Gaming, Politik, Empowerment

Interview mit dem „Purple Sloth Studio“

Neben den großen finanzkräftigen Publishern, deren Spiele sehr viele kennen oder selbst spielen, gibt es auch unabhängige Spiele­ent­wick­ler\*innen, die mit unterschiedlicher Reichweite und Bekanntheit eigene Spiele publizieren. Mit einem solchen Kollektiv hat LOTTA gesprochen, um herauszufinden, wie es mit einem emanzipatorischem Blick auf Gaming aussieht.

Neben den großen finanzkräftigen Publishern, deren Spiele sehr viele kennen oder selbst spielen, gibt es auch unabhängige Spiele­ent­wick­ler*innen, die mit unterschiedlicher Reichweite und Bekanntheit eigene Spiele publizieren. Mit einem solchen Kollektiv hat LOTTA gesprochen, um herauszufinden, wie es mit einem emanzipatorischem Blick auf Gaming aussieht.

Ist Gaming (un)politisch?

fuchsi*: Nein. Ganz simple Antwort: Keine veröffentlichten Medien sind unpolitisch. Sie können höchstens [sehr politisch!] den Status Quo stützen.

ente: Für mich ist vor allem die Frage, welche Geschichten erzählt werden und aus wessen Perspektive, ganz offensichtlich politisch. Alle Spiele erzählen irgendwelche Geschichten. Auch ohne Storyfokus haben sie eine Welt, in der sie spielen, und Figuren, die gespielt werden.

radow: Auch Spielmechaniken haben eine politische Dimension. Die Entscheidung, wofür ein Spiel Spieler*innen belohnt oder bestraft etwa.

ente: Und ebenso, welche Erfahrungen oder Fähigkeiten vorausgesetzt werden, um ein Spiel spielen zu können. Es gibt da gerade einen großen Diskurs um Schwierigkeit, Gatekeeping und Zugänglichkeit.

radow: Spannend ist, warum das überhaupt so sehr in Frage gestellt wird. Es gab in den letzten Jahren von Teilen der Gaming Community einen Schub für die Depolitisierung von Spielen. Unter dem Slogan „Get politics out of games“ wird alles Progressive in Spielen (etwa diversere Charaktere) als „politische Agenda“ bezeichnet, Kritik an problematischen Elementen und Narrativen als „PC“ und Kritiker*innen als „SJW“ (Social Justice Warriors) verurteilt. Die Antwort von vielen Entwickler*innen und Publishern gerade im AAA-Bereich, also dort, wo Spiele von finanzstarken Unternehmen verlegt werden und in deren Entwicklung oft mehrere Millionen Euro beziehungsweise Dollar fließen, ist leider auch nicht besonders ermutigend. Selbst wenn diese versuchen, ihren Markt durch diversere Charaktere oder Geschichten zu erweitern, stehen sie selten öffentlich dazu. Darauf angesprochen lautet die Antwort meist nur: „Unsere Spiele sind nicht politisch“.

Was verbindet euch als Kollektiv?

ente: Unser Kollektiv ist Anfang 2018 spontan entstanden, als wir zusammen auf einem Game Jam gearbeitet haben, also an nur einem Wochendende und mit vorgegebenem Thema ein Spiel entwickelt haben. Das hat sich dann weiterentwickelt und wir haben uns mehr Gedanken dazu gemacht, welche Spiele wir machen wollen und was wir in ihnen vermitteln wollen. Als „Indie Game Studio“ ist es uns besonders wichtig, in einer möglichst solidarischen Atmosphäre Computerspiele zu entwickeln, die einen politischen Subtext haben. Wir wollen sowohl uns gegenseitig, als auch andere durch unsere Spiele empowern. Da viele von uns queer sind, ist es uns auch wichtig, diese Erfahrungen mit in unsere Spiele zu bringen.
Wenn ihr mehr über unser Konzept wissen wollt, schaut in unser Missionstatement: https://purplesloth.studio/the-mission.

fuchsi*: Spiele waren für viele von uns schon vorher auf die eine oder andere Art wichtig. Sei es um mitreißende Geschichten zu erleben, Erfolgsmomente in absehbaren Herausforderungen zu finden, in eine vollkommen andere Welt abzutauchen, um die Probleme der Realität für einen Moment vergessen zu können oder um Inspiration zu finden. Auch der soziale Aspekt war für manche von uns schon immer wichtig: mit anderen Menschen in einem Onlinespiel zu interagieren oder zu zweit an einem PC zu sitzen und an einem Puzzle-Spiel zu knobeln, können auf jeden Fall verbindende Erlebnisse sein. Da uns allen dabei politische Inhalte fehlten – oder uns Spiele da sogar explizit missfallen haben –, hatten wir also schnell eine gemeinsame Vision.

Ihr seht also emanzipatorisches Potenzial im Gaming? Worin besteht es?

fuchsi*: Auf jeden Fall! Zum Teil einfach wieder durch die Darstellung verschiedener Lebensrealitäten. Es gibt einige Spiele, die sich mit Depressionen und Ängsten, queeren Lebensentwürfen und Communities und so weiter beschäftigen. Das sind oft nur kleine Spiele, aber sie haben den Menschen, die sie entwickelt haben eine Stimme und ein Medium gegeben, um sich mitzuteilen, zum Beispiel Celeste, Sea of Solitude und Tomorrow don‘t come. Als interaktives Medium können Spiele dabei sehr immersiv sein, also Identifikation mit der fiktiven Welt hervorrufen, und Menschen so dazu bringen, sich mit Perspektiven und Fragen auseinanderzusetzen, die für sie ansonsten fremd sind. Mehr noch als andere Medien können sie dadurch nicht nur bereits existierende Communities ansprechen, sondern auch Außenstehenden Lebenseindrücke vermitteln.
Ich glaube, dass das Potenzial von Spielen hier noch nicht voll ausgeschöpft wird, sehe aber, dass sich das langsam ändert.

ente: Ein weiterer Punkt sind auch die Communities selbst, die zum Teil erst durch diese Spiele zusammenfinden. Etwa weil sie zu einem großen Teil online existieren und damit Entfernungen überwinden, die ein Zusammenfinden sonst schwierig machen.

radow: Und auch das Erschaffen der Spiele selbst kann Menschen mit einer gemeinsamen Vision oder Lebensrealität zusammenbringen. Ich denke dabei insbesondere an Game Jams wie den „Nonbinary Game Jam“ oder auch die Communities, die sich um bestimmte Spiele-Engines gebildet haben. Mit „Game Workers Unite!“ ist zudem in den letzten Jahren endlich eine Gewerkschaftsbewegung für Spieleentwickler*innen entstanden. Das ist bitter nötig, wird aber von vielen Publishern vehement bekämpft.

Im vergangenen Jahr gab es mit Christchurch, El Paso und Halle mehrere rechte Anschläge von „Gamern“.  Was dachtet ihr, als ihr davon gehört habt? Gibt es Diskussionen zur Verbindung von rechtem Terror und Gaming in der „Szene“?

radow: Für mich war das leider keine große Überraschung. Rechte Bewegungen haben Gaming-Communities in den letzten Jahren, insbesondere seit „Gamer­gate“, als fruchtbaren Rekrutierungsgrund entdeckt. Da gibt es richtiggehende Rekrutierungspipelines, die in an sich harmlosen Gaming-Discords und -Subreddits anfangen – bis hin zu Plattformen wie 8chan und gab führen. Nicht ohne Grund ist 8chan dann die Plattform, auf der die Attentäter der letzten Jahre besonders gerne ihre Manifeste geteilt haben.

fuchsi*: Die Ursachen dafür sind aber nicht Spielen inhärent oder exklusiv in Gaming Communities vorhanden, sondern entstehen durch Zuwendung zu toxischen Teilen der Community und deren Duldung ohne jegliches Problembewusstsein.

radow: Viele dulden rassistische Positionen und Aussagen als Witze und Memes oder veteidigen sie unter dem Deckmantel eines vermeintlichen „historischen Realismus‘“; rassistische Ausbrüche von großen Content-Machern wie Pewdiepie werden als „heated gamer moments“ verharmlost; große Publisher wie THQ Nordic halten „Ask me anything“-Sessions auf 8chan…

ente: Eine besonders laute Gruppe sind „Identitäts-Gamer“. Das größte Erkennungsmerkmal dieser ist erstmal Gatekeeping: Sie sehen sich als (wahre) Gamer und andere, etwa Leute, die „nur“ mobile games, casual games und andere spielen oder nicht männlich, weiß, cis, straight sind, haben ihrer Meinung nach in der Szene nichts zu suchen.

radow: Mit den Attentätern wollen die meisten dann natürlich nichts zu tun haben — teilen aber die gleichen Phrasen, Idole — etwa Pewdiepie oder Jordan Peterson —  und Ideologien.

Wie habt ihr die Berichterstattung und politische Debatte zu den Anschlägen und dem Gaming-Bezug erlebt?

fuchsi*: Meine erste Reaktion? Nicht schon wieder diese Killerspiele-Diskussion.

radow: Eine tiefgehende Debatte über beispielsweise Rassismus oder Sexismus in Videospielen und Gaming-Communities wäre absolut notwendig.

fuchsi*: Der öffentliche Diskurs ist allerdings sehr oberflächlich und geht wieder viel zu viel auf die allgemeinen Spielmechaniken ein, was an den wirklichen Problemen vorbei geht.

radow: Ich denke schon, dass problematische Inhalte dazu beitragen, dass sich zum Beispiel Rassist*innen besonders angesprochen fühlen, aber das wird ja gar nicht thematisiert. Der Diskurs in den Medien bleibt meist bei „Oh, ein Shooter“.

ente: Die defensive Reaktion auf diesen Diskurs ist dann natürlich nicht besonders hilfreich, um eine szeneinterne Debatte anzustoßen, in der Gaming-Communities anfangen könnten, für ihr problematisches Verhalten Verantwortung zu übernehmen.

Als vermehrt Neonazis auf Hardcore-Konzerten auftauchten, hat die Szene das Label „Good night white pride“ entwickelt und sich mit gegen Nazis positioniert und abzugrenzen versucht. Gibt es Vergleichbares im Gaming?

ente: Leider gibt es bisher im Gaming nichts vergleichbar Großes. In vielen, vor allem kleineren Communities gibt es Codes of Conduct, die Regeln für das Miteinander formulieren und grenzüberschreitendes Handeln sanktionieren.

fuchsi*: Es gibt schon auch ein Bewusstsein in Teilen der Szene und Versuche, Streamer*innen und Spielentwickler*innen, die problematische Inhalte produzieren, die Plattformen zu entziehen. Dabei geht es vor allem um das Aufzeigen problematischen Verhaltens. Die Reaktionen darauf sind leider oft große Shitstorms gegenüber denen, die diese Kritik äußern — und es ist schwierig, dies als Community abzufangen, da es sich oft um gezielte Angriffe auf Einzelne handelt.

ente: Probleme sehe ich vor allem darin, dass so viele Menschen Gaming noch als unpolitisch betrachten. Das war ja beim Hardcore anders. Selbst der Minimalkonsens, dass Nazis nicht ok sind, wird schon von manchen Gamern abgelehnt.

radow: Es ist auch viel schwieriger, Nazis aus Online-Communities auszuschließen, weil Räume online viel schwammiger definiert sind. Wenn Nazis offen zu Konzerten kommen, kann mensch sie rauswerfen — entweder selbst oder über die Veranstalter*innen. Online-Communities erstrecken sich über diverse Plattformen. Und selbst in einem der seltenen Fälle, dass Plattformbetreiber*innen gegen sie vorgehen, sind sie am nächsten Tag mit neuem Account oder auf einer anderen Plattform wieder da.

Habt ihr Ideen, was im Gaming gegen toxische Communities und Neonazis getan werden könnte?

ente: Als Spieler*innen und Indie-Entwickler*innen können wir uns selbst organisieren und unsere Communities stärken. Aber auch Streamer*innen und große Spielestudios haben eine Verantwortung bei der Produktion von Inhalten und für daraus entstehende Communities.

fuchsi*: Insbesondere auch in dem vorhin genannten Punkt, Nazis die Plattform zu entziehen, muss mehr passieren. Lösungen dafür zu finden, die nicht nur auf staatliche Macht oder Großkonzerne hoffen, ist auf jeden Fall noch eine Herausforderung — und ist evtl. gar unmöglich, solange Facebook, Twitter und Co. den Stellenwert haben, den sie aktuell genießen.

radow:  Und natürlich klassische Antifaarbeit, die bisher in Gaming-Kreisen nicht so verbreitet ist. Also zum Beispiel dedizierte Recherche und Doku von Rekrutierungsarbeit von „Alt-right“, MRAs, also Männerrechtsaktivisten, etc. in der Szene.

Vielen Dank für das Interview!