„Wir dürfen die Genoss*innen im ostdeutschen Land nicht alleine lassen“
Im Gespräch mit dem Netzwerk „Polylux“
Es gibt ihn, den anständigen Antifaschismus in Ostdeutschland. Um linke, antifaschistische und emanzipatorische Initiativen und Projekte in den ländlichen Regionen zu unterstützen, hat sich im Sommer 2018 das Netzwerk „Polylux“ gründet. Mit Mxx und Jaša sprachen wir über den Support und die Herausforderungen antifaschistischer Arbeit in Ostdeutschland. Ihr seid beide für den Verein „Polylux“ aktiv. Wie sieht die Arbeit des Vereins aus?
Jaša: Mit Polylux wollen wir linke, antifaschistische und emanzipatorische Aktive und Projekte in den ostdeutschen Kommunen sichtbarer machen, ihnen den Rücken stärken und für eine solidarische Finanzierung sorgen. Dazu sammeln wir durch kontinuierliche Mitgliedsbeiträge oder einmalige Spenden Geld, welches wir dann wieder an Projekte und Gruppen verteilen können. Wir wollen die Projekte und vor allem die dazugehörigen Menschen auch langfristig unterstützen. Das heißt für uns, dass wir die Projekte besuchen, untereinander vernetzen und ihre Anliegen verbreiten. Wir haben unter anderem eine Postkartenserie aufgelegt, einen Podcast, in dem wir Projekte vorstellen, gestartet und planen ein größeres Netzwerktreffen.
Mxx: Der Zugang zur Unterstützung ist relativ niedrigschwellig, deshalb gibt es bei uns kein standardisiertes Antragsverfahren, wie es die meisten Förderprogramme haben. Initiativen können über das Kontaktformular auf unserer Website anfragen. Ein wichtiger Teil der Netzwerkarbeit ist dann der Austausch mit den Projekten und sich im besten Fall auch zu treffen, um vor Ort einen Eindruck zu bekommen. Auf unserem monatlichen Plenum entscheiden wir dann, welche Anliegen wir fördern (können).
J: Unsere finanzielle Unterstützung reicht von Einmalzahlungen kleiner Beträge für eine konkrete Vortragsreihe oder Flyer über eine monatliche Unterstützung bei der Miete bis hin zu größeren Beträgen für die Umsetzung von Brandschutzauflagen, ohne die ein Treff nicht weiter öffnen kann. Dabei liegt unser Fokus ganz klar auf kleineren Projekten im ländlichen Raum, die einen klaren antifaschistischen Grundkonsens haben.
Was war eure Motivation, den Verein zu gründen?
J: Wir wollen, dass die Menschen, die im Osten und dort vor allem im ländlichen Raum aktiv sind, weiterhin aktiv sein können und nicht ständig in existenzielle Nöte geraten. Dadurch dass die AfD im Osten seit Jahren immer stärker und auch immer etablierter wird, ändern sich auch parlamentarische Prozesse. Denn neben der Hetze auf der Straße bestimmt sie auch die Diskurse in Stadt-, Kreistags- und Ortsratssitzungen und entscheidet mit bei der Vergabe von Geldern. In den letzten Jahren wurden immer mehr Vereinen und Projekten Gelder gestrichen oder es wurde über die Aberkennung ihrer Gemeinnützigkeit diskutiert. Immer wieder wollen Geldgeber*innen, dass sich Projekte von sogenannten extremistischen Inhalten distanzieren und Neutralitätsklauseln unterschreiben. Wir wollen Gruppen und Projekten einfach die Möglichkeit geben, nicht alles mitmachen zu müssen und zu wissen, dass es Geld genau für das gibt, was sie tun. Auch für die Antifa-Aufkleber in der Kneipe und die klaren Positionen am Runden Tisch.
Bei den meisten Projekten, die von euch unterstützt werden, handelt es sich um Vereine und Initiativen jenseits der Metropolen wie Halle, Dresden, Potsdam und Leipzig. Welche Bedeutung hat der ländliche Raum für euer Projekt?
J: Einen großen. Unser Fokus liegt ja hauptsächlich im ländlichen Raum. Das liegt auch daran, dass viele von uns selbst im ländlichen Raum in Ostdeutschland aufgewachsen sind, immer noch (oder wieder) dort leben und arbeiten. Wir wissen also selbst sehr gut, wie es ist, an Orten politisiert zu werden, wo es nur sehr wenig alternative Räume und Infrastruktur gibt. Wir wissen selbst, wie existenziell Orte abseits der rechten Hegemonie sind. Viele jüngere Menschen verlassen die ländlichen Regionen. Gehen für die Ausbildung in größere Städte, verbringen aber ihre Kindheit und Jugend dort — und es gehen auch nicht alle weg und manche kommen auch gezielt wieder zurück. Ich selbst bin sehr froh, in meiner Jugend wenigstens den einen Jugendtreff gehabt zu haben, wo — zumindest stand das an der Tür — Rassismus und Sexismus nicht willkommen waren.
M: Nicht zu vergessen, dass es auch Menschen gibt, die nicht das Privileg genießen, sich ohne weiteres in die nächste Großstadt begeben zu können. Für viele Menschen im Asylapparat oder auch in anderen eher prekären Lebenslagen ist ein Wegzug unmöglich oder sehr schwierig. Und diese Menschen bekommen oft erstmals in Projekten wie wir sie unterstützen Zuspruch und Solidarität.
Ostdeutschland wird aus westdeutscher Perspektive oft pauschal als Kernland der AfD, No-Go-Area und Nazi-Hochburg gesehen, wo es eine extrem rechte Hegemonie gibt. Stimmt dieses Bild? Und was bedeutet das für Linke und antifaschistische Politik?
J: Es ist nicht so leicht zu sagen „Ja, dieses Bild stimmt“ oder „Nein, das Bild stimmt nicht“. Wir wollen weder eine Image-Kampagne für Ostdeutschland machen, noch wollen wir die Menschen die täglich dort aktiv sind unter den Tisch fallen lassen. Für die Menschen, die hier leben, sind die letzten Wahlergebnisse keine Überraschung, sondern eine stetige Entwicklung. Für die kleinen Projekte erhöht sich damit aber auch der Druck immer mehr. Die Angriffe auf sie kommen von allen Seiten. Es gibt immer wieder Bürgermeister*innen, die versuchen ihr „Nazi-Problem“ zu beschönigen. Wenn diese Zustände dann von linken und antifaschistischen Projekten benannt werden, bekommen diese als „Nestbeschmutzer*innen“ eins auf den Deckel. Die AfD versucht beispielsweise, über Kleine Anfragen Druck auf Projekte auszuüben. Dadurch entsteht in Teilen der Gesellschaft immer mehr Unsicherheit. Projekte fragen sich, was sie sagen können und was nicht. Sie denken präventiv darüber nach, wie die AfD — oder auch die CDU, etc. — auf bestimmte Sachen reagieren würde. Das macht den Alltag für die Aktiven zu einem andauernden Existenzkampf.
M: Die Situation für emanzipatorische und linke Projekte ist auch ohne die AfD schon prekär gewesen. Es war vor allem die CDU, welche etwa wie in Sachsen mit der Extremismusklausel immer wieder versuchte, antifaschistischen und kritischen Projekten die Mittel zu entziehen. Was ihr mitunter auch gelungen ist. In den Regionen, wo 60 Prozent oder mehr rechts oder ganz rechts wählen, haben Menschen in ihrem Alltag seit Jahren mit Rassismus, Sexismus, Homophobie und Antisemitismus zu kämpfen. Es ist auch nicht unbedingt so, dass es in den größeren Städten und den dichter besiedelten Gegenden anders wäre, nur sind dort die Projekte und Orte, an denen sich dagegen positioniert wird, besser aufgestellt — finanziell, aber vor allem auch personell. Das sind Orte, wo sich der Alltag nicht immer direkt um Nazis und Gewalt drehen muss. Solche Orte braucht es aber auch in den kleinen Städten oder auf dem Dorf.
Nach den rassistischen Ausschreitungen im Sommer 2015 in Heidenau oder den extrem rechten Mobilisierungen 2018 nach Chemnitz reagierten Antifa-Strukturen bundesweit und mobilisierten zu großen antifaschistischen Demonstrationen vor Ort. Welche Wirkung haben solche Interventionen für die Antifaschist*innen vor Ort?
M: Aus der Perspektive eines in der Großstadt lebenden Menschen, der vor allem im kleinstädtischen Raum Menschen unterstützt, die von Rassismus betroffen sind und im Asylapparat struggeln, muss ich sagen, dass auch ich anfangs der Meinung war, es brauche einfach dreimal im Jahr — oder immer wenn es wieder zu besonders viel Gewalt durch Faschos und Anwohner*innen kam — eine große antifaschistische Demo vor Ort, wo möglichst viele im Blackblock-Style kommen und mal klarmachen, so läuft das nicht… Versteht mich nicht falsch, ich finde diese Aktionsform hat ihre absolute Berechtigung, vor allem wenn die Staatsmacht einfach wegsieht oder sich noch daran beteiligt. Gleichzeitig ist es im Alltag nicht oder kaum hilfreich, sich erst im schlimmsten Moment im eigentlich nicht mehr aushaltbaren Zustand darauf verlassen zu können, dass es Unterstützung von außen gibt.
J: Ich selbst bin im Erzgebirge in einer migrantischen Familie groß geworden, heute lebe ich in einer Kleinstadt in Mecklenburg-Vorpommern und arbeite in einem Nest namens Anklam. Ich kenne einige Leute, die auch im ländlicheren Raum in Ostdeutschland leben und arbeiten. Viele von ihnen sagen, dass sie sehr geflasht sind, wenn so viele Leute kommen und supporten. Das ist dann ein sehr berauschendes Gefühl, alle stehen unter Strom. Wenn dann alle wieder weg sind, entsteht oft Leere — so ging es mir zumindest früher. Denn für eine kurze Zeit war das Gefühl des nicht- alleine-Seins da. Ganz viele coole Leute um dich ’rum — also Gleichgesinnte, Genoss*innen, andere Queers. Und dann bist du wieder mit dir und den anderen Fünfen, die du jeden Tag siehst und die auch ausgebrannt sind, übrig. Nichtsdestotrotz ist dieser Support wichtig. Zumindest fand ich das früher immer sehr gut, wenn zu Demos, Veranstaltungen oder Konzerten Leute von „außerhalb“ angereist sind. Ich glaube aber, das ist je nach Situation und Region unterschiedlich und kann nicht pauschal auf den ganzen ländlichen Osten so übertragen werden.
Ihr wollt ja nicht „nur“ als alternativer Förderverein zur Finanzierung von Projekten in Erscheinung treten, sondern ein solidarisches Netzwerk schaffen. Wie sollte der Support nachhaltiger antifaschistischer Strukturen in Ostdeutschland aus dem „Westen“ aussehen?
M: Das was wir mit Polylux gerade machen, ist ja eigentlich eine gesamtgesellschaftliche, staatliche Aufgabe. Beispielsweise Jugendlichen Räume zur Verfügung zu stellen und dem Rechtsruck im ländlichen Raum etwas entgegen zu setzen. Aber diese Aufgabe wird schlicht und ergreifend nicht erfüllt. Wir können nun einfach zuschauen, wie nichts passiert, oder aber dem ganzen etwas Praktisches entgegensetzten und Verantwortung übernehmen. Einen Teil davon kann ein Verein wie Polylux leisten, den anderen Teil müssen auch Menschen aktiv mitgestalten — indem sie mal dahinfahren, wo sonst die Menschen wegziehen, und vielleicht nicht immer erst wenn es wieder zu Gewalt und Pogromen kam, sondern weil dort eine gute Veranstaltungsreihe ist oder auch mal zum Punk-Konzert.
J: Vernetzung, inhaltliche Unterstützung, vor Ort sein bei Aktionen und aktiv werden, mal auf ein Konzert fahren und so weiter ist selbstverständlich wichtig und eine sinnvolle Art des Supportes. Aber es ist auch logisch, dass jetzt nicht einfach mal ganze viele Linke aus den westdeutschen Städten in den ländlichen Raum im Osten ziehen. Die Menschen haben ja auch ihre Gründe, nicht dort zu leben — beispielsweise weil sie dort mehr Diskriminierung ausgesetzt wären. Wer aber aus der Ferne kontinuierlich etwas dazu tun will, kann das eben auch durch Geld. Denn die finanzielle Absicherung ist nunmal ein Grundstein für vieles. Egal ob westdeutsche Antifaschist*innen, weggezogene Ossis oder solidarische Großstädter*innen mit schlechtem Gewissen: Wir dürfen die Genoss*innen im ostdeutschen Land nicht alleine lassen.
Spenden Netzwerk Polylux e.V. IBAN: DE19 8306 5408 0004 1674 06 BIC: GENO DEF1 SLR Deutsche Skatbank
Netzwerk Polylux e.V. ist ›politisch‹ tätig und deswegen nicht gemeinnützig. Aus diesem Grund stellt Netzwerk Polylux e. V. keine Spendenquittungen aus.
Mxx lebt in Leipzig, ist dort aufgewachsen und politisiert worden. Während des Studiums in einer ostdeutschen Kleinstadt verfängt sich der Fokus in der Provinz. Solidarische Unterstützung gegen staatlich organisierte Ausgrenzung und gesellschaftlich getragenen Rassismus ist auch im Hinterland notwendig — die Strukturen dafür brauchen Support: finanziell wie personell.
Jaša ist mit migrantischem Background in einer Kleinstadt im Erzgebirge groß geworden, hat viele Jahre in Zwickau gelebt. Mit 18 direkt in die nächste Großstadt: nach Chemnitz. War dann viele Jahre in Dresden aktiv und lebt seit Anfang 2021 in Greifswald und arbeitet in Anklam in Mecklenburg-Vorpommern.