Die Partei „Vox“

Prinzen, Priester und Neonazi-Skins

Lange gab es in Spanien — anders als etwa in Frankreich oder in Italien — keine starke Partei der extremen Rechten. Das hat sich mit dem Aufstieg der extrem rechten Partei „Vox“ geändert. Ihr bislang größter Erfolg: Satte 15,1 Prozent bei den spanischen Parlamentswahlen vom 10. November 2019.

Lange gab es in Spanien — anders als etwa in Frankreich oder in Italien — keine starke Partei der extremen Rechten. Das hat sich mit dem Aufstieg der extrem rechten Partei „Vox“ geändert. Ihr bislang größter Erfolg: Satte 15,1 Prozent bei den spanischen Parlamentswahlen vom 10. November 2019. Fast blitzartig hatte sich ihr politischer Aufstieg vollzogen, seit ihr nicht einmal ein Jahr zuvor, am 2. Dezember 2018, bei der Regionalwahl in Andalusien, mit elf Prozent der Durchbruch gelungen war. Binnen kürzester Zeit war Vox von der Splitterpartei zur relevanten politischen Kraft geworden. Vox ist die erste wirklich bedeutende Partei der extremen Rechten in Spanien, seit das Land in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre zur Demokratie wurde und mit dem Militärputsch vom 23. Februar 1981 den letzten Griff des alten Franquismus nach der Macht überstand. Nicht, dass dessen Funktionäre sich aus der Politik und aus ihren Einflusspositionen in Wirtschaft und Gesellschaft zurückgezogen hätten: Viele von ihnen setzten ihre Karrieren fort, taten dies aber — nicht unähnlich der Entwicklung in der frühen Bundesrepublik — nun im Rahmen der parlamentarischen Demokratie. Adolfo Suárez etwa, eine führende Gestalt bei der Transformation Spaniens in ein demokratisches System, war unter Francisco Franco, dem „Caudillo,“ aufgestiegen, bevor er nach den Wahlen vom 15. Juni 1977 zum ersten demokratisch gewählten Ministerpräsidenten des Landes wurde. Zwar blieb — auch das nicht unähnlich der Bundesrepublik — eine echte Aufarbeitung des Franquismus und seiner Verbrechen weithin aus, eine Wiederaufnahme offen franquistischer Politik aber galt in der Öffentlichkeit als nicht opportun.

Entsprechend blieben offen faschistische Parteien wie etwa die Fuerza Nueva unter der Führung von Blas Piñar oder die Falange Española stets — wenngleich hässliche — Randerscheinungen ohne echte Bedeutung in der nationalen Politik. Politiker des alten Franquismus betätigten sich jetzt in konservativ-demokratischen Parteien, so wie Suárez, der sich zunächst mit der Unión de Centro Democrático (UCD), ab 1982 mit dem Centro Democrático y Social (CDS) einen politischen Rahmen sicherte. Andere wie Manuel Fraga Iribarne, Tourismus- und Informationsminister von 1962 bis 1969, von 1973 bis 1975 Francos Botschafter in London, versuchten es mit dem Bündnis Alianza Popular (AP); Fraga amtierte von 1990 bis 2005 als Regierungschef der Autonomen Region Galicia. Letztlich mündeten all diese Strömungen in den 1989 gegründeten Partido Popular (PP), die große konservative Partei Spaniens, die in der Europäischen Volkspartei (EVP) mit den anderen konservativen Parteien Europas kooperiert, darunter CDU und CSU. Der PP hat mit José María Aznar (1996 bis 2004) und mit Mariano Rajoy (2011 bis 2018) zweimal den spanischen Ministerpräsidenten gestellt.

Abspaltung vom PP

Hielt die Möglichkeit, Macht auszüben, den PP lange Zeit zusammen, so nahmen bald nach dem Wahlsieg der Partei am 20. November 2011 — sie bekam satte 44,6 Prozent — innere Differenzen zu. Die Kürzungsprogramme, die die Regierung in der Eurokrise auf Druck aus Brüssel umsetzen musste, schadeten dem PP ebenso wie schwärenden Korruptionsskandale; im Februar 2013 sahen Umfragen ihn nicht einmal mehr bei 24 Prozent. Sorgte die historische Schwäche der Partei schon an sich für wachsende Unruhe auf ihrem ultrarechten Flügel, zumal zugleich die Linke erstarkte — am 16. Januar 2014 wurde Podemos gegründet, die heute als Unidas Podemos an der Regierung beteiligt ist — , so kam hinzu, dass auch der katalanische Separatismus massiv an Schwung gewann. Der ultrarechte PP-Flügel, dem weiterhin ehemalige Franquisten angehörten und dem Spaniens nationale Einheit über alles geht, verfiel in Alarmstimmung und warf dem PP-Ministerpräsidenten Rajoy Schwäche sowie ein angeblich allzu kompromisslerisches Vorgehen gegenüber den Abspaltungsbestrebungen in Katalonien vor. Rufe nach einem massiven Rechtsruck wurden laut.

Als der politische Umschwung, den sich der ultrarechte PP-Flügel wünschte, ausblieb, spalteten sich einige seiner Funktionäre ab und gründeten die neue Partei Vox (lateinisch: „Stimme“). Einige ihrer führenden Vertreter hatten noch gemeinsam mit Suárez in der UCD den Übergang aus dem Franquismus in die Demokratie mitgestaltet; andere, erst später Geborene waren direkt zum PP hinzugestoßen, darunter Santiago Abascal. Abascal, der Vox am 17. Dezember 2013 hatte registrieren lassen und am 16. Januar 2014 — dem Tag, an dem sich Podemos konstituierte — an einer Pressekonferenz zur öffentlichen Vorstellung der neu gegründeten Partei teilnahm, stammt aus dem Baskenland, aus einer Familie mit politischer Tradition: Sein Vater hatte sich im PP betätigt, sein Großvater in seinem Geburtsort Amurrio zu franquistischen Zeiten als Bürgermeister gewirkt. Nach Anfängen im baskischen PP ging Abascal nach Madrid, wo er sich bald zu einem lautstarken Vertreter des ultrarechten Parteiflügels entwickelte. Seit dem 20. September 2014 ist er Vox-Parteipräsident.

Geld von den Volksmujahedin

Auf diesem Posten folgte er Vox-Gründungspräsident Alejo Vidal-Quadras. Vidal-Quadras, der seit 1999 für den PP im Europaparlament saß und von 2004 bis 2007 sogar als Parlamentsvizepräsident tätig gewesen war, sollte Vox in der Anfangsphase als Aushängeschild dienen und zugleich helfen, den Wahlkampf zur Europawahl Ende Mai 2014 zu führen, die der neuen Partei als erste wichtige Hürde im Kampf um politischen Einfluss galt. Mit 246.833 Stimmen verpasste Vox den Einzug knapp: Ihr fehlten keine 2.000 Stimmen für einen Sitz. Vidal-Quadras und einige andere zogen sich enttäuscht zurück, da sie das Experiment mit der PP-Abspaltung für gescheitert hielten. Allerdings ist mit dem Gründungspräsidenten eine skurrile Episode verbunden, die später noch Schlagzeilen machen sollte: die Finanzierung von Vox durch die exiliranischen Volksmujahedin. Aufgedeckt hat die absurd anmutende Geschichte im Januar 2019 die Tageszeitung El País. Demnach überwiesen Unterstützer der Volksmujahedin, einer sich als marxistisch bezevichnenden, tatsächlich aber diffus sektenartig strukturierten Organisation, in den Monaten vor der Europawahl im Mai 2014 beinahe eine Million Euro auf die Konten von Vox. Auch den Hintergrund hat El País sorgfältig recherchiert. Er liegt wohl in den Jahren ab 2003, als die Vereinigten Staaten auf den Sturz der iranischen Regierung setzten und einige Hardliner in Washington beschlossen, dazu so viele von deren Gegnern zu mobilisieren wie nur irgend möglich. Dabei verfielen sie, so absurd es klingt, auch auf die Volksmujahedin. Wer das nicht glaubt: Auftritte beispielsweise von John Bolton vor den Volksmujahedin sind bestens dokumentiert. In Europa gehörte Vidal-Quadras zu den Hardlinern, die gleichfalls auf Kooperation mit ihnen setzten. 2003 galt die exiliranische Sekte in der EU und den USA freilich noch als Terrororganisation; um diesen Status loszuwerden — das gelang ihr schließlich 2009 in der EU und 2012 in den USA — , startete sie umfangreiche Lobbyaktivitäten. In deren Verlauf sind offenbar Verbindlichkeiten entstanden, die nun einige Anhänger der Volksmujahedin nötigten, ihre europäischen Kontaktleute bei Bedarf zu unterstützen. Vidal-Quadras hatte vor der Europawahl im Mai 2014 Bedarf. Mit seinem Ausscheiden war es mit der exiliranischen Förderung für Vox freilich vorbei.

Aus der „Falange“ zu „Vox“

Vox hat nach dem Scheitern bei der Europawahl 2014 zwar einige vormalige PP-Funktionäre eingebüßt, nicht wenige aber in ihren Reihen halten können. Die Partei hat beste Verbindungen in Polizei und Streitkräfte; ihre Führungsebene besteht — so hat es Vicente Rubio-Pueyo von der New Yorker Fordham University im vergangenen Jahr beschrieben — zu einem guten Teil aus Personen, „die Abschlüsse an privaten Eliteuniversitäten sowohl in Spanien als auch im Ausland sowie berufliche Erfahrung in wichtigen Finanzinstitutionen und multinationalen Konzernen haben“. Zu ihnen zählt etwa Iván Espinosa de los Monteros, heute Sprecher der Vox-Fraktion im spanischen Parlament, der für global tätige Finanz- und Beratungsfirmen gearbeitet hat. Sein Vater, einst Chef der spanischen Fluglinie Iberia, wirkte von 2012 bis 2018 als Sonderbeauftragter der Regierung Rajoy darauf hin, das Spanienbild im Ausland zu verbessern.

Daneben verzeichnet Vox auch diverse Mitglieder und Funktionäre, die zuvor in anderen, wenig erfolgreichen Organisationen der extremen Rechten tätig waren. Der Partei gehört mit José María Ruiz Puerta unter anderem ein ehemaliges Führungsmitglied von CEDADE (Círculo Español de Amigos de Europa) an, einem Faschistenzirkel, der 1966 unter Mitwirkung des ehemaligen SS-Obersturmbannführers Otto Skorzeny in Francos Spanien gegründet worden war, sich allerdings 1993 auflöste. In Toledo wirkt innerhalb der Vox-Strukturen mit José Ignacio Vega Peinado ein ehemaliger Neonazi-Skin, der 1995 wegen eines Angriffs auf einen Soziologen der Universität Valencia zu vier Jahren Haft verurteilt worden war. Vox-Generalsekretär und damit Nummer zwei der Partei gleich nach Abascal ist mit Javier Ortega Smith ein Aktivist, der einst seine Texte in einer Zeitschrift der faschistischen Falange Española publizierte und der Fundación Nacional Francisco Franco nahesteht. Weil er einst einer Spezialeinheit der spanischen Streitkräfte angehörte, nennen manche ihn „Ortega Smith & Wesson“.

Vaterland und Kirche

Zur Fundación Nacional Francisco Franco unterhält Vox nicht nur über Ortega Smith, Cousin des Exekutivpräsidenten der Stiftung, Juan Chicharro Ortega, gute Beziehungen. Die Fundación wurde 1976, im Jahr nach dem Tod des Caudillo, gegründet, um „die Figur Franco zu preisen“, Francos Leben als Modell für den „Dienst am Vaterland zu loben“ und „seine Gedanken über die Zukunft“ zu verbreiten. Vor zwei Jahren sah sie sich freilich gezwungen, diese Formulierungen in ihrer Satzung zu ändern, um nicht in Konflikt mit spanischen Gesetzen zu geraten. Laut Recherchen des Publizisten Mariano Sánchez Soler schreiben mehrere Vox-Funktionäre für Publikationen der Stiftung, darunter etwa Juan José Aizcorbe Torra, Stadtrat im reichen Pozuelo de Alarcón westlich von Madrid, der als Rechtsanwalt Francos Nachfahren vor Gericht vertreten hat. Der Ehrenpräsident der Stiftung, Luis Alfonso de Borbón, ist laut Sánchez Soler freundschaftlich mit Vox-Präsident Abascal und Vox-Vizepräsident Víctor González Coello de Portugal verbunden. „De Portugal“, „de Borbón“? Das ist die Welt des alten iberischen Adels. Nur um anzudeuten, welche Ideen diese Leute in ihren Köpfen wälzen: Luis Alfonso de Borbón, übrigens derjenige von Francos Urenkeln, der als Aushängeschild der Familie gilt, betrachtet sich seit dem 30. Januar 1989 aufgrund seiner Abstammung nicht nur als spanischen Prinzen, sondern auch als legitimen Thronprätendenten der — freilich nicht mehr so recht existierenden — französischen Monarchie.

Nicht vorstellbar wäre die Welt des spanischen Adels und des Franquismus ohne enge Bindungen an den in Spanien einflussreichen ultrarechten Flügel der katholischen Kirche. Besondere Bedeutung besitzt dabei Opus Dei, eine 1928 von dem reaktionären Priester Josemaría Escrivá de Balaguer gegründete Elitenorganisation, die bereits im franquistischen Spanien eine mächtige Position innehatte und immer wieder Minister stellte. Mancherorts, etwa in Málaga, hat Opus Dei erheblichen Einfluss auf die lokalen Vox-Strukturen, weil führende Funktionäre der Organisation angehören. Um ein weiteres Beispiel herauszugreifen: In Navarra hatten die beiden Vox-Spitzenkandidaten bei der Regionalwahl im Mai 2019 an der Opus Dei-Universität in Pamplona studiert. Auch weitere Organisationen der katholischen Rechten stehen Vox nahe, darunter die Legionarios de Cristo, die — 1941 in Ciudad de México gegründet — zu Francos Zeiten ihre Strukturen in Spanien auszubauen begannen, wo sich bis heute so mancher katholische Unternehmer oder Banker, wenn er nicht Opus Dei nahesteht, zu ihnen bekennt. Vox-Präsident Abascal ist Ignacio Arsuaga eng verbunden, dem Gründer von HazteOír („Verschaff dir Gehör“), einer Organisation, die sich dem erbitterten Kampf gegen LGBT-Rechte, gegen das Recht auf Schwangerschaftsabbruch, gegen Feminismus und für die patriarchale Kleinfamilie verschrieben hat.

Die „Reconquista“

Geschlechterverhältnisse nach dem Modell derjenigen im 19. Jahrhundert gehören ebenso zur politischen Grundorientierung von Vox wie der Kampf für einen starken Zentralstaat — und das heißt: gegen jeglichen Separatismus in Katalonien und im Baskenland, ja sogar gegen jede Autonomie. Wie die extreme Rechte überall in Europa agitiert Vox aggressiv gegen Geflüchtete und wettert gegen eine angeblich über Spanien hereingebrochene „linke Diktatur“. Im März 2019 hat die Partei mit dem Historiker Fernando Paz einen Kandidaten für die Parlamentswahl aufgestellt, der den Holocaust relativiert und die Nürnberger Prozesse als „Farce“ bezeichnet hat; auf massiven öffentlichen Druck hin musste Paz seine Kandidatur dann aber zurückziehen. Vox zählt zu denjenigen Parteien der extremen Rechten, die dem Kampf gegen „den Islam“ vorrangige Bedeutung beimessen und — auch, um international hoffähig zu werden — sich Israel anzunähern suchen; der israelische Staat sei, so heißt es in einer Erklärung der Partei, „die Vorhut im Kampf gegen Fundamentalismus und Terror“.

Der Kampf gegen „den Islam“ ist bei Vox eng mit dem spezifischen spanischen Nationalismus und seiner Geschichte verflochten. Als Parteichef Abascal am 12. April 2019 den Wahlkampf zur Parlamentswahl eröffnete, da wählte er als Schauplatz der Aktion das kleine Dorf Covadonga weit im Norden des Landes unweit der Atlantikküste aus. Dort soll im Jahr 718, vielleicht auch etwas später, eine Schlacht stattgefunden haben, in der es erstmals einem einheimischen Machthaber gelang, die muslimischen Truppen des ab 711 in Spanien errichteten, kulturell weit überlegenen Reichs Al Andalus zurückzuschlagen. Manche sehen in der Schlacht bei Covadonga den zaghaften Beginn der „Reconquista“, die 1492 die letzten muslimischen Staatsstrukturen auf der iberischen Halbinsel zerschlug; im selben Jahr wurde mit dem Alhambra-Edikt auch die Vertreibung aller Jüdinnen und Juden aus Spanien eingeleitet. „Europa ist, was es ist, dank Spanien“, dozierte Iván Espinosa de los Monteros im April 2019 — „dank unseres seit dem Mittelalter geleisteten Beitrags, die Ausbreitung des Islam zu stoppen“.

Der Durchbruch

Gestützt auf ihre soziopolitische Basis und ihre ultrarechte Ideologie ist es Vox gelungen, echte Wahlerfolge zu erzielen, und zwar, seit der Konflikt mit dem katalanischen Separatismus eskalierte und der PP im Juni 2018 die Macht in Madrid verlor. Der große Durchbruch gelang der Partei bei der Regionalwahl in Andalusien am 2. Dezember 2018, als sie mit elf Prozent und zwölf Abgeordneten ins Regionalparlament einzog. Dort stützte sie anschließend die Wahl einer vom PP und den rechtsliberalen Ciudadanos gebildeten Minderheitsregierung; damit trug sie dazu bei, zum ersten Mal seit dem Ende des Franquismus den Partido Socialista Obrero Español (PSOE) in Andalusien von der Macht fernzuhalten.

Bei den Parlamentswahlen am 28. April 2019 wurde Vox mit 10,3 Prozent der Stimmen fünftstärkste Kraft; nach einem Einbruch bei den Europawahlen Ende Mai, bei denen sie lediglich 6,2 Prozent erhielt, gelang ihr bei den erneuten Parlamentswahlen am 10. November 2019, wie erwähnt, mit 15,1 Prozent der Sprung auf Platz 3 — übrigens nur noch wenige Prozentpunkte hinter dem PP, der nur noch 20,8 Prozent erhielt. Die Kräfte in der spanischen Rechten haben sich weit verschoben.

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