Antifaschistische Protestaktion am 23. Mai 2020 in Frankfurt am Main.
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Was tun? In die Offensive!

Zwischenbilanz unserer Aktionen gegen Corona-Leugner_innen

Im folgenden Artikel beschreiben wir unsere Erfahrungen aus neun Monaten Recherche und Gegenprotest zu Aktionen von Corona­­-Leug­ner\_innen in Frankfurt. Darüber hinaus äußern wir uns dazu, wie die linke Bewegung weiterhin mit der verschwörungsideologischen und rechtsoffenen Protestszene umgehen sollte.

Im folgenden Artikel beschreiben wir unsere Erfahrungen aus neun Monaten Recherche und Gegenprotest zu Aktionen von Corona­­-Leug­ner_innen in Frankfurt. Darüber hinaus äußern wir uns dazu, wie die linke Bewegung weiterhin mit der verschwörungsideologischen und rechtsoffenen Protestszene umgehen sollte.Am Anfang war Henryk Stöckl (siehe LOTTA #75, Antifaschistische Protestaktion am 23. Mai 2020 in Frankfurt am Main.S. 38 f.). Der extrem rechte Medienaktivist und Fake-News-Superspreader aus Bad Homburg steht am 2. April 2020 beinahe gänzlich allein auf dem Frankfurter Opernplatz und grinst in seine Smartphonekamera. Er war dem Aufruf der Rechtsanwältin Beate Bahner gefolgt, sich samstags in deutschen Innenstädten zu versammeln und gegen die Corona-Verordnungen zu protestieren. Bahner fühlt sich kurz darauf verfolgt und wird in eine psychiatrische Klinik eingeliefert, Stöckl aber setzt seine unangemeldeten Kundgebungen fort.

In dieser Phase der allwöchentlichen Proteste auf dem Opernplatz bekennen sich nur wenige Umstehende offen zum Thema des Protests — darunter die ehemalige Fragida-Organisatorin Heidi Mund. Antisemitische Symbole, Codes und Botschaften werden offen präsentiert. Die Polizei lässt Stöckl und sein Umfeld weitgehend gewähren, während sie gegen eine Seebrücke-Aktion am 5. April brutal vorgeht und diese auflöst, wobei auch Journalist_innen verletzt werden.

Antifaschist_innen setzen in dieser Phase vor allem auf Beobachtung und Aufklärung: So werden Flyer verteilt und Texte zum Treiben von Stöckl auf Wäscheleinen auf dem Opernplatz aufgehängt. Bei Kundgebungen der rechtsoffenen Gruppierung Beweg Was auf dem Frankfurter Paulsplatz, auf denen die Corona-Verordnungen als „neues Ermächtigungsgesetz“ bezeichnet werden, zeigt die VVN-BdA Präsenz und hält dagegen. Angesichts der schwachen Mobilisierungskraft der Proteste erscheint dies vorerst ausreichend. Die Linke streitet währenddessen noch über eigene Positionierungen zur Pandemie und den staatlichen Maßnahmen.

Eine Protestszene etabliert sich

Während sich in Stuttgart bereits im April Zehntausende zu Querdenken-Kundgebungen versammeln, bleibt es in Frankfurt verhältnismäßig lange ruhig. Erst als am 9. Mai hunderte Corona-Leugner_innen, angeführt von Stöckl, Mund und dem ehemaligen Attac- und Occupy-Aktivisten Hajo Köhn, bei schwingender Reichsfahne auf der Frankfurter Einkaufsstraße „Zeil“ demonstrieren, wird die Notwendigkeit antifaschistischer Gegenmobilisierungen deutlich. Viele Linke, die zuvor solidarische Nachbar_innenschaftsnetzwerke aufgebaut und gepflegt hatten, sind von dieser Dynamik überrascht.

Die linke Reaktion ist klassische Feuerwehrpolitik: Vom 16. Mai bis zum 13. Juni werden die samstäglichen Protest- und „Spaziergang“-Versuche von Corona-Leugner_innen in Frankfurt mit direktem Gegenprotest und Blockaden bedacht. Aufklärende Plakate werden verkleistert, Flyer verteilt, und in Redebeiträgen werden Verschwörungsideologien entlarvt und linke Antworten auf Pandemie, Krise und Kontaktbeschränkungen skizziert. Aus den verschiedenen, konkurrierenden Gruppierungen im Spektrum der Corona-Leugner_innen bilden sich einige Kerngruppen heraus: etwa die Spaziergänger, die Initiative Widerstand 4.0, die ihren Ursprung in einer Initiative gegen den 5G-Ausbau hat, sowie die Gruppen Beweg Was und MainFrankfurtVerbindet. Schließlich erhält auch die Marke Querdenken einen Frankfurter Ableger, und erreicht unter diesem Label einen neuen Grad an Professionalisierung (siehe LOTTA #80, S. 52 ff.). Im Herbst kommen noch Eltern stehen auf und Studenten stehen auf hinzu. Über Telegram-Gruppen verabreden diese sich zu jeweils eigenen Aktionen, arbeiten ab Herbst aber verstärkt zusammen.

Zwei Wellen des Protests

Mit Gegenmobilisierungen und direkten Aktionen konnte den Protesten der Corona-Leugner_innen bereits im Mai empfindlich geschadet werden. Frankfurt galt seither für sie als „schwieriges Pflaster“. Als am 6. Juni der extrem rechte Prediger Zahid Khan versucht, auf dem Roßmarkt eine Kundgebung mit „Flügel“-nahen AfD-Abgeordneten abzuhalten, versinkt diese hoffnungslos im antifaschistischen Gegenprotest, dem sich auch viele Teilnehmende einer parallel stattfindenden Black Lives Matter-Demonstration anschließen. Die allwöchentliche Gegenmobilisierung sorgt jedoch auch für Ermüdung: Die nötigen Kapazitäten, um jede Woche mehrere potenzielle Kundgebungsorte, die teils weit auseinander liegen, zu bespielen, schwinden. Entsprechend geht auch die Teilnehmer_innenzahl der Gegenproteste zurück. Ohnehin wollen sich viele Antifaschist_innen lieber damit beschäftigen, linke Kritik an der kapitalistischen Krisenverwaltungspolitik der Bundesregierung auf die Straße zu tragen, als Woche für Woche wildgewordene Kleinbürger_innen zu blockieren.

Auch die Mobilisierungen der Corona-Leugner_innen selbst gehen im Juni und Juli stark zurück. Die erste Welle des Protests ist vorbei. An Samstagen treffen sich zwar noch einzelne Gruppen ohne Mund-Nasen-Bedeckung zu Kundgebungen und „Spaziergängen“ durch die Frankfurter Innenstadt, dem schließen sich jedoch kaum mehr als zwei Dutzend Personen an. Aus antifaschistischer Perspektive scheint es aus Kapazitätsgründen kaum mehr sinnvoll, diese konsequent zu begleiten. Deutlich wird aber auch, dass bei Großveranstaltungen wieder spontan Handlungsfähigkeit hergestellt werden muss. Entsprechend werden am 14. November und 12. Dezember angekündigte Querdenken-Demonstrationen blockiert, was deren Mobilisierungspotenzial empfindlichen Schaden zufügt.

Herausbildung linker Positionen

Innerhalb der Linken ist im Umgang mit Pandemie, Kontaktbeschränkungen und Corona-Leugner_innen zunächst eine starke Polarisierung der Positionen zu beobachten: Zu Beginn der gesetzlichen Kontaktbeschränkungen pochen die einen auf unbedingtes Einhalten oder sogar Übertreffen der Verordnungen und leiten diese aus der linken Maxime der Solidarität ab, während die anderen dies als vorauseilenden Gehorsam gegenüber einem autoritär auftretenden Staat sehen. Eine Absage an Aktionen wie Demonstrationen wird jedoch weitestgehend einhellig abgelehnt, was sich in der genannten Seebrücke-Aktion in Frankfurt oder an diversen Aktionen zum 1. Mai ausdrückt. Dass die Polizei hier mit äußerster Härte reagiert, zeigt, dass diejenigen recht hatten, die schon früh vor einem autoritären Staatsapparat gewarnt hatten. Bis heute kriminalisiert die Polizei immer wieder Linke unter Verweis auf Infektionsschutzverordnungen, während Rechte und Verschwörungsideolog_innen deutlich mehr Freiraum genießen.

Auch zu der Frage nach dem Umgang mit Corona-Leugner_innen werden innerhalb der Linken völlig unterschiedliche Positionen artikuliert: Während manche skandalisieren, dass kein Gegenprotest zu kleineren Aktionen der verschwörungsideologischen Szene organisiert wird und diese unterschiedslos als „Faschos“ bezeichnet, werden antifaschistische Gegendemonstrant_innen von anderen auf Twitter als Verteidiger_innen des autoritären Maßnahmenstaates gebrandmarkt. Entsprechend unterschiedlich sind die strategischen Empfehlungen: Während die einen empfehlen, die Proteste zu ignorieren oder gar mit eigenen Inhalten zu unterwandern, fordern die anderen dazu auf, sie wie Neonazi-Aufmärsche zu behandeln und zu verhindern. Erst im Spätsommer zeichnet sich innerhalb der Linken eine vermittelnde Position zwischen diesen Extrempositionen ab: Konsequent gegenüber „Querdenkern“/Corona-Leugner_innen durch Gegenprotest und Aufklärung, zugleich aber mit dem Versuch verbunden, linke Inhalte auf die Straße zu tragen. Kampagnen wie „Nicht auf unserem Rücken“ und „Wer hat, der gibt“ zeigen bereits, wie dies in der Praxis aussehen kann.

Wie umgehen mit Verboten?

Am 12. Dezember wurde in Frankfurt zunächst eine bundesweite Querdenken-Demo mit 40.000 erwarteten Teilnehmenden beworben. Auf öffentlichen Druck und aufgrund einer massiven antifaschistischen Mobilisierung, in der erstmals linke Positionen zu Pandemie und Kontaktbeschränkungen in den Vordergrund gerückt wurden, wurde die Querdenken-Demo von der Stadt verboten. Am Tag selbst zeigte sich jedoch, dass dieses Verbot nur deshalb durchgesetzt wurde, weil eine kritische Öffentlichkeit die Corona-Leugner_innen begleitete. Abends konnten Querdenken-Anhänger_innen trotz Verbots unbehelligt auf dem Römerberg demonstrieren. Auch nachfolgende Aktionen aus diesem Milieu, wie ein „Schweigemarsch“ am 20. Dezember mit etwa 200 Teilnehmenden, wurden keineswegs verboten.

Den linken Gegenprotest bringt dies freilich in eine unangenehme Situation: Es kann keine Lösung sein, auf staatliche Verbote zu hoffen oder sie gar öffentlich zu fordern, ebenso wenig wie offene Freude über Polizeieinsätze gegenüber Corona-Leugner_innen zu zeigen. Gleichwohl scheint es auch keine Option, sich auf staatliche Verbote zu verlassen und die verschwörungsideologischen Proteste von der Polizei räumen zu lassen, statt sie mit eigenem Protest zu begleiten und nötigenfalls zu verhindern. Protest gegen Corona-Leugner_innen ist auch dann notwendig, wenn deren Aktionen von den Behörden verboten werden. Dass die Stadt Frankfurt derzeit freimütig Versammlungen verbietet — so auch kürzlich einen islamistischen Aufmarsch — sollte auch Antifaschist_innen aufhorchen lassen. Zu groß ist die Gefahr, dass sich derartige Verbote eines Tages auch gegen linke Versammlungen richten werden. Schon jetzt scheint es gängige Polizeipraxis zu werden, bei unübersichtlichen Demonstrationslagen aus Corona-Leugner_innen-Versammlungen und antifaschistischem Gegenprotest kurzerhand jegliche Ansammlungen zu unterbinden. So verweigerte die Frankfurter Polizei mehrfach die Annahme spontaner Anmeldungen aus dem linken Spektrum und sorgte für Verbote und Verlegungen linker Demonstrationen, die vom Ordnungsamt zunächst bestätigt worden waren.

Linke Themen in die Offensive!

In LOTTA #80 prophezeiten Sebastian Hell und Carl Kinsky, dass die verschwörungsideologische Protestszene aufgrund ihrer Vernetzung, Professionalisierung und Ressourcen auch weiterhin aktiv sein würde. Genau das tritt derzeit ein: Zwar verliert die Marke Querdenken an Einfluss — auch durch die mediale Thematisierung der kommerziellen Interessen, die Michael Ballweg, Bodo Schiffmann und Co. antreiben –, mit der anlaufenden Impfung gegen Covid-19 ist das Thema für die nächsten Proteste allerdings schon gesetzt. Damit bleibt es ebenfalls nötig, die Szene weiter zu beobachten und ihren Mobilisierungen etwas entgegenzusetzen. Solidarität lässt sich nicht vertagen. Auch große linke Demonstrationen hatten bislang keinen messbaren Einfluss auf das Infektionsgeschehen, da diese draußen, mit Abstand und Mund-Nasen-Bedeckung stattfinden. Ein Rückzug aus der Öffentlichkeit kann daher keine Option sein. Die Linke muss weiterhin antifaschistisch gegen das reaktionäre Potenzial der Corona-Leugner_innen vorgehen, gegen autoritären Staatsumbau protestieren und zugleich der zunehmenden Prekarisierung Widerstand entgegenbringen. Wer noch darüber klagt, die Linke habe angeblich keine Antworten auf Pandemie und Krise, wäre besser beraten, jene Stimmen zu verstärken, die genau diese Antworten seit Monaten unermüdlich suchen und praktisch werden lassen. Linke Themen in die Offensive!