Menschenverachtung als „Satire“

Neue Projekte der „Identitären Bewegung“ im Ruhrgebiet

Die „Identitäre Bewegung“ (IB) im Ruhrgebiet hat sich umstrukturiert. Seit Juli 2018 treten die Reste der fünf IB-Ortsgruppen unter dem Namen „Defend Ruhrpott“ auf. Ein halbes Jahr später wurde die erste Folge des „YouTube“-Projekts „Ruhrpott Roulette“ veröffentlicht, das von AktivistInnen der Gruppe produziert wird.

Die „Identitäre Bewegung“ (IB) im Ruhrgebiet hat sich umstrukturiert. Seit Juli 2018 treten die Reste der fünf IB-Ortsgruppen unter dem Namen „Defend Ruhrpott“ auf. Ein halbes Jahr später wurde die erste Folge des „YouTube“-Projekts „Ruhrpott Roulette“ veröffentlicht, das von AktivistInnen der Gruppe produziert wird.

Ein entscheidender Grund der Neustrukturierung ist die personelle und aktionsbezogene Schwäche der „Identitären“ seit Frühjahr 2018. Existierten im September 2017 noch 14 mehr oder weniger regelmäßig stattfindende IB-Stammtische in NRW — davon fünf im Ruhrgebiet — waren es im April 2018 nur noch vier in NRW, davon ein einziger im Ruhrgebiet. Ein zuvor groß für das Ruhrgebiet angekündigtes „Aktionsjahr 2018“ fand nicht statt. Bei der IB ist die Aufbruchstimmung längst verflogen, ihr Name ist öffentlich als extrem rechts markiert. Antifa-Outings und Ermittlungsverfahren bewegten zudem einige AktivistInnen zum Rückzug. Dem übriggebliebenen harten Kern der „Identitären“ im Ruhrgebiet blieb nur der Zusammenschluss, um die Einzelpersonen in den Städten zu einer handlungsfähigen Struktur zusammenzufassen. Mit einiger Mühe schaffen sie einmal monatlich eine Aktion, beispielsweise Bannerdrops. Hinzu kommt das gelegentliche Verteilen von Flyern.

„Defend Ruhrpott“

Defend Ruhrpott besteht aus zirka 15 AktivistInnen. Für Aktionen werden, wie in der Vergangenheit auch, IB-Kader aus ganz NRW herangeschafft, so dass bis zu 30 Personen zusammenkommen. Leiter von Defend Ruhrpott ist der Essener Marius König. Ebenfalls zum harten Kern gehört die überregional bekannte IB-Aktivistin Melanie Schmitz, die mit König liiert ist und seit ihrer Rückkehr aus Halle (Saale) wieder in Essen wohnt. Zudem Falk Schakolat, der Ex-Hooligan Bastian Hans (beide Bochum), der Weseler Kai Alexander Naggert und der in Duisburg wohnhafte Dominic Müller.

Auftreten, Aussagen und Außendarstellung der Gruppe haben sich merklich radikalisiert. Nannte der vormalige Bochumer IB-Leiter Marco Müller seine Gruppe 2017 noch „demokratisch und friedlich“, so bezeichnet man sich nun als „rechts“. In Überzahlsituationen sucht die Gruppe, deren Mitglieder in Klamotten der faschistischen Bewegung CasaPound posieren, auch schon mal die körperliche Auseinandersetzung.

„Ruhrpott Roulette“

Massiv eingebrochen ist seit 2017 auch die mediale Reichweite, die bekanntlich für die IB allerhöchste Relevanz hat. Der IB ging es nie um die Aktion als solche, sondern um die mediale Aufarbeitung und Verbreitung von Fotos und Videos. Die Sperrung rechter Accounts bei Facebook und Instagram schlug ein Loch in ihre mediale Inszenierung. Zudem pflegen viele JournalistInnen mittlerweile einen bewussteren Umgang mit der IB und ihren Aktionen. Erreicht wird aktuell nur noch die eigene Klientel. Erfolgreicher sind aber die relativ professionell gestalteten „identitären“ YouTube-Projekte (vgl. LOTTA #73, S. 14-16), zu denen sich im Februar 2019 auch der Kanal Ruhrpott Roulette gesellte. Wie auch bei Defend Ruhrpott wird aus taktischen Gründen auf einen direkten IB-Bezug verzichtet. Versucht wird, den KonsumentInnen die rassistischen, antisemitischen, frauenfeindlichen und transphoben Inhalte der Sendungen als „Satire“ unterzujubeln.

Zum Ruhrpott Roulette-Team zählt neben den beiden Sprechern Kai Alexander Naggert und Marius König auch Melanie Schmitz, die in einigen Videos auftritt. Das für Kamera, Ton und Schnitt zuständige Medienteam besteht aus Falk Schakolat und dem IB-NRW-Fotografen „Cassis“. Als gelegentlicher Komparse im Hitler-Outfit tritt der sich als Fotograf und rechter Rapper versuchende René Tuttass aus Essen auf.

Gehässigkeiten, Vorurteile und Belästigungen

Die Videos erscheinen in unregelmäßigen Abständen. Sie orientieren sich an erfolgreichen Formaten bekannter „YouTuber“, veröffentlicht werden Videos mit umgedichteten Popsongs und so genannte Challenges. Bei den bisherigen „Challenges“ versuchen König und Naggert, ihre ausgemachten Hauptfeinde — „Gutmenschen“ und „Muslime“ — in ein Gespräch zu verwickeln und sie entweder durch Erzeugung ideologischer Widersprüche oder mittels rassistischer Zuschreibungen ins Lächerliche zu ziehen. So wird Menschen, die sie als MigrantInnen ausmachen, als erstes die Frage gestellt, ob sie ein Messer bei sich führen. In einem anderen Video fordert Naggert einen Straßenmusiker auf, das NS-Marschlied „Erika“ zu spielen, während König einer Kopftuch tragenden Muslima ungefragt erklärt, er sei rechts.

Am 18. Mai 2019 wurde Ruhrpott Roulette von der AfD Salzgitter zu einer Demonstration eingeladen, worüber natürlich sogleich ein Video gedreht wurde. Etwas tönern trug König auf der AfD-Bühne einen rassistischen Beitrag im Stil einer „Büttenrede“ vor.

Das bislang erfolgreichste — von YouTube zeitweise gesperrte, aber von zahlreichen Usern erneut hochgeladene — Video ist „Hetztape“, in dem Schmitz den Song einer bekannten „YouTuberin“ mit neuem Text darbietet. Schmitz rappt, dass sie „deutsch und frei“ bleiben möchte und ihre Worte wie „deutsche Kampfpanzer“ „ballern“ würden. Schließ­lich heißt es: „Kommt ein Nafri, geht es bambambambam“, wozu Marius König dann Faustschläge imitiert.

Kai Alexander Naggert rappt in seiner Version des Sido-Songs „Schlechtes Vorbild“ von „Ehre und Stolz“. In einer abrissreifen Industriehalle in Duisburg posiert er dabei mit vermummten „Identitären“ aus dem Fußballmilieu gegen LGBTI („Wärst gern ´ne Frau, doch jeder sieht, dass du ´ne Transe bist“) und Geflüchtete („Sei nicht traurig, wenn ich dir jetzt dein Koffer packe, bist traumatisiert und stichst unsere Leute ab, ich scheiß auf Mitleid und Gefühl, schick dich in Einzelhaft“). Inhaltlich angelehnt an deutschen RechtsRock à la Landser fordert er: „Wir müssen einfach den Germanen in uns rauslassen“.

Bislang begrenzte Reichweite

Ruhrpott Roulette verdeutlicht, dass sich die „Identitären“ im Ruhrgebiet von der Straße zurück ins Virtuelle flüchten, um weiterhin Aktionismus und Wirkmächtigkeit zu suggerieren. Das Ziel, über ein unverfängliches Format und eine lockere und jugendliche Ausrichtung junge Menschen für menschenverachtende Inhalte zu gewinnen, erreichen sie bislang nicht. Stattdessen entfalten die Videos ihre Wirkung überwiegend innerhalb der bereits bestehenden „identitären“ Internet-Community. Neue Zielgruppen werden mit den meist langatmigen und unspektakulären Videos nicht gewonnen. Dem Kanal folgen derzeit rund 12.000 Personen.

Trotz der eher laienhaften Umsetzung sind die transportierten Aussagen nicht zu unterschätzen. Die Verpackung als „Parodie“ macht die Inhalte nicht weniger menschenverachtend, sondern setzt diese nur in einen harmloseren Kontext. Ein Unterhaltungswert ist aber offensichtlich nur für Menschen mit einer rassistischen, antisemitischen oder frauenfeindlichen Grundeinstellung gegeben. Auf alle anderen wirken die Witze plump, flach und abstoßend.

Mehr Informationen unter www.identitaere-in-bochum.net

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