Betreten, aber nicht durchsucht?

Interview zur Durchsuchung des „Langen Augusts“ in Dortmund

Am Abend des 4. Juli 2018 drangen schwerbewaffnete Einsatzkräfte in das soziokulturelle Zentrum „Langer August“ (L.A.) in Dortmund ein, um einen Server des „Wissenschaftsladens Dortmund e.V.“ (WiLaDo) zu beschlagnahmen. LOTTA sprach mit Frank Nord vom WiLaDo.

Am Abend des 4. Juli 2018 drangen schwerbewaffnete Einsatzkräfte in das soziokulturelle Zentrum „Langer August“ (L.A.) in Dortmund ein, um einen Server des „Wissenschaftsladens Dortmund e.V.“ (WiLaDo) zu beschlagnahmen. LOTTA sprach mit Frank Nord vom WiLaDo.

Frank, warum wurde der Lange August durchsucht?

Der formale Anlass der Durchsuchung war „eine von französischen Justizbehörden übermittelte Europäische Ermittlungsanordnung“. Über Phishing-Mails sollen unbekannte Täter in das IT-System des französischen Konzerns Ingérop eingedrungen sein, etliche Dokumente entwendet und dann im Internet veröffentlicht haben — unter anderem Pläne von Gefängnissen und dem AKW Fessenheim.

Das LKA Köln hatte den Durchsuchungsbeschluss erwirkt, aber auch Beamte des Dortmunder Staatsschutzes waren anwesend und durchsuchten nahezu alle Räume des Zentrums. Wie erklärt ihr euch das?

Sowohl der Durchsuchungs- als auch der Beschlagnahmebeschluss des Amtsgerichts Köln bezogen sich ausschließlich auf die Räume des Wissenschaftsladen Dortmund e.V. (WiLaDo). Wir können es uns nicht anders erklären, als dass der Dortmunder Staatsschutz einfach die Gelegenheit genutzt hat, um sich „mal umzusehen“. Von offizieller Seite gab es jedenfalls keine vernünftigen Antworten. Von der Dortmunder Polizei haben wir unterschiedliche Sachen gehört. Etwa: „Da hatten wir gar nichts mit zu tun, das war eine Aktion des LKA Köln.“ Oder auch: „Wir haben den Durchsuchungsbeschluss gar nicht gesehen, wir sind davon ausgegangen, dass er für das ganze Haus gilt.“ Die Landesregierung hat im Anschluss erklärt, „alle in Frage kommenden Räume [wurden] betreten, aber nicht durchsucht.“ Angeblich wusste die Polizei nicht, in welchen Räumen der WiLaDo ist. Zu Beginn der Durchsuchung des L.A. wurde im angrenzenden Lesben- und Schwulenzentrum KCR ein Vorstandsmitglied des L.A. angetroffen, das sich auch als solcher zu erkennen gab. Anstatt zu fragen, wo die Räume des WiLaDo sind, wurde er im KCR festgehalten. Die Räume des Chaostreffs Dortmund (CTDO) im 2. OG sind eindeutig gekennzeichnet. Dort haben die Beamten auch die Info erhalten, dass der WiLa im 3. OG ist. Demnach hätte der Chaostreff nicht ausführlichst „betreten“ und die dort Anwesenden über zwei Stunden festgehalten werden müssen.

Wie habt ihr von der Razzia erfahren? Wurdet ihr von den Behörden informiert?

Nein, von offizieller Seite wurden wir gar nicht kontaktiert. Die Razzia begann ungefähr um 19 Uhr. Alle Anwesenden wurden festgehalten, durften nicht telefonieren und auch keinen Rechner benutzen, so dass zunächst keinerlei Infos nach außen drangen. Wir erhielten um 20.30 Uhr den ersten Anruf von einer Person, die mittlerweile den L.A. verlassen durfte. Sie konnte uns aber nicht sagen, worum es bei der Durchsuchung ging. Ungefähr eine Stunde später waren dann zwei Vorstandsmitglieder des WiLaDo am L.A. Es hat dann noch eine Stunde gedauert, bis uns endlich der Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss ausgehändigt wurden. Ins Haus durften wir erst um 23.30 Uhr, als die Durchsuchung beendet war.

Welcher Schaden ist entstanden?

Es wurden insgesamt fünf Türen zerstört. Neue Türen werden schätzungsweise 5.000 Euro kosten. Hinzu kommen noch Anwalts- und Gerichtskosten, deren Höhe noch gar nicht absehbar sind. Außerdem ist ungewiss, was die Polizei während der Razzia unbeobachtet getrieben oder auch hinterlassen hat.

Was wurde mitgenommen?

Zunächst einmal der angeblich betroffene Server und gleich noch drei weitere Server, die sich im selben Gehäuse befanden. Außerdem ein USB-Stick und vier Aktenordner mit relativ alten Vereinsunterlagen, Verträgen und Kontoauszügen von 2017 und 2018. Die Polizei weiß jetzt also, wer wann wie viel an uns gespendet hat und wofür wir Geld ausgegeben haben. Die Polizei Dortmund hat im 1. OG, außerhalb der WiLaDo-Räume, noch einen Karton mit Plakaten, zwei Kartons mit Flyern und ein Netbook beschlagnahmt.

Als Folge der Razzia war die Website des Hamburger Radiosenders FSK nicht mehr erreichbar. Inwieweit handelte es sich bei der Razzia um eine repressive Maßnahme gegen Linke?

Der L.A. wurde in der Berichterstattung zur Razzia oft als „Linkes Zentrum“ bezeichnet. Nach unserer Auffassung ist das falsch. Sicher gibt es etliche Personen im L.A., die sich als Linke bezeichnen würden, aber bei weitem nicht alle. Trotzdem kann man sich fragen, ob es wirklich Zufall war, dass der Server ausgerechnet am 4. Juli beschlagnahmt wurde. Die Ingérop-Dokumente waren zu diesem Zeitpunkt schon über eine Woche online. Auf dem beschlagnahmten Server lief nämlich auch die Webseite des FSK, worüber auch der Radio-Stream des FSK erreichbar war. Das FSK wollte am 5. Juli zum anstehenden Jahrestag des G20-Gipfels in Hamburg ein „Massencornern“ akustisch begleiten. Durch die Beschlagnahme des Servers war der Radio-Livestream im Internet jedoch erst einmal nicht erreichbar.

Ihr versucht, gerichtlich gegen die Durchsuchung vorzugehen. Wie ist da der Stand?

Die Beschwerde des WiLaDo wurde am 10. September vom Landgericht Köln abgewiesen. Wir können jetzt nur noch Verfassungsbeschwerde einlegen. Die Klage des Langen August wurde am 25. September abgewiesen. Der Chaostreff Dortmund bereitet noch eine Klage vor.

Insbesondere die Internetdienstleistungen eures Projekts free! werden von vielen Projekten genutzt. Wie sicher sind die Daten eurer Kund_innen?

Wir stellen Infrastruktur zur Verfügung, die von Leuten entsprechend ihrer Fähigkeiten und Bedürfnisse genutzt werden kann. Wir sorgen dafür, dass diese Infrastruktur zuverlässig und stabil funktioniert. Wir tracken unsere Nutzer*innen nicht, erfassen möglichst wenig Daten und geben keine Daten weiter. Für die Sicherheit ihrer Daten sind unsere Nutzer*innen aber selber zuständig. Darauf weisen wir die Leute auch regelmäßig hin. Unser Hauptserver ist zum Beispiel nicht verschlüsselt. Das muss schon jede und jeder selber machen. Wir empfehlen den Leuten auch, eigene Backups ihrer Daten anzulegen. Wir erstellen zwar auch regelmäßig Backups, aber wie schnell Sachen, und somit auch unsere Backup-Bänder, beschlagnahmt werden können, haben wir ja gerade erlebt. Kundinnen beziehungsweise Kunden haben wir übrigens nur wenige. Die meisten Nutzer*innen beteiligen sich per Spende an den uns entstehenden Kosten.

Wie können der WiLaDo und free! unterstützt werden?

Zunächst einmal haben wir uns über die großartige Unterstützung nach der Razzia sehr gefreut. Es gab neben der Demo am 5. Juli sehr viele Soli-Erklärungen, und es wurden innerhalb kurzer Zeit rund 12.000 Euro gespendet, so dass wir Türen, Anwälte und Gerichtskosten voraus­sichtlich bezahlen können. Darüber hinaus brauchen wir natürlich weiterhin regelmäßige Spenden, um die anfallenden Kosten bezahlen zu können. Wichtiger, aber ungleich schwieriger ist es, mehr Leute für die aktive Mitarbeit zu finden. Der Bedarf ist jedenfalls groß. Erschwerend kommt hinzu, dass für so einen Serverbetrieb vertiefte IT-Kenntnisse erforderlich sind.

Vielen Dank für das Interview!

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