Denunziation und Einschüchterung
Schulen im Fokus der AfD
Die AfD führt einen Kulturkampf von rechts, bei dem alles angegriffen und bekämpft wird, was dem politischen Gegner zugeordnet wird. Neben Einrichtungen der Sozialen Arbeit, Theatern und Stadteilkulturläden sollen vor allem Schulen unter Druck gesetzt werden. Ziel der AfD ist es, ihre Gegner_innen zum Schweigen zu bringen.
Die AfD vertritt eine elitär ausgerichtete Bildungspolitik. In Rheinland-Pfalz forderte sie im September beispielsweise, das dreigliedrige Schulsystem wiederherzustellen. In wenigen europäischen Ländern bestimmt die soziale Herkunft so stark über den späteren Bildungsabschluss wie in Deutschland. Ein dreigliedriges Schulsystem zementiert die soziale Undurchlässigkeit. Die Partei lehnt auch die Inklusion von Kindern mit Behinderungen an Regelschulen ab. Viele die Schulen betreffende parlamentarische Initiativen der AfD haben aber nicht die großen bildungspolitischen Fragen zum Thema. In NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen fragte die AfD nach der Höhe des Anteils von Schüler_innen mit Migrationshintergrund und verknüpfte dies zum Teil mit der Frage nach bekannten Vorfällen von gewalttätigem Verhalten. In NRW brachte die Partei sogar einen Antrag in den Landtag ein, der forderte, den „Migrantenanteil“ in Schulkassen zu begrenzen.
Vor allem nutzt die AfD aber die parlamentarischen Möglichkeiten, um Druck auf diejenigen Schulen, Lehrer_innen und Schüler_innen auszuüben, die sich kritisch mit der AfD auseinandersetzen oder antirassistische Positionen offen vertreten. So forderte der AfD Kreisverband Alzey-Worms, auf Landes- und Bundesebene die Zusammenarbeit mit dem Verein Schule ohne Rassismus — Schule mit Courage aufzukündigen. Für sie sei „Schule ohne Rassismus“ in Wahrheit „Schule gegen Demokratie“. Aus Sicht der AfD in Sachsen-Anhalt betreibe das Schulnetzwerk „linke Indoktrination, Meinungs- und Gesinnungsdiktatur“. Der dortige AfD-Fraktionschef Oliver Kirchner ist der Meinung: „Politik hat an den Schulen wenig zu suchen. “ Er sagt: „Wir verwehren uns gegen eine Vermischung von Politik und Schule.“
Ziel der Anfragen ist Verunsicherung. Schulen und Lehrer_innen, die sich gegen die AfD stellen, sollen fürchten, dass die Anfragen Konsequenzen nach sich ziehen. So sind aus Nordrhein-Westfalen und Bremen Dienstaufsichtsbeschwerden gegen Lehrer_innen bekannt, die sich im Unterricht kritisch mit den Positionen der AfD auseinandergesetzt haben sollen.
Vorreiterrolle Hamburg
Im September 2018 schaltete die AfD Hamburg die bundesweit erste Plattform zur Denunziation unliebsamer Lehrer_innen frei. Mehrere Landesverbände folgten dem Vorbild aus Hamburg, zeitweilig gab es neun Portale. Zuletzt ging in Mecklenburg-Vorpommern eines mit dem Namen „Neutrale Schule“ an den Start, das aber kurze Zeit später vom Landesdatenschutzbeauftragten verboten wurde. Es war das erste Verbot einer solchen Meldeplattform.
Auf den Plattformen sollen angebliche Verstöße gegen die „politische Neutralität“ anonym gemeldet werden können. Darüber hinaus sollen Schulen und Lehrer_innen denunziert werden, die sich (im Unterricht) kritisch mit der AfD auseinandersetzen: Es geht auch hier um Einschüchterung. Die AfD stellt Lehrer_innen unter den Generalverdacht der „politischen Indoktrination“.
In Hamburg hat die AfD seit ihrem Einzug in die Hamburgische Bürgerschaft mittlerweile mehrere Dutzend kleine und große Anfragen mit ähnlicher Stoßrichtung gestellt. Schulen werden angegangen, die bei politischen Veranstaltungen die AfD nicht eingeladen haben. Auch Veranstaltungen in Schulen, in denen sich kritisch oder gar ablehnend mit von der AfD vertretenen Positionen auseinandergesetzt wird, stehen im Fokus. Der Vorwurf ist stets fehlende „politische Neutralität“. Zuletzt traf es im September eine Schule, an der auf einer Veranstaltung einer GEW-Betriebsgruppe die Notwendigkeit antifaschistischer Politik betont wurde.
Die Anfragen der AfD wurden in Hamburg von der Schulbehörde lange Zeit ablehnend und einsilbig beantwortet. Diese Praxis hat sich 2019 verändert. Am 1. März wurde von der AfD eine Anfrage mit dem Titel „Verfassungsfeindliche linksextremistische Aktivitäten an der Ida Ehre Schule unter Duldung des Lehrerkollegiums und der Schulleitung“ gestellt. Die Schulbehörde antwortete eine Woche später, dass es Schüler_innen freistehe, ihre politischen Ansichten im Unterricht zu äußern. Gleichzeitig sei jedoch politische Werbung an Schulen unzulässig. Diese Sichtweise nahm die Schulbehörde zum Anlass, eine Begehung des Schulgebäudes vorzunehmen. Es wurde angeordnet, antifaschistische Aufkleber entfernen zu lassen und das Kollegium der Schule verdonnert, sich mit der Thematik auf Konferenzen zu befassen. Interessanterweise fand die Begehung in den Hamburger Frühjahresferien statt, so dass Schüler_innen, Lehrer_innen und Eltern erst nach den Ferien von dem Vorgehen der Schulbehörde, zumeist aus der Presse, erfuhren. Tatsachen wurden geschaffen, ohne dass das Kollegium eine Chance zu reagieren hatte.
Die AfD erklärte einen Tag nach Schulbeginn triumphierend, ein „linksextremistisches Netzwerk an der Stadtteilschule“ aufgedeckt zu haben. Zeitgleich titelte das Hamburger Abendblatt: „Linksextremisten agieren ungestört an Schule“. Im Artikel wurden Schüler_innen als gewaltverherrlichend und Lehrer_innen als naiv oder als Extremismus-Befürworter_innen dargestellt: „Extremismus für eine gute Sache.“ Die Zeitung übernahm damit die Rhetorik der AfD, ohne mit der Schule, Lehrer_innen oder Schüler_innen im Vorfeld Kontakt aufgenommen zu haben. Über mehrere Tage beherrschte denunziatorische Berichterstattung im Sinne der AfD die Medien und setzte die Schule massiv unter Druck. Die Schulbehörde wiederum schwieg. Erst eine breite Solidaritätskampagne von Schulen, Schüler_innen, Lehrer_innen und diversen anderen Personen und Organisationen sowie eine Demonstration mit 3.000 Menschen waren in der Lage, das Bild in der Öffentlichkeit wieder zugunsten der Schule zu verändern.
Normalisierungsgewinne
Die AfD versucht mit ihren Angriffen und Grenzüberschreitungen bundesweit das diskursive Klima in ihrem Sinne zu verändern. Die AfD-Fraktion in Hamburg übernahm beim Meldeportal eine Vorreiterrolle. Mit der Hilfe von Kleinen und Großen Anfragen sowie mit Dienstaufsichtsbeschwerden will die AfD Einfluss auf den Unterricht und die politische Meinungsbildung an Schulen nehmen. Dies scheint momentan der erfolgreichere Weg als die Meldeportale zu sein. Bei einem Treffen aller Landtagsfraktionen der AfD im September 2018 wurde daher beschlossen, dieses Vorgehen zukünftig verstärken zu wollen. Vorreiter sollten die Landesverbände Sachsen-Anhalt und Brandenburg sein.
Erschreckend sind die Normalisierungsgewinne, die die AfD mit ihrer Strategie erzielt. Die Einschüchterungsversuche wirken gerade auf Behörden und Verwaltung: Um Ärger zu vermeiden, macht man sich selbst zum Erfüllungsgehilfen der AfD. Das Ziel der AfD ist klar: Was ihr nicht gefällt, soll einfach verboten werden.