ernennen. Savona, seinerseits parteilos, hatte sich allerdings nach einer steilen Karriere in der italienischen Finanzbranche einen Namen als Kritiker des Euro gemacht. Dass er nun Finanzminister werden sollte, brachte nicht nur EU-Funktionäre, sondern vor allem auch das deutsche Establishment auf die Palme, woraufhin der italienische Staatspräsident Sergio Mattarella zwecks Schadensbegrenzung ankündigte, Savonas Ernennung zu verweigern. Zudem kündigte er nach einigem Hin und Her an, in Kürze anstelle einer Regierung aus den gewählten Parteien eine nicht gewählte Technokratenregierung zu vereidigen. Dass da auf Druck aus Berlin und Brüssel de facto Italiens Demokratie außer Kraft gesetzt werden sollte, rief einen Sturm der Empörung hervor — und am 30. Mai sahen Umfragen die Lega bei 25, andere Erhebungen gar bei 27 Prozent. Diktate der EU und ihrer Vormacht, so darf man den Popularitätssprung der Lega wohl verstehen, sind bestens geeignet, Italiens extremer Rechter weitere Wähler zuzutreiben. Die Lega hat sich übrigens laut Umfragen von Ende Juni auf dem neuen Rekordniveau stabilisiert und könnte inzwischen bei Wahlen sogar 30 Prozent der Stimmen erzielen.

„Roma-Zählung“

Dazu beigetragen hat sicherlich auch die Politik, die Salvini in seinem ersten Monat im Amt des Innenministers getrieben hat. Eine seiner ersten Handlungen bestand darin, eine „Roma-Zählung“ anzukündigen: Er wolle diejenigen unter den rund 170.000 in Italien lebenden Roma identifizieren, die keine italienische Staatsbürgerschaft hätten, und sie umgehend abschieben lassen, äußerte er; Roma mit italienischen Papieren müsse man „leider behalten“. Salvini hat zwar nach heftigen Protesten von seinem Vorhaben Abstand nehmen müssen; doch muss man davon ausgehen, dass er es durchaus ernst gemeint hat. Die Roma in Italien sind seit vielen Jahren immer wieder nicht nur Übergriffen von Rassisten ausgesetzt, die zum Beispiel 2008 in Neapel und 2011 in Turin in pogromartige Angriffe auf Roma-Siedlungen mündeten. Immer wieder haben auch staatliche italienische Stellen Roma-Camps illegal mit Gewalt geräumt und sie anschließend zerstört. Man tut gut daran, die Drohung des Innenministers mit einer „Roma-Zählung“ weiter ernst zu nehmen.

Natürlich hat Salvini nach seiner Amtsübernahme auch seine Attacken auf Flüchtlinge fortgesetzt. So hat er angekündigt, im Rahmen einer „Operation Sichere Strände“ Patrouillen nach — meist aus Afrika stammenden — Strandhändlern suchen zu lassen und diese zu Strafen von bis zu 15.000 Euro zu verurteilen, sollten sie nicht markenechte Produkte bei sich haben. Und um wirklich sicherzugehen, dass Händler aus Afrika ihren Lebensunterhalt verlieren, hat er dekretiert, dass auch ihre Kunden gegebenenfalls blechen müssen — bis zu 7.000 Euro. Einkäufe bei Flüchtlingen werden damit außerordentlich riskant. „Die Party zwischen den Sonnenschirmen ist für die ,Vu Cumprà‘ vorbei“, tönte Salvini lauthals auf der Jahresversammlung des italienischen Verbandes der Einzelhändler. „Vu Cumprà“ ist eine Verballhornung von „vuoi comprare?“ und ließe sich etwa als „du wollen kaufen?“ übersetzen. Der Ausdruck wird in Italien schon seit den 1970er Jahren als diskriminierende Bezeichnung für Händler mit nichtweißer Haut gebraucht.

„Menschenfleisch“

Und selbstverständlich hat sich Salvini umgehend der Bootsflüchtlinge angenommen, die in Nordafrika ins Mittelmeer stechen, um nach Europa zu gelangen. „Menschenfleisch“ befinde sich auf den Rettungsschiffen, die Flüchtlinge vor der libyschen Küste aus dem Wasser fischten, hetzte der Lega-Boss und ließ seinen Rassismus praktisch werden: Kaum im Amt, sperrte Italiens neuer Innenminister die italienischen Häfen für Schiffe privater Hilfsorganisationen, die in Seenot geratene Flüchtlinge bergen. Der Besatzung der C-Star muss es warm ums Herz geworden sein, als im Juni die Rettungsschiffe Aquarius und Lifeline jeweils mehrere Tage lang mit hunderten kranker und traumatisierter Flüchtlinge an Bord im Mittelmeer fest saßen, weil ihnen kein Hafen die Genehmigung zur Einfahrt gab. Konnte die Aquarius letztlich im spanischen Valencia ankern, so durfte die Lifeline in Malta nur unter der Bedingung an Land, dass sie beschlagnahmt und die Crew festgenommen wurden. Damit war — so schien es jedenfalls Ende Juni — die Seenotrettung privater Hilfsorganisationen im Mittelmeer vorbei. Salvini hatte sich als fähiger Erfüllungsgehilfe der „Identitären“ profiliert. Wobei man ergänzen muss: Er konnte das nur, weil die gesamte EU und insbesondere auch der deutsche Innenminister Horst Seehofer sein brachiales Vorgehen voll und ganz unterstützten. In Italien hat die extreme Rechte mit der Lega den Durchbruch erzielt — und die EU öffnet ihr, sofern es gegen Flüchtlinge geht, Tür und Tor.

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