Kein ruhiges Hinterland...

Die Neonazi-Szene in und um Alzey

Nur neun Personen kamen am 2. Februar 2019 zu einer Kundgebung der Partei „Die Rechte“ nach Alzey. Doch das ist längst nicht das ganze extrem rechte Potenzial in der Region. Die „Nibelungenstadt“ mit 19.000 Einwohner\*innen im östlichen Rheinland-Pfalz ist seit den 2000ern Ziel der extremen Rechten. Dabei wohnt die Mehrheit der aktiven Neonazis in Dörfern im Umland.

Nur neun Personen kamen am 2. Februar 2019 zu einer Kundgebung der Partei „Die Rechte“ nach Alzey. Doch das ist längst nicht das ganze extrem rechte Potenzial in der Region. Die „Nibelungenstadt“ mit 19.000 Einwohner*innen im östlichen Rheinland-Pfalz ist seit den 2000ern Ziel der extremen Rechten. Dabei wohnt die Mehrheit der aktiven Neonazis in Dörfern im Umland.

Bis 2010 war der personell schwach aufgestellte NPD-Kreisverband der organisatorische Anlaufpunkt auch für die „freien“ Neonazis in der Region. Regelmäßig fanden NPD-Stammtische statt, zu Demonstrationen in Alzey mobilisierte die Partei in dieser Zeit bis zu 150 Personen, die überregional anreisten. Konkurrenz gab es nicht. Ihr Kreisvorsitzender Klaus Acker saß im Kreistag Alzey-Worms. Der frühere Landesvorsitzende der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) vermied aber nennenswerte Skandale.

Ab 2010 wurde es ruhig um die NPD. Die Arbeit lokaler Antifa-Gruppen und die Spaltung der NPD 2013 in Die Rechte, Der III. Weg und NPD können als Ursache gelten. Spätestens ab 2013 dominierten interne Streitigkeiten das Szenegeschehen. In der Folge haben sich viele aktive Neonazis ins Private zurückgezogen. Durch fehlenden gesellschaftlichen Druck fiel ihnen der stille Rückzug aus der aktiven Szene leicht. Eine nennenswerte Auseinandersetzung mit dem eigenen Handeln findet bis heute nicht statt. So zeigt sich der langjährig aktive Neonazi Christian W. heute mit den Bearded Bad Boys, einer martialisch auftretenden Bikergruppe, in der seine Ideologie nicht anzustoßen scheint.

„Die Rechte“

Überbleibsel der regionalen Szene organisieren sich heute im Landesverband Südwest der Partei Die Rechte. Dieser besteht aus etwa zehn aktiven Personen, von denen die meisten im Alzeyer Umland wohnen. Entsprechend seiner Mitgliederbasis liegen die Hauptaktivitäten des Landesverbandes in und um Alzey und sind geprägt von Kundgebungstouren durch die umliegenden Ortschaften Wörrstadt, Saulheim, Sprendlingen und Wöllstein. Nachdem der Gegenprotest dort immer stärker wurde, demonstrierten sie zuletzt auch in größeren Städten wie Kaiserslautern. Unterstützung erhalten sie dabei durch den Nationalen Widerstand Zweibrücken (NWZW). Die Rechte und die Kameradschaft Rheinhessen (KSRH) wiederum nehmen an Veranstaltungen des NWZW wie dem „Trauermarsch“ im März anlässlich des Jahrestags der Bombardierung Zweibrückens teil.

Zentraler Akteur der Neonazi-Szene in Alzey ist Florian Grabowski. Er meldet Demos an und hält Reden. Um 2010 trat er im Zusammenhang mit den Nationalen Sozialisten Mainz-Bingen in Erscheinung, bevor diese in der Bedeutungslosigkeit versanken. Im Dezember 2013 half er Oliver Kulik bei der Gründung des Die Rechte-Landesverbands Rheinland-Pfalz. Im Frühjahr 2014 eskalierte ein Konflikt um die Pornodarstellerin Ina G. Ihr war „Rassenschande“ vorgeworfen worden, was zu ihrem Rauswurf aus der NPD führte. Als der neu gegründete Landesverband der Die Rechte sich daraufhin um sie bemühte, intervenierte der damalige Parteivorsitzende Christian Worch. In der Folge verließ Oliver Kulik die Partei — nicht mal ein Jahr nach der Gründung des Landesverbands.

Das Einschlafen der Aktivitäten konnte Grabowski nicht verhindern. Er tauchte erst 2016 wieder auf, als der frühere stellvertretende Vorsitzende Michael Idir den Landesverband Südwest aus der Taufe hob. Dieser besteht aus den ehemaligen Landesverbänden Saar und Rheinland-Pfalz. Jedoch ist Florian Grabowski der Letzte, der noch Aktionen für Die Rechte im Südwesten organisiert. Idir selbst meidet die Öffentlichkeit.

„Kameradschaft Rheinhessen“

Die KSRH tritt in der Region seit März 2018 auf. Sie weist große personelle Überschneidungen mit Teilnehmenden von Die Rechte-Demonstrationen auf. Auf der Internetseite des Landesverbands wird neben Grabowski auch André Millenautzki als „Die Rechte/Kameradschaft Rheinhessen“ gelabelt. In sozialen Medien präsentiert sich die Gruppe offen. Fotos zeigen die Kameradschaft, wie sie in einheitlicher Kleidung hinter ihrem Transparent posiert. „Wir schwören den Eid, der Ewig hält“ steht auf ihren Shirts Dabei handelt es sich um eine Textzeile aus einem Lied der RechtsRock-Band Sleipnir.

Zweck der KSRH scheint es, auch parteiunabhängig agieren zu können und damit ein anderes Klientel anzusprechen. Mit Erscheinen der „Kameradschaft“ fanden sich wieder neue Gesichter auf den Demonstrationen ein. Ein nicht ganz neues Gesicht ist Joshua K., der in sozialen Medien mit einem T-Shirt posiert, das dem Heimatschutz Donnersberg zugeordnet werden kann. Diese „Kameradschaft“ war seit 2017 nicht mehr erkennbar an den Aktivitäten in Alzey beteiligt. 2011 erregten Mitglieder der Gruppe Aufsehen, weil sie wegen Angriffen auf Döner-Imbisse vor Gericht standen.

Die Rechte und die KSRH können auch trotz der Kooperation mit dem NWZW nicht an die Aufmärsche der 2000er Jahre anknüpfen. Selten gehen mehr als 20 Neonazis auf die Straße. Darüber hinaus gibt es gelegentlich Unterstützung durch Jacqueline „Jackie“ Süßdorf, Vorsitzende der NPD Saarbrücken-Burbach, oder durch Neonazis aus Mannheim und Ludwigshafen.

Die AfD in Alzey

Ein Austausch zwischen der AfD und anderen Gruppen der extremen Rechten findet in der Öffentlichkeit nicht statt. Die AfD verhält sich bis auf wenige Infostände vor Wahlen eher passiv und profitiert vom allgemeinen Rechtsruck. So erreichte sie trotz schwachen Wahlkampfs in Alzey bei der letzten Bundestagswahl mit 14,7 Prozent der Zweitstimmen ein leicht überdurchschnittliches Ergebnis. Im Vergleich sind das 2,1 Prozentpunkte mehr als der bundesweite und 3,5 Prozentpunkte mehr als der rheinland-pfälzische Durchschnitt. Hierbei gibt es große Unterschiede zwischen den einzelnen Dörfern. Während die AfD in dem Dorf Mauchenheim nur 8 Prozent erzielte, wurde sie in Dintesheim von über 22 Prozent der Menschen gewählt.

Die AfD hält sich bedeckt. So bewirbt sie zwar einen monatlichen Stammtisch im Landkreis, gibt aber nicht öffentlich preis, wo dieser stattfindet. Als der Ort eines Stammtischs bekannt wurde, zogen sie kurzfristig um und mussten, nach öffentlichem Druck, diesen Stammtisch absagen.

Über die Gräben hinweg?

Bei den Neonazis ist in den letzten Jahren eine Zuspitzung bemerkbar. Diese zeigt sich nicht nur durch Einschüchterungsversuche und Angriffe in der Öffentlichkeit gegen Antifas. Auch wenn inzwischen deutlich weniger Neonazis an den Aktionen in und um Alzey teilnehmen, ist die Häufigkeit der Aktivitäten gestiegen. Mit der KSRH ist ein Gebilde entstanden, das über die Gräben der vergangenen Jahre hinweg helfen soll. Ob es gelingt, die Neuzugänge in Strukturen zu integrieren, bleibt abzuwarten. Zu befürchten ist, dass es den Neonazis gelingt, zurückgezogene Kameraden zu reaktivieren und die Alzeyer Demos wieder attraktiver zu gestalten. Der Mehrheit der Menschen in Alzey erscheint es nicht notwendig, gegen Neonazis zu aktiv zu werden. Die Gefahr rechter Gewalt wird aufgrund der geringen Zahl der Neonazis unterschätzt.

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