Ein Bleiberecht für Opfer rassistischer Gewalt?

Gesetzesentwurf im Bundestag vermutlich ohne Mehrheit

Die Forderung ist alt, aber bislang nicht erfüllt worden: Wer Opfer rechter Gewalt geworden ist, soll vor Abschiebung geschützt sein. Die Bun- destagsfraktion der Partei „Die Linke“ hat bereits zum zweiten Mal einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht, mit dem ein „unbedingtes Bleiberecht“ für „Opfer rassistischer oder vorurteilsmotivierter Gewalt“ geschaffen werden soll.

Die Forderung ist alt, aber bislang nicht erfüllt worden: Wer Opfer rechter Gewalt geworden ist, soll vor Abschiebung geschützt sein. Die Bun- destagsfraktion der Partei „Die Linke“ hat bereits zum zweiten Mal einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht, mit dem ein „unbedingtes Bleiberecht“ für „Opfer rassistischer oder vorurteilsmotivierter Gewalt“ geschaffen werden soll.

Die Linke will das AufenthG (Aufenthaltsgesetz), ein Gesetz, das die Einwande- rung von Ausländer*innen und ihren Aufenthalt in Deutschland regelt, um ei- nen Absatz 4c in seinem § 25 ergänzen, der da lauten soll: „Einer ausländischen Person, die während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet Opfer einer rassisti- schen oder vorurteilsmotivierten Gewalt- tat oder deren Versuchs oder einer ent- sprechend motivierten Gewaltandro- hung, Nachstellung oder Sachbeschädi- gung mit erheblichem Schaden geworden ist, soll eine Aufenthaltserlaubnis […] er- teilt werden.“

Der Gesetzentwurf zielt insbesondere auf Personen ab, die noch über keinen Auf- enthaltstitel verfügen, weil sie sich bei- spielsweise noch im Asylverfahren befin- den oder ihr Asylantrag abgelehnt wurde. Dieser Personenkreis befindet sich regelmäßig im Status der Aufenthaltsgestat- tung oder der Duldung. Hierbei handelt es sich im aufenthaltsrechtlichen Sinne gerade nicht um Aufenthaltstitel, die einen legalen Aufenthalt in Deutschland be- gründen. Die Vorschrift soll es also vor allem diesem Personenkreis ermöglichen, einen legalen Aufenthalt zu bekommen, wenn sie Opfer einer der bezeichneten Straftaten werden. Gleichwohl ist die Regelung nicht auf diesen Personenkreis beschränkt. Auch Menschen, die bereits über einen Aufenthaltstitel verfügen, bei- spielsweise eine Aufenthaltserlaubnis für ein Studium, können prinzipiell von die- ser Regelung profitieren.

Wer würde ein Bleiberecht bekommen?

Der Anwendungsbereich ist betont weit gefasst. Der Begriff der Gewalttat umfasst unter anderem Verletzungen des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit sowie Drohungen mit solchen Verletzungen, aber auch andere Belästigungen. Dabei soll es bereits genügen, wenn eine solche Gewalttat erfolglos versucht worden ist, da bereits ein Versuch erhebliche zumindest psychische Konsequenzen für das Opfer haben beziehungsweise traumatisierend wirken kann. Auch Sachbeschädi- gungen werden umfasst, weil etwa Beschädigungen an Gewerbebetrieben der Betroffenen zumindest potenziell eben- falls drastische Auswirkungen haben und zu einer Vernichtung der ökonomischen Existenzgrundlage führen können. Für die Frage, ob eine Straftat in diesem Sinne rassistisch beziehungsweise vorurteilsba- siert sei, soll maßgeblich auf die Wahrnehmung des Opfers abzustellen sein, wobei Stellungnahmen von Opferberatungsstellen ergänzend berücksichtigt werden können.

Diese Änderung soll flankiert werden von weiteren Änderungen des AufenthG. Diese zielen hauptsächlich darauf ab, dass die Aufenthaltserlaubnis möglichst einfach erlangt werden kann. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass § 5 AufenthG sogenannte Regelerteilungsvoraussetzungen vorsieht, das heißt, allgemeine Voraussetzungen, die grundsätz- lich immer erfüllt sein müssen, wenn eine Person einen Aufenthaltstitel bekommen möchte. Dazu zählt etwa, dass ein gültiger Pass benötigt wird, dass die Person in der Lage sein muss, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, ohne Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen, und die Person mit einem gültigen Visum nach Deutschland eingereist sein muss. Von allen diesen Voraussetzungen sind jeweils auch Ausnahmen vorgese- hen, beispielsweise für Leute, denen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Asylverfahren einen Schutzstatus zuerkannt hat. Wer als Flüchtling aner- kannt wurde, bekommt eine Aufenthaltserlaubnis also auch dann, wenn sie*er keinen Pass besitzt oder auf Leistungen des Jobcenters angewiesen ist. Der Gesetzentwurf sieht eine ähnliche Ausnahmeregelung auch für diesen Fall vor. Damit erschließt sich auch der Nutzen, den die Regelung für Menschen haben kann, die bereits einen Aufenthaltstitel besitzen: Nehmen wir an, eine Studentin mit einer entsprechenden AufEnthaltserlaubnis wird Opfer rassistischer Gewalt. Sie ist deswegen nicht mehr in der Lage, ihren Nebenjob auszuüben; in der Konsequenz bekommt sie Schwierigkeiten, ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft, nämlich durch ihre Erwerbstätigkeit zu sichern. Wenn sie jetzt die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis beantragt, könnte es Schwierigkeiten geben, da die sogenannten Regelerteilungsvoraussetzungen nicht erfüllt sein könnten. Die von der Fraktion Die Linke im Bundestag vorgeschlagene Regelung würde ihr dennoch zu einer sicheren aufenthaltsrechtlichen Perspektive verhelfen.

Die Aufenthaltserlaubnis soll für drei Jahre erteilt werden. Wer eine solcheAufenthaltserlaubnis seit drei Jahren besitzt, soll eine Niederlassungserlaubnis bekommen. Die Ausländerbehörde soll zu einer Beratung verpflichtet werden, in der sie auf das Bleiberecht und auf geeignete Beratungsstellen, die das Opfer in diesem Zusammenhang unterstützen können, hinzuweisen hat. Im Anschluss an diese Beratung soll dem Opfer eine mindestens dreimonatige Bedenkzeit zustehen, während der keine Abschie- bung erfolgen darf.

Die Begründung des Gesetzentwurfs

In der Begründung heißt es, die rassistische beziehungsweise vorurteilsmotivierte Gewalt gegen Menschen in Deutschland bewege sich auf einem inakzeptabel hohen Niveau. Es sei unerträglich, wenn das Aufenthaltsrecht der Opfer in Gefahr geriete, da sie aufgrund der erlittenen psychischen oder physischen Verletzungen oder Beeinträchtigungen ihren Lebensunterhalt nicht mehr sichern könnten. Demgegenüber könnten die Täter*innen es als eine Bestätigung empfinden, wenn die Opfer zur Ausreise aufgefordert oder gar abgeschoben würden. Außerdem würden auf diese Weise Wohnsitzwechsel erleichtert, um eine spätere erneute Begeg- nung mit den Täter*innen zu vermeiden. Schließlich sei die aufenthaltsrechtliche Sicherheit auch eine wichtige Bedingung für das Gelingen einer psychotherapeutischen Behandlung.

Der Gesetzentwurf versteht sich als ein deutliches Signal, sich dem Anliegen der rechten Täter*innen entgegenzustellen, die Menschen ausländischer Staatsangehörigkeit durch Gewaltanwendung einschüchtern und aus dem Land vertreiben wollen. Deutschland stelle sich damit solidarisch schützend vor Migrant*innen, die Opfer rechter Gewalt oder massiv bedroht wurden. Den Betroffenen werde nach ihrer traumatischen Gewalterfahrung Si- cherheit und Schutz angeboten, und es werde signalisiert, dass sie nicht allein ge- lassen werden. Dies sei auch als eine Form der „Entschädigung“ zu sehen für einen mangelnden effektiven Schutz vor rassistischer Gewalt und für gesellschaftliche, politische und staatliche Versäumnisse in Bezug auf die Bekämpfung von Rassismus und rechter Gewalt in der Bundesrepublik Deutschland.

Erlasse der Länder

Es handelt sich nicht um den ersten Versuch, ein Bleiberecht für Opfer rassisti- scher Gewalt einzuführen. Abgesehen davon, dass Die Linke bereits in der vergangenen Legislaturperiode einen ähnlichen Entwurf in den Bundestag einbrachte, gibt es auch auf Landesebene Versuche, Bleiberechtsregelungen durch Erlasse einzuführen. Entsprechende Erlasse gibt es in Berlin, Thüringen und Brandenburg. Die Jenaer Rechtsan- wält*innen Kristin Pietrzyk und Maik Elster haben diese Erlasse im März 2019 in einem Gutachten des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassisti- scher und antisemitischer Gewalt e.V. (VBRG) untersucht. Dabei ziehen sie ein ernüchterndes Fazit. Das Ziel, den Betroffenen ein sicheres und dauerhaftes Bleiberecht zu ermöglichen, sei um Längen verfehlt worden. Unter Umständen erweisen sich die Regelungen sogar als kontraproduktiv. Dazu verweisen die Autor*innen unter anderem auf die niedrige Zahl entsprechender Anträge: Soweit bekannt, gelangen die Erlasse äußerst selten zur Anwendung. Das erstaunt, wenn man bedenkt, dass einschlägige Straftaten keineswegs so selten vorkommen dürften. Schon deswegen darf man die Effektivität dieser Erlasse bezweifeln.

Außerdem weisen die Rechtsanwält*innen auf diverse Ausschlussgründe hin. So seien typischerweise Fälle ausgeschlossen, in denen das Opfer die Tat provoziert habe. Gerade hierbei handele es sich aber um eine häufige Einlassung der Beschuldigten in Fällen rassistischer Gewalt: Die Gewalttat wird als Reaktion etwa auf eine vorherige Beleidigung dargestellt. Fällt eine Person wegen dieser Aus- schlussgründe aber nicht mehr unter den Anwendungsbereich des jeweiligen Erlasses, so ist die Gefahr einer Abschie- bung möglicherweise letztlich noch größer als ohne den Erlass, denn die Ausländerbehörde kann sich immerhin darauf berufen, dass sie ja gerade nicht durch den Erlass geschützt wird.

Als problematisch schätzen die Autor*innen auch ein, dass für die Bewertung einer Gewalttat als rassistisch maßgeb- lich auf die Feststellungen der Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte ab- gestellt werde; diese haben sich jedoch nicht immer als ausreichend sensibilisiert erwiesen. Auch machten die Regelungen einen entsprechend intensiven Datenaustausch zwischen Ausländerbehörden und Strafverfolgungsbehörden erforderlich. Etwaige (Fehl-)Einschätzungen der Polizei könnten dann also auch in der Ausländerakte landen. Beziehungsweise anders herum  würden Einzelheiten zur aufenthaltsrechtlichen Situation der Opfer in der Ermitt- lungsakte und damit möglicherweise so- gar bei den Verteidiger*innen der Täter*innen landen. Das wäre etwa denkbar, wenn eine Ausländerbehörde die ermittelnde Polizeibehörde um eine Stellungnahme zu einem möglichen rassistischen Hintergrund einer Tat bittet, um die Anwendbarkeit des Erlasses prüfen zu können.

Kritik an dem Gesetzentwurf

Als Sachverständiger nahm ich im Innenausschuss des Bundestags zum Gesetzesentwurf Stellung. An der Anhörung nahmen auch die Sachverständigen Kay Hailbronner (Uni Konstanz), Heike Kleffner (VBRG), Winfried Kluth (Uni Halle), Wolfgang Seegmüller (BVerwG), Ulrich Vosgerau (Uni Köln) und Philipp Wittmann (VG Karlsruhe) teil. Mit Ausnahme von Heike Kleffner und mir selbst äußerten sich die übrigen Sachverständigen eher kritisch und ablehnend zum Gesetzesentwurf. So wird der Gesetzentwurf als systemfremd kritisiert. Die vorgeschlagene Regelung sei ein „Fremdkörper“(Hailbronner) im Aufenthaltsrecht. Zudem sei die vorgeschlagene neue Aufenthaltserlaubnis auch nicht erforderlich. Die geltende Rechtslage sei bereits geeignet, den In- teressen der Betroffenen angemessen Rechnung zu tragen.

Fazit

Der Gesetzesentwurf der Fraktion Die Linke ist grundsätzlich zu begrüßen. Die Begründung des Entwurfes legt den Finger in die Wunde und legt zutreffend dar, warum Opfer rassistischer Gewalt ein sicheres Aufenthaltsrecht benötigen. Realistischerweise muss man allerdings sagen, dass ein Gesetzesentwurf einer kleinen Oppositionspartei praktisch keine Chance hat, Gesetz zu werden, da absehbar ist, dass er im Bundestag keine Mehrheit finden wird. Gleichwohl verdient Die Linke Anerkennung dafür, dass sie das Thema immer wieder auf die Agenda setzt und das Thema damit in der Diskussion hält.

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