Faschisierung des Subjekts

Emanuel Kapfinger entwickelt eine Theorie der Faschisierung des Subjekts anhand der Auseinandersetzung mit dem Philosophen Martin Heidegger.

Hierbei wird nicht bloß, wie schon oft publiziert, das Wirken des Philosophen in der NS-Zeit kritisch aufgegriffen, sondern der Autor weist Heideggers faschistische Kontaminierung anhand von dessen Ausführungen über die „Freiheit zum Tode“ nach: Die Angst vor dem Verlust der eigenen Identität in gesellschaftlichen Krisensituationen führt beim faschistischen Subjekt zur Bejahung der Bedrohung durch die Verneinung der eigenen Subjektivität („Liquidierung der eigenen Identität“) mittels der Unterordnung unter die — sowie das Kämpfen für die — Volksgemeinschaft. Kapfingers Auseinandersetzungen mit der „faschistischen Philosophie” fußen auf freudomarxistischen Ansätzen, auf frühen Schriften von Wilhelm Reich und der Kritischen Theorie (hier besonders von Erich Fromm). Zwar steht die Auseinandersetzung mit Heidegger im Zentrum, doch der Autor liefert darüber hinaus wertvolle Anregungen zur Entwicklung eines allgemeinen — und damit auch auf die heutige Zeit anwendbaren — Modells zur Erklärung von Faschisierungsprozessen. Zur Differenzierung zwischen einem autoritätsgebundenen Charakter und einem faschistischen Subjekt verweist er auf die Autoritarismusstudien der Kritischen Theorie, die er nicht für dienlich hält zur Erklärung einer faschistischen Persönlichkeit, da sie eben nicht den Faschismus, sondern die autoritäre Charakterstruktur analysierten. Kapfingers Unterscheidung hat folgenschwere Konsequenzen für die Kennzeichnung extrem rechter Gruppen. So fordert er die grundsätzliche Unterscheidung zwischen einem autoritären völkischen Nationalismus und einem Faschismus und illustriert diesen Unterschied am Beispiel des Röhm-Putsches: Während die SA unter Ernst Röhm einen autoritär-völkisch-nationalistischen Kurs verfolgt habe, sei die Ermordung ihrer Führungsriege durch Hitler Ausdruck eines originär faschistischen Vernichtungswillens gewesen — die SA war demnach noch gar nicht faschistisch? Kapfinger überträgt seine Unterscheidung auch auf die heutige Zeit in Form einer Gegenüberstellung von AfD, Pegida und Querdenker*innen einerseits und dem faschistischen Rechtsterrorismus anderseits. Kern des Faschismus sei laut Autor der Vernichtungswille, der im autoritären Charakter nicht notwendigerweise zum Ausdruck komme. Hier wird ein Problem absolut gesetzter analytischer Grenzziehungen in Kapfingers Faschismusdefinition deutlich: Historisch wie aktuell nachweisbare reale und zum Teil fließende Übergänge von rechten autoritär-völkisch-nationalistischen Akteur*innen hin zu faschistischen Gewalt- und Vernichtungsoptionen lassen sich durch solche argumentativen Abgrenzungen nicht mehr erkennen und verstehen. Zwar relativiert der Autor im Schlussteil seine Abgrenzungen innerhalb der radikalen Rechten, was jedoch das Grundproblem seiner Argumentation nicht grundsätzlich aufhebt. Trotz dieser fragwürdigen Deutungen liefert das Buch in vielerlei Hinsicht äußerst anregende Denkansätze und Hintergrundinformationen: Kapfinger gibt wertvolle Anstöße zur erneuten und vertiefenden Auseinandersetzung mit freudomarxistischer Faschismusdeutung sowie zur Hinterfragung oft rezitierter Interpretationen der Autoritarismusstudien und der Dialektik der Aufklärung von Horkheimer und Adorno. Zudem liefert der Autor aus marxistischer Sicht anregende Überlegungen zum Zusammenhang von gesellschaftlich-ökonomischer Krise und der Herausbildung faschistischer Subjekte, indem er die „Idee des Subjekts als einer historisch spezifischen Form des Menschen unter bürgerlich-kapitalistischen Lebensbedingungen“ in das Zentrum seiner Gedanken zu rücken versucht.

Kapfingers Buch ist anregend und verdient eine intensive Lektüre sowie eine breite Diskussion.

Emanuel Kapfinger Die Faschisierung des Subjekts. Über die Theorie des autoritären Charakters und Heideggers Philosophie des Todes. Mandelbaum Verlag, Wien/Berlin 2021

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