„AfD — Keine Alternative für Juden“

Der Antisemitismus der „Alternative für Deutschland“

Nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle am 9. Oktober 2019 — dem höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur — wurden die Stimmen lauter, die der AfD vorwerfen, den Boden für dieses antisemitische Attentat bereitet zu haben. Und auch Josef Schuster, Vorsitzender des „Zentralrats der Juden in Deutschland“, macht die AfD für das Erstarken des Antisemitismus mitverantwortlich.

Nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle am 9. Oktober 2019 — dem höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur — wurden die Stimmen lauter, die der AfD vorwerfen, den Boden für dieses antisemitische Attentat bereitet zu haben. Und auch Josef Schuster, Vorsitzender des „Zentralrats der Juden in Deutschland“, macht die AfD für das Erstarken des Antisemitismus mitverantwortlich.

Die AfD weist diesen Vorwurf vehement zurück. Auch in der Vergangenheit hat sich insbesondere die Parteispitze Mühe gegeben, die AfD in der Öffentlichkeit als pro-israelisch und anti-antisemitisch darzustellen. Dennoch ist die Liste der antisemitischen Vorfälle und ihrer Verharmlosung in der AfD lang. Erinnert sei hier nur an die parteitaktisch überlagerten Auseinandersetzungen um die antisemitischen Äußerungen des baden-württembergischen AfD-Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon, der im Zuge dessen zwar 2016 aus der AfD-Fraktion austreten musste, aber dennoch mehrere Parteiausschlussverfahren als Parteimitglied überstand und erst im März 2020 vom Bundesschiedsgericht der AfD aus der Partei ausgeschlossen wurde.

Auch die Wähler*innen der AfD sind alles andere als frei von Antisemitismus. Laut der Leipziger Autoritarismus-Studie 2018 weisen sie unter den Wähler* innen der im Bundestag vertretenen Parteien die höchsten Zustimmungswerte zu antisemitischen Äußerungen auf.

Instrumentelle Kritik des Antisemitismus

Der Versuch der öffentlichen Positionierung als pro-israelisch und anti-antisemitisch soll insbesondere einer Ächtung der Partei als „rechtsextrem“ entgegenwirken. Dabei wird Israel als angeblicher Bündnispartner gegen „den Islam“ instrumentalisiert. „Israel ist unsere Zukunft in der Form, wie man mit dem Islam umgeht“, so formulierte es Markus Pretzell — ehemaliger Landessprecher in NRW und im Oktober 2017 aus der Partei ausgetreten — auf dem „Europa-Kongress“ der AfD im Januar 2017. Unter diesem Blickwinkel wird die multikulturelle, multireligiöse und mehrsprachige Einwanderungsgesellschaft Israels, die Stellung der muslimischen Minderheit in Israel und der Umgang Israels mit Musliminnen und Muslimen verzerrt dargestellt. Zum anderen wird in dieser Betrachtung Israel und seine Geschichte von Nationalsozialismus und Holocaust abgekoppelt.

Mit dieser pro-israelischen Positionierung will die AfD — wie auch andere Parteien der extremen Rechten in Europa — die ideologischen Verbindungen zum Faschismus und Nationalsozialismus verschleiern und der sogenannten „Nazikeule“ entgehen. Auch der damalige Parteisprecher Alexander Gauland betonte im April 2018 in seiner Rede zum 70. Jahrestag der Gründung Israels im Deutschen Bundestag, dass es richtig sei, „die Existenz Israels zu einem Teil unserer Staatsräson zu erklären“. Wer Kippa-Träger angreife, habe „das Gastrecht in diesem Land verbraucht“. Auch sonst nutzt die Partei jede Gelegenheit, insbesondere den Antisemitismus muslimischer Migrant*innen zu kritisieren. Diese Fokussierung auf einen — durchaus vorhandenen — Antisemitismus unter Muslim*innen dient der AfD als Legitimierung des eigenen antimuslimischen Rassismus. Nebenbei werden damit die in der deutschen Mehrheitsbevölkerung vorhandenen antisemitischen Einstellungsmuster verharmlost beziehungsweise verleugnet.

Geschichtsrevisionismus und sekundärer Antisemitismus

Allerdings stehen diese Positionierungen der AfD in deutlichem Widerspruch zur Programmatik der Partei, insbesondere zur geschichtspolitischen, die auf Erinnerungs- und Schuldabwehr basiert. Sowohl in ihrem Grundsatzprogramm 2016 als auch in ihrem Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2017 hatte die Partei eine Umorientierung der Erinnerungskultur in Deutschland programmatisch verankert: weg von der Erinnerung an den Nationalsozialismus und hin zu den „positiven, identitätsstiftenden Aspekte[n] deutscher Geschichte“. Björn Höcke — führender Kopf des mittlerweile offiziell aufgelösten offen völkisch-nationalistischen „Flügels“ — forderte in seiner Rede im Januar 2017 in Dresden eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ und bezeichnete die hegemoniale Erinnerungspolitik als „dämliche Bewältigungspolitik“. Ähnlich äußerte sich Alexander Gauland, der „stolz […]auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“ ist und den Nationalsozialismus als „Vogelschiss in unserer über 1.000-jährigen Geschichte“ betrachtet.

In der Geschichts- und Erinnerungspolitik der AfD geht es darum, den Nationalsozialismus möglichst verschwinden zu lassen und die Gedenkpolitik damit gleich mit. Das ist die Voraussetzung dafür, sich wieder positiv auf eine „ruhmreiche deutsche Geschichte“ beziehen und einen ungetrübten Nationalismus propagieren zu können.

Dabei zeigt sich ein sekundärer Antisemitismus, der auf Schuldabwehr sowie die Entschuldung der „eigenen Nation“ zielt. Es wird behauptet, die Deutschen hätten heute noch ungerechtfertigt unter der Last der Geschichte zu leiden, und verschiedene, oft nicht genau benannte, aber mächtige Interessengruppen würden daraus ihren Profit schlagen. Das ist Antisemitismus nicht trotz, sondern eben wegen Auschwitz. Oder wie es der israelische Psychoanalytiker Zvi Rex auf den Punkt brachte: „Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie verzeihen.“

Völkische Weltbilder

Darüber hinaus ist der Antisemitismus zentraler Bestandteil des völkischen Weltbildes, das durch die AfD eine breitere gesellschaftliche Verbreitung und Anerkennung findet. Vertreter*innen der AfD argumentieren häufig mit dem Gedanken eines vermeintlich biologisch homogenen deutschen „Volkes“. So etwa Björn Höcke, der bei der Vorstellung eines Positionspapiers der Thüringer Landtagsfraktion mit dem Titel „Leitkultur, Identität, Patriotismus“ vor der „Durchmischung der Bevölkerung mit Personengruppen anderer Hautfarbe“ warnte. Jenseits des rassistischen Gehalts dieses völkischen Weltbilds enthält dieses sowohl historisch als auch strukturell antisemitische Elemente.

Historisch war das ideologische Wesen des völkischen Denkens in Deutschland von einer Verflechtung nationalistischer und antisemitischer Motive charakterisiert. So wurde auch das nationale Selbstverständnis als „Volksgemeinschaft“ wesentlich durch die Abgrenzung von denjenigen deutschen Staatsbürger*innen bestimmt, die als Juden definiert wurden. Und für die es dementsprechend in einer völkisch strukturierten Gesellschaft keinen Platz geben kann.

Grundkategorien des völkischen Denkens der extremen Rechten werden von der AfD in die Mitte der Gesellschaft transferiert. Beispiel dafür ist die ehemalige Parteivorsitzende Frauke Petry, die dem angeblich gemäßigten Teil der AfD angehörte und mittlerweile aus der Partei ausgetreten ist. Sie startete im September 2016 einen Versuch zur Rehabilitierung des Begriffs „völkisch“ und meinte, dass man „daran arbeiten“ müsse, „dass dieser Begriff wieder positiv besetzt“ werde. Mit derartigen Vorstößen schafft die AfD die Basis für eine breitere Akzeptanz völkischer Ideen in der deutschen Gesellschaft und legt damit auch die Grundlage für die Ausbreitung und Verfestigung antisemitischen Gedankenguts.

Der „große Austausch“ und George Soros

Globale Verschwörungsideologien sind ein elementares politisches Argumentationsmuster der AfD. Hier dienen „die Juden“ und „die jüdische Weltverschwörung“ — wenn auch meist in codierter Form — als zentrale Akteure negativ betrachteter gesellschaftlicher Entwicklungen.

Derzeit ist die Erzählung vom „Großen Austausch“ zentral. Dieser Verschwörungsmythos geht auf den extrem rechten französischen Philosophen Renaud Camus zurück, dessen Buch „Revolte gegen den großen Austausch“ im Antaios Verlag von Götz Kubitschek erschienen ist. Camus` Kernaussage ist, dass ein geheimer Plan existiere, die weiße Mehrheitsbevölkerung gegen muslimische oder nichtweiße Migrant*innen auszutauschen. Dahinter stünden „die Globalisten“, „die kosmopolitischen Eliten“ oder „die Zionisten“, die mittels Feminismus und Antirassismus die Wehrhaftigkeit des „Abendlands“ gegen die Migrant*innen des globalen Südens zu zersetzen suchten.

Der Austauschmythos basiert auf der alten Verschwörungserzählung vom „internationalen Juden“ und verpasst ihr ein neues Gewand. Dabei greifen öffentliche Äußerungen auf mehr oder weniger verschleiernde Codierungen zurück, um eine Markierung als Antisemitismus abzuwenden. Die AfD greift diese Erzählung auf und verbreitet sie unter ihren Anhänger*innen weiter. So warnte Alexander Gauland auf dem Bundesparteitag der AfD 2018 vor einem „Bevölkerungsaustausch“ und erntete Standing Ovations.

Der antisemitische Mythos des „Großen Austauschs“ ist teilweise verknüpft mit der verschwörungsideologischen und antisemitischen Hetze gegen den liberalen jüdischstämmigen Milliardär und Philanthropen George Soros: Dieser sei der Kopf der Verschwörung zur Unterdrückung des Westens durch einen „Bevölkerungsaustausch“.

Keine Alternative

Antisemitismus gehört zu den zentralen Ideologieelementen der deutschen Rechten, und die AfD führt diese Traditionslinie fort. Ihre öffentliche Ausrichtung als israelsolidarisch und anti-antisemitisch kann weitgehend als eine geänderte Außendarstellung aus instrumentellen Gründen gesehen werden. Die Politik der AfD führt gerade nicht zu einer Eindämmung des Antisemitismus in Deutschland, sondern öffnet ganz im Gegenteil gesellschaftliche Räume für eine offenere Äußerung antisemitischer Ressentiments. Da die politische und gesellschaftliche Isolation der AfD auch durch pro-israelische und antisemitismuskritische Bekundungen verhindert wurde, kann die AfD nun als Katalysator für die Verfestigung antisemitischer Ressentiments in der deutschen Bevölkerung sowie für eine zunehmende Enttabuisierung und Normalisierung von Antisemitismus in der gesellschaftlichen Debatte wirken.

Folgerichtig scheint die Anbiederung von Teilen der AfD an die jüdische Bevölkerung in Deutschland relativ erfolglos zu bleiben. Die medienwirksame Gründung der parteiinternen Vereinigung „Juden in der AfD“ im Oktober 2018 durch 24 jüdische Mitglieder der AfD führte zu einer gemeinsamen Erklärung von rund eineinhalb Dutzend jüdischer Organisationen in Deutschland unter dem Motto: „AfD — Keine Alternative für Juden“. Bereits 2017 stellte Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, in einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit fest: „Wenn das jüdische Leben in Deutschland der Verteidigung durch die AfD bedürfte, hätte ich längst gesagt, alle Juden sollen Deutschland verlassen. Dann wäre ein jüdisches Leben hier nur schwer vorstellbar.“

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