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Warum musste Amad A. sterben?

Spurensuche nach dem Tod in der JVA Kleve

Nach dem Tod des in der Justizvollzugsanstalt Kleve unrechtmäßig inhaftierten Amad A. im September 2018 hat beharrliches Nachfragen von Angehörigen und kritischen Journalist*innen Widersprüche in den behördlichen Erklärungsversuchen und institutionell rassistische Strukturen offenbart.

Amad A. wird im September 2018 Opfer eines Brandes in einer Zelle der Justizvollzugsanstalt (JVA) Kleve. Die Behörden gehen von Selbstmord aus. Doch in dieser Antwort zum Geschehen in der Haftzelle liegen zu viele Widersprüche, als dass sie einer kritischen Überprüfung standhalten könnte. So ergeben sich deutlich mehr bislang unbeantwortete Fragen als schlüssige Erklärungen für den Tod des aus Syrien Geflüchteten, der im Sommer 2018 in Geldern lebte.

Zweifelhafte Haftvoraussetzungen

Geldern ist eine Kleinstadt am eher konservativ geprägten ländlichen Niederrhein, direkt an der niederländischen Grenze. Am 6. Juli 2018 gerät Amad A. an einem Baggersee in einen Streit. Vier Frauen fühlen sich durch ihn sexuell belästigt und rufen die Polizei. Weil Amad A. keinen Ausweis vorzeigen kann, verbringen die Beamt*innen ihn zur Wache und nehmen Fingerabdrücke ab — ein wohl inzwischen alltäglicher Vorgang im Umgang der Polizei mit Personen, die sie als Geflüchtete aufgreifen oder in Ermittlungszusammenhängen festhalten und vernehmen. Die Beamt*innen gleichen Amad A.s Personalien mit ihren Datenbanken ab.

Dabei stoßen sie auf die Daten eines Manns, der nicht Amad A. heißt und auch ganz anders aussieht als der, der vor ihnen sitzt. Ein Mann, der aus Mali kommt — nicht aus Syrien. Der aber in der Vergangenheit unter einem Namen aufgetreten sein soll, der dem von Amad A. ähnelt. Das reicht den Beamt*innen in Geldern offenbar, um Amad A. für diesen anderen Mann zu halten. Sie verhaften ihn. Denn gegen den Mann aus Mali liegt ein Haftbefehl der Staatsanwaltschaft Hamburg vor, der aus einer Verurteilung wegen Diebstahls resultiert. Dass Amad A. inhaftiert wurde, ohne dass ihm ein*e Anwält*in beigeordnet wurde, ist darin begründet, dass von einer bereits erfolgten rechtskräftigen Verurteilung ausgegangen wurde.

Bei einer psychologischen Untersuchung unmittelbar nach der Überführung in die JVA Geldern wird Amad A. akute Suizidalität bescheinigt; er wird daraufhin in einer speziellen Zelle ohne gefährliche Gegenstände eingesperrt. Drei Tage später wird er nach Kleve verlegt, wiederum zunächst in eine Einzelhaftzelle. Wochen später findet eine weitere Untersuchung durch eine Psychologin der JVA Kleve statt. Sie erkennt keine Hinweise auf Suizidalität. In der Folge wird Amad A. in eine normale Zelle verlegt. Amad A. informiert die Psychologin, dass er nicht der ist, für den man ihn hält, und dass er nicht weiß, warum er überhaupt inhaftiert ist. Geglaubt wird ihm nicht, obwohl auch die über die Verhaftung informierte Staatsanwaltschaft Hamburg bezweifelt, dass der gesuchte Mann aus Mali in Kleve festgehalten wird. Sie fragt zwei Mal nach, welche konkreten Erkenntnisse die NRW-Beamt*innen zu der Überzeugung hätten kommen lassen, mit Amad A. tatsächlich den in Hamburg Gesuchten festgenommen zu haben.

Spätestens jetzt wäre eine genauere Prüfung der Personalien des Gefangenen angezeigt gewesen. Doch Amad A. bleibt in Haft. Am Abend des 17. September brennt dann seine Zelle. Das Feuer verletzt ihn so schwer, dass er Tage später stirbt. Die Behörden legen sich schnell fest: Amad A. selbst habe den Brand gelegt, in der Absicht, sich umzubringen.

Widersprüche

Fast zwangsläufig werden Erinnerungen an den Tod Oury Jallohs wach, der im Januar 2005 in einer Zelle im Polizeirevier Dessau-Roßlau verbrannte. An der offiziellen Behördenerklärung, Oury Jalloh habe das Feuer in der Polizeizelle selbst gelegt, bestehen erhebliche, gut begründete Zweifel. In NRW widersprach der Vater von Amad A. der Selbstmorderklärung von Anfang an: Bereits bei der Beerdigung seines Sohnes trug er ein T-Shirt mit der Aufschrift: „Wer ist der Mörder unseres Sohns?“ Diese nachdrückliche Frage scheint im Lichte der Widersprüche, in die sich die Justiz- und Polizeibehörden in NRW inzwischen zusehends verstricken, um so klarer: Erst hieß es aus Justzivollzugskreisen, Amad A. habe nach Ausbruch des Feuers kein Alarmsignal abgesetzt. Inzwischen steht jedoch fest, dass er um 19:19 Uhr die Gegensprechanlage seiner Zelle betätigt hat. Nun lautet die offizielle Version, dass der Gefangene den Brand selbst gelegt haben und etwa 15 Minuten später die Gegensprechanlage betätigt haben soll.

Kurz darauf hätten Mitarbeiter*innen der JVA die Zelle geöffnet — Amad A. sei ihnen entgegen „getaumelt“. Für das ARD-Magazin „Monitor“ ist sicher, dass sich das Geschehen in der Haftzelle so nicht zugetragen haben kann, wie die Staatsanwaltschaft Kleve es auf Grundlage eines Brandgutachtens beschreibt. Die Journalist*innen gaben ein eigenes Gutachten in Auftrag, das dezidiert zu dem Ergebnis kommt, dass Amad A. nach einer Viertelstunde nicht mehr „handlungsfähig“ hätte sein können. Er wird bewusstlos gewesen sein und soll „aus dem Haftraum gezogen“ worden sein, wie es aus einem internen Protokoll, das „Monitor“ vorliegt, hervorgeht. Das wirft die Frage auf, warum die Bediensteten der JVA nicht früher reagiert haben.

Aufklärung

Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft, auch gegen mehrere Beamt*innen. SPD und Grüne, die die Opposition im Landtag bilden, haben das Thema aufgegriffen, und einen Untersuchungsausschuss durchgesetzt, der sich am 13. Dezember 2018 als „Parlamentarischer Untersuchungsausschuss III (Kleve)“ konstituiert hat. Während die Staatsanwaltschaft dazu berufen ist, die strafrechtliche Verantwortung der beteiligten Beamt*innen aufzuklären, wird es im Untersuchungsausschuss vor allem um die politische Verantwortung gehen: Was wusste Justizminister Peter Biesenbach (CDU)? Hat er den Landtag jederzeit umfassend informiert? Welche Rolle spielen die Strukturbedingungen im NRW-Strafvollzug, die von der vorhergehenden SPD-Regierung aufgebaut wurden?

Es wird im PUA auch darum gehen müssen, Fragen nach institutionellem Rassismus der beteiligten Behörden zu stellen, die über den konkreten Fall hinaus weisen. Zugespitzt: Es gibt in Deutschland mit Sicherheit sehr viel mehr Menschen namens „Peter Müller“ als mit dem Namen „Amad A.“. Trotzdem ist es unvorstellbar, dass ein Peter Müller die Haftstrafe eines anderen Peter Müller absitzen würde, geschweige denn, dass er während dieser Haftzeit sterben würde. Gerade deswegen ist an dieser Stelle die Zivilgesellschaft gefordert: Weder Politik noch Strafverfolgungsbehörden sollten sich mit simplen Schuldzuweisungen aus der Affäre stehlen können, solange die Strukturen, die diesen unfassbaren Fall überhaupt erst ermöglicht haben, nicht hinterfragt werden.

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