Zur Stigmatisierung von Shisha-Bars
Das Beispiel der Dortmunder Nordstadt
Der rechte Terroranschlag von Hanau ist nicht die Tat eines isolierten Einzeltäters gewesen. Sie steht in Zusammenhang mit systematisch geschürten rassistischen Diskursen um „Clan-Kriminalität“ und der damit verbundenen Stigmatisierung von Shisha-Bars. Diese sind nicht nur von der AfD ausgegangen, sondern in erster Linie durch die „bürgerliche Mitte“ erfolgt. Am Beispiel der Dortmunder Nordstadt lässt sich dies eindrücklich zeigen.
Der Kriminologe und Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes twitterte nach dem Anschlag in Hanau: „Die Auswahl einer Shisha-Bar war wohl kein Zufall. Die Symbolpolitik Clankriminalität hat fatale Folgen!“ Nach einem Sprengstoffanschlag auf einen Shisha-Laden in der Nacht zum 14. Februar 2020 in Essen werden am 19. Februar neun Menschen in einer Shisha-Bars in Hanau erschossen. Am 21. Februar brennt es im Hinterhof eines Hauses mit Shisha-Bar in Döbeln und am 22. Februar fallen in Stuttgart Schüsse auf eine geschlossene Shisha-Bar.
Folgenreiche Symbolpolitik
Mit den rassistischen Zuschreibungen von Shisha-Bars als „Boden der Clankriminalität“ und „Brennpunkt für krumme Geschäfte“ geht eine Kriminalisierung migrantisch geprägter Orte einher. Diese wurde in NRW vor allem durch die Landesregierung vorangetrieben. Das Innenministerium feierte sich im vergangenen Jahr für „die größte Razzia gegen Clan-Kriminalität in der NRW-Geschichte“. Innenminister Herbert Reul (CDU) und die ihm unterstellten Behörden verfolgen die sogenannte „Politik der tausend Nadelstiche“. Mit den Kontrollen und der medialen Berichterstattung darüber geht eine pauschale Abwertung von Shisha-Bars einher. Diese Entwicklung setzt sich gegenwärtig fort und verallgemeinert sich: So ist es auch ein Symptom rassistischer Stigmatisierung, wenn im Zuge der Corona-Krise erlassene Dekrete zum Kontaktverbot explizit öffentliches „Grillen und Shisharauchen“ untersagen, wie etwa die Stadt Dortmund in der Pressemitteilung vom 20. März 2020. Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) ging sogar noch einen Schritt weiter, so hart wie sein Bundesland die Clankriminalität bekämpft habe, werde jetzt auch bei der „Seuchenbekämpfung“ vorgegangen , sagte er am 24. März 2020 gegenüber BILD.
Reuls „Nulltoleranz-Linie“
Neben dem SPD-regierten Berlin-Neukölln sind es vor allem Ruhrgebiets-Stadtteile wie Duisburg-Marxloh oder die Dortmunder Nordstadt, die von der populistischen und rassistischen Stimmungsmache betroffen sind: Man bekämpfe „Mafia-Organisationen“ und „arabische Großfamilien“-Clans. Meldungen von durchsuchten Shisha-Bars, Wettbüros, Cafés und Teestuben schafften es Anfang 2019 mit über 1.300 Polizeibeamt*innen, die gleichzeitig im Einsatz waren, bis in die Tagesschau. Reul ließ es sich nicht nehmen, bei den Razzien vor Ort zu erscheinen. Die Inszenierung des alten weißen Mannes Reul und seiner Erzählung, Deutschland werde durch „kriminelle Ausländerclans“ bedroht, wird nur allzu gern von der Presse aufgegriffen und reproduziert. Das Innenministerium und die Polizeibehörden verfolgen eine politische Agenda, um mehr autoritäre staatliche Maßnahmen zu rechtfertigen. Das bedeutet mehr Befugnisse für die Polizei, unangekündigte, teils schwer bewaffnete Kontrollen, mehr Ordnungspolitik. Die Polizeiliche Kriminalstatistik, mit der dabei regelmäßig argumentiert wird, bildet jedoch das Hellfeld der Kriminalität ab. Sie dokumentiert also insbesondere jene Bereiche, die stärker fokussiert wurden und der Definitionsmacht der Polizei unterliegen.
Ethnisierung der Kriminalität
„Der Hanauer Terroranschlag war nur durch das Framing von Shishabars als gefährliche Orte möglich“, konstatiert Bafta Sarbo von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland in analyse & kritik vom 17. März 2020. Die „Nulltoleranz-Linie“ bedeutet, dass Schwarze Menschen auf Grundlage der von der Polizei geschaffenen Konstruktion gefährlicher Orte immer wieder ohne konkreten Tatverdacht kontrolliert werden, jegliche Unschuldsvermutung ist außer Kraft gesetzt (siehe hierzu LOTTA #68, S. 51f.). In den meisten Fällen führen die martialisch durchgeführten Polizeieinsätze zu kaum nennenswerten Ermittlungserfolgen.
So wird als Erfolg verkauft, dass unverzollter Tabak gefunden wird: rechtlich nur eine Ordnungswidrigkeit. Es werden nicht in erster Linie kriminelle Handlungen verfolgt, sondern Menschen, weil sie aufgrund ihres Familiennamens per se als potentielle Kriminelle gesehen werden. Der Begriff „Clan-Kriminalität“ ist vor allem ein populistischer, mit kriminalpolitischen Implikationen. Mit dem Begriff wird symbolisch ein Signal an die weiße Mehrheitsbevölkerung gesendet. Denn die „anderen“ stehen außerhalb „unserer Werte“ und schaffen sich angeblich ihre eigenen Gesetze und leben in vermeintlichen Parallelgesellschaften. Die Ethnisierung der Kriminalität macht die Herkunft der Täter_innen zur Ursache der Kriminalität, anstelle der tatsächlichen, von der Politik selbst verursachten sozialen Fragestellungen. Shisha-Bars sind Orte des Lebens von Menschen mit und ohne Migrationserbe. Dass marginalisierte Jugendliche sich auch aufgrund rassistischer Erfahrungen eigene Räume des Miteinanders aufbauen, triggert offenbar das gesellschaftliche Misstrauen. Je weiter man von der Dortmunder Nordstadt entfernt ist, desto eher scheint man zu wissen, was dort vor sich geht.
Im vergangenen Frühjahr eskalierte dort eine Razzia in einer Shisha-Bar. Die damals schwangere Frau des Inhabers wurde dabei verletzt und rassistisch attackiert. Anhand der Videoüberwachung der Shisha-Bar sowie der Handyaufnahme eines Zeugen konnte der Vorfall belegt werden. Die Betroffene Aouatef Mimouni berichtete dem WDR, sie habe den Polizisten nach dem Angriff gefragt, ob er eine deutsche Frau auch so behandelt hätte. Darauf habe der Polizist gegrinst und gesagt: „Natürlich nicht.“ Das Dunkelfeld dieser Delikte im Amt ist groß, da die Anzeigebereitschaft aus Angst vor noch mehr Schikanen gering ist.
Solidarität mit den Betroffenen und ihren Forderungen
Die Autorin Sibel Schick konstatiert nach Hanau: „Anschläge mit nicht weißen Opfern werden nicht als Katastrophen wahrgenommen, sie lösen keine flächendeckenden, konsequenten, substanziellen Reaktionen in der Mehrheitsgesellschaft aus“. Eine Konsequenz muss also sein, denjenigen zuzuhören, die von alltäglichem Rassismus betroffen sind. Denn es werden Anschläge nach dem Anschlag kommen. Rassismus wird auf unterschiedlichen Ebenen als soziales Verhältnis fortgeschrieben und für die Täter_innen gibt es kaum Konsequenzen.
Serpil Temiz, Mutter des in Hanau getöteten Ferhat Unvar, fordert in einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel eine vollständige Aufklärung der Tat. Der Brief ist auf Seite 4 dieses Hefts dokumentiert. Gegenüber WDR-Cosmo richtet sich Temiz ebenfalls an die Öffentlichkeit: „Der Rassismus soll keine weitere Familie mehr zerstören. Dieser Schmerz ist unbeschreiblich. Ich bitte Sie wirklich um ihre Hilfe, für die anderen jungen Leute […], ich kannte all die Jugendlichen, die da waren. Sie waren alle so großartig.“