Ab in die Berge

Der „Tag der Ehre“ in Budapest

Jedes Jahr findet ein neonazistisches Spektakel in der ungarischen Hauptstadt Budapest statt. Rund um den sogenannten „Tag der Ehre“ wird ein ganzes Potpourri neonazistischer Erlebniswelten geboten: Neben Aufmarsch, uniformiertem Heldengedenken und RechtsRock- Konzert ist es insbesondere der Leistungsmarsch „Ausbruch 60“, der eine hohe Anziehungskraft besitzt. Auch für die deutsche Neonazi-Szene, die seit vielen Jahren nach Budapest pilgert.

Jedes Jahr findet ein neonazistisches Spektakel in der ungarischen Hauptstadt Budapest statt. Rund um den sogenannten „Tag der Ehre“ wird ein ganzes Potpourri neonazistischer Erlebniswelten geboten: Neben Aufmarsch, uniformiertem Heldengedenken und RechtsRock- Konzert ist es insbesondere der Leistungsmarsch „Ausbruch 60“, der eine hohe Anziehungskraft besitzt. Auch für die deutsche Neonazi-Szene, die seit vielen Jahren nach Budapest pilgert.

„Gegen Ende des Jahres 1997 munkelte man, dass es Mitte Februar kommenden Jahres einen wichtigen Termin für uns in Ungarn geben wird“, heißt es in einem Bericht des 1998 erschienenen Magazins der deutschen Sektion von Blood & Honour (B&H). Und tatsächlich hat jener „wichtige Termin“ — meist am zweiten Wochenende im Februar — seither einen festen Platz in den Kalendern der neonazistischen Szene gefunden. Am sogenannten „Tag der Ehre“ reisen aus diversen Teilen Europas Neonazis an, um der Soldaten zu gedenken, die beim Versuch, 1945 die Befreiung Budapests durch die Rote Armee zu verhindern, ums Leben kamen. Insbesondere der positive Bezug auf die Waffen-SS und die Glorifizierung dieser als „europäische Bruderarmee“ spielen bei dem geschichtsrevisionistischen Gedenken eine bedeutende Rolle. Dass es ausgerechnet in dem Magazin von B&H Deutschland schon früh einen Reisebericht zu den „Gedenkveranstaltungen“ gab, überrascht nicht: So war es zu Beginn insbesondere die ungarische Sektion von Blood & Honour, die maßgeblich in die Organisation des „Tags der Ehre“ involviert war und dieses seit über 20 Jahren stattfindende grenzüberschreitende Event der militanten NS-Szene etabliert hat.

Vom Aufmarsch…

1997 fand zum ersten Mal das Gedenken an den Ausbruchsversuch deutscher und ungarischer Soldaten statt. Anfangs wurde das Motto „Marsch gegen das Vergessen“ verwendet, bevor es zur Umbenennung in „Tag der Ehre“ kam. Schon in den Anfangsjahren gab es größere Mobilisierungen der deutschen Neonazi-Szene, deren VertreterInnen regelmäßig Redebeiträge beisteuern durften. Teilweise war die Beteiligung so hoch, dass es den anwesenden Deutschen fast schon unangenehm schien. So werden in einem Bericht aus dem Jahr 1999 in dem Magazin Hamburger Sturm zunächst Ablauf und Form des Aufmarsches gelobt, wo „eine anständige Kranzniederlegung im würdig-militärischem Stil zelebriert [wurde]. Uniformen, Trommelwirbel und ein korrekter Ablauf sorgten für die gebührende Feierlichkeit“, um dann anzumerken: „Etwas überrepräsentiert war dabei die deutsche Fraktion“ unter den „1300 Kameraden aus mehreren Ländern“.

Der Reiz für die deutschen TeilnehmerInnen lag in der Möglichkeit der offenen und öffentlich zur Schau getragenen NS-Verherrlichung inmitten einer europäischen Großstadt, ohne dass es zu wirklichen antifaschistischen Störungen kam. Auch kleinere „Heldengedenken“, die mit „Wanderungen“ verbunden wurden, zählten schon früh zum Rahmenprogramm. Darüber hinaus dürfte Insbesondere das jährlich durchgeführte RechtsRock-Konzert für einige Neonazis ein Grund gewesen sein, nach Budapest zu fahren. Seinen Höhepunkt erlangte der „Tag der Ehre“ im Jahr 2009, als ca. 2.000 Neonazis im Budapester Stadtzentrum aufmarschierten.

… über die Wälder …

Die Bilder einer internationalen Neonazi-Großveranstaltung in der Innenstadt von Budapest wurden schließlich auch für die ungarische Regierung zum Problem. Ab 2010 gab es ein staatliches Verbot der Neonazi-Veranstaltungen, die nichtsdestotrotz jährlich durchgeführt wurden. Dabei wurde zunächst auf kleinere Kundgebungen auf Privatgrundstücken oder Aufmärsche zu Denkmälern in Waldgebieten außerhalb von Budapest ausgewichen. In den letzten Jahren fand der eigentliche Aufmarsch zum „Tag der Ehre“ im Budapester Városmajor Park statt. Mehrere hundert Neonazis kommen zu dem Gedenken, welches mittlerweile maßgeblich von Légió Hungária und auch dem ungarischen Chapter der Hammerskin Nation (HSN) organisiert wird.

Neben diversen ungarischen Gruppen wie Blood & Honour/Combat 18 Ungarn sorgen dabei Neonazis der skandinavischen Nordischen Widerstandsbewegung, der italienischen Skins4Skins sowie „Hammerskins“ aus Deutschland, den Niederlanden und der Schweiz für den internationalen Charakter. Regelmäßig nimmt auch eine Delegation der Partei Die Rechte aus NRW an den Gedenkveranstaltungen teil. Deren „Europabeauftragter“ Matthias Deyda aus Dortmund durfte im Jahr 2020 ein Grußwort halten. Wegen der Corona-Pandemie fiel das Gedenken 2021 aus.

…zum Leistungsmarsch

Während der zentrale Gedenkmarsch in den letzten Jahren nur noch an die 500 Neonazis mobilisieren konnte, hat sich eine andere Veranstaltung zum „Tage der Ehre“ zu einem größeren Event entwickelt. Unter dem Namen „Ausbruch 60“ findet ein Leistungsmarsch statt, der erstmals am 60. Jahrestag des Gedenkens im Jahr 2005 im kleinen Rahmen durchgeführt wurde. Da die Zahl „60“ darüber hinaus für die zu absolvierenden 60 Kilometer Fußmarsch steht, beschreibt die Zeitschrift der Veteranen der Waffen-SS, Der Freiwillige, dies ihrer LeserInnenschaft als „eine eher sportliche Form des Gedenkens“. Organisiert wird die „Gedenk- und Wandertour“, die ab 2009 öffentlich beworben wurde, von der ungarischen Aktionsgruppe Börzsöny.

Die Teilnehmendenzahl dieser NS-Folklore-Wanderung stieg kontinuierlich an. Waren es 2009 zunächst 150 Personen, beteiligten sich 2012 schon knapp über 1.000, und an der letzten „Ausbruch“-Tour 2020 etwa 3.300 Neonazis, die sich auf dem zentral gelegenen Kapisztrán-Platz in Budapest trafen, um über Nacht in das westlich der Hauptstadt gelegene Dorf Szomor zu wandern. Da die Veranstaltung als historische Nachstellung angemeldet ist, finden sich zahlreiche NS-Uniformen und -Abzeichen bei den TeilnehmerInnen. Für das authentische NS-Feeling sorgen außerdem Nachbildungen von Waffen und Kriegsgeräten.

Besonders attraktiv ist diese Form des NS-Reenactments auch für Neonazis aus Deutschland. So zählte zu den Teilnehmenden unter anderem Ralph Tegethoff (Rhein-Sieg-Kreis), der noch 2008 beim „Tag der Ehre“ einen Redebeitrag hielt und zuletzt 2017 die Ausbruch-Wanderung absolvierte. Tegethoff stammt aus den Strukturen der verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ), aus deren Kreisen sich regelmäßig TeilnehmerInnen beim Leistungsmarsch in Ungarn finden. In den letzten Jahren waren zudem auch Akteure aus der neonazistischen Kampfsportszene beim „Ausbruch 60“-Marsch. So nahmen 2020 unter anderem neben Mitgliedern bekannter Kampfsportgruppen wie Baltik Korps oder Wardon 21 auch Alexander Kerper (Rhein-Sieg-Kreis) und Maximilian Lang (Dortmund) teil, die beide schon beim Kampf der Nibelungen (KdN) in den Ring stiegen. Kerper reiste mit alten Bekannten an, zur Reisegruppe gehörten mit Marius Dörschel, Jonas Ronsdorf und Tobias Maczewski allesamt Protagonisten der neonazistischen Szene aus dem Bergischen Land und Wuppertal, um die es in den letzten Jahren ruhig geworden war. Die Urkunde für den leistungsstarken gesunden Volkskörper haben allerdings nicht alle erhalten. So war Maczewski der einzige der Gruppe, der den 60 km-Marsch bis zum Ende absolvierte.