Wer den Schaden hat...
Das geplatzte Großevent in Wetzlar und die hessische NPD
Es sollte der große Wurf werden: Die NPD hatte sich mit einer Wahlkampfveranstaltung in die Wetzlarer Stadthalle geklagt, nachdem ihr die Stadt Wetzlar diese nicht zur Verfügung stellen wollte. Nachdem seitens der Stadt alle rechtlichen Mittel ausgeschöpft schienen, veröffentlichte die Partei ein — bis dahin in Hessen beispielloses — Veranstaltungsprogramm. Am Veranstaltungstag, dem 24. März 2018, verweigerte die Stadt der Partei erneut die Nutzung. Der NPD blieb letztendlich ein Trümmerhaufen.
Bei der NPD Hessen bedeuten derartige Wahlkampfveranstaltungen zumeist Auftritte regionaler NPD-FunktionärInnen sowie einiger NPD-RednerInnen aus anderen Landesverbänden. Möglicherweise auch mal der Auftritt eines Liedermachers, der das Programm etwas auflockern soll. Das Anfang März veröffentliche Programm für ihre Wahlkampfveranstaltung am 24. März sah allerdings anders aus. Erst wenige Tage zuvor hatte der hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel (VGH) entschieden, dass die Stadt Wetzlar der Partei die Halle zur Verfügung stellen müsse. Das daraufhin angekündigte Aufgebot an Bands und RednerInnen hatte es in sich.
Neben Mortuary, F.i.e.l. und Faust wurden die Szenegrößen FLAK, Kategorie C und Oidoxie angekündigt. Zusätzlich wurde noch eine RednerInnen-Liste bekanntgegeben. Neben den regionalen NPD-Funktionären Daniel Lachmann und Thassilo Hantusch wurden mit Ariane Meise, Dominik Stürmer und Sebastian Schmidtke weitere FunktionärInnen der Partei angekündigt. Zudem Hantuschs Großmutter Doris Zutt (Lotta #62) und der im AB Mittelrhein-Prozess angeklagte heutige JN-Bundesvorsitzende Christian Häger. Weitaus überraschender war die Ankündigung von Sven Skoda („Freie Kräfte“), sowie des Dortmunders Michael Brück von der Partei Die Rechte (DR).
„Sammlungsbewegung“ NPD?
Nachvollziehbar erscheint diese Orientierung vor dem Hintergrund einer „Proklamation“ des völkischen Parteiflügels um NPD-Vorstandsmitglied Thorsten Heise, die wenige Wochen vorher mit Unterstützung des hessischen Landesvorsitzenden Jean-Christoph Fiedler veröffentlicht worden war. Die darin postulierte Zusammenarbeit mit anderen Organisationen und der Wunsch nach einer „Sammlungsbewegung“ wirkte wie eine Blaupause für die Veranstaltung in Wetzlar. Darüber hinaus wurde Wetzlar beim letzten Bundesparteitag im März 2017 als „Leuchtturm-Projekt“ ausgerufen.
Nach vermehrten Aufmärschen in den vergangenen Jahren und dem erfolgreichen Abschneiden bei den Kommunalwahlen 2016 wurde hier offenbar Potenzial vermutet. Verbunden mit der Hoffnung, die Partei regional stärker zu verankern. Der erste Rückschlag erfolgte bereits im April 2017. Der Versuch, ein Bürgerbüro nebst Hausprojekt in der Wetzlarer Altstadt zu eröffnen, scheiterte. Die Stadt Wetzlar erfuhr von dem Vorhaben und schnappte der NPD die Immobilie vor der Nase weg.
Strategie der Stadt Wetzlar geht auf
Nach der Veröffentlichung des Programms sah sich die Stadt Wetzlar getäuscht: Die Bands würden den Charakter der Veranstaltung ändern. Und so bestritt die Stadt ihrerseits den gerichtlichen Weg, sie zog bis vor den VGH in Kassel — und verlor. Die NPD, so die Argumentation der Gerichte, dürfe ihre Veranstaltung gestalten, wie sie wolle. Am 22. März, zwei Tage vor der Veranstaltung, war jedoch immer noch kein Mietvertrag zustande gekommen. Die Stadt sah nicht alle Auflagen erfüllt. Erneut ging es bis vor den VGH. Dieser ordnete unter Androhung einer Strafzahlung von 7.500 Euro für die Stadt an, dass bis zum 23. März, 11 Uhr, ein Mietvertrag zu unterzeichnen sei. Als dieses dann wiederum nicht geschah, wurde der Stadt eben diese Strafe auferlegt. Eine weiteres Strafgeld von 10.000 Euro umging die Stadt , indem sie Beschwerde einlegte.
Die Stadt argumentierte, sie würde den Mietvertrag mit der NPD erst abschließen, wenn diese, wie alle anderen Veranstalter_innen auch, alle Auflagen erfüllen würde. Hierbei ging es vorrangig um einen gültige Haftpflichtversicherung für eventuelle Schäden während der Veranstaltung und um den einzusetzenden Sanitätsdienst. Nachdem am Morgen des 24. März den OrganisatorInnen und HelferInnen der Zutritt zur Halle verwehrt worden war, zog die NPD vor das Bundesverfassungsgericht (BVG) — und gewann. Doch die Freude war nur von kurzer Dauer, trotz der Entscheidung des BVG beharrte die Stadt Wetzlar weiterhin darauf, dass sie ohne die erfüllten Auflagen keinen Mietvertrag unterzeichnen könne. Gegen 17 Uhr gab die NPD dann letztendlich auf, verlegte das Konzert murrend und mit Konsequenzen drohend nach Leun-Stockhausen und machte sich auf den Weg in das Miet-Bistro Hollywood, das von dem NPDler Thomas Gorr betrieben wird.
Das Nachspiel gestaltete sich dann unaufgeregter als erwartet: Das BVG beauftragte die Kommunalaufsicht des Regierungspräsidiums Gießen, sich der Sache anzunehmen und das Vorgehen der Stadt und der handelnden Personen zu überprüfen. Am 13. April wurde mitgeteilt, dass es keine weitere Strafe gegen die Stadt geben werde. Das Regierungspräsidium ließ verlauten, dass die Kommunalaufsicht zur Einsicht gekommen sei, dass sich die Stadt Wetzlar tatsächlich in dem von ihr dargelegten Dilemma befunden habe. Sie habe glaubhaft machen können, dass sie dem Beschluss der Gerichte habe nachkommen wollen. Eine „berechtigte Sorge um den Schutz der Besucherinnen und Besucher während der NPD-Veranstaltung mit Blick auf den fehlenden Nachweis einer Haftpflichtversicherung und eines ausreichenden Sanitätsdienstes“ habe sich nicht ausräumen lassen. Letztendlich blieb die Stadt Wetzlar gerügt zurück, konnte sich aber in ihrer Strategie bestätigt sehen.
Wegbleiben statt Schaulaufen
Nach den Prognosen im Vorfeld war ein Schaulaufen der organisierten Neonazi-Szene für den 24. März erwartet worden, verbunden mit der Sorge, dass die zersplitterte und sehr heterogene hessische Szene die Veranstaltung zu einer besseren Vernetzung nutzen könnte. Ein Blick auf die Anwesenden an diesem Tag zeigte aber, dass es sich großteils um eher unorganisierte Neonazis handelte — teilweise von weit her aus anderen Bundesländern angereist. Das befürchtete Bedrohungsszenario bleib aus, auch zahlenmäßig blieb der Event mit etwa 200 Personen weit hinter den Erwartungen der Veranstalter zurück. Regionale Neonazis tauchten fast überhaupt nicht auf. Weder ließ sich derjenige Teil der Szene blicken, der gerne Präsenz bei Aufmärschen zeigt, noch waren die üblichen KonzertbesucherInnen anzutreffen.
Auch Personen aus dem Spektrum von Blood&Honour, Combat 18 und „Hammerskins“ blieben fern, obwohl mit Oidoxie und FLAK ihren Netzwerken nahestehende Bands auftraten. Ebenso kaum anzutreffen waren Funktionäre neonazistischer Parteien. Der sich in Hessen im Aufbau befindliche Der III. Weg glänzte ebenso durch Abwesenheit wie die in Hessen wiedergegründete Die Rechte, obwohl mit Michael Brück ein DR-Bundesvorstandsmitglied als Redner angekündigt war. Auch von der NPD selbst war kaum Personal anwesend. Mit Ausnahme der angekündigten RednerInnen ließen sich keine weiteren NPD-Kader von außerhalb Hessens blicken. Auch viele hessische FunktionärInnen und LandtagskandidatInnen blieben der Veranstaltung fern, sofern sie nicht in die Organisation involviert waren. Nicht einmal der — zu diesem Zeitpunkt noch aktuelle — NPD-Landesvorsitzende Jean-Christoph Fiedler und die örtliche NPD-Fraktion Wetzlar ließen sich rund um die Stadthalle blicken — mit Ausnahme des Gastgebers Thassilo Hantusch.
Neben dem Konzert in Leun-Stockhausen gab es am 24. März noch weitere Veranstaltungen. Nachdem ungefähr 15 Personen der JN und der Identitären Aktion von Wetzlar aus nach Gießen gefahren waren, um dort mit einer zehnminütigen Kundgebung vor dem Polizeipräsidium ihren Unmut kundzutun, reisten sie weiter Richtung Bonn. Dort sollte an diesem Abend der Anmelder der Kundgebung, Maximilian Reich, unter seinem Pseudonym „Jonas Freytag“ sein neues Buch in Rahmen einer Lesung vorstellen. Bei der zweiten Veranstaltung handelte es sich um ein Grauzonen-Konzert im nordhessischen Neunkirchen. Einigen Neonazis erschien das Angebot, direkt vor der Haustür mit den Freunden von „damals“ unbeschwert zu feiern, offenbar attraktiver als die massiven polizeilichen Kontrollen, die in Leun auf sie warteten.
Zum Zustand der NPD in Hessen
Die hessische NPD befindet sich seit 2008 und dem Abgang von Marcel Wöll in einem desaströsen Zustand. Die Kommunalwahlen 2016 mit Ergebnissen um die 10 Prozent in Wetzlar, Büdingen und Leun täuschten darüber kurzzeitig hinweg, derartige Ergebnisse werden bei der anstehenden Landtagswahl kaum zu wiederholen sein. Hessenweit dürfte es für die Partei ohnehin eher um ein Überspringen der Einprozenthürde für die staatliche Parteienfinanzierung gehen. Ein Blick auf das Personal liefert genügend Gründe, warum die Partei in Hessen nicht für eine Sammlungsbewegung taugt. Auf allen Ebenen fehlt es an charismatischen, gut vernetzten oder auch einfach nur jungen FunktionärInnen. Die Wahl Daniel Lachmanns zum Landesvorsitzenden Mitte April und seine Nominierung zum „Spitzenkandidat“ für die Landtagswahl bringt den Zustand der NPD-Hessen auf den Punkt. Der langjährige NPD-Funktionär ist seit jeher um ein bürgerliches Bild der Partei bemüht. Er will mit der NPD akzeptierter Teil der Gesellschaft sein und hat wenig Anbindung an die Szene außerhalb der Partei. Dabei ist er alles andere als charismatisch und weiß auch als Redner nicht zu überzeugen. Bei den Kreisverbänden sieht es kaum besser aus: Der Kreisverband im Lahn-Dill-Kreis scheint zwar zu funktionieren, ein Blick auf seine Funktionäre zeigt jedoch ebenso wie bei der NPD-Fraktion in Wetzlar, dass die Struktur mit wenigen Ausnahmen hoffnungslos überaltert ist. In der Region Wetterau, wo die Partei ebenfalls vergleichsweise gut aufgestellt ist, sieht es kaum besser aus. Landesweit wurden in den vergangenen Jahren in allen hessischen Regionen Kreisverbände zu Bezirken zusammengelegt, damit überhaupt noch der Eindruck von einer flächendeckend präsenten NPD suggeriert werden kann. Dabei übernehmen einzelne Funktionäre wie Jean-Christoph Fiedler (Südhessen), Martin Kohlhepp (Osthessen) oder Roy Godenau (Nordhessen) nun ganze Regionen, die für die NPD im Grunde verloren sind.
Unterm Strich bleibt festzuhalten, dass die NPD momentan weder das Personal noch die Struktur hat, um aus eigener Kraft heraus in Hessen eine ernst zu nehmende Kraft im rechten Spektrum darzustellen. Es zeigt sich zudem, dass sich die heterogene und überwiegend unorganisierte hessische Neonazi-Szene von der NPD nicht einbinden lässt. Demnach bedarf es immer wieder Unterstützung von anderen Landesverbänden, um kurzzeitig für Aufsehen zu sorgen. Dies betrifft gleichermaßen den Wahlkampf wie auch Aufmärsche oder das geplante Bürgerbüro. Mit Unterstützung von außen hätte sich Wetzlar auch zu einem Ort für als Parteiveranstaltungen angemeldete Neonazi-Konzerte entwickeln können, ähnlich wie das in Themar bereits der Fall ist. Die Stadt Wetzlar hat glücklicherweise mit Vehemenz die Nutzung der Halle verweigert.