Hetze in Kutten

Die hessische Gruppe E.S.L.R. und die „Gruppe Somogyi“

Am 14. Februar 2020, dem Tag der Hausdurchsuchungen und Festnahmen im Zuge der Ermittlungen gegen die rechtsterroristische „Gruppe Somogyi“ stand die Polizei auch vor vier hessischen Haustüren. Gefunden wurden Schusswaffen, Munition, Messer, Schwerter, Totschläger, NS-Devotionalien, Aufkleber und Betäubungsmittel. Doch wer und was ist „Ehre Stolz Loyal Respekt“ (E.S.L.R.), eine Gruppe, die seit mindestens April 2019 im Raum Gießen existiert — und bereits Gewalttaten gegen Geflüchtete und Schwarze Menschen plante und offenbar auch bereit war, Schusswaffen einsetzen?

Am 14. Februar 2020, dem Tag der Hausdurchsuchungen und Festnahmen im Zuge der Ermittlungen gegen die rechtsterroristische „Gruppe Somogyi“ stand die Polizei auch vor vier hessischen Haustüren. Gefunden wurden Schusswaffen, Munition, Messer, Schwerter, Totschläger, NS-Devotionalien, Aufkleber und Betäubungsmittel. Doch wer und was ist „Ehre Stolz Loyal Respekt“ (E.S.L.R.), eine Gruppe, die seit mindestens April 2019 im Raum Gießen existiert — und bereits Gewalttaten gegen Geflüchtete und Schwarze Menschen plante und offenbar auch bereit war, Schusswaffen einsetzen?

Die Parallelen zur „Gruppe Somogyi“ sind offenkundig, und auch personelle Bezüge existieren: Der E.S.L.R.-Anführer Jonny Lack war mit dem Anführer der „Gruppe Somogyi“, Werner Somogyi, gut bekannt und bis Anfang Februar 2020 ebenso wie die Angeklagten im „Gruppe Somogyi“-Prozess Teil der Chat-Gruppe „Heimat“

Von „Bürgerwehren“ und „Bruderschaften“

Bundesweit organisierte sich spätestens ab 2015 ein neues rechtes Milieu: Aus den rassistischen Straßenmobilisierungen der PEGIDA-Bewegung und Protesten vor Geflüchtetenunterkünften bildeten und radikalisierten sich Gruppen, die sich als „Bürgerwehren“ verstanden und entsprechend auftraten. Schnell waren martialische Namen wie Vikings Security Germania, Wodans Erben Germanien, Bruderschaft Deutschland oder Freikorps Heimatschutz gefunden, gemeinsam führte man Patrouillengänge, sogenannte „Streifgänge“, durch. Oft blieb es zwar beim martialischen Posing für Gruppenfotos, die dann in den Sozialen Medien Verbreitung fanden, doch Teile des Milieus radikalisierten sich. Eben dieses Milieu bildete auch den Nährboden für die rechtsterroristische Bestrebungen der „Gruppe Somogyi“

Zunächst bot die Gruppierung Soldiers of Odin (SoO) den Rahmen, aus dem heraus bundesweit zahlreiche „Streifgänge“ organisiert wurden. Aufgrund inhaltlicher Differenzen spalteten sich Teile der SoO ab und gründeten neue Gruppen. Insgesamt ist aktuell von einer Handvoll ähnlich agierender Gruppen mit unterschiedlichen regionalen Schwerpunkten auszugehen, die sich teils überregional vernetzen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie sich ästhetisch und organisatorisch an Motorrad-Clubs orientieren: Ein einheitliches Erscheinungsbild aus bestickten Kutten oder ersatzweise bedruckten Kapuzenpullovern sorgt für das nötige Gruppengefühl, martialische Symbolik wie Totenköpfe, Fäuste, Äxte oder germanische Gottheiten sollen Wehrhaftigkeit vermitteln. Funktionäre*innen der Gruppen tragen Bezeichnungen wie „Leader“, „Vice Leader“, „Sergeant at Arms“ oder „Secretary“, wobei nur die letztgenannte Position häufiger von einer Frau besetzt wird. Nicht selten sind auch rechte Paare in den (regionalen) Führungsriegen zu finden.

In Kandel und Berlin

Die Gruppe Ehre Stolz Loyal Respekt (E.S.L.R.) tritt spätestens seit Sommer 2019 auf Demonstrationen auf. Am 8. Juni 2019 war sie in Herxheim (Landkreis Südliche Weinstraße in Rheinland-Pfalz) bei einer Demonstration des Frauenbündnisses Kandel aufgefallen, und auch bei dessen Demonstration am 2. November 2019 in Landau zeigte sie Präsenz. Neben ihrem Anführer Jonny Lack waren in dieser Zeit ein knappes Dutzend weiterer Personen in E.S.L.R.-Kleidung unterwegs, etwa Jessica B. aus dem Vogelsbergkreis oder Michael O. aus Gladenbach (Kreis Marburg-Biedenkopf).

Dabei ist es kein Wunder, dass ausgerechnet rassistische Straßenproteste zum Anziehungspunkt der mittelhessischen Clique wurden. Die Aktionen des Frauenbündnisses Kandel fanden damals überregional in der rechten Szene Beachtung, und kurzzeitig schien es sogar zu gelingen, unterschiedliche rechte Spektren auf der Straße zu vereinen. Ganze sieben Mal will Lack an Demonstrationen in Kandel teilgenommen haben. Die dort praktizierte Verquickung von Rassismus und Sexismus scheint für E.S.L.R. besondere Anziehungskraft zu entfalten: Männer wie Lack können sich hier als Garanten für die Sicherheit der „deutschen Frau“ vor angeblich gewalttätigen Migranten inszenieren, die vier Frauen der Gruppe können ihren Rassismus unter dem Deckmantel von „Frauenrechten“ ausleben.

Auch zu Mönchengladbach steht auf , PEGIDA NRW und zur Gruppe Seligenstadt ist bunt genug, die im Sommer 2019 gegen zivilgesellschaftliche Initiativen mobil machte, die die Aufnahme von Geflüchteten in Seligenstadt forderten, steht die Lack-Gruppe in Kontakt. Eine besondere Gelegenheit zur Vernetzung von „Bruderschaften“ und „Bürgerwehren“ bot eine Demonstration der Gruppierung Wir für Deutschland unter dem Motto „Tag der Nation“, die am 3. Oktober 2019 in Berlin durchgeführt wurde und an der auch E.S.L.R. teilnahm. Inmitten der Demogruppe bewegte sich — bekleidet mit einem E.S.L.R.-Kapuzenpullover — Paul-Ludwig U., aktuell Angeklagter im „Gruppe Somogyi“-Prozess, Ende 2019/Anfang 2020 Mitgliedschaftsanwärter der Bruderschaft Deutschland — Sektion Süd und zum Zeitpunkt der Berliner Demo bereits freiwilliger Informant der Polizei.

Aus Hessen nach Berlin

Am Vortag, dem 2. Oktober 2019, hatte der damals in der Nähe von Heilbronn wohnhafte U. den Zug nach Gießen genommen, um Lack zu besuchen. Nur wenige Tage zuvor hatte an der „Hummelgautsche“ im baden-württembergischen Alfdorf (Nähe Stuttgart) jenes Treffen stattgefunden, das den Ermittlungsbehörden als Gründungstreffen der „Gruppe Somogyi“ gilt — und an dem U. teilgenommen hatte. Im Heidelberger Hauptbahnhof wurde U. von der Bundespolizei kontrolliert, hierbei wurde seine schussbereite CO2-Waffe beschlagnahmt, die er mit sich führte, obwohl er hierfür nicht die erforderliche Erlaubnis besaß. Nach der Beschlagnahmung der Waffe durfte er die Reise fortsetzen. In Gießen wurde er auf Veranlassung von Lack am Bahnhof abgeholt und verbrachte dann in Lacks Privatwohnung in Hungen-Bellersheim einen netten Whisky-Abend, inklusive Übernachtung. Gemeinsam ging es dann am nächsten Vormittag zur Demo nach Berlin.

Auf dem Vorplatz des Berliner Hauptbahnhofs, wo der Auftakt der extrem rechten Demo stattfand, wurden Lack und U. dann von Werner Somogyi und Tony Ebel empfangen — beide im „Gruppe Somogyi“-Prozess der Rädelsführerschaft angeklagt. Man kannte einander, zumindest über Facebook-Freundschaften und einschlägige Telegram-Gruppen. Neben Werner Somogyi, Tony Ebel und Paul-Ludwig U. demonstrierten noch mindestens fünf weitere der insgesamt zwölf im Gruppe S-Prozess Angeklagten mit, außerdem weitere Personen, die an Treffen der „Gruppe Somogyi“ teilnahmen oder zu diesen zumindest eingeladen waren. Wie U. später in seiner Aussage bei der Polizei glaubhaft bekunden sollte, stand für die „Gruppe Somogyi“ bei dieser Demo mehr der Vernetzungs- und Kennenlerncharakter im Vordergrund — und weniger das politische Anliegen des Aufmarsches.

„Wir für Deutschland“

Angereist waren bürgerwehrartig organisierte Gruppen aus ganz Deutschland, ausweislich der Beschriftungen auf ihren Kleidungsstücken Member der Bruderschaft Deutschland, Soldiers of Odin, Wodans Erben Germanien und Division Odin. Auch Aktivisten der Vikings Security Germania waren vor Ort, traten aber nicht als VSG, sondern als Einzelpersonen auf. Vertreten waren zudem unter anderen Mönchengladbach steht auf, Pro Chemnitz, Frauenbündnis Kandel und Junge Nationalisten (JN). Auch unabhängige rechte YouTuber*innen wie Henryk Stöckl oder Lisa Licentia und die Frankfurter PEGIDA-Organisatorin Heidi Mund waren zugegen. „Sie brachten uns den Terror!“, lautete die Botschaft auf dem Fronttransparent der Demonstration, konkretisiert durch die Symbole von CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke, DGB, ver.di und Antifa. Mit „Terror“ sind hier zuvorderst Straftaten durch Geflüchtete gemeint. Zugleich wurde aber auch die Mär vom angeblichen Bevölkerungsaustausch befeuert.

Die E.S.L.R.-Mitglieder zeigten sich in den bereits genannten Kapuzenpullovern, vier von ihnen trugen Lederwesten, auf denen in Frakturschrift „E.S.L.R.“ steht. Auf die Ärmel der Kapuzenpullover ist das Motto „Ehre Stolz Loyal Respekt“ sowie „Germanien“ gedruckt, auf der Kapuze sind zwei gekreuzte Streitäxte zu sehen. Auf der Brust findet sich das Logo: ein stilisierter Totenkopf, der an die Comicfigur „The Punisher“ aus dem Marvel-Universum erinnert, darunter gekreuzte Streitäxte.

Im „Heimat“-Chat

Jonny Lack war seit spätestens Ende des Jahres 2019 Teil von Somogyis Chatgruppe „Heimat“. Hier sammelte sich die selbsternannte Elite mehrerer „Bürgerwehren“ und „Bruderschaften“, von

Bruderschaft Deutschland über Vikings

Security Germania bis zu Freikorps Heimatschutz und Wodans Erben Germanien. Es handelte sich um jenen Chat, in dem Somogyi versucht haben soll, entschlossene und gewaltbereite „Kämpfer“ zu sammeln. Aus diesem Kreis rekrutierte Somogyi auch die Teilnehmer des Treffens in Minden am 8. Februar 2020, bei dem er seine Anschlagspläne auf Moscheen vorgestellt und Geldzusagen für die nötigen Waffen gesammelt haben soll.

Lack war in dieser Chat-Gruppe kein Unbekannter: Er war zuvor bereits in der „Division Hessen“ der Soldiers of Odin aktiv gewesen, viele aus der Chat-Gruppe kannten ihn bereits von Treffen oder Demonstrationen wie jener in Berlin. In der Chat-Gruppe wurden rassistische Hetze und Fake-News verbreitet, man stachelte sich gegenseitig an. Einige träumen von einem „zweiten Chemnitz“, während Werner Somogyi stets betonte, die Zeit der Demonstrationen sei vorbei. Lack scheint nur wenige Wochen Mitglied der Chatgruppe„Heimat“ gewesen zu sein. Möglicherweise erschien ihm die Sache zu heikel und er zog sich zurück. An dem Treffen am 8. Februar 2020 nahm er nicht teil. Sämtliche Teilnehmer dieses Treffens außer U. wurden sechs Tage später festgenommen.

Den Absprung geschafft?

Aus der Telegram-Gruppe „Heimat“ hatte sich Jonny Lack also rechtzeitig zurückgezogen, auch die Gruppe „The Last Man Standing“, die er selbst administrierte, wurde aufgelöst. Auf den Treffen der „Gruppe Somogyi“ tauchte keines der E.S.L.R.-Member auf, wenngleich einige sicherlich willkommen gewesen wären. Inaktiv geworden ist die E.S.L.R. darum aber nicht: Als die AfD am 26. September 2020 eine Kundgebung in Wittenberg durchführte, die in rassistischer Weise den Totschlag eines jungen Syrers an einem 30-jährigen Deutschen instrumentalisierte, waren auch Jonny Lack und Jessica B. aus Hessen vor Ort.

Lacks Verstrickung in den „Heimat“-Chat zeigt damit deutliche Parallelen zum Fall der drei Norddeutschen Ralph E., Thomas G. und Thorsten K.: Mindestens zwei von ihnen waren am 3. Oktober 2019 in Berlin und trafen dort auf Somogyi und die anderen. Auch sie waren in die Chat-Gruppen involviert. Nur weil die drei dem Planungstreffen in Minden am 8. Februar 2020 ferngeblieben waren, sitzen sie aktuell nicht mit dem Vorwurf der Mitgliedschaft in oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung auf der Anklagebank (vgl. https://exif-recherche.rg/?p=7045)).

Netzwerk „Gruppe Somogyi“

Und sie sind nicht die einzigen, die verschont blieben, auch das Führungstrio der Bruderschaft Deutschland wäre auf dem Mindener Treffen sehr willkommen gewesen, war aber verhindert und schickte stattdessen Paul-Ludwig U. als Delegierten. Die Frage nach Mitglied oder Nichtmitglied der „Gruppe Somogyi“ verstellt hier also den Blick auf das gewaltbereite Netzwerk mit zahlreichen, unterschiedlich stark involvierten Aktiven und Unterstützer*innen.

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