„Good game — well played“?
„Gamergate“, toxische Szenen und die extreme Rechte
Der Münchner OEZ-Schütze, der Christchurch-Attentäter oder der Mörder aus Halle — wir haben es mit einem neuen extrem rechten Tätertypus zu tun. Die Täter sind Teil einer toxischen Netzkultur, die Gaming-Szene spielt eine wesentliche Rolle. Warum ist die Spiele-Szene so anziehend für diese toxische Gemeinde?
Bereits vier Tage nach der antisemitischen Tat im Oktober 2019 in Halle sprach Innenminister Horst Seehofer in einem Interview über die Risiken der „Gamerszene“ und darüber, dass man sie stärker überwachen müsse. Er trat eine kontrovers geführte Debatte über Gaming-Kultur los. Einerseits fühlten sich viele Gamer*innen zu Unrecht an den Pranger gestellt, andererseits hat die Gaming-Szene ein nicht kleinzuredendes Problem mit diskriminierenden User*innen. Die Debatte darf sich jedoch nicht um das leidige Thema „Killerspiele“ oder eine Pauschalisierung von Gamer*innen als „rechts“ drehen. Viel eher muss betont werden, dass Neonazis versuchen, in Spielchats und Gamingforen Fuß zu fassen. Extrem rechte Akteure sind bemüht, ihre menschenfeindlichen Inhalte durch ästhetisierende Bezüge auf die Gamingkultur zu modernisieren.
Was ist Gaming?
Computer- und Videospiele sind für einen Großteil der Gesellschaft Teil des Alltags geworden — ob mit der Konsole auf dem heimischen Fernseher, auf dem Gaming-Rechner oder unterwegs auf dem Smartphone — überall auf der Welt. Aus einem Nischenhobby wurde eine der global größten Unterhaltungsindustrien, die schon lange gleichberechtigt neben TV und Kinofilmen steht. Im Internet entstehen dabei Communities, in denen sich reger Austausch und ganz neue kommunikative Räume entwickeln. Doch dort zeigen sich auch Schattenseiten. Gaming ist schon lange ein Massenhobby, Vorurteilsstrukturen der Gesellschaft treten hier genauso häufig auf, wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Und so sind Rassismus, Sexismus, Antisemitismus und allgemein Hatespeech im Gaming leider keine Einzelfälle.
Neonazis und Rechtspopulist*innen nutzen die Videospielwelt, um ihre menschenverachtenden Inhalte zu verbreiten. Gamechats, Community-Foren oder Gruppen auf Verkaufsplattformen sind längst Teil des „Infokrieges“ geworden, in dem sich viele Neonazis sehen. Videospiele sind für viele rechtsgerichtete Netzakteure dabei die Antwort auf das Deplatforming (also das Bannen und Entfernen extrem rechter Accounts von Sozialen Medien), welches mal mehr und mal weniger konsequent von YouTube, Instagram und Facebook verfolgt wird. Dass rechte Akteure versuchen, mehr und mehr über Videospiele rassistische Inhalte vor allem einer jugendlichen Zielgruppe zugänglich zu machen, zeigt auch ein Beispiel der sogenannten Identitären Bewegung (IB). Ganz im Stil des Videospielmeilensteins Grand Theft Auto V (GTA V) designten die Aktivist*innen ein Poster mit ihrem Slogan „defend europe“. Mit dieser Ästhetisierung und der Bezugnahme auf eines der meistverkauften Videospiele versucht die IB somit, vor allem bei Gamer*innen Anknüpfungspunkte zu schaffen.
Toxische Szenen
In Gaming-Foren und auf den Plattformen entwickelt sich auch eine extrem toxische Netzgemeinde, ohne dass Neonazis hier bestimmend mitmischen müssen. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen Trollen (User*innen, die der Provokation wegen provozieren) und rechten Aktivist*innen. Es sind vor allem „Free To Play“-Spiele (kostenlose Games), bei denen es nur wenige Minuten dauert, bis ein Mitspieler im Chat ausfällig wird, beleidigt oder mutwillig den Spielverlauf sabotiert. Diese in der Szene „toxisch“ genannten Spieler*innen sind allgegenwärtig — und sie sind ein Problem, für Spieler*innen wie für Anbieter*innen. Aber: Laut Expert*innen beläuft sich die Anzahl der toxischen Spieler*innen nur auf rund ein Prozent. Sie sind nur für etwa fünf Prozent der Beleidigungen verantwortlich. Der Großteil kommt somit von gewöhnlichen Spielenden.
Dass wiederholt von „toxischem“ Verhalten in Gaming-Communities gesprochen wird, ist ebenso traurig wie notwendig. Diskriminierende Äußerungen, ob in Foren, Reviews oder im Chat, sind leider für manche (meist jugendliche, männliche) Gamer Teil einer Kultur. Sie bezeichnen es als „Trash Talk“, „Müll reden“, in der Konsequenz bedeutet dies jedoch, Gegenspieler*innen verbal zu demütigen und zu beleidigen. In einer Studie der US-amerikanischen Anti Defamation League vom Juli 2019 wurde gezielt toxisches Verhalten und Belästigung in Online-Games untersucht. Demnach waren 74 Prozent aller Online-Gamer*innen bereits betroffen. 64 Prozent von ihnen wurden auf schlimme Art diskriminiert, darunter finden sich Gewaltandrohung, Stalking und länger anhaltende Belästigung. 40 Prozent der Beleidigungen richteten sich gegen Frauen. Auch mit einem anonymen Avatar ist es recht einfach, eine weibliche Spielerin in einem Sprach-Chat zu identifizieren.
„Gamergate“ und der Aufstieg der „Alt-Right“
Verbale Ausfälle und Hassrede haben reale Konsequenzen. Besonders deutlich zeigt sich dies an der Gamergate-Debatte, aus der sogar eine Bewegung mit Tausenden von Anhängern in den USA entstand.
Worum ging es bei „Gamergate“? Alles fing 2014 mit einem verbalen Angriff auf Zoe Quinn an, eine amerikanische Spieleentwicklerin. Ihr Ex-Freund hatte ihr in einem Blog Untreue und eine Affäre mit einem Spiele-Journalisten eines Online-Magazins vorgeworfen. Das führte zu einer viral verbreiteten Kritik, Spiele-Journalist*innen seien käuflich und machten ihre Rezensionen eher von Bettgeschichten als ihrem Gewissen abhängig. Ging es anfangs auch noch teilweise um Ethik im Videospieljournalismus, so entstand unter dem Hashtag vor allem ein massiver, von männlichen Gamern angeführter Online-Mob und eine Hasskampagne gegen verschiedenste feministische Akteurinnen im Gaming-Bereich.
Die feministische Medienkritikerin Anita Sarkeesian geriet in den Fokus der Kampagne, als sie 2014 ein weiteres Video ihres Projekts „Tropes vs. Women in Video Games“ auf YouTube veröffentlicht hatte. Aufgrund der Serie, in der es um sexistische Darstellungen von Frauen in Games ging, war sie bereits zuvor Ziel von Hass und Häme. Nun erhielt sie Vergewaltigungs- und Todesdrohungen, private Informationen wie ihre Adresse wurden veröffentlicht, sodass sie untertauchen musste. Ähnlich erging es auch der Spieleentwicklerin Brianna Wu, die sich mit kritischen und sarkastischen Beiträgen in die Debatte eingemischt hatte.
Neben diesen drei Frauen richtete sich der Hass der „Gamergater“ gegen Frauen im Gaming, feministische und emanzipatorische Positionen als Ausdruck einer angeblichen Politisierung des Gamings und gegen all diejenigen, die entsprechendes vertraten. Die Bezeichnung „Social Justice Warrior“ erlebte als Abwertung und Beschimpfung in diesem Kontext Konjunktur und hält sich auch heute als negative Bezeichnung.
„Gamergate“ organisierte sich über die Internetplattformen 4chan und Reddit sowie in IRC-Chats. Hier verband sich ein digitaler Mob aus Antifeministen, Trollen, Nationalisten und extrem Rechten aus den USA wie darüber hinaus. Durch die geballte Online-Kommunikation merkten die User dieser heterogenen Gruppen plötzlich, dass sie nicht alleine waren. Angestachelt durch viele Gleichgesinnte, hatten sie nicht mehr das Gefühl, etwas Verbotenes zu sagen oder zu tun. „Gamergate“ war sozusagen eine „Empowerment-Bewegung“ für Rassisten. Expert*innen werten Gamergate heute als Geburtsstunde der „Alt-Right“. Nationalismus, Rassismus, Antifeminismus und generell extrem rechte Ideologien existieren selbstverständlich nicht erst seit 2014. „Gamergate“ war aber ein identitätsstiftendes Moment, in dem verschiedene Gruppen, die vorher wenige Berührungspunkte hatten, zusammenkamen.
Antifeminismus und Sexismus in der Gaming-Kultur
Belästigungen von Frauen im Bereich digitaler Spiele sind keine Einzelfälle, denn sexistische Strukturen der Gesellschaft spiegeln sich auch hier wider. Dies geschieht zunächst auf der Ebene des Programms: sowohl in Form von Geschichten, in denen Frauen negiert, an den Rand gedrängt oder ausgebeutet werden, als auch in der Ästhetik, die Frauen hypersexualisiert darstellt. In den um Online-Multiplayer-Spiele entstehenden Gemeinschaften sind sexistische Äußerungen dann fester Teil der Ausdrucksformen und als Norm etabliert. Die Fragen, welche Rolle Frauen im Gaming-Bereich spielen, welche Realitäten in Spielen wie repräsentiert werden sollten und wie mit Kritik an Spielen und der Szene-Kultur umzugehen ist, wird in der Community kontrovers diskutiert.
Betroffene Gamer*innen sehen sich neben klassischen Shitstorms immer wieder auch Doxxing, dem Veröffentlichen privater Informationen wie Adressen und Fotos im Internet, ausgesetzt. An derartig aufsehenerregenden Fällen zeigt sich deutlich, wie stark die digitale Spielewelt sich als Männerdomäne versteht und Weiblichkeit darin abgelehnt beziehungsweise abgewertet wird. Dabei hat die Spieleindustrie schon lange andere Entertainment-Zweige überholt, was Umsätze und Gewinne angeht — und das auch, weil Frauen nicht wesentlich weniger spielen als Männer. Dennoch bleibt das Bild des weißen männlich-heterosexuellen Spielers nicht nur in den Medien, sondern auch bei Gamer*innen selbst vorherrschend.
„Steam“ — Mehr als nur eine Vertriebsplattform
Fragt man, wo toxische Communities zu finden sind, lautet die Antwort: leider beinahe überall. Dies gilt auch für Steam, eine Internet-Vertriebsplattform für Computerspiele, Software, Filme, Serien und Hardware. Sie ist die größte Spieleplattform der Welt, 2018 waren täglich 47 Millionen Nutzer*innen aktiv, davon bis zu 18,5 Millionen Spieler*innen gleichzeitig. Insgesamt loggten sich bis zu 90 Millionen Nutzer*innen pro Monat ein. Via Steam können User*innen rund um den Globus miteinander in Kontakt treten und Gruppen erstellen. Schaut man jedoch etwas tiefer in die Abgründe von Steam, stößt man schnell auf menschenverachtende Inhalte. Verehrung des Nationalsozialismus und Neonazismus werden explizit und unverblümt präsentiert. Auch strafrechtlich relevante Nazi-Symbolik wird hier ohne Angst vor Sanktionen gepostet. Viele Nutzer*innen nennen sich oder ihre Gruppen nach historischen Nazi-Größen — oder extrem rechten Attentätern. Meist geht die Nazi-Symbolik einher mit einem praktischen Ausleben extrem rechter Ideologie: Rassismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, LSBTI-Feindlichkeit, Sexismus, also mit der Abwertung und Beschimpfung von Gruppen.
Auch David Sonboly, der am 22. Juli 2016, dem Jahrestag des Anschlags des norwegischen Neonazis Anders Breivik im Jahr 2011, am OEZ in München neun Menschen tötete, war hier in einer überaus toxischen Community unterwegs. Sonboly zielte vor allem auf junge Menschen mit Migrationshintergrund. Anschließend tötete er sich selbst. Er gehörte zu einer internationalen Gruppe von jungen und hasserfüllten extrem Rechten, die sich unter anderem auf Steam gegenseitig in ihrem Hass bestärkten. Dort tauschte sich der damals 18-Jährige beispielsweise mit dem späteren US-Attentäter William Atchison (21) aus. Dieser hatte ein Steam-Forum namens „Anti-Refugee-Club“ gegründet, in dem er sich mit Gleichgesinnten über extrem rechte, rassistische Inhalte, Waffenbeschaffung und Mordfantasien austauschte. Nach den Morden am OEZ feierte Atchison den Münchner Attentäter im Internet als Held — und verhöhnte die Mordopfer. Am 7. Dezember 2017 wurde der Amerikaner in Aztek, im Bundesstaat New Mexico, selbst zum Mörder: Er erschoss an einer Schule zwei Mexikaner.
„Discord“ — Sprach-Chat für Gamer*innen
Eine weitere Plattform, auf der sich Rassist*innen, Antisemit*innen und Antifeminist*innen vernetzen, ist Discord, eine Art Gruppen-Messenger mit Sprach-Funktion. Um Interessierte zu verbinden, legen User*innen Gruppen an, die hier „Server“ heißen. Innerhalb solcher Gruppen findet man es witzig, sich den Namen Breivik zu geben, rassistische und diskreditierende Memes zu posten und antisemitische Anlehnungen als Satire auszugegeben. Auf dem deutschsprachigen Discord-Kanal der Reconquista Germanica organisierten sich 2017 Trolle, Ideologen und Aktivist*innen der rechten Sphäre, um Debatten in den sozialen Netzwerken zu beeinflussen und zu manipulieren. Sie planten hier „meme wars“ und Shitstorms gegen demokratische Akteur*innen.
Streamingportale: elementar für die Gaming-Szene
Egal ob bei großen Live-Übertragungen von Gaming-Turnieren (eSports), einer aufreibenden Runde Battle Royale oder dem gemeinsamen Daddeln kleinerer Indie-Titel mit Freund*innen: Gaming ohne Streaming ist für viele Zocker*innen kaum denkbar. Twitch ist solch eine Streamingplattform, die vorrangig für die Übertragung von Videospielen genutzt wird. 2018 hatte die Plattform durchschnittlich 150 Millionen aktive Zuschauer*innen. Im Durchschnitt verbringen die Nutzer*innen 95 Minuten auf Twitch. Einflussreiche rechte Streamer*innen, die man auch als Influencer*innen bezeichnen kann, gibt es hier kaum, extrem rechte User*innen allerdings zuhauf. Auch der Attentäter von Halle streamte seine Tat auf Twitch.
Statt lineares TV-Programm sehen sich junge Menschen lieber Inhalte auf Streamingportalen an. Gamer*innen schauen abends lieber ihren Lieblings-Spieler*innen beim Zocken zu, als Jörg Pilawa bei einer verstaubten Quiz-Show. Gaming-Videos finden sich allerdings nicht nur auf speziellen Videospiel-Plattformen, sondern auch auf YouTube. „PewDiePie“ beispielsweise, der Kanal des „YouTubers“ Felix Arvid Ulf Kjellberg, ist seit August 2019 der erste Kanal einer Einzelperson mit mehr als 100 Millionen Abonnent*innen. Als sogenannter YouTube-Gamer nimmt er sich selbst beim Spielen auf, kommentiert den Spielverlauf und stellt das Video dann online.
GGWP — „Good Game,Well Played“
Auch der antisemitische Mörder aus Halle ist Teil einer rechten Subkultur, die sich unter anderem über Foren, Plattformen für Gamer*innen, Imageboards und Telegram vernetzt und politisch radikalisiert (siehe Seite 16 ff.). Sehr viel deutet darauf hin, dass Stephan Balliet mit seiner Tat in der Tradition von Brenton Tarrant, dem Attentäter von Christchurch steht, der am 15. März 2019 in Neuseeland 51 Menschen in einer Moschee tötete. Auch er streamte seine Tat live im Internet.
Die Gaming-Szene hat ganz offensichtlich ein Problem: rassistische, antisemitische, frauen- und homofeindliche User*innen. Zugleich versuchen Neonazis, in Spielchats, Gaming-Foren und über eine Ästhetisierung der Gaming-Kultur Fuß zu fassen. Diese alarmierende Entwicklung wird jedoch nach und nach auch von Akteur*innen aus der Gaming-Welt wahrgenommen. Einerseits scheinen Spielehersteller*innen und auch Influncer*innen genauer zu verstehen, wie rechte und extrem rechte Akteure versuchen, Games zu instrumentalisieren. Einige große Entwicklerstudios versuchen zudem, mit unterschiedlichen Strategien wie einem Sanktions- und Belohnungssystem gegen toxisches Verhalten vorzugehen.
Ein anderes Beispiel ist das jüngst gestartete Projekt Good Gaming — Well played democracy der Amadeu-Antonio-Stiftung. „Good Game, well played“ (GGWP) ist der typische Spruch, der am Ende eines Online-Spieles gepostet wird. Die Initiative möchte einen Beitrag dazu leisten, über punktuelle Statements oder einzelne Aktionen gegen Rassismus in der Gaming-Welt hinauszugehen. Ziel ist, dass Hass und Hetze im Gaming auch von der Community stärker ernst genommen und Diffamierungen entschiedener abgelehnt und problematisiert werden. Damit soll ein Bewusstsein geschaffen werden, rassistische und andere menschenverachtende Äußerungen auch in Games nicht einfach so hinzunehmen. Damit GGWP mehr ist, als nur eine inhaltsleere Floskel.