Fackeln für den Führer
Der jährliche Aufmarsch zu Ehren Hristo Lukovs in Sofia
Der „Lukov-Marsch“ hat sich für die europäische extreme Rechte zu einem fixen Termin im Kalender entwickelt. Trotz regelmäßiger Versuche, den Aufmarsch zu verbieten, hatte das Verbot bisher nur 2020 und 2021 Bestand. Ein gescheitertes Verbotsverfahren gegen die Organisator_innen dürfte künftige Verbote des Marsches erschweren.
Seit 2003 organisieren die bulgarischen Nazis der Bulgarischen Nationalunion — Edelweiß (BNS) jährlich im Februar den „Lukov-Marsch“ im Andenken an den 1943 von einer kommunistischen Kampfgruppe ermordeten General Hristo Lukov. Die BNS selbst wurde im Jahr 2000 von Bojan Rasate als ideologischer Nachfolger der historischen Union der Bulgarischen Nationallegionen (SBNL) gegründet. Die Führung der 1932 gegründeten antikommunistischen, antisemitischen und nationalistischen, in Bulgarien meist profaschistisch, außerhalb eher faschistisch genannten SBNL hatte 1942 der bulgarische General, ehemalige Divisionsbefehlshaber im Ersten Weltkrieg und ehemalige Kriegsminister Lukov übernommen. In ihrem Programm sah die SBNL die Ausweisung aller Ausländer_innen vor; bulgarische_r Staatsbürger_in dürfe nur werden, „in wessen Adern bulgarisches Blut fließt“.
Während des Zweiten Weltkriegs unterstützte die SBNL unter Lukov die Annäherung an Nazideutschland. Während die Regierung unter Zar Boris III. im März 1941 den Achsenmächten beigetreten war, stand die SBLN in Opposition zur eigenen Regierung, die sie wahlweise als „Kapitalisten“, „Judäo-Freimaurer“ oder „Bolschewiki“ bezeichneten. Um die von ihr angestrebte „Revolution zur Errichtung einer Neuen Ordnung“ durchzuführen, war sie jedoch zu mitgliederschwach. Die SBNL protestierte in einem öffentlichen Aufruf aus dem Jahr 1943 gegen die Rettung bulgarischer Jüdinnen_Juden: Diese einzigartige Gelegenheit, „die Judenfrage radikal und ein für alle Mal zu lösen, um einem Geschwür in unserem nationalen Organismus ein Ende zu setzen“, habe die Regierung verpasst. Die SBNL unterstützte die Deutschen bei der Deportation von über 11.300 Jüdinnen_Juden aus den durch Bulgarien besetzten Gebieten Westthrakien, Mazedonien und Serbien ins Vernichtungslager Treblinka. Nach der Besetzung Bulgariens durch die Rote Armee im September 1944 wurde die SBNL verboten.
Internationale Beteiligung
Die jährlichen Fackelaufmärsche zu Ehren Lukovs sind trotz internationaler Mobilisierung und Beteiligung kaum Massenveranstaltungen. In den meisten Jahren nahmen einige hundert bis maximal tausend Personen an den Aufmärschen teil. In den Jahren 2013, 2014 und 2019 fielen die Märsche mit über 2.000 Nazis jedoch deutlich größer aus. An den Aufmärschen beteiligen sich extrem rechte Organisationen und Gruppierungen aus Frankreich, Kroatien, Rumänien, Russland, Skandinavien und den USA. Aus Deutschland nehmen seit mehreren Jahren Vertreter_innen der Nazi-Parteien Die Rechte, Der III. Weg und der Jungen Nationalisten an den Aufmärschen teil. 2019 präsentierten sich die ca. 60 deutschen Neonazis auf dem Aufmarsch mit einem eigenen Block. In den letzten Jahren traten als Redner Sven Skoda (2018) Michael Brück (2019) und Matthias Deyda (2015, 2017 und 2020) auf. Im Jahr 2020 war ein Drittel der Teilnehmenden eigens für den Marsch nach Bulgarien gereist.
Protest und Verbot
Seit spätestens 2014 hat Sofias Bürgermeisterin Jordanka Fandakova von der konservativen GERB-Partei immer wieder die Durchführung der Veranstaltung untersagt; die Gerichte hoben die Verbote aber stets wieder auf. 2018 organisierte die Stadtverwaltung in einem eher unbeholfenen Versuch eine öffentliche Gegenveranstaltung unter dem Titel „Sofia sagt nein zu Hassreden und Extremismus“. Aus der Zivilgesellschaft wurde dem Bürgermeisteramt vorgeworfen, es habe schlichtweg keine geeigneten Maßnahmen ergriffen, den Nazi-Fackelmarsch tatsächlich zu verhindern. Ein breites Bündnis aus linken Organisationen und Parteien, Bürger_innen- und Menschenrechtsbewegungen, Studierenden und Aktivist_innen organisierte 2019 eine antifaschistische Demo unter dem Motto „Keine Nazis auf unseren Straßen“. Das Bündnis protestierte nicht nur gegen den „Lukov-Marsch“, sondern gegen alle Formen von Diskriminierung und Ungerechtigkeit sowie gegen die Normalisierung rassistischer Äußerungen von Politiker_innen. Der Protestzug ging an mehreren staatlichen Organisationen vorbei und endete vor dem Gebäude der Stadtverwaltung von Sofia.
Während Fandakova gegen den „Lukov-Marsch“ vorgeht, haben weite Teile ihrer Partei keine Berührungsängste mit der extremen Rechten. Nach der Parlamentswahl 2017 bildete GERB eine Koalition mit der nationalistischen Wahlallianz Vereinigte Patrioten (OP), deren Mitglieder selbst regelmäßig am „Lukov-Marsch“ teilnehmen. In der Wahlallianz hatten sich die Bulgarische Nationale Bewegung (VMRO-BND) unter ihrem für antiziganistische Aussagen bekannten Vorsitzenden Krasimir Karakačanov, die extrem rechte Partei Ataka und die ebenfalls extrem rechte Nationale Front für die Rettung Bulgariens (NFSB) zusammengeschlossen, um Karakačanov als gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten aufzustellen.
Unter Karakačanov als Verteidigungsminister wurden Fotos von dessen Abteilungsleiter im Ministerium, Ivo Antonov, öffentlich, auf denen er neben einem Wehrmachtspanzer im Militärhistorischen Museum den Hitlergruß zeigte. Auch ein weiterer Politiker der OP hatte sich schon beim Hitlergruß ablichten lassen. Der Vizeminister für Regionalentwicklung Pavel Tenev musste nach zwei Tagen im Amt zurücktreten: Ein fast zehn Jahre altes Foto auf seinem Facebook-Profil zeigte ihn beim Abhitlern neben Figuren von Wehrmachtssoldaten im Pariser Wachsfigurenkabinett. Der Mitbegründer der OP und damalige stellvertretende Premier Valeri Simeonov spielte öffentlich den Skandal um Tenev herunter: Er selbst habe mit einer Studentengruppe in den 1970er Jahren die Gedenkstätte Buchenwald besucht und sich dort auch so „manchen Scherz“ erlaubt.
Erst 2020 und 2021 hatten die Aufmarschverbote vor Gericht Bestand; die Fackelmärsche blieben verboten, lediglich stationäre Kundgebungen mit Kranzniederlegung vor Lukovs ehemaligem Wohnhaus waren erlaubt. Auf YouTube leicht zu findende Videos legen die Vermutung nahe, dass dennoch Märsche abgehalten wurden. 2020 war der verbotene Aufmarsch vor allem deshalb in der deutschen Presse, weil einer Gruppe aus dem Umfeld der Kleinstpartei Die Rechte von deutschen Behörden die Ausreise verweigert worden war. Doch auch diese Ausreiseverbote hatten letztlich keinen Bestand.
Gesellschaftlich umkämpft
Die „Lukov-Märsche“ sind in Bulgarien immer wieder Gegenstand gesellschaftlicher und politischer Diskussionen. Entsprechend umkämpft ist der Platz der SBNL und Lukovs in der Geschichte. Der ausgeprägte Antikommunismus der SBNL ist heute für viele ein Anknüpfungspunkt. Andere schließen aus der Tatsache, dass Lukov von Kommunist_innen ermordet und die SBNL von den Sowjets verboten wurde, dass die antikommunistische Ausrichtung der SBNL somit im Nachhinein gerechtfertigt sei.
Wie widersprüchlich die öffentliche Wahrnehmung ist, zeigt sich in der Person der jüdischen Antifaschistin und Kommunistin Violeta Jakova, die nicht nur am Anschlag auf Lukov, sondern auch an der Ermordung deutscher Faschisten und bulgarischer Monarchisten beteiligt war: Sie wird irgendwo zwischen Partisanin und Terroristin verortet. Auch der Mythos einer jüdischen Verschwörung, der Lukov zum Opfer gefallen sei, hält sich in der bulgarischen extremen Rechten. Unter denjenigen, die den faschistischen Charakter der SBLN anerkennen, ihren Antisemitismus und ihre Annäherung an Nazideutschland, finden sich ebenso solche, die die NS-Nähe kritisieren, wie auch solche, die sie offen gutheißen. Anzuerkennen, dass Lukov mit den Nazis kollaboriert haben könnte, hieße auch anzuerkennen, dass es einen historischen Faschismus in Bulgarien gab. Dazu sind nicht alle bereit.
Die Organisatoren der Märsche argumentieren oder vielmehr behaupten, sie bezögen sich auf Lukov als Held des Ersten Weltkrieges und mitnichten auf seine antisemitischen Äußerungen während des Zweiten Weltkriegs. Mit dem jährlichen Marsch erwiesen sie „einem großen Patrioten“ die Ehre. Schließlich habe Lukov zu Ende des Ersten Weltkriegs praktisch alleine die Einnahme der westbulgarischen Grenzstadt Kjustendil durch die serbische Armee verhindert. Als Kriegsminister von 1935 bis 1938 habe Lukov außerdem die im Friedensvertrag von Neuilly vorgesehenen Einschränkungen für die bulgarische Armee weitgehend rückgängig gemacht. Das zeigt: Wenn die BNS inzwischen bestreitet, sich mit der SBNL zu identifizieren, so kann dies allenfalls als taktische Distanzierung gewertet werden.
Verbotsverfahren gegen die BNS
Anfang 2020 hat die Staatsanwaltschaft Sofia ein Verbot der BNS wegen verfassungswidriger Veranstaltungen und wegen Hassreden gefordert. Der mehr als ein Jahr dauernde Gerichtsprozess um ein Verbot der BNS mit entsprechenden Ermittlungen zeigte, dass sowohl der Vereinsvorstand als auch Aktivist_innen in zahlreichen öffentlichen Reden zu Gewalt aufgrund religiöser, ethnischer oder sexueller Zugehörigkeit aufgestachelt hatten und sich antisemitischer Propaganda bedienten. Es wurde auch festgestellt, dass der Verein eine eigene paramilitärische Struktur aufgebaut hatte, über illegale Schusswaffen und Munition verfügte. Zusätzlich bestand der Vereinsvorstand rechtswidrig nur aus zwei statt aus mindestens drei Personen. Aufgabe der Staatsanwaltschaft war es zu beweisen, dass Lukov eine pronazistische Organisation leitete und dass es eine direkte Anknüpfung der BNS an die historische Bewegung unter Lukov gab. Aus der faschistischen Verfasstheit der SBNL und der Fortführung durch die BNS hätte sich dann deren Verfassungsfeindlichkeit ergeben.
Das Stadtgericht Sofia lehnte den Verbotsantrag im Februar dieses Jahres ab. Der Sachverständige hatte Lukov als historische Persönlichkeit eingeordnet, zu deren Wirken es aus wissenschaftlicher Sicht keine hinreichend eindeutigen Daten gebe; vielmehr handele es sich um eine umstrittene und mythologisierte Figur. Da es zusätzlich während der Märsche nicht zu illegalen Aktivitäten gekommen und die öffentliche Ordnung nicht gefährdet sei, gebe die Verfassung keine Veranlassung für ein Verbot. Die Richterin Veneta Cvetkova schloss sich, obwohl es auch anderslautende Gutachten gegeben hatte, dieser Auffassung an und führte in ihrem Urteil explizit drei Gründe gegen das Verbot an: Neben dem Ausbleiben von rechtswidrigen Handlungen während der Aufmärsche und der fehlenden eindeutigen Erkenntnisse darüber, ob Lukov tatsächlich als Faschist, Antisemit und Nazikollaborateur anzusehen sei, stufte sie Äußerungen auf der BNS-Website gegen LGBT* und gegen Migrant_innen als persönliche Meinungen ein, die nicht zwingend die Ausrichtung der Organisation widerspiegelten.
Zwar kündigte die Staatsanwaltschaft an, in Berufung zu gehen; Rechtsexpert_innen fürchten jedoch, dass die zweite Instanz praktisch keine Möglichkeit für eine andere Entscheidung haben werde. In den kommenden Jahren könnte es daher keine Grundlage mehr geben, die „Lukov-Märsche“ zu verbieten.