Roland Geisheimer | attenzione

„Advent, Advent, das Grundgesetz brennt“

Zur Entwicklung der Pandemieleugner*innen-Bewegung im Winter 2021/22

Im Winter 2021/22 brachte die rechtsoffene bis offen extrem rechte Bewegung der Pandemieleugner\*innen Rekordteilnehmer\*innenzahlen auf die Straßen. Das Tableau der Protagonist\*innen setzte sich Mitte Dezember teils neu zusammen, um bis März trotz fallender Zahlen weitgehend konstant zu bleiben. Angesichts der NRW-Landtagswahl im Mai ist die Rolle der AfD (siehe Artikel auf S. 24 ff.) dabei von besonderem Interesse, wie am Beispiel Düsseldorfs dargelegt wird.

Beim Titel dieses Artikels handelt es sich um eine Parole, die Pandemieleugner*innen (PL) und Impfgegner*innen bei der Querdenken-Demonstration am 4. Dezember in Düsseldorf riefen. Die Teilnehmer*innenzahl von 250 war typisch für den Herbst 2021, nachdem die Beteiligung an den von Ingo Marks (Rhein-Sieg-Kreis) und Mona Aranea (Mönchengladbach) organisierten samstäglichen Versammlungen im Sommer bis in den zweistelligen Bereich gefallen war. Beim ersten „Montags-Spaziergang“ des Düsseldorfer Demo-Anmelders und „Corona Rebellen“ Bernd Bruns kamen am 6. Dezember sogar nur rund ein Dutzend Personen zusammen. Im zumeist niedrigen zweistelligen Bereich hatte sich auch die Anzahl der Fahrzeuge bei seinen sonntäglichen Autokorso-Protestfahrten eingependelt. Doch am Samstag, den 11. Dezember, zogen statt der angemeldeten 300 bis zu 6.000 Personen durch Düsseldorf. In der Innenstadt hatten sich auch etliche Passant*innen spontan angeschlossen. Mit der neuen Rekordzahl lag Düsseldorf im bundesweiten Trend steigender Teilnehmer*innenzahlen, der als Reaktion auf das Gesetz zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht im Gesundheitswesen zu erklären sein dürfte. Das Impfangebot für Kinder zwischen fünf und elf Jahren, das von Impfgegner*innen als „Impfpflicht für Kinder“ misskommuniziert wird, dürfte ein weiterer Anstoß gewesen sein.

Gemeinsam mit 70 Abgeordneten aus AfD (63), CDU/CSU (5), FDP (1) und Die Linke (1) stimmte der fraktionslose AfDler Matthias Helferich (siehe Artikel auf S. 22 f.) gegen das Gesetz. Er hatte bereits am 4. Dezember gemeinsam mit Führungskadern der JA NRW an der Düsseldorfer Demo teilgenommen. Im Rückblick kann dies als ein Vorzeichen für das seitdem wachsende Engagement der AfD bei den Protesten gesehen werden. Zwar hatte der Düsseldorfer AfD-OB-Kandidat Florian Hoffmann bis zu den Kommunalwahlen im Herbst 2020 eine aktive Rolle bei den Düsseldorfer PL gespielt, wie vereinzelt auch weitere AfDler*innen an den Aktionen teilnahmen und in den Telegram-Gruppen deutliche Wahlpräferenz für die AfD bei der Kommunalwahl 2020 und der Bundestagswahl 2021 ausgedrückt wurde. Ein nachhaltiges und prägendes AfD-Engagement war jedoch nicht festzustellen. Angesichts des breiten Zustroms von Protestierenden und der im Mai 2022 anstehenden Landtagswahl änderte sich dies.

CRD marschieren mit Fackeln

Die AfD witterte mit der Gesetzesverabschiedung eine Chance, Wutbürger*innen hinter sich zu versammeln. Am 11. Dezember marschierten neben Helferich Guido Reil (AfD-MdEP) und Iris Dworeck-Danielowski (AfD-MdL NRW) ebenso mit wie JA-NRW-Funktionsträger*innen, lokales AfD-Personal, extrem rechte Burschenschaftler, die mehrfach verurteilte Holocaust-Leugnerin Birgit Hutter, einige Member und Supporter der Bruderschaft Deutschland sowie andere Neonazis, Reichsbürger*innen, „Identitäre“ sowie aufstrebende Akteure von Rechtsaußen wie German de Pinedo Fernandez aus Essen. Der „Santos“ genannte Ex-„Präses“ des BVB-Fanclubs Tremonia Bullfrogs wirbt bei PL- und AfD-Kundgebungen für den Aufbau einer „stabilen“ Bürgerwehr-ähnlichen Truppe namens Tempus X.

Das Feuer für das brennende Grundgesetz lieferten am frühen Abend jenes Tages die Corona Rebellen Düsseldorf (CRD). Am Kaufhof an der Kö, dem arisierten ehemaligen Warenhaus Tietz, verteilten und entzündeten sie in einem Block des Zuges Fackeln, die bis zur Mahn- und Gedenkstätte getragen wurden. Das an historische Fackelumzüge erinnernde Bild rundeten die zahlreichen Schilder und Aufkleber, die auch an der Mahn- und Gedenkstätte hinterlassen wurden, sowie Rufe — wie von Sascha („Master Spitter“) Vossen — ab, mit denen die PL sich als Opfer inszenierten und die Shoah relativierten.

Das neue Label APO erlebte so einen peinlichen Start. Die Mitveranstalterin Mona Aranea, Ex-Grüne und dieBasis-Landeslistenzweite zur Landtagswahl, hatte die Umbenennung bei der Auftaktkundgebung verkündet, um den Bruch mit den Querdenken-Gruppen von Michael Schele nach außen sichtbar zu machen. Der vorgeblich neue Wein bleibt jedoch in alten Schläuchen. Anmelder und APO-Chef Ingo Marks war ab Sommer 2020 als „Chef-Ordner“ bei den CRD tätig und hatte ab September 2020 mit und für Schele Querdenken-Versammlungen in Düsseldorf und anderen Städten angemeldet und geleitet. Marks nahm spätestens ab 2018 an Veranstaltungen der extremen Rechten teil. Dazu gehören etwa ein Aufmarsch der Patrioten NRW im Herbst 2018 in Düsseldorf, ein Treffen des Frauenbündnisses Kandel im Sommer 2019 und die „Wir für Deutschland“-Demo am 3. Oktober 2019 in Berlin. Der online als „Ingo Asgard“ agierende Marks und der spätere „Corona Rebell“ und Reichsbürger-Rapper Sascha Vossen dürften einander spätestens seit der Kundgebung am 4. Januar 2020 gegen den WDR in Köln kennen.

Obwohl vor diesen als extrem rechts zu identifizierenden Akteur*innen in Düsseldorf seit langem gewarnt wird und ihre antisemitischen, NS-relativierenden, verschwörungsgläubigen, teils rassistischen und LGBTIAQ-feindlichen Positionen in Demos und Telegram-Gruppen nicht zu übersehen sind, zogen am 11. Dezember mehrere Tausend Wutbürger*innen mit ihnen zusammen stundenlang durch die Stadt.

Verstetigung

Bis zum 12. Februar lagen die Teilnehmer*innenzahlen der samstäglichen, von Marks und Aranea veranstalteten Demos zwischen 4.000 und 7.500, bevor sie für den Rest des Monats auf 2.500 bis 3.000 fielen und sich im März bei 1.000 bis 1.500 einpendelten. Die sonntäglichen Autokorsos von Bernd Bruns wurden ebenso fortgesetzt wie (zumindest bis Anfang 2022) kleine Mittwochs-Demos der messianistischen Christ*innen um Johannes Engelhardt. Neu hinzu kamen im März 2022 dienstägliche Versammlungen vor dem Schulministerium und der Staatskanzlei, die von der dieBasis-Landtagskandidatin Songül Schlürscheid aus dem Rheinisch-Bergischen Kreis verantwortet werden. Die bis Mitte Januar 2022 gehaltene Frequenz von durchschnittlich einer Versammlung an jedem zweiten Tag wird nicht mehr erreicht.

Die samstäglichen Versammlungen folgen einer festen Choreographie. Die etwa 45-minütige Sammlungs- und Aufstellphase wird zumeist nur mit organisatorischen Durchsagen, Werbeeinblendungen für Versammlungen in umliegenden Städten und etwas Musik beschallt. Inhaltliche Reden sind hier ebenso die Ausnahme wie bei der Abschlussphase. So bleiben etwaige inhaltliche Kontroversen unter dem Tisch. Auch die Aufstellung des Zuges wurde vereinheitlicht. An der Spitze lief vom 15. Januar bis 19. März 2022 der „Pflege“-Block. Die Teilnehmer*innen in diesem Block werden teils auf dem Platz angeworben und mit Wegwerfkitteln und Mützen ausgestattet. Sie tragen ein Frontbanner mit der Aufschrift „Wir arbeiten mit ❤ [rotes Herz] — nicht mit Impfpflicht.“ Dem „Pflege“-Block folgt seit dem 12. Februar ein in einheitlichen Westen auftretender kleinerer „Feuerwehr“-Block, in dem die Berufszugehörigkeit ebensowenig überprüfbar ist. Am 26. März wurde die Aufstellung geändert; das neue Frontbanner droht mit einer „Verdopplung“ der „Demonstrationsanzahl“, wenn bis zum 31. März keine „dauerhaft freie Impfentscheidung“ festgeschrieben wird.

Rechts läuft…

Der so vorbereitete Boden war für die extreme Rechte fruchtbar und wird weiter bearbeitet. Trotz gegenteiliger Bekundungen und teils öffentlicher Distanzierung durch die APO-Organisator*innen waren durchgängig extreme Rechte von AfD über Burschenschaftler und „Identitäre“ bis zum Bruderschafts- und Hooligan-Milieu bei den samstäglichen Versammlungen präsent. Sie sind auch teils eigenständig aktiv. Am 16. Dezember beispielsweise führte die Lukreta-Initiatorin und JA/AfD-Aktivistin Reinhild Boßdorf aus dem Rhein-Sieg-Kreis eine Kundgebung gegen den vermeintlichen Impfzwang von Kindern am Landtag NRW durch. Unter den etwa 80 Teilnehmer­*innen waren allerlei AfD- und JA-Personal, Burschenschaftler und Neonazis wie Frank Kraemer (Stahlgewitter) aus dem Rhein-Sieg-Kreis. Am 18. Dezember erregte unter den etwa 4.000 Demonstrant*innen ein rund 50-köpfiger Block extrem rechter Akteur*innen Aufmerksamkeit. Er lief hinter einem Banner der Revolte Rheinland (RR, siehe Artikel S. 27 ff.), die nach dem 27. November zum zweiten Mal vor Ort war, schwenkte Deutschland-Fahnen und rief nationalistische Parolen. Das Spektrum der Teilnehmenden glich dem der Lukreta-Kundgebung. Abseits des Blocks waren zahlreiche weitere extrem Rechte, inklusive prominenter AfDler wie die Abgeordneten Guido Reil und Sven Tritschler und lokale AfD-Funktionär*innen wie die Düsseldorfer Kreisvorstandsmitglieder Elmar Salinger und Marco Vogt anzutreffen. Letztere nutzen seit dem 20. Dezember die deutlich kleineren Montags-„Spaziergänge“ durch Reden als Wahlkampf-Plattform, kommen auf den samstäglichen Demos aber nicht zu Wort. Gelbe Papierfähnchen und Luftballons warben für das rechte und verschwörungsideologische Internet-Radio Antenne Frei der Dortmunder AfD-Mitglieder Annette und Wolfgang Seitz. Daneben wehten eine Trump-Flagge sowie mehrere rechts-libertaristische „Gadsden flags“.

…aber nicht mehr ganz vorne

Bereits am 18. Dezember hatte Mona Aranea wohl als Reaktion auf negative Presseberichte den extrem rechten Block unter Führung der RR nach mehreren Ermahnungen von der Spitze des Aufzugs in deren hinteren Teil verbannt, wo AfD-/JA-Fahnen nur eingerollt getragen werden durften. Am 8. Januar — die RR war mit einem „Die Krise heisst Kapitalismus“-Banner erschienen, was für scharfe Kritik aus der AfD sorgte, zumal sich auch JA’ler*innen angeschlossen hatten — wiederholte sich das Prozedere. Marks und Aranea distanzierten sich ihrerseits in einer Stellungnahme von den „Pseudo-Patrioten“.

Im Vergleich zum großen Publikum, das die AfD bei den APO-Demonstrationen erreichen kann, lockte die von ihr selbst im Rahmen des bundesweiten Aktionstages „Gesund ohne Zwang“ organisierte Kundgebung vor dem Landtag NRW am 5. März nur etwa 250 Teilnehmer*innen an, darunter viel AfD-NRW-„Prominenz“. In etwa 2,5 Kilometer Entfernung versammelten sich bei der APO rund 2.500 Demonstrant*innen. Die APO-Leitung hatte sich zuvor scharf gegen Instrumentalisierungsversuche der AfD gewandt und ihr angetragen, Abstand zu halten. Trotzdem zogen rund 80 AfD-Aktivist*innen und -Sympathisant*innen zu der APO-Demo weiter. Dieser Disput und die von der AfD am 5. März verteilten roten Pappherzen mit dem Aktionstagsmotto führten am 19. März zum Ausschluss des entsprechend dekorierten inoffiziellen Lautsprecherkleinwagens von Bernd Bruns („Brunsmobil“). Hintergrund der Distanzierungen dürften primär strategische Motive sein. Marks und Aranea möchten negative Berichterstattungen über die APO-Demos verhindern und sich möglichst breit aufstellen. Hinzu dürfte Araneas Engagement für die AfD-Konkurrenzpartei dieBasis kommen. Diese „feindliche“ Haltung stößt vor allem bei den CRD auf heftigen Widerspruch und führte zu einer weiteren Spaltung der in Düsseldorf aktiven PL-Szene. Für den 26. März wurde parallel zur APO-Demo aus den Reihen der CRD, aber nicht unter ihrem Namen, sondern von Sachsen inspiriert als „Freie Bürger“, eine eigene Demo angemeldet. Während die APO bis zu 1.300 Menschen anzog, fanden sich nicht mehr als 80 „Freie Bürger“ ein, darunter auch Mitglieder der JA. Da die APO ein deutlich größeres Forum bietet, das AfD und ihr Umfeld keineswegs aufgeben wollen, wechselten JA-Aktivist*innen mit Deutschland- und JA-Fahnen zwischen beiden Demos.

Hurra, hurra, die „echte Antifa“ ist da!

Auf der Demo am 5. Februar trat erstmals eine „Echte Antifa“ in Erscheinung — ausgestattet mit zwei Bannern und in der Nähe von Fahnen der Freie Linke laufend. Zu lesen war zwischen dem Logo der „Antifaschistischen Aktion“ und einem schwarz-roten Stern „Echte Antifaschisten laufen hier mit!“ und „Echte Antifa: Gegen Impfzwang, Ausgrenzung & Digitale Kontrolle“. Verlautbarungen von PL, „die echte Antifa“ zu sein, gibt es schon länger. Dabei handelt es sich um einen weiteren Versuch der Umdeutung und Besetzung von Begriffen. So wie die PL sich als Diktatur-Opfer oder Widerstandskämpfer*innen zu definieren versuchen, reklamieren sie für sich, die „echten“ Antifaschist*innen zu sein, die gegen die ihrer Meinung nach faschistische „Corona-Diktatur“ in der BRD kämpfen. Aus dieser Rollenumkehrung ist es aus Sicht mancher PL durchaus legitim, antifaschistischen Gegenprotest anzugreifen.

Eine Querfrontbildung ist durch die „echte Antifa“ nicht zu befürchten. Soweit die Akteur*innen identifiziert werden konnten, handelt es sich nicht um organisierte Linke beziehungsweise in nur einem Fall um eine von linken Demonstrationen bekannte Person, die aus der „Friedensbewegung 2.0“ stammt. Der deutliche Teilnehmer*innen-Zuwachs im Dezember 2021 und Januar 2022 ist jedoch zumindest teilweise auf eine sich links-alternativ verstehende Klientel zurückzuführen, die oft in der alternativen Kultur- und Non-Profit-Struktur der Stadt verankert ist. Primär scheint dieses Segment über das Thema Kinder mobilisierbar zu sein, was sie potenziell besonders anfällig macht für kindbezogene Verschwörungsnarrative wie das von QAnon.

Gegenprotest und städtisches Handeln

„Ich war heute zum ersten Mal in auf der Demo [in Köln] und musste feststellen, dass die Leute außerhalb übelst negativ auf uns reagiert haben […]. Das ist in Düsseldorf anders.“ So die Wahrnehmung eines Demoteilnehmers vom 5. März, der sich offenbar auf den Düsseldorfer PL-Demos sehr wohl und ungestört fühlt. Am 18. Dezember hatte es nach sehr langer Pause einen neuen Anlauf zu organisiertem Gegenprotest gegeben, der mit rund 200 Personen deutlich kleiner ausfiel als die rechte Großveranstaltung der PL. Der Gegenprotest blieb überdies aufgrund polizeilicher Maßnahmen größtenteils unsichtbar und unhörbar. In einigen Stadtteilen entwickelten sich unabhängig kleine Proteste von Anwohner*innen, die entlang der Demoroute ihren Unmut auf Schildern zum Ausdruck brachten. Am 22. Januar wurden der APO-Demo koordiniert rote Karten gezeigt. Für den 5. Februar konnte das lokale und linke „Gegen Rechts“-Bündnis Düsseldorf stellt sich quer, das in der Kritik steht, die politische Gefahr durch die PL seit mehr als zwei Jahren überwiegend zu ignorieren, auch bürgerliche Kräfte für eine Gegendemonstration gewinnen. Diese Kooperation zerbrach bereits nach diesem ersten Gegenprotest. Seitdem ist auch der dezentrale Gegenprotest in den Stadtteilen fast verschwunden, so dass diese organisierte antifaschistische Intervention kritisch reflektiert werden muss. Nur Einzelpersonen sowie sehr kleine Gruppen der Antiverschwurbelten Aktion und Dorf-Antifa protestieren weiterhin.

Für den 8. Januar versuchte die Stadt Düsseldorf nach Beschwerden von Anwohner*innen und Gewerbetreibenden halbherzig, dem angewachsenen PL-Treiben Einhalt zu gebieten. Lediglich eine stehende Kundgebung, aber kein Umzug wurde genehmigt. Der Kreisverband der AfD beschuldigte daraufhin die Stadt und den Oberbürgermeister, sie würden „Eskalation befördern“. Ingo Marks als Anmelder klagte gegen die Entscheidung und war wegen eines Verfahrensfehlers erfolgreich.

Antisemitismus

Antisemitismus ist und bleibt ein konstituierendes Element der verschwörungsgläubigen Bewegung der PL und Impfverweigerer*innen. Woche für Woche liefern sie hierfür Belege, wie beispielsweise das Tragen eines Plakats, das George Soros für einen angeblichen „Great Reset“ verantwortlich macht. Auch bekannte Gesichter der Bewegung wie Michael Schele äußern sich zunehmend offen antisemitisch. Am 20. Dezember relativierte er die Shoah durch die Gleichsetzung von wissenschaftlich fundierten Impf-Aufforderungen mit antisemitischer Propaganda des NS. Am 1. Januar sprach er von einer „gute[n] Endlösung“, zu der die heutigen Corona-Schutzmaßnahmen führen würden. Mindestens zwei Teilnehmer*innen trugen gelbe Armbinden mit der Aufschrift „#ungeimpft“. Am 15. Januar inszenierten sich mehrere Demonstrant*innen mit großen gelben „Judensternen“ als Opfer.

Ebenfalls im Kontext der PL-Bewegung muss ein koordinierter, stadtweiter Angriff auf Plakate der Ausstellung „zwangs sterilisiert. Eingriffe in die Menschenwürde in Düsseldorf 1934-1945“ der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf verortet werden. Am 21. März wurden in mehreren Stadtteilen Plakate mit gelben Stickern mit dem Text „zwangs geimpft — wieder aktuell 2022“ beklebt. In der Telegram-Gruppe der CRD hatte „Rex Dildo“ zuvor die Plakate zur Diskussion gestellt. Mehrere CRD lieferten die erhoffte Antwort, dass eine „Zwangsimpfung in dieselbe Richtung“ gehe. Bernd Bruns wurde explizit: „Zwangsspritzen“ würden sich „negativ auf Menstruation mit weiteren Nebenfolgen“ auswirken.

Ist die Ukraine das neue Corona?

Schon vor der Abnahme der Teilnehmer*innenzahlen Anfang März gab es Anläufe, die Proteste thematisch zu erweitern. Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine rückte das Thema Frieden in den Fokus. Ein Teil der PL kommt aus der „Friedensbewegung 2.0“ beziehungsweise den verschwörungsanhängerischen „Montagsmahnwachen“, so dass das Thema für sie nahe liegt. Andere drücken in den Telegram-Gruppen Vorbehalte gegenüber einer solchen Themenerweiterung aus. Bei der Versammlung am 5. März war ein erweitertes Themensetting aber deutlich zu erkennen. Das reichte von Bekundungen, auf der Seite Russlands zu stehen, bis zu abstrusesten Verschwörungserzählungen, nach denen Pandemieleugner*innen auferlegte Ordnungsgelder an die Ukraine fließen würden und die Maskenpflicht jetzt ausgesetzt worden sei, damit möglichst viele Menschen an staatlich dirigierten Solidaritätsdemos mit der Ukraine teilnehmen könnten. Eine Teilnehmerin verbreitete die Verschwörungserzählung, dass 92.000 Menschen — überwiegend Kinder — aktuell von ukrainischen Nazis ermordet worden seien und Ukrainer*innen daher den Angriff Russlands als Rettung ansähen. Zumindest in den Telegram-Gruppen sind sich fast alle einig: Sie stehen an der Seite Russlands. Dies brachte auf der PL-Demo am 19. März Jürgen Schütte vom Friedensbündnis Mönchengladbach in einer kurzen Rede zum Ausdruck. Lediglich die AfD grüßte bei ihrer Kundgebung am 5. März ihre „Freunde und Freundinnen in der Ukraine“.

Es zeigt sich, dass insbesondere für (extrem) rechte Pandemieleugner*innen der Gegenstand der Proteste fast beliebig ist. Sie streben einen Systemsturz an, und der „Tag X“ kann durch einen Virus, einen Krieg oder vielleicht gestiegene Kraftstoffpreise ausgelöst werden. Hierin liegt — neben dem bedenklichen diskursiven Einfluss, die Positionen der Impfverweigerer*innen und PL offenbar auch auf die neue Bundesregierung haben — die Gefahr dieser Bewegung. Sie bietet durch ihre Offenheit nach Rechtsaußen, die lediglich wegen möglicher negativer Außenwirkung begrenzt wird, rechten Kräften ein Feld für Agitation, Wahlkampf, Mobilisierung, Erprobung neuer Aktionsformen und Themen sowie dem Ausbau ihrer Strukturen, selbst wenn die Organisator*innen nicht in allen Fällen Teil der (extremen) Rechten sind. Als Landeshauptstadt ist Düsseldorf dabei von besonderer Bedeutung, doch sind Organisator*innen und Teilnehmende auch in anderen Städten der Region aktiv. Antisemitismus ist durchgängig tragfähig und wird in Form von Holocaust-Relativierungen auch von nicht extrem rechten Akteur*innen verbreitet und damit als scheinbar legitime Haltung zementiert.

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