„Wer ist offensiv dabei?“
Die rechtsterroristische „Gruppe Somogyi“ vor Gericht
Am 13. April 2021 startete vor dem Oberlandesgericht Stuttgart der Strafprozess gegen zwölf Männer aus sechs Bundesländern, unten ihnen drei aus NRW und einer aus Rheinland-Pfalz. Der Generalbundesanwalt (GBA) wirft elf von ihnen vor, Mitglied der rechtsterroristischen „Gruppe Somogyi“ gewesen zu sein, acht von ihnen darüber hinaus, diese am 28. September 2019 in der Nähe von Stuttgart gegründet zu haben. Der Vorwurf gegen die zwölfte Person lautet, die Vereinigung unterstützt zu haben.
Die Gruppe habe geplant, bewaffnete Anschläge auf Moscheen zu begehen und möglichst viele Muslim*innen zu ermorden, um dadurch einen Bürgerkrieg auszulösen und letztendlich einen Systemumsturz einzuleiten, mit dem Ziel, eine nationalsozialistische Gesellschaftsordnung zu etablieren. Bekanntlich scheiterte der Plan. Die Reise in den NS endete für zwölf der ursprünglich 13 Beschuldigten in U-Haft. Einer der Inhaftierten (Ulf R. aus Porta Westfalica, Kreis Minden-Lübbecke/NRW) entzog sich der Anklage durch Suizid. Nur wenige Angeklagte waren vor ihrer Festnahme öffentlich als extrem Rechte bekannt. Eine Ausnahme bildet beispielsweise Markus K. aus Minden, der in klassischen Kameradschaftsstrukturen unterwegs war und sich zuletzt — ebenso wie andere Beschuldigte — mehr und mehr der „Reichsbürger-Bewegung“ verbunden fühlte. Diverse Beschuldigte — unter anderem der mutmaßliche Initiator und Chef der Gruppe, Werner Somogyi — waren sogar nahezu unbekannt beziehungsweise zuvor nur als eines von tausenden extrem rechten Facebook-Profilen aufgetaucht. Zu Prozessbeginn waren die Angeklagten zwischen 32 und 61 Jahre alt, der Altersdurchschnitt lag bei 47 Jahren. Zehn von ihnen sind den Soldiers of Odin beziehungsweise deren Abspaltungen Vikings Security Germania und Wodans Erben Germanien sowie dem Freikorps Heimatschutz und der Bruderschaft Deutschland zuzurechnen: extrem rechte, teilweise germanentümelnde, sich als „Bürgerwehren“ verstehende Gruppierungen, die das Wohl des „deutschen Volkes“ in die eigenen Hände zu nehmen trachten. In ihrem Umfeld war unter anderen auch die Gruppe E.S.L.R aus dem Gießener Raum anzutreffen (siehe Artikel S. 35 ff.).
Der Verräter
Einer der Beschuldigten, Paul-Ludwig U., wurde nicht inhaftiert und genießt Personenschutz. Ihm ist es auch zu verdanken, dass das LKA BaWü die „Gruppe Somogyi“ am 14. Februar 2020 festsetzte. Seit September 2019 hatte er nahezu täglich die Polizei über die Pläne und Akteure des Netzwerks informiert und Screenshots der Chatkommunikation weitergeleitet. Angeklagt ist er dennoch, da er laut Anklage Teil der terroristischen Gruppe gewesen sei und diese sogar mitgegründet haben soll. Er sei — da sind sich Behörden und U. einig — zu keinem Zeitpunkt im Auftrag einer Polizei- oder eines Geheimdiensts unterwegs gewesen. U. schweigt vor Gericht, stattdessen werden Videos seiner polizeilichen Vernehmungen in die Beweisaufnahme eingebracht, zu denen die Verteidiger*innen dann Erklärungen abgeben dürfen.
Bezüglich der Motive seines Verrats gab U. sinngemäß an, dass er schon früh mitbekommen habe, worauf die Bestrebungen von Somogyi und dessen Umfeld hinauslaufen würden und dass er die geplanten Gewalttaten nicht gutheiße. Er habe sie verhindern wollen und sich deswegen zuerst an den Verfassungsschutz und nach dessen ausbleibender Reaktion an die Polizei gewandt. Um stets über den Stand der Planungen informiert zu sein, habe er weiter mitgemacht, sich szenetypisch verhalten und auch Aufgaben übernommen. Dass U. überhaupt in derartigen Kreisen verkehrte, macht deutlich, dass er sich durchaus der extremen Rechten verbunden fühlt(e), wenngleich er sich als CDU-nah versteht, wie er dem LKA gegenüber beteuerte. Offenbar war er aber auch abseits seiner Mission an einer Mitwirkung in der Bruderschaft Deutschland (BSD) interessiert, bei deren „Sektion Süd“ er Ende 2019, Anfang 2020 als Mitgliedschaftsanwärter anheuerte. Bei der BSD konnte U. wohl auch durch seine 21 Jahre Knasterfahrung wegen Geiselnahmen und anderer Delikte punkten. Außerdem wurde in einem Polizeiverhör mit U. deutlich, dass er ein gefestigtes rassistisches und antisemitisches Weltbild hat und Verschwörungsmythen anhängt. Lediglich die Aktionsform von Anschlägen ging ihm offenbar zu weit.
Dass die Polizei die Anschläge auch ohne das Zutun von U. hätte verhindern können, muss stark bezweifelt werden. Immerhin konnte das LKA BaWü aber durch die Hinweise von U. schon früh umfangreiche Überwachungsmaßnahmen einleiten, so dass die Anklage nicht alleine auf die Aussage des unter Dauerbeschuss durch die Verteidiger*innen seiner Mitangeklagten stehenden U. angewiesen ist, sondern dessen Angaben durch Polizeierkenntnisse gestützt werden. Hinzu kommen Aussagen einiger weiterer Angeklagter. Strategie der Verteidiger*innen von U.s Mitbeschuldigten ist es, U. als Selbstdarsteller, Wichtigtuer, wenn nicht sogar als Anstifter und Agent Provocateur darzustellen. Und mit Verweis auf U.s Vergangenheit gerne auch als „Verrückten“, dem ohnehin kein Wort zu glauben sei. Zudem behaupten die Verteidiger*innen, die Gruppe sei eher ein loser Zusammenschluss „zuwanderungsbesorgter Bürger“ gewesen, die sich darüber beraten wollten, wie sie sich und ihre Familien schützen könnten.
„Gruppenaufbau“ zum Schutz der „Heimat“
Es ist nichts Neues, dass in ungezählten Chats extrem Rechte, Rassist*innen und Antisemit*innen ihren Hass und ihre Vernichtungsfantasien ausleben, die nur selten oder nie auf der Straße sichtbar sind. Auch nicht, dass in derartigen Chats hin und wieder Aufrufe laut werden, endlich „mal was zu machen und aktiv zu werden“. Eben jenes dürften auch die miteinander befreundeten Somogyi aus dem Landkreis Augsburg und Marion G. aus dem Landkreis Nürnberger Land gedacht haben. Marion G. gründete etwa Ende 2018 die Telegram-Chatgruppe „Der harte Kern“, in der sie Personen zusammentrommelte, von denen sie hoffte, dass sie zu mehr als nur Gerede taugen könnten. Die ihr hart und fähig Erscheinenden empfahl sie offenbar Somogyi, von dem sie zu wissen schien oder glaubte, dass dieser dabei war, eine Art Miliz zusammenzustellen.
Somogyi suchte seinerseits über den Chat „Gruppenaufbau“ nach geeigneten Leuten. Nachdem er im Juli 2019 bei einem Treffen des Freikorps Heimatschutz in Thüringen seine spätere rechte Hand Tony Ebel getroffen hatte, schien die Sache Fahrt aufzunehmen. Dem Chat „Gruppenaufbau“ folgte die Chatgruppe „Heimat“, deren Mitglieder nebst einigen weiteren Personen von Somogyi auch zu einem ersten Treffen eingeladen wurden. Dieses fand am 28. September 2019 in Alfdorf im Umland von Stuttgart statt, allerdings waren wohl nur 16 der eingeladenen Personen erschienen, unter ihnen auch Marion G. und Paul-Ludwig U.
Was genau auf diesem semikonspirativen Treffen am Grillplatz „Hummelgautsche“ stattgefunden hat — über das Posen mit Waffen, einer Kennenlernrunde, dem einen oder anderen alkoholbedingten Ausraster sowie wie auch immer inhaltlich gefüllte, von Somogyi und Ebel geführte „Einzelgespräche“ hinaus — ist strittig. Laut U. war nahezu allen Anwesenden klar, dass bei dem Treffen geeignete Personen für Anschläge herausgefiltert werden sollten. Marion G. gehörte offenbar zu ihrem Leidwesen nicht dazu. Frauen seien laut Somogyi in einer solchen Gruppe fehl am Platz, so Paul-Ludwig U.
Scheinbar ist es dem GBA sehr wichtig, das von Somogyi und Ebel organisierte „Hummelgautsche“-Treffen als Gründungsveranstaltung der „Gruppe Somogyi“ festzuschreiben. Die Argumentation der Verteidigung des Angeklagten Michael B. lässt erahnen, wieso. Wenn überhaupt irgendetwas gegründet worden sei, dann habe das am 8. Februar 2020 bei Thomas B. in Minden stattgefunden und keineswegs bereits am 28. September 2019 in Alfdorf, so die Rechtsanwälte Markus Berthold und Dubravko Mandic. Der Hintergrund: Als einziger Angeklagter hatte der seitens des GBA zum engsten Vertrautenkreis von Somogyi und inneren Kern der Gruppe zugerechnete Michael B. zwar an der „Hummelgautsche“, nicht aber am Mindener Treffen teilgenommen.
Die Treffen in Berlin und Minden
Auf das Treffen an der „Hummelgautsche“ folgte die Teilnahme von acht Beschuldigten an der extrem rechten Demonstration am 3. Oktober 2019 in Berlin (siehe hierzu Seite 35 ff.). Spätestens an diesem Tag sollen, so die Anklage, drei weitere Personen zur Gruppe gestoßen sein. Sieben Beschuldigte sowie mindestens vier weitere extrem Rechte aus dem Somogyi-Netzwerk trafen einander offenbar im Anschluss an die Demo auf einem Autobahnrastplatz nördlich von Berlin. Dort soll Somogyi bei Steffen B., neben Markus K. und Stefan K. einer der drei Hinzugestoßenen, sogenannte Slam-Guns bestellt haben, improvisierte Schusswaffen.
Letztendlich zentral für die Anschlagsplanung der „Gruppe Somogyi“ war aber ein Treffen am 8. Februar 2020 in Minden. In der mehrfachen Terminverschiebung des Treffens dürfte der Grund dafür liegen, dass mehrere offenbar fest eingeplante Personen — unter anderem aus der BSD, deren Führungsriege letztendlich den Mitgliedschaftsanwärter U. delegierte — nicht vor Ort waren und mit Ausnahme von Michael B. auch nicht angeklagt wurden. Nahezu unstrittig ist, dass Somogyi auf diesem Treffen seinen Plan vorstellte, Moscheen anzugreifen, und logistische Schritte hierfür einleitete. Strittig bleibt, wer bei den Abfragen „Wer ist offensiv dabei?“ und „Wer gibt wie viel Geld, um für 50.000 Euro Schusswaffen und Handgranaten zu kaufen“ was geantwortet hat. Und wer zugesagt hat, sich um die Beschaffung der Waffen zu kümmern, bei deren Übergabe zu unterstützen oder sonstige die Anschläge vorbereitende Tätigkeiten zu verrichten.
Verfahrensverlauf
Nach 15 Prozesstagen bis Ende Juni stellt sich die Situation wie folgt dar: Nur zwei Angeklagte — der der Unterstützung angeklagte Verwaltungsbeamte im Polizeipräsidium Hamm, Thorsten W., sowie Stefan K. von der Vikings Security Germania aus Sachsen-Anhalt — haben sich bereit erklärt, sich vor Gericht befragen zu lassen. Alle anderen möchten einstweilen keine Aussagen machen. Thorsten W. und Stefan K., die beide nicht am „Hummelgautsche“-Treffen teilgenommen hatten, beteuern, nicht gewusst zu haben, was auf dem Mindener Treffen besprochen werden sollte. Sie hätten auch nichts zugesagt und sich so schnell wie möglich wieder aus dem Staub gemacht. Diese Aussagen widersprechen unter anderem den Angaben von Paul-Ludwig U., der bei beiden von Geldzusagen und bei Stefan K. und dessen Kumpel Steffen B. davon spricht, dass sie zugesagt hätten, Langwaffen, Uzis und Handgranaten zu besorgen.
Einschätzung
Unter dem Strich muss davon ausgegangen werden, dass die „Gruppe Somogyi“ tatsächlich bereit war, einen Anschlag — mit möglicherweise dutzenden oder hunderten Toten — zu begehen, sofern die nötigen Waffen hätten besorgt werden können. Über einige private Schusswaffen verfügten die meisten Mitglieder bereits. An dem Anschlag hätten gewiss nicht alle Beschuldigten aktiv teilgenommen, mindestens die Hälfte wäre aber sehr wahrscheinlich hochmotiviert mit der Waffe in der Hand am Start gewesen. Dass sie sich bei der Vorbereitung und personellen Zusammenfindung eher stümperhaft angestellt hat, ist hierbei kein wirklicher Trost angesichts der Einschätzung, dass wahrscheinlich nur der Verrat von Paul-Ludwig U. zum rechtzeitigen Zugriff geführt hat.