Ökologie, Rassenlehre und Antisemitismus
Die „Anastasia-Bewegung“ in Hessen
Im ländlichen Raum Nordhessens haben in den letzten Jahren AnhängerInnen der „Anastasia-Bewegung“ als „Familienlandsitze“ benannte Siedlungsprojekte gegründet. Dabei handelt es sich um Strukturen einer zutiefst rassistischen und antisemitischen rechtsesoterischen Bewegung.
Die Lehren der „Anastasia-Bewegung“ basieren auf der zwischen 1996 und 2010 erschienenen zehnbändigen Bücherreihe „Klingende Zedern Russlands“ des russischen Geschäftsmanns Vladimir Nikolaevich Megre, die seit 1999 auch auf Deutsch erscheint. Megre hat seit der Veröffentlichung seines ersten Buches die „Anastasia-Bewegung“ zu einem internationalen Netzwerk ausgebaut. Der Ausgangspunkt dieser rechtsesoterischen Lehre bildet der Mythos um die angebliche Begegnung Megres mit einer blonden, weißen Frau mit dem Namen „Anastasia“ in einem sibirischen Wald. Diese entstamme dem „Urvolk“ der „Wedrussen“ und verfüge aufgrund ihrer „Reinheit“ noch über „mystische Urkräfte“ der Menschen.
Im Zentrum steht dabei die Idee einer Rückkehr zu einer vermeintlich natürlichen Ordnung in Gesellschaft und Natur. Erreicht werden soll diese, indem patriarchale, heteronormative Familien sogenannte Familienlandsitze bilden, wo sie auf einem Hektar Land als vegane SelbstversorgerInnen leben. Für das spirituelle Leben ist der Ahnenkult in der Bewegung von großer Bedeutung, da die Ahnen angeblich die Verbindung zum „natürlichen Ursprung“ der Gesellschaft darstellen.
Die „Anastasia-Bewegung“ lässt sich auf Grund ihres antidemokratischen, rassistischen und antisemitischen Weltbildes der extremen Rechten zuordnen. Der Gründer Megre bezeichnet die Demokratie als „Dämon Kratie“, eine nur vermeintlich freie Gesellschaft, die in Wahrheit von dunklen Kräften im Hintergrund gelenkt werde. Diese sind dem antisemitischen Grundgedanken nach „die Juden“, die laut Merge nicht nur „die Presse verschiedener Länder“, sondern auch den „Geldfluss in der Welt“ kontrollieren würden. Zudem werden vermeintlich „natürliche“ Geschlechterrollen propagiert und entsprechende Verhaltensweisen gelehrt, nicht-heterosexuelle Beziehungen werden abgelehnt. Hier spielt auch der Glaube an rassistische und klassistische Theorien wie Telegonie eine wichtige Rolle, wonach jeder sexuelle Kontakt einer Frau die Genetik zukünftiger Kinder beeinflusse und ihre Sexualität entsprechend kontrolliert werden müsse. Wie bei fast allen rechtsesoterischen Großprojekten geht es letztlich aber auch um den Verkauf bestimmter Produkte, in diesem Fall um Zedernholzprodukte aus dem Hause Megre, die eine „heilsame“ Wirkung haben sollen.
„Familienlandsitze“ in Hessen
In Hessen gibt es derzeit zwei aktive Siedlungsprojekte der „Anastasia-Bewegung“. In Jesberg-Densberg im Schwalm-Eder-Kreis gründeten Cornelia und Andreas Kin 2013 einen „Familienlandsitz“, den Familien-Lebensgarten am Quellenwald. Dieser soll laut Homepage „ein Raum zur Heilung von Mutter Erde“ sein. Die Verquickung mit der „Anastasia-Bewegung“ ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich. Erst mit der Anmeldung beim Rundbrief wird darauf hingewiesen, dass das Projekt zum Netzwerk Familienlandsitz-Siedlung (NFS) gehört. Dabei handelt es sich um einen Dachverband der „Anastasia-Bewegung“, dessen Arbeit aber laut Eigenangaben momentan ruhe. Hinter dem Netzwerk steht die Familie Kin selbst, die Webseite war seit Oktober 2012 auf den Sohn der Kins, Tim Joshua Kin, angemeldet. Die Eheleute Kin bieten primär „Inspirations“- und „Erlebnisseminare“ an, die thematisch von ökologischer Landwirtschaft und der Gründung eines eigenen „Familienlandsitzes“ handeln. Diese Seminare bieten einerseits einen Einstieg in die Ideologie der „Anastasia-Bewegung“, andererseits dienen sie der Finanzierung des Projektes. Darüber hinaus treten sie bei bundesweiten Zusammenkünften als RednerInnen auf, wie beispielsweise beim „Anastasia-Festival“ 2017 im thüringischen Beichlingen, wo sowohl Cornelia Kin als auch Tim Joshua Kin auftraten.
Das zweite Projekt befindet sich in Nentershausen-Bauhaus, unweit von Bad Hersfeld. Seit 2006 baut der 53-jährige Konstantin Kirsch einen „Familienlandsitz“ auf, ein zweiteiliges Projekt, das aus dem Wohngebäude WaldGärtnerHaus und dem Gartenprojekt Waldgartendorf besteht. Ziel ist es, das Siedlungsprojekt als „Zentrum für die Familienlandsitzbewegung“ zu etablieren. Entsprechend ist Kirsch Teil des NFS und richtete bereits 2013 ein bundesweites Treffen der „Anastasia-Bewegung“ auf dem Gelände aus. 2015 kaufte er mit Spendengeldern das Anwesen über seinen im Vorjahr gegründeten Verein Projekt Waldgartendorf e.V. Kirsch genießt in der Szene Ansehen, da er gemeinsam mit dem professionellen Indexierer Lutz Rosemann ein Nachschlagewerk für die „Anastasia“-Buchreihe verfasst hat. Des Weiteren vertreibt Kirsch im eigenen Onlineshop Zedernholzprodukte der „Anastasia-Bewegung“ sowie Likör und Honig aus dem Waldgartendorf. Bereits 2009 entwarf er das Konzept der „Minuto“-Währung, ein Gutscheinsystem, welches das reguläre Geldsystem ersetzen soll.
Eine extrem rechte Bewegung
Konstantin Kirsch ist eine der zentralen Figuren der „Anastasia-Bewegung“ in Hessen und bewirbt diese auch in der Öffentlichkeit. Er spricht dabei stets auch gezielt ein rechtes Publikum an, zum Beispiel sogenannte Reichsbürger. Im März 2013 stellte er sein „Minuto“-Projekt auf einer Konferenz von Aufbruch Gold-Rot-Schwarz in der Stadthalle von Alsfeld vor, einem rechtsesoterischen Projekt, das im Jahr zuvor von dem antisemitischen Verschwörungsideologen Johannes „Jo“ Conrad und Michael Vogt gegründet worden war (vgl. LOTTA #60‚ S. 13). Auch beim Umdenken Kongress in Biedenkopf-Wallau im Juni 2013 trat Kirch – unter anderem neben Michael Vogt – als Referent auf. Vogt sprach hier über die angeblichen Gefahren einer „Vermischung der Rassen“, während Kirsch den „Minuto“ und die „Anastasia“-Ideologie vorstellte. In Interviews bezeichnet Kirsch die Demokratie als „Illusion“ und spricht von „Priester[n] [, die] im Hintergrund herrschen“, eine Umschreibung der antisemitischen Theorie der „jüdischen Weltverschwörung“.
Eine der bundesweiten Hauptfiguren der „Anastasia-Bewegung“ ist Frank Willy Ludwig. 2016 nahm dieser an einer Sommersonnenwendfeier von HolocaustleugnerInnen auf dem „Haus Richberg“, dem Anwesen des verstorbenen Rechtsterroristen Manfred Roeder im nordhessischen Schwarzenborn (Schwalm-Eder-Kreis), teil. Diese fand auf Einladung der Betreiberin Michèle Renouf und Meinolf Schönborns statt (vgl. LOTTA #66, S. 26 ff.). Schönborn betreibt im nahegelegenen Knüllwald das neonazistische Medienprojekt Recht und Wahrheit und nutzt das Gelände regelmäßig für Veranstaltungen. Der „Familienlandsitz“ von Ludwig befindet sich im brandenburgischen Liepe. Im Produktsortiment seines von dort aus betriebenen Versandhandels findet sich auch ein Buch von Roeder.
Unter dem Pseudonym „Urahnenerbe Germania“ verbreitet Ludwig eine rassistische Ideologie aus Russland innerhalb der „Anastasia-Bewegung“, den sogenannten Ynglismus. Gemeinsam mit Julia Pankevich-Koch übersetzte er den von Sektengründer Alexander Hinewitsch verfassten Grundlagentext „Die Slawisch Arischen Weden“ ins Deutsche. Dieser auf „kosmischen Mythen“ beruhenden Rassenlehre nach stamme „die große Rasse“ der „Weißen“ von einem anderen Sonnensystem als Menschen mit anderen Hautfarben und sei dazu bestimmt, über die Erde zu herrschen. Zudem gibt Ludwig an, seit über 40 Jahren Teil des völkischen Armanen-Ordens zu sein.
Festival, Paarvermittlung und Buchmesse
Über die regelmäßigen Seminare auf den „Familienlandsitzen“ hinaus gab es in den vergangenen Jahren in Hessen einige weitere Veranstaltungen der „Anastasia-Bewegung“. Auf Burg Ludwigstein im Werra-Meißner-Kreis fand im Oktober 2014 das erste bundesweite „Anastasia-Festival“ statt. Zwei Jahre später wurde das Festival auf einem Bio-Hof in Poppenhausen im Landkreis Fulda ausgerichtet. Im August 2019 sollte das Festival unter dem Titel „Im Lichtstrahl von Anastasia Deutschland“ am nordhessischen Edersee stattfinden. Als Veranstalter trat der Freundeskreis Anastasia aus Kaiserslautern auf. Obwohl die Jugendherberge für die Veranstaltung unter falschem Namen angemietet wurde, kam noch im Vorfeld ans Licht, wer sich dort eingemietet hatte. Der Vertrag wurde gekündigt. Anstelle des Festivals fand lediglich eine kleine interne Ersatzveranstaltung auf einem Campingplatz am Edersee statt.
Von dem Schweizer Verein Lebensliebe e.V. wurden jeweils im Juni 2018 und 2019 Verkuppelungswochenenden auf „Gut Metzlar“ in Sontra im nordhessischen Werra-Meißner-Kreis veranstaltet. Hier sollen ledige BewegungsanhängerInnen zur Gründung von „Familienlandsitzen“ zusammengebracht werden. Der Verein steht dem deutschsprachigen „Anastasia“-Blatt GartenWeden — Das wedische Magazin von Christa Laib-Jasinski aus der Schweiz nahe. In der Kolumne „Willis wahre Weisheiten“ werden regelmäßig extrem rechte Verschwörungstheorien vermittelt.
Vladimir Megre selbst betrieb im Oktober 2018 einen Stand auf der Frankfurter Buchmesse und hielt dort auch eine Rede. Um die 200 AnhängerInnen besuchten ihren geistigen Anführer. Unter den Besucherinnen und Besuchern befand sich auch Konstantin Kirsch, der von Nina Megre, der Enkelin Megres, und Jana Iger, die mit ihrem Ehemann Wolfgang Iger einen „Anastasia“-Versandhandel von ihrem Wohnsitz im bayrischen Auerbach aus betreibt, im Rahmen der Buchmesse interviewt wurde.
Mangelnde Aufklärung
Die „Anastasia-Bewegung“ profitierte in den vergangenen Jahren von mangelnder öffentlicher Aufklärung über ihre Hintergründe. Dies ermöglicht ihnen, mittels einzelner Projekte mediale Aufmerksamkeit zu generieren. Konstantin Kirsch wurde mit seinem „Waldgartendorf“ bereits in zwei Beiträgen des Hessischen Rundfunks positiv vorgestellt. Seine Tochter Laura Kirsch wurde sogar 2013 für ihre Bachelorarbeit „Familienlandsitz-Siedlungen als Nachhaltigkeitskonzept“ mit einem Preis des Instituts für Agrar- und Stadtökologische Projekte an der Humboldt-Universität zu Berlin ausgezeichnet. Das Institut hält am Preis trotz der negativen Berichterstattung über die Bewegung seit 2018 fest, da kein Bezug zur „Anastasia-Bewegung“ in der Arbeit erkennbar sei.
Es sind die Themen Ökologie, Familie und Spiritualität, über die die „Anastasia-Bewegung“ Anknüpfungspunkte in der Gesellschaft findet und wegen derer sie für viele zunächst unbedenklich scheint. Ihr Auftreten nach Außen passt nicht zum Klischeebild der extremen Rechten. Auch organisierte AntifaschistInnen haben die Gefahr der Bewegung jahrelang verkannt. Dies begünstigt auch die beiden Siedlungsprojekte in Hessen, die ein kleines, aber sehr aktives Netzwerk extrem rechter SiedlerInnen aufbauen konnten. Trotz der zunehmenden kritischen Berichterstattung ist davon auszugehen, dass ihre Aktivitäten in den nächsten Jahren weiter zunehmen werden.