Huldigung des Faschismus
Gedenkveranstaltungen und Aufmärsche zu Ehren von NS-Kollaborateuren in Ost- und Südosteuropa
Gedenkveranstaltungen und Aufmärsche zur Erinnerung an NS-Kollaborateur_innen sind mit ihren Opfermythen wichtige Kristallisationspunkte für die extreme Rechte in ganz Europa geworden. Zahlreiche Kollaborateur_innen überwinterten im Kalten Krieg in der Bundesrepublik; manche beteiligten sich ab 1990 am Wiederaufbau der extremen Rechten in ihren Herkunftsländern.
Lediglich kleinere Gruppen, darunter der kroatische Botschafter in Österreich, Daniel Glunčić, legten am 15. Mai 2021 Kränze und Kerzen am Loibacher Feld/Libuško polje im österreichischen Bleiburg/Pliberk nieder: Sie gedachten der zahlreichen NS-Kollaborateur_innen von der kroatischen Ustaša, die im Mai 1945 wegen ihrer Massenverbrechen an Serb_innen, Jüdinnen_Juden und Rom_nja standrechtlich exekutiert worden waren. Wie schon im Jahr 2020 hatte die Corona-Pandemie die Gedenkveranstaltung dramatisch schrumpfen lassen. In den Jahren zuvor hatten konstant mehr als 10.000 Menschen an ihr teilgenommen — etablierte Politiker_innen und staatliche Funktionsträger_innen aus Kroatien, vor allem aber Aktivist_innen der extremen Rechten aus Kroatien und auch aus anderen Ländern, die das Ustaša-Gedenken zusammenführte. Die Gedenkfeier in Bleiburg/Pliberk war damit stets eine der größten extrem rechten Veranstaltungen in ganz Europa: Die Erinnerung an die Kollaborateur_innen, die das NS-Reich bei seinen Massenverbrechen loyal unterstützten, schweißt ihre geistigen Nachahmer_innen bis heute zusammen.
NS-Kollaboration…
Das NS-Regime war beim Versuch, seine Herrschaft über Europa durchzusetzen und zu festigen, stets auf Kollaborateur_innen angewiesen. Als die Wehrmacht am 22. Juni 1941 mit mehr als drei Millionen Soldaten die Sowjetunion überfiel, wurde sie im Norden von finnischen, im Süden von rumänischen Truppen unterstützt; insgesamt halfen ihr rund 600.000 nichtdeutsche Militärs. Hinzu kamen kleine Verbände ukrainischer Faschisten, die im ukrainischen Teil der Sowjetunion an der Seite der Wehrmacht operierten; sie beteiligten sich zum Beispiel an dem Massenmord an rund 4.000 Jüdinnen_Juden, der am 30. Juni 1941 in Lwiw (Lemberg) begann. Im Lauf des Krieges zog das NS-Reich immer mehr Truppen kollaborierender Staaten und immer mehr Waffen-SS-Freiwillige aus weiten Teilen Europas zur militärischen Unterstützung heran. Insgesamt kämpften bis 1945 mehrere Millionen Kollaborateur_innen an der Seite der Wehrmacht für die Kriegsziele Berlins.
Auch beim Aufbau einer neuen, faschistischen Staatenordnung in Europa besaßen Kollaborateur_innen eine bedeutende Funktion. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg hatten Länder wie Italien und Ungarn, die ihrerseits seit den frühen 1920er Jahren von faschistischen Kräften beherrscht wurden, eng mit Nazideutschland zusammengearbeitet. Im Krieg setzte Berlin in militärisch besiegten Staaten zuweilen Kollaborateur_innen als loyale Regent_innen ein, beispielsweise das Vichy-Regime in Frankreich oder das Quisling-Regime in Norwegen. Auch bei der Zerschlagung ost- und südosteuropäischer Staaten durch NS-Deutschland kamen NS-Kollaborateur_innen an die Macht, etwa Andrej Hlinkas Slowakische Volkspartei unter Jozef Tiso in der Slowakei, die sich bereits im März 1939 aus der Tschechoslowakei löste, sowie die kroatische Ustaša, die im April 1941 ihren Unabhängigen Staat Kroatien aus den Trümmern des zerschlagenen Jugoslawien formte. Den ukrainischen Faschist_innen von der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) unter Stepan Bandera verweigerte Berlin nach dem gemeinsamen Überfall auf die Sowjetunion einen eigenen Staat, was zu Streit führte; manche ukrainische Faschist_innen geben sich daher noch heute zynischerweise als Nazigegner aus.
… im Exil
Gegen Ende des Krieges flohen zahlreiche ost- und südosteuropäische NS-Kollaborateur_innen, die bis dahin in der einen oder anderen Form einen Beitrag zum Aufbau eines faschistischen Europas geleistet hatten, an der Seite der sich zurückziehenden deutschen Einheiten in Richtung Westen — nicht ohne Grund: Sie hatten sich nach Kräften an den deutschen Menschheitsverbrechen, an der Shoah und am Vernichtungskrieg beteiligt und mussten daher nach ihrer Niederlage mit harter Bestrafung rechnen. Einige flohen über die „Rattenlinie“, an deren Aufbau die kroatische Ustaša einen wichtigen Anteil hatte, nach Südamerika; viele andere landeten in Deutschland. In der Bundesrepublik fanden sie letztlich Zuflucht und, überraschend, ein neues politisches Betätigungsfeld.
Das ermöglichte der Kalte Krieg. Die alten NS-Kollaborateur_innen hatten zahlreiche Gemeinsamkeiten: Sie waren Faschist_innen oder dem Faschismus gegenüber zumindest sehr offen; sie waren in aller Regel glühende Antisemit_innen; und sie waren durchweg knallharte Antikommunist_innen. Letzteres machte sie zu Verbündeten des Westens im Kampf gegen die sozialistischen Staaten Ost- und Südosteuropas, und als solche waren sie in der Bundesrepublik — übrigens auch in den USA und in Kanada — sehr willkommen. Über ihre Weltkriegsverbrechen sah man daher im Westen wie bei so manchem deutschen Nazi großzügig hinweg, umso mehr, als sie begannen, politische Exilorganisationen zu gründen mit dem Ziel, die sozialistischen Regierungen in ihren Herkunftsländern zu stürzen. Ein Beispiel: OUN-Führer Bandera konnte nach Kriegsende in München gemeinsam mit seinem alten OUN-Kameraden Jaroslaw Stezko eine OUN im Exil aufbauen. Stezko hatte 1941 ausdrücklich erklärt, „dass die Juden vernichtet werden müssen und dass es zweckmäßig ist, in der Ukraine die deutschen Methoden der Judenvernichtung einzuführen“.
Es gibt zahlreiche weitere Beispiele — Branimir Jelić etwa. Jelić arbeitete bereits in den 1920er Jahren sehr eng mit dem späteren Ustaša-Führer Ante Pavelić zusammen; er war einer der führenden Köpfe der kroatischen Faschist_innen und hatte sich nach 1933 mehrfach in Berlin aufgehalten, um Kontakte zu NS-Stellen zu knüpfen und zu pflegen. 1950 gründete er in München das Kroatische Nationalkomitee (Hrvatski Narodni Odbor), eine bundesdeutsche Exilorganisation, der zeitweise eine fünfstellige Zahl rechter Exilkroat_innen angehörte. In München wurde auch die Zeitschrift Hrvatska Država (Der kroatische Staat) gedruckt, an deren Produktion sich der vormalige Ustaša-Innenminister Mate Frković beteiligte. Bandera und Stezko wiederum bauten in München zusätzlich zur Exil-OUN den Antibolschewistischen Block der Nationen (ABN) auf, ein Bündnis aus rund eineinhalb Dutzend nationalen Verbänden im bundesdeutschen Exil ansässiger NS-Kollaborateur_innen. Der ABN hatte beste Beziehungen. 1983 druckte ein ABN-Blatt ein Foto auf die Titelseite, das OUN-Chef Stezko händeschüttelnd mit US-Präsident Ronald Reagan zeigt. Darüber das Reagan-Zitat: „Ihr Kampf ist unser Kampf. Ihr Traum ist unser Traum.“
Die Rückkehr der Kollaborateur_innen
Als die sozialistischen Systeme ab 1989 in Ost- und Südosteuropa kollabierten, nutzten manche der noch lebenden NS-Kollaborateur_innen und einige ihrer Anhänger_innen die Chance, in ihre Herkunftsländer zurückzukehren und ihre politischen Exilorganisationen am Ursprungsort wieder zu verankern. Exemplarisch hat dies Jaroslawa Stezko getan, seit den späten 1930er Jahren OUN-Kameradin ihres späteren Ehemannes Jaroslaw, mit dem sie in München die Strukturen der Exil-OUN aufbaute und leitete und dem sie nach seinem Tod im Jahr 1986 als Chefin des ABN nachfolgte. Als sich die Ukraine Ende 1991 aus der Sowjetunion löste, ging sie in das Land zurück, das sie gegen Ende des Zweiten Weltkriegs gemeinsam mit den deutschen Besatzer_innen verlassen hatte, und beteiligte sich dort am Aufbau des Kongresses Ukrainischer Nationalisten (KUN), einer — bruchlos über Stezkos Exil-OUN vermittelten — Nachfolgeorganisation der alten Bandera-OUN. Jaroslawa Stezko wurde 1994 für den KUN ins ukrainische Parlament gewählt — als die große alte Dame der wiedererstehenden ukrainischen extremen Rechten.
Mit den politischen Strukturen der alten NS-Kollaborateur_innen kehrten auch ihre Gedenkveranstaltungen in ihre Herkunftsländer zurück. Im westeuropäischen Exil ansässige Kollaborateur_innen der kroatischen Ustaša etwa hatten bereits in den 1950er Jahren begonnen, jährliche Gedenkveranstaltungen für ihre Kollaborationskamerad_innen im österreichischen Bleiburg/Pliberk durchzuführen. Diese Gedenkveranstaltung gewann rasant an Popularität, als zu Beginn der 1990er Jahre in den jugoslawischen Zerfallskriegen die extreme Rechte in Kroatien erstarkte, im Krieg gegen Serbien unterstützt nicht zuletzt von den alten Ustaša-Strukturen in der Bundesrepublik, während der neue kroatische Präsident Franjo Tudjman die Ustaša im neuen Kroatien wieder hoffähig machte. Heute wird das Bleiburg-Gedenken nicht nur von der extremen Rechten, sondern auch von starken Kräften in den konservativen Eliten Kroatiens und vor allem von der katholischen Kirche unterstützt.
Opfermythen…
Zentrales Element der geschichtsrevisionistischen Gedenkveranstaltungen der extremen Rechten ist — so auch beim Ustaša-Gedenken in Bleiburg — die Selbstinszenierung als Opfer. Damit verbunden ist die Relativierung des NS-Massenmordes, der deutschen Kriegsschuld und der deutschen Kriegsverbrechen sowie der Verantwortung der NS-Kollaborateur_innen: Wer selbst „Opfer“ ist, kann — so lautet die Logik — doch kein_e Täter_in sein. Die Umkehr von Täter_innen zu Opfern ist im Kern dieselbe wie diejenige, die sich in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte beobachten lässt. So waren die 1950er Jahre im überwiegenden Teil der deutschen Gesellschaft geprägt von Schuldabwehr und Verdrängung. Im Fokus standen „deutsche Opfer“ des Zweiten Weltkriegs; die hegemonialen Opfermythen kreisten um die Luftkriegführung der Alliierten, um Flucht und Vertreibung und um das Schicksal der deutschen Kriegsgefangenen; die Shoah wurde verschwiegen. Daran konnte die extreme Rechte bruchlos anknüpfen; als „Opfer“ inszenierte sie sich nicht nur ideologisch, sondern auch praktisch — etwa in der 1951 gegründeten Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS (HIAG).
… im Demonstrationskalender
Ab Mitte der 1990er Jahre entwickelten sich geschichtsrevisionistische und NS-verherrlichende Aufmärsche zu zentralen Terminen im extrem rechten Demonstrationskalender. Mehr als 5.000 extrem Rechte beteiligten sich beispielsweise am 1. März 1997 in München an dem Aufmarsch gegen die Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ des Hamburger Instituts für Sozialforschung, der von NPD und JN organisiert wurde. Auch die zweite, überarbeitete Version der Ausstellung, die von 2001 bis 2004 in zehn deutschen Städten sowie in Luxemburg und in Wien zu sehen war, wurde regelmäßig von Naziaufmärschen begleitet. Besondere Bedeutung in der extremen Rechten erlangten daneben vor allem die jährlich stattfindenden Aufmärsche und Aktionen zu Ehren des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß und die Gedenkveranstaltungen auf dem Soldatenfriedhof im brandenburgischen Halbe. Mit etwa 6.500 Teilnehmer_innen 2005 war die seit 2000 jährlich durchgeführte Demonstration anlässlich der alliierten Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg der bis dahin größte Neonazi-Aufmarsch Europas. Mitte der 2000er Jahre kamen mit dem jährlichen Trauermarsch im niedersächsischen Bad Nenndorf (vgl. LOTTA #44, S. 33) und den Märschen zum Gedenken an die Rheinwiesenlager im rheinland-pfälzischen Remagen (vgl. LOTTA #41, S. 32 f., und #54, S. 34 f.) weitere derartige Events hinzu.
Breite und entschlossene antifaschistische Proteste, etwa die Gegendemonstration der Kampagne NS-Verherrlichung stoppen 2005 in Wunsiedel, an der sich rund 2.000 Antifaschist_innen beteiligten, oder die Massenblockaden der Naziaufmärsche in Dresden 2011 und 2012 trugen dazu bei, dass eine ganze Reihe geschichtsrevisionistischer Naziaufmärsche mittlerweile der Vergangenheit angehören oder sich — im Vergleich zu ihrer Bedeutung in den 2000er Jahren — zu verhältnismäßig kleinen regionalen Aufmärschen entwickelt haben. Dennoch spielen Geschichtsrevisionismus und NS-Verherrlichung weiterhin eine zentrale Rolle in der extremen Rechten auch in Deutschland.
„Unvergesslich“
Geschichtsrevisionismus und die Verherrlichung des Nationalsozialismus bzw. anderer faschistischer Regime in Europa verbindet die extreme Rechte über Grenzen hinweg. Zeitweise beteiligten sich Faschist_innen aus diversen europäischen Ländern an entsprechenden Aufmärschen der extremen Rechten in Deutschland, etwa an den Heß-Märschen in Wunsiedel oder an den Demonstrationen anlässlich der Bombardierung Dresdens. Umgekehrt nehmen deutsche Nazis regelmäßig an Erinnerungsveranstaltungen im europäischen Ausland teil. In der JN-Zeitschrift Der Aktivist aus dem Jahr 2014, die mit dem Schwerpunktthema „Europa der Vaterländer“ erschien, wurden unter der Überschrift „Veranstaltungen in der Ferne“ neben dem Franco-Gedenken in Spanien, dem „Mussolini-Gedenken in Predappio“ (Italien) und der „Ulrichsbergfeier“ im österreichischen Kärnten auch der „Tag der Ehre“ im ungarischen Budapest (vgl. S. 16) und der „Lukov-Marsch“ in der bulgarischen Hauptstadt Sofia (vgl. S. 13 ff.) vorgestellt. Die Aufmärsche in Budapest und in Sofia haben sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einem besonderen Anziehungspunkt für deutsche Neonazis entwickelt — nicht zuletzt, weil im europäischen Ausland Symbole mit NS-Bezug, die in Deutschland strafrechtliche Relevanz besitzen, nicht selten offen gezeigt werden können und sich Raum für faschistische Masseninszenierungen bietet, wie sie innerhalb Deutschlands für die extreme Rechte kaum erlebbar sind.
„Land für Land, Block für Block formierte sich der Zug“, schwärmte etwa die Autorin Frida Dentiak 2017 in „N.S. Heute“ von ihrer Reise nach Sofia, wo sie am „Lukov-Marsch“ teilgenommen hatte. Bei dem Pseudonym dürfte es sich um die langjährige Neonazi-Aktivistin Melanie Dittmer handeln: „Viele kamen in Original-Uniformen des Zweiten Weltkrieges zu diesem Gedenkmarsch. […] Bengalos wurden gezündet, Fackeln wurden getragen. Die Kette der Aktivisten schien schier unendlich. Die Bilder, die man hier sah, waren wirklich sehr schön und unvergesslich“, führt sie begeistert weiter aus. Auch in anderen Publikationen der extremen Rechten finden sich begeisterte Berichte von Reisen zu den revisionistischen Aufmärschen in Sofia und in Budapest. Regelmäßig berichtet etwa das von dem Bremer Nazi-Kader Henrik Ostendorf herausgegebene Magazin Ein Fähnlein über den jährlichen „Ausbruchmarsch in Budapest“ und über das Waffen-SS-Gedenken in Riga (vgl. S. 20 f.). Dort hatte bereits in den 1990er Jahren die HIAG an Gedenkveranstaltungen teilgenommen; in ihrer Zeitschrift Der Freiwillige hieß es im Oktober 1999 hochzufrieden, das lettische Heer habe „zu Ehren der toten lettischen Soldaten“ — gemeint war die lettische Waffen-SS — „Ehrensalut“ geschossen“: „Wenn dann die Gedanken nach Deutschland wechseln und man an die Gedenkfeiern denkt, fühlt man sich in Lettland wohler!“
Die geschichtsrevisionistischen Aufmärsche in Ost- und Südosteuropa sind Ort der internationalen Vernetzung des militanten Neonazismus. Sie dienen der extremen Rechten auf dem gesamten Kontinent als Bezugspunkte gemeinsamer nationalistischer Opfermythen. Die faschistischen Traditionen der NS-Kollaborateur_innen aus den 1930er und 1940er Jahren verbinden sich mit der Verherrlichung der Waffen-SS und der Ehrung der damaligen faschistischen Internationalen, die als „Verteidiger Europas gegen den Bolschewismus“ gemeinsam in den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion und zum Massenmord an den Jüdinnen und Juden Europas zogen.